Witten: Betriebshof Crengeldanz
Stillgelegt: 1973
Status: Gleisreste und Gebäude noch vorhanden (Stand: April 2023)

Juni 2007 © Tramtracks
Als die Märkische Straßenbahn 1898 ihren Betriebshof unweit der Wittener Innenstadt bezog, herrschte fast so etwas wie Goldgräberstimmung bei den neu gegründeten Verkehrsunternehmen. Es gab kaum eine größere Gemeinde, die nicht ihre eigene Tram haben wollte. Zum einen ging es dabei ums Prestige – man wollte den Anschluss an die Moderne nicht verpassen. Außerdem: Das Geschäft mit der Straßenbahn verhieß eine ordentliche Rendite.
Im Januar 1899 gingen die ersten Strecken in Betrieb: Am Crengeldanz waren sie allerdings noch unterbrochen, denn die damals noch zu ebener Erde gelegene Eisenbahnstrecke durfte nicht gekreuzt werden. Fahrgäste aus Langendreer mussten also die Gleise zu Fuß überqueren, um dann Anschluss in die Wittener Innenstadt bzw. nach Bommern oder Annen zu bekommen. Erst 1906 ermöglichte eine Brücke für die Eisenbahn eine Gleisverbindung, auch mit der Bogestra-Strecke aus Bochum.
Die relativ kleine Märkische Straßenbahn erwies sich weniger rentabel als erhofft, auch weil die im wahrsten Sinne des Wortes billige Ausführung ihres Gleisnetzes und des Fuhrparks schon bald Nachbesserungen erforderte. 1912 ging das Unternehmen in der Westfälischen Straßenbahn auf, die die Tram-Betriebe zwischen Castrop und Bommern, Laer und Lütgendortmund zusammenfasste und auch das Depot an der Crengeldanzstraße übernahm.

Juni 2007 © Tramtracks

Juni 2007 © Tramtracks
Seine jetzige, von architektonischer Sachlichkeit geprägte Fassade erhielt die Wagenhalle 1926. In den ersten drei Jahrzehnten seines Bestehens wurde der Betriebshof mehrfach ausgebaut. Dies war teils eine Folge von Erweiterungen wie der Neubaustrecke nach Heven (1929) und Herbede (1934). Teils wurden bauliche Veränderungen nötig, weil die neue Triebwagen-Generation größer wurde. Die örtliche Presse schrieb Ende der 1920er-Jahre von 40 Motorwagen und zehn Anhängern, die am Crengeldanz normalerweise stationiert waren.
Nachdem die "Westfälische" Anfang der Dreißiger in wirtschaftliche Schieflage geraten war, erbte die Bogestra zum 31. Dezember 1937 Fuhrpark und Anlagen – und damit auch den Wittener Betriebshof. Mit seinen acht Hallengleisen blieb der Standort Crengeldanz der Stützpunkt für die Linien in und um Witten.
Den Zweiten Weltkrieg überstand das Depot vergleichsweise unbeschadet. Im Dezember 1955 wurde das hinter der Wagenhalle gelegene Baulager zum neuen Omnibusbetriebshof, der nach wie vor in Gebrauch ist. Autobusse waren zuvor schon im Betriebshof Crengeldanz beheimatet gewesen. Mit der Ausweitung des Busverkehrs unter anderem durch die Stilllegung der Tramstrecke vom Wittener Rathaus nach Bommern benötigte man mehr Platz. Auch die Straßenbahnfahrzeuge, die in der Nachkriegszeit angeschafft wurden, waren größer. In den 1960er-Jahren waren im rechten Teil der Halle die Sechsachser untergestellt, die auf der Linie 12 nach Annen fuhren, und im linken Teil die älteren Zweiachser für den gelegentlichen Dienst als Einsatzwagen.

Juni 2007 © Tramtracks

Juni 2007 © Tramtracks
Abgesehen von dem Gemäuer an sich sind heute noch ein paar weitere Hinweise auf die Straßenbahn-Vergangenheit zu entdecken: An der Stirnseite der ehemaligen Wagenhalle ist noch heute die Nummerierung der Einfahrtsgleise zu sehen. Das in Kopfsteinen eingepflasterte Gleisvorfeld liegt augenscheinlich noch unter der Asphaltdecke. An ein paar Stellen zeichnet sich der Verlauf einiger Schienenstränge ab, beispielsweise an der Zufahrt zum Tor 7, aber auch in der Einfahrt.
Aufgegeben hat die Bogestra den Betriebshof zum 3. Juni 1973 (andere Quellen nennen fälschlicherweise den 31. März 1968). Anfang der Siebziger fuhren in Witten jedenfalls noch drei Straßenbahnlinien: die 10 von Wattenscheid-Höntrop über Bochum zum Wittener Hauptbahnhof, die 11 von Annen Nord zum Hauptbahnhof und die 12 von Heven ebenfalls nach Annen Nord. Die Bahnen rückten fortan vom Betriebshof Universitätsstraße aus der Bochumer Innenstadt aus. Trotz der weiteren Anfahrt schien sich die Zentralisierung der Depotkapazitäten zu lohnen.

