Bochum: Am Honnengraben
Stillgelegt: 2020
Status: Gleisrelikte noch vorhanden (Stand: Oktober 2024)

Oktober 2020 © Tramtracks
Bevor 1972/73 die Brücke über die A44 entstand, schlängelte sich die Straßenbahn in einer eingleisigen S-Kurve etwas weiter westlich durch den Bereich, in dem dann der Trog für die Autobahn ausgehoben wurde. Als die Überführung fertig war, hatte die Tram von der Ecke Baroper Straße bis hinter die Haltestelle Am Honnengraben einen zweigleisigen Abschnitt. Das war die Situation bis zum 27. September 2020, als zum letzten Mal eine Straßenbahn diese Trasse nach Witten befuhr.
Eine Verbindung in Bochums Nachbarstadt gibt es aber auch weiterhin, allerdings führt sie nun über die Unterstraße zunächst in das Zentrum von Langendreer und dann über die Hauptstraße nach Süden bis zur Stadtgrenze, wo sie auf Wittener Boden am Papenholz wieder auf die angestammte Strecke stößt. Die alte Trasse durch Ümminger Feld und Kaltehardt wurde dafür aufgegeben. Sie sparte zwar etwas Fahrtzeit gegenüber der neuen Route ein, ließ aber eben auch die Siedlungsschwerpunkte in Langendreer links liegen.

Oktober 2020 © Tramtracks

Oktober 2020 © Tramtracks

Oktober 2020 © Tramtracks

Oktober 2020 © Tramtracks
Eine Woche nach der Stilllegung lag die Strecke noch fast im Originalzustand. Aber eben nur fast: Über der Brücke wurde aus unerfindlichen Gründen einer der beiden Fahrdrähte entfernt. An den Masten aus den 1970er-Jahren hatte schon sichtbar der Zahn der Zeit genagt.
Mit dem Honnengraben ist nicht etwa der Einschnitt für die Autobahn gemeint, der Name der Straße ist schon viel älter. Sie liegt am Westerberg, einer 154 Meter hohen Erhebung an der Grenze zwischen Bochum und Witten. Bei ihm handelt es sich um einen Ausläufer des Ardeygebirges, eines Höhenzugs, der sich durch den Dortmunder Süden und Herdecke bis nach Schwerte zieht.

Oktober 2020 © Tramtracks

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Oktober 2020 © Tramtracks

Oktober 2020 © Tramtracks

Oktober 2020 © Tramtracks
Die Haltestelle Am Honnengraben mit ihren Seitenbahnsteigen gehörte zu den am wenigsten frequentierten im Bochumer Stadtgebiet. Im Umfeld befindet sich nur eine Handvoll Häuser. Ansonsten stieg hier vielleicht der eine oder andere Spaziergänger aus, der den Wanderweg hinunter nach Witten nahm.
Dass ausgerechnet hier im sprichwörtlichen Niemandsland einige Fahrten endeten, hatte einen einfachen Grund: Am Honnengraben war die letzte Haltestelle auf Bochumer Terrain – und der Ennepe-Ruhr-Kreis, der den Nahverkehr in Witten bestellte, sparte sich ein paar Spätkurse auf der Linie 310.

Oktober 2020 © Tramtracks

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Oktober 2020 © Tramtracks
Am Honnengraben war außerdem die Begegnungsstelle für die Wagen, die den ansonsten eingleisigen Abschnitt zwischen Crengeldanz und Universitätsstraße befuhren. So kam es vor, dass hier im Grünen ein paar Minuten der Gegenkurs abgewartet werden musste, bevor die Fahrt fortgesetzt wurde. Eine Signalanlage gab die Strecke frei, die Richtung Witten durch zwei teilweise schlecht einsehbare Kurven hinunter zum Papenholz führte.
Auch wenn die Wagen sich mit maximal 30 Stundenkilometern nicht sonderlich schnell bergab bewegten, war als Sicherung eine Zwangsschiene verlegt. Sie sollte im Fall einer Entgleisung verhindern, dass die Bahn den Hang hinunter zur Autobahnauffahrt rutschte.

