Auf den Spuren stillgelegter Straßenbahnstrecken

Dortmund: Weißenburger Straße

Stillgelegt: 2008
Status: Keine Relikte mehr vorhanden

[01] Weißenburger Straße/Ecke Hamburger Straße
April 2008  © Tramtracks

Das weißrote Band, das einen Tag nach der Streckenstilllegung an der Haltestelle "Ostentor" flatterte, war für potenzielle Fahrgäste, die noch nichts von der Eröffnung des dritten Stadtbahntunnels in der Dortmunder Innenstadt mitbekommen hatten. Am Samstag, 26. April 2008, passierte um 12.20 Uhr ein letzter Zug der Linie 404 die Weißenburger Straße (es war übrigens der N8C-Tw 147). Wer aus dem Borsigplatzviertel in die City will, ist nun ein paar Minuten schneller am Ziel, zumindest was die reine Fahrzeit angeht. Denn die Fahrt im Tunnel erspart das Warten an zwei belebten Kreuzungen und lässt die Haltestelle Ostentor aus.

Doch zurück an die Oberfläche: Ursprünglich verlief die Strecke in der Weißenburger Straße auf eigenem Bahnkörper, zweigleisig in Straßenmitte. Erst seit Februar bzw. April 2004 lagen die Schienen im Straßenplanum, um die neue Tunnelrampe zu umfahren, in die nun die Linie U44 hinabtaucht. Über Tage zeigt die Weißenburger Straße in ernüchternder Klarheit die architektonische Sprache der Nachkriegszeit.

 

[02] Weißenburger Straße in Höhe Lübecker Straße
April 2008  © Tramtracks
[03] Weißenburger Straße zwischen Milchgasse und Schwanenstraße
April 2008  © Tramtracks
[04] Tunnelrampe auf der Weißenburger Straße
April 2008  © Tramtracks
[05] Tunnelrampe auf der Weißenburger Straße
April 2008  © Tramtracks
[06] Weißenburger Straße in Höhe Geschwister-Scholl-Straße
April 2008  © Tramtracks

Der Tunnel selbst, dessen Mund in Höhe der Schwanenstraße liegt, ist nur 130 Meter lang und wurde von Juni bis November 2004 vorgetrieben. Er schließt an den Haupttunnel an, der in Ost-West-Richtung unter Brüderweg und Hamburger Straße verläuft.

In den knapp 20 Stunden zwischen der Einstellung des oberirdischen Betriebs in der Innenstadt und der Eröffnung der Tunnelstrecke mussten die Gleise auf der Rampe mit dem Netz verbunden werden. Entsprechend provisorisch wirkte die Verbindung.

Ein paar Tage nach der Stilllegung der oberirdischen Strecke zeigte sich die Weißenburger Straße ohne Fahrdraht. Die Betonmasten hielten vorläufig die Wacht.

[07] Weißenburger Straße mit der ehemaligen Haltestelle Ostentor
April 2008  © Tramtracks
[08] Weißenburger Straße mit der ehemaligen Haltestelle Ostentor
April 2008  © Tramtracks

Lange Zeit hatten die Planungen für die Stadtbahn die Aufgabe der Strecke zur Westfalenhütte bzw. die Umstellung auf Busbetrieb vorgesehen. Anfang der 1990er-Jahre bot die Linie 404 tagsüber nur einen 20-Minuten-Takt. Doch steigende Fahrgastzahlen und der Widerstand durch die Bewohner des Borsigplatzviertels, die sich abgehängt fühlten, bewogen die Planer zum Umdenken. Mit einem kurzen Anschlusstunnel konnten die oberirdische Anschlussstrecke erhalten bleiben und der Nutzen des Stadtbahnnetzes gesteigert werden. Die U44, die heute zur Westfalenhütte fährt, rechtfertigt sehr wohl ihren Zehn-Minuten-Grundtakt.

[09] Weißenburger Straße zwischen Lübecker Straße und Rosa-Buchthal-Straße
April 2008  © Tramtracks
[10] Weißenburger Straße mit der Tunnelrampe
April 2008  © Tramtracks
[11] Weißenburger Straße in Höhe Geschwister-Scholl-Straße
April 2008  © Tramtracks

Mitte Mai 2008 wurden die ersten Stücke Gleis im Bereich der ehemaligen Haltestelle "Ostentor" beseitigt. Die recht simplen Unterstände waren bereits abgebaut worden. BIs zuletzt hing dort noch der Fahrplan samt Graffiti. Die Ampel, die das Einfädeln der Bahn in die Fahrspur sicherte, war natürlich längst abgeschaltet.