Juni 2007 © Tramtracks

Juni 2007 © Tramtracks
100 Meter weiter östlich und noch In Sichtweite des Betriebshofkomplexes erinnert der Schaffnerweg mit seinem Namen an eine vergangene Tram-Epoche. Wohnten hier die Schaffner, die in der Straßenbahn früher die Fahrscheine verkauften? Ende 1970 hatte die Bogestra alle ihre Linien auf Ein-Mann-Betrieb umgestellt. Lange hielt sich für die Geräte, mit denen die Fahrgäste ihre Tickets entwerteten, der Begriff "Eiserner Schaffner".
In die andere Richtung, rund 250 Meter nördlich vom Betriebshofgelände, findet sich noch heute ein Beispiel "praktischer Wohnungsfürsorge" für die Angestellten der Straßenbahn. Zwischen Otto-Seeling-, Schott- und Detagstraße ist eine Siedlung mit Werkswohnungen für Bedienstete der Westfälischen Straßenbahn erhalten. Zum Depot waren es nur ein paar Minuten zu Fuß, was insbesondere das Personal der Früh- und Spätschichten sehr zu schätzen wussten. Die 38 Häuser mit ihren Schiefervertäfelungen sind übrigens gar nicht typisch fürs Revier, sondern für das Bergische Land.

Juni 2007 © Tramtracks
Zurück an die Crengeldanzstraße: In seiner Grundgestalt ist der Baukörper weitgehend in seiner ursprünglichen Gestalt belassen worden. Die verschiedenen Unternehmungen, die nach Schließung des Depots die Immobilie nutzten, haben das Innere und auch die Optik des Eingangsbereichs stark an ihre Anforderungen angepasst. Zeitweise wurde die alte Wagenhalle als Veranstaltungsraum genutzt, zuletzt als Fitness-Center und Glücksspielcasino.

Mai 2018 © Tramtracks

April 2023 © Tramtracks
Der bogenförmige Riss im Straßenbelag markiert den Verlauf des Gleises in Höhe der zweiten Hofweiche. Die zweigleisige Ausfahrt aus dem Depot war eng und verlangte beim Abbiegen auf die Crengeldanzstraße besondere Vorsicht. Angeschlossen war das Depot nur aus Richtung Bochum – was für die Ein- und Ausfahrt Richtung Annen und Hauptbahnhof unpraktisch war.

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Aus der Vogelperspektive ist die 90 Meter lange ehemalige Wagenhalle neben der Eisenbahntrasse schnell auszumachen. Südöstlich von dem Betriebshofgelände liegt das auch heute noch von der Bogestra genutzte Busdepot.
Dessen Tage sind wohl gezählt, denn bis 2028 will die Bogestra einen neuen zentralen Betriebshof insbesondere für ihre Elektrobusflotte bauen, und zwar in Bochum an der Essener Straße, gegenüber dem Straßenbahn-Betriebshof Engelsburg. Der Standort in Witten-Crengeldanz soll dann wohl ebenso wie das Busdepot in Bochum-Weitmar (bis 1961 auch Betriebsstätte der Straßenbahn) geschlossen werden.
Auf dem Stadtplan markiert ist die Position des ehemaligen Betriebshofs zwischen Crengeldanzstraße und dem Bahndamm, auf dem heute unter anderem die S-Bahn-Linie S5 fährt. Die in unmittelbarer Nähe gelegene Haltestelle der Straßenbahnlinien 309 und 310 heißt nach wie vor "Betriebshof Witten", was sich heute aber eher auf das nahegelegene Busdepot bezieht.
Literatur
- Andreas Halwer: Zeitreise durchs Bogestra-Land. Band 1: Die Geschichte der Linie 310 (Bochum – Witten). Hövelhof 2016 (S. 38-39, 61, 77, 121)
- Ludwig Schönefeld: Unterwegs zwischen Emscher und Ruhr. Wuppertal 1989 (S. 11)
- Dieter Höltge: Straßen- und Stadtbahnen in Deutschland. Band 4: Ruhrgebiet. Freiburg 1994 (S. 13, 23)
- Michael Schenk: Straßenbahnen im östlichen Ruhrgebiet. Erfurt 2004 (S. 30, 32-33)
- Michael Schenk: Ein Besuch bei der Bogestra-Linie 12 nach Annen-Nord Bhf vor 40 Jahren. In: Auf Draht 2/2005 (S. 24-26)