Oktober 2020 © Tramtracks

Oktober 2020 © Tramtracks

Oktober 2020 © Tramtracks

Oktober 2020 © Tramtracks
Das Streckenstück zwischen Am Honnengraben und Papenholz war bei Tramfotografen ein beliebter Standort für die Motivsuche. An dem breiten Trampelpfad direkt neben der Trasse fuhren keine störenden Autos durchs Bild. Auch Fußgänger waren selten, und in den Kurven konnte man mal eine andere Perspektive einfangen als die Standard-Schrägansicht von vorne. In den letzten Jahren war unter der Woche tagsüber ein 20-Minuten-Takt üblich, abends und am Wochenende gab es zwei Fahrten pro Stunde und Richtung. Am Samstag(nach)mittag wurde zuletzt sogar ein Viertelstundentakt angeboten.
Der Fußweg neben dem Gleis ist sozusagen der letzte Überrest einer Straße, denn die Bochumer Straße ging bis zum Autobahnbau nahtlos in die Wittener Straße über, die sich beide an der Stadtgrenze trafen. Die Tram fuhr damals am westlichen Fahrbahnrand entlang, bevor sie dann nach Verschwenkung der Straße Richtung Osten einen eigenen Bahnkörper bekam.

Oktober 2020 © Tramtracks

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Als am 15. Dezember 2019 die Bogestra ihr "Netz 2020" einführte, schien der letzte Betriebstag für die Waldstrecke gekommen zu sein. Seitdem pendelten Bahnen nur noch zwischen Papenholz und Heven, und die alte Trasse sollte nur noch als Betriebsstrecke für die Zufahrt zum Depot Engelsburg dienen. Doch diese Aus- und Einrücker am frühen Morgen und am Abend tauchten dann doch in den Fahrplänen auf, nahmen also auch Passagiere mit, so dass die Strecke mit stark reduziertem Verkehr noch neuneinhalb Monate Schonfrist bekam.
In der Kurve vor der Haltestelle Papenholz liegt die nicht weiter ausgeschilderte Stadtgrenze, die nun 170 Meter weiter östlich am Übergang von Hauptstraße/Bochumer Straße passiert wird. Inwiefern hat die am 31. Oktober 2020 eröffnete, neue Streckenführung mit der Stärkung der Verbindung zwischen Witten und Bochum-Langendreer mehr Fahrgäste in die Bahnen gelockt? Aufgrund der Folgen der Corona-Krise und dem damit einhergehenden Mobilitätsrückgang dürften die Nutzungszahlen erst einmal schwer mit den Werten aus den Vorjahren vergleichbar sein.

Januar 2021 © Thomas Risse

Januar 2021 © Thomas Risse

Januar 2021 © Thomas Risse
Im Winter 2021 lag die aufgelassene Strecke noch soweit unberührt – wenn man einmal von dem zweiten Fahrdraht absieht, der im Bereich der Haltestelle und auf der Brücke über die Autobahn fehlte. Auf einem Grundstück am Honnengraben hatte die Bogestra begonnen, neue Bäume zu pflanzen. Sie stellten Ersatz für Rodungen an der Neubaustrecke durch Langendreer dar. Ansonsten wurde es Zeit, eine Bilanz des Bauprojekts zu ziehen, das am Ende drei Jahre länger benötigt hatte als ursprünglich geplant. Finanziell ist die Trassenverlegung dafür im kalkulierten Rahmen geblieben und hat rund 60 Millionen Euro gekostet.

Juli 2021 © Tramtracks

Juli 2021 © Tramtracks

Juli 2021 © Tramtracks

Juli 2021 © Tramtracks
Ein halbes Jahr später hatte sich nicht sonderlich viel entlang der alten Trasse getan: Die Oberleitung war nun aber vollständig entfernt, wenngleich die Querverspannung weiterhin hing. Der stadtauswärtige Bahnsteig der Haltestelle war zudem im Sommer so zugewachsen, dass er nicht mehr begehbar war.
An einigen Stellen zugewuchert ist auch der Abschnitt hinunter zur Wittener Stadtgrenze. Dort wurde auch die Ausleger der Fahrleitungsmasten an die Seite geschoben – vielleicht damit sie beim späteren Abbau des Gleises nicht stören?