Am Übergang der Weißenburger Straße in die Gronaustraße überragte das markante Kraftwerk Dortmund damals noch die Szenerie: Als es 1897 in Betrieb ging, war es das erste im Ruhrgebiet, das vor allem der öffentlichen Stromversorgung diente. Von 1906 an erzeugte es auch elektrische Energie für die städtische Tram. Zunächst produzierte das Kraftwerk seinen Strom mit Steinkohle, bevor es 1967 auf Erdgas umgestellt wurde (auch aus Rücksicht auf die Belastung der umliegenden Wohngebiete). Seit 1995 dient das von der RWE betriebene Kraftwerk mit seinen vier Kesselanlagen nur noch der Fernwärmeversorgung. Die Altanlagen wurden bis auf einen denkmalgeschützen Turm 2010 abgerissen.

[12] Weißenburger Straße/Ecke Hamburger Straße
Mai 2008  © Tramtracks
[13] Weißenburger Straße im Bereich der ehemaligen Haltestelle "Ostentor"
Mai 2008  © Tramtracks

Mitte Juni 2008 wurde der allerletzte Akt der oberirdischen Strecke auf dem südlichen Teil der Weißenburger Straße eingeläutet. Unsanft holte der Bagger die Schienen zunächst auf der Westseite aus dem Asphalt. Vier bis fünf Wochen sollten reichen, um den "endgültigen Ausbauzustand" zu erreichen. Anschließend kam die Ostseite der Straße an die Reihe.

Während man einen Teil der Gleise, die auf der Rheinischen Straße verlegt gewesen waren, in der Wendeschleife am Fredenbaum wieder einbaute, dürften diese Schienenstücke für neuen Stahl eingeschmolzen worden sein.

Im Zuge der Bauarbeiten tauchten gemauerte Fundamente im Mittelstreifen auf. Vermutlich handelte es sich dabei um Relikte der Bebauung aus der Gründerzeit, als die Weißenburger Straße einen anderen Querschnitt als heute aufwies. Wie die meisten Ausfallstraßen wurde sie deutlich verbreitert.

[14] Weißenburger Straße an der Tunnelrampe
Juni 2008  © Tramtracks
[15] Weißenburger Straße zwischen Milchgasse und Schwanenstraße
Juni 2008  © Tramtracks
[16] Weißenburger Straße im Bereich der ehemaligen Haltestelle "Ostentor"
Juni 2008  © Tramtracks

Die Weißenburger Straße hat zwei Phasen mit Trambetrieb erlebt: Bereits zur Zeit des Kaiserreichs bog die 1898 eröffnete Ringbahn von der Schwanenstraße her ein, um über den Heiligen Weg zum Südbahnhof zu führen. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es zwar keine Ringlinie mehr, aber die Strecke durch die Weißenburger Straße blieb fast zehn Jahre lang die Route, über die die Linien aus den östlichen Stadtbezirken den Hauptbahnhof erreichten. Das änderte sich erst am 15. Juni 1954, als die Bahnen auf der Ost-West-Achse wieder über den Brüderweg rollten.

Von 1964 an fuhren auf der Weißenburger Straße dann wieder Straßenbahnen: Als Ersatz für die zeitgleich stillgelegte Strecke vom Steinplatz über Heiligegarten- und Rolandstraße bog die Linie 4 nun am Ostentor nach Norden ein, um vor den Eisenbahnbrücken an der Gronaustraße auf die alte Trasse zum Borsigplatz bzw. zur Westfalenhütte zu stoßen.

Übrigens: Von 1942 bis 1962 verkehrte der O-Bus auf der Weißenburger Straße (zuletzt als Linie 44 von der Rheinischen Straße über Nikolaikirche, Südbahnhof und Borsigplatz zur Westfalenhütte).

[17] Weißenburger Straße im Bereich der ehemaligen Haltestelle "Ostentor"
November 2008  © Tramtracks

Im Herbst 2008 waren die Spuren des oberirdischen Straßenbahnbetriebs schon gründlich getilgt. Ein breiter Mittelstreifen, der begrünt werden sollte, erinnerte noch an den ehemaligen Gleiskörper. Beim Rückbau der Strecken hat die Stadt Dortmund ein bemerkenswertes Tempo an den Tag gelegt: Kein halbes Jahr verstrich, bis die Weißenburger Straße ihr Aussehen einmal mehr erheblich gewandelt hatte. Schon erstaunlich, zumal die Umgestaltung der Kampstraße im Stadtkern auch nach mehr als zehn Jahren noch nicht abgeschlossen war.

Auf dem Stadtplan markiert ist die Stelle, an der sich der Tunnelmund auf der Weißenburger Straße befindet. Am Ende der Rampe befindet sich die Stadtbahn-Haltestelle "Geschwister-Scholl-Straße" (Linie U44).

Stadtplan auf Openstreetmap

 

Literatur

  • Bernd Zander / Fred Teppe: Die Straßenbahnen in Dortmund. Düsseldorf 1992 (S. 47-48, 54, 102)
  • Historischer Verein der Dortmunder Stadtwerke AG: Seit 1881 Straßenbahn in der Dortmunder Innenstadt. Dortmund 2007 (S. 18-19, 21)
  • Dieter Höltge: Straßen- und Stadtbahnen in Deutschland. Band 4: Ruhrgebiet. Freiburg 1994 (S. 126)