Juli 2021 © Tramtracks

Juli 2021 © Tramtracks
Auch wenn es nur wenige Anwohner betraf: Für sie hat sich die Anbindung an den ÖPNV durch die Aufgabe der Haltestelle "Am Honnengraben" deutlich verschlechtert. Am Eschweg hält nun ein Bus, der werktags zweimal die Stunde nach Langendreer fährt, am Wochenende sogar nur stündlich.
Wer den mit Schotter durchsetzten Trampelpfad neben dem stillgelegten Gleis nicht scheut, kann in zehn Minuten Fußweg zur Haltestelle "Papenholz" gelangen, wo es tagsüber immerhin mit den Linien 309 und 310 jetzt einen 15-Minuten-Takt zwischen Langendreer und Witten gibt. Der unbeleuchtete Weg ist im Dunkeln allerdings keine Alternative und wird eher von Hundebesitzern und Joggern genutzt.

Mai 2024 © Tramtracks

Mai 2024 © Tramtracks

Mai 2024 © Tramtracks
Im Mai 2024 begann die Bogestra damit, die Schienen im Bereich der ehemaligen Haltestelle "Am Honnengraben" zu demontieren. Zum Monatsende waren die ersten rund 200 Meter Gleis bis zur Kurve im Wald entfernt. Auf dem anschließenden Abschnitt bis zur Stadtgrenze waren die Schienen schon in handliche Teile zertrennt worden und warteten auf den Abtransport.
Wie der Verkehrsbetrieb mitteilte, sollte bis Ende 2024 die rund vier Jahre zuvor stillgelegte Kaltehardt-Strecke auf den gesamten zwei Kilometern Länge zurückgebaut werden. Ausdrücklich genannt wurden auch die Schienen "auf den öffentlichen Verkehrsflächen" sowie die Fahrleitungsmasten. Was nicht mehr benötigt wurde und wo das Gleis aufzuflexen war, wurde in Signalpink gekennzeichnet.

Mai 2024 © Tramtracks

Mai 2024 © Tramtracks

Mai 2024 © Tramtracks
So gründlich, wie man in Bochum zu Werke geht, wird wahrscheinlich längerfristig kaum etwas von der alten Trasse erkennbar bleiben.
Zwischen Autobahnbrücke und Papenholz (sowie auf der Universitätsstraße) sollen im Herbst Bäume gepflanzt werden. Die Trasse soll damit als Ausgleichsfläche für Fällungen dienen, die beim Neubau der Straßenbahnstrecke durch Langendreer nötig geworden waren.

August 2024 © Tramtracks

August 2024 © Tramtracks

August 2024 © Tramtracks

August 2024 © Tramtracks
Anfang August 2024 war die Trasse zwischen der ehemaligen Haltestelle "Am Honnengraben" und der Wittener Stadtgrenze komplett abgeräumt – bis auf den Schotter. Einen Monat lang war der Zeitraum für die Demontage der Gleise auf der Autobahnbrücke angesetzt. Die (wenigen) Anwohner rund um den Westerberg mussten weite Umwege in Kauf nehmen, um zu ihren Häusern zu gelangen.
Unterdessen waren die Schienen auf dem anschließenden Abschnitt entlang der Baroper Straße auch schon zum großen Teil abgebaut worden.

August 2024 © Tramtracks

August 2024 © Tramtracks

August 2024 © Tramtracks
Drei Wochen später hatten die Bauarbeiten sichtbare Fortschritte gemacht: An der Ecke Baroper Straße/Am Honnengraben lagen die gesammelten Überbleibsel von Schienen und Masten. Auf der Autobahnbrücke war interessanterweise nicht die komplette Fahrbahn abgetragen worden, sondern nur die Gleiszone samt des Asphalts dort ausgehoben worden.
Waren somit alle Schienen entfernt? Nein, nicht ganz: In den beiden Dehnungsfugen war jeweils noch kurze Gleisstücke belassen worden.

August 2024 © Tramtracks

August 2024 © Tramtracks

August 2024 © Tramtracks

August 2024 © Tramtracks

August 2024 © Tramtracks

Oktober 2024 © Tramtracks

Oktober 2024 © Tramtracks
Die Bauarbeiten wurden im Spätsommer 2024 abgeschlossen. Die Autobahnbrücke erhielt eine neue Asphaltdecke, in der auch die alten Gleisstücke an den Dehnungsfugen eingelassen waren. Sie sollten somit als letzte Relikte der Straßenbahnstrecke erst einmal erhalten bleiben.
Die Oberleitungsmasten waren inzwischen waren alle gefällt und zerteilt. Etwas länger dürfte es noch dauern, bis die alte Trasse zwischen Honnengraben und Wittener Stadtgrenze wieder ansehnlich ist. Die Baustelle war weiterhin abgesperrt. Passierbar war sie nach Regenfällen ohnehin nicht wirklich, hatte sie sich doch regelrecht in eine Morastpiste verwandelt. Am Papenholz wurden die Schienen übrigens im Oktober 2024 demontiert.
Auf dem Stadtplan markiert ist die Position der aufgelassenen Straßenbahnhaltestelle "Am Honnengraben". In der Nähe befindet sich der Bushalt "Eschweg", der von der Linie 355 bedient wird.
Literatur
- Andreas Halwer: Zeitreise durchs Bogestra-Land. Band 1: Die Geschichte der Linie 310 (Bochum – Witten). Hövelhof 2016 (S. 69-71, 74-77, 116-117)
- Michael Kochems: Die Letzte ihrer Art. In: Überland-Straßenbahnen in Deutschland. Straßenbahn Magazin Special 32. München 2017 (S. 74-75)
- Dieter Höltge: Straßen- und Stadtbahnen in Deutschland. Band 4: Ruhrgebiet. Freiburg 1994 (S. 64)
- Eckehard Frenz / Wolfgang R. Reimann: Tram-Tour Ruhr. Freiburg 2008 (S. 117, 149)
Links
- YouTube-Video: Erinnerungen an die Überlandstrecke der Linie 310 (Dezember 2019)
- YouTube: Alte Strecke Crengeldanz – Unterstraße (November 2019)
- YouTube: Die Station "Am Honnengraben" – Straßenbahnkreuzung zwischen Bochum und Witten (April 2020)
- YouTube: M6-Wagen am Honnengraben (Oktober 2019)
- Drehscheibe online: Schön war es mit den M6S an der alten "Waldkurve"
- Drehscheibe online: Mit dem GT6 auf Linie (3)10 durch Kaltehardt und Witten
- Drehscheibe online: Bilder und Geschichten von der Kaltehardt-Strecke 1979-95
- Drehscheibe online: Die alte Überlandstrecke von Bochum nach Witten 1972
- Drehscheibe online: Die alte Dame am Honnengraben 1989
- Drehscheibe online: Unterwegs auf der alten Linie 310 (August 2021)
- Foto von Dr. Werner Söffing auf Flickr: Sonderfahrt mit Tw 1727 und Bw 2551 (April 1979)
- Bahnbilder.de: Tw 19 auf Linie 310 auf der Autobahnbrücke (August 1987)
- Bahnbilder.de: Tw 313 und 329 an der Haltestelle Am Honnengraben (März 2015)
- Bahnbilder.de: Tw 325 auf Linie 310 im Waldstück (November 2019)
- Bahnbilder.de: Tw 332 auf Linie 310 im Waldstück (Dezember 2019)
- Bogestra: Ehemalige Strecke Linie 310 – Gleise und Fahrleitungsmasten werden entfernt (Mai 2024)
- Fundstelle in Google Street View (April 2022)
- Luftbild auf Google Maps