Lago di Lei

italienisch-Schweizer Stausee

Der Lago di Lei (1927 m ü. M.) ist ein 8 km langer, etwa 197 Mio. fassender Stausee der Kraftwerke Hinterrhein im Valle di Lei an der Grenze zwischen den Gemeinden Piuro der italienischen Provinz Sondrio und Ferrera des Schweizer Kantons Graubünden. Im See wird der Reno di Lei gestaut. Er ist das einzige Gewässer Italiens, das der Nordsee zufließt.

Lago di Lei
Lago di Lei, im Hintergrund Pizzo Stella
Lago di Lei, im Hintergrund Pizzo Stella
Lago di Lei, im Hintergrund Pizzo Stella
Lage Region Lombardei (I)
Kanton Graubünden (CH)
Zuflüsse diverse Bergbäche
Abfluss Reno di Lei
Lago di Lei (Lombardei)
Lago di Lei (Lombardei)
Koordinaten 46° 28′ 59″ N, 9° 27′ 18″ OKoordinaten: 46° 28′ 59″ N, 9° 27′ 18″ O
Daten zum Bauwerk
Sperrentyp Bogenstaumauer
Bauzeit 1957–1962
Höhe des Absperrbauwerks 141 m
Höhe über Gewässersohle 133 m
Bauwerksvolumen 850 000 m³
Kronenlänge 690 m
Betreiber Kraftwerke Hinterrhein AG, Thusis
Daten zum Stausee
Höhenlage (bei Stauziel) 1931 m s.l.m.
Wasseroberfläche 4,12 km²
Stauseelänge 7,7 km
Speicherraum 197 000 000 m³
Gesamtstauraum 200 000 000 m³
Einzugsgebiet 46,5 km²
Bemessungshochwasser 134 m³/s
Detailkarte

Das etwa 15 Kilometer lange Valle di Lei ist ein nach Norden abfallendes Tal der «Averser Berge» in den Oberhalbsteiner Alpen zwischen dem italienischen Passo di Lei (2661 m s.l.m.[1]) und dem so genannten «Punt di Val di Lei» (etwa 1569 m ü. M.[2]), an dem der Reno di Lei in den Schweizer Averser Rhein mündet.[2] Das Tal ist nur über den Sommer bewohnt und wird dann seit jeher zur Sömmerung von Vieh genutzt.[3] Um den See finden sich verschiedene Almen mit ihren Almhütten. Der See befindet sich, mit Ausnahme einer zur Schweizer Gemeinde Ferrera gehörigen etwa 400000 m² grossen Fläche um die Staumauer, auf dem Gebiet der italienischen Gemeinde Piuro, zu der auch das restliche Tal gehört.

Der See ist von zahlreichen Bergen umgeben, die zum Teil spektakuläre Tiefblicke auf ihn ermöglichen. Im Südsüdwesten, in Verlängerung der Seeachse und sich deshalb häufig im See spiegelnd, dominiert der Pizzo Stella (3163 m s.l.m.), im Südsüdosten die Cima da Lägh (3083 m s.l.m.), die noch bis etwa 1980 als Cima di Lago bezeichnet in den Landkarten und Führern zu finden ist.

Zugänglichkeit

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Das Valle di Lei war bis zum Bau der Stauanlage (1957–1962) nur zu Fuß über beschwerliche, schmale und steile Bergpfade erreichbar. Für die Baumaßnahme wurde zunächst die Averserstrasse ausgebaut. Dann wurde eine Fahrstrasse zum «Tunnelportal Ost» im Avers (1901 m ü. M.) errichtet und schliesslich der etwa 950 Meter lange Zufahrtstunnel in das Valle di Lei erstellt.[4]

Stand 2024 ist der Lago di Lei aus allen Himmelsrichtungen über markierte Bergwanderwege erreichbar. An den Sommerwochenenden fährt einmal täglich ein (reservierungspflichtiger) Wanderbus aus dem Avers zum See.[5] Und mit Privatfahrzeugen kann der See vom 1. Mai bis 30. November zwischen 5 und 22 Uhr durch den Tunnel angefahren werden.[6] Beim «Tunnelportal West» Val di Lei (1932 m ü. M.) sind Parkplätze und eine WC-Anlage vorhanden.[7]

Geschichte

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Wechsel zwischen Italien und der Schweiz

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Mittelalter

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Erstmals erwähnt wurde das Tal als Val de Leylo im Jahre 1355. Zu dieser Zeit war das Tal vorübergehend durch Siedler aus dem Süden ganzjährig bewohnt.

Im Jahre 1462 verkauften die Grafen von Werdenberg im Zuge ihres Niedergangs das Tal der Bergeller Gemeinde Piuro (dt. veraltet Plurs).[8]

Drei Bünde

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Durch die Mailänderkriege fiel das gesamte Tal von Chiavenna und damit auch Piuro und die Valle di Lei 1512 an die Drei Bünde. Da die Drei Bünde ihrerseits seit 1497 als Ewige Mitverbündete bzw. Zugewandter Ort zur Alten Eidgenossenschaft gehörten, gehörte die Valle di Lei von 1512 bis 1797 also zur Schweiz.

Während dieser Zeit, nämlich im 17. Jahrhundert, wurde das Tal nicht nur für die Alpwirtschaft, sondern auch für den Erzabbau genutzt.[8]

Übergang an Italien

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Seit der Gründung der Cisalpinischen Republik und der damit verbundenen Grenzziehung im Bergell von 1797 gehört die Valle di Lei mit Piuro zusammen offiziell zu Italien. Der Wiener Kongress bestätigte an sich diesen Verlust der eidgenössischen Gemeinen Herrschaft Chiavenna an Italien, doch auch wenn Chiavenna und das Hauptterritorium von Piuro auf dem 1858 publizierten Blatt XIX der Dufourkarte nicht mehr als Schweizer Territorium gekennzeichnet waren, so blieb die Valle di Lei weiterhin als Teil der Schweiz kartiert.[9][10] Erst der Vertrag Convenzione tra l’Italia e la Svizzera per l’accertamento della frontiera fra la Lombardia ed il Cantone dei Grigioni von 1863 klärte die Zugehörigkeit zu Italien endgültig.[11]

 
Grenzverlauf an der Staumauer

Baugeschichte des Stauwerks

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Die Projektierung erfolgte durch Dr.-Ing. Claudio Marcello, einem weltweit tätigen Spezialisten.[12][13] Die Bauleitung lag bei der Mailänder Edison,[14] heute durch eine Konzerngesellschaft Mitaktionärin der Kraftwerke Hinterrhein.[4]

Weil das Tal nur zu Fuss erreichbar war, musste die Baustelle vor Beginn der eigentlichen Bauarbeiten zuerst erschlossen werden. Von Campodolcino (1104 m s.l.m.) im Val San Giacomo, über den Passo di Angeloga (2386 m s.l.m.) mit der 2024 dort noch als Lost Place vorhandenen Zwischenstation (2354 m s.l.m.), wurden zunächst zwei 15 km lange Seilbahnen errichtet; eine für Personen und eine für Material. Von Norden her musste die Averserstrasse für schwere Baufahrzeuge ausgebaut werden. Dann wurde oberhalb des Weilers Campsut (1678 m ü. M.) eine Fahrstrasse zum heutigen Tunnelportal Ost (1901 m ü. M.) errichtet und schliesslich der Zufahrtstunnel in das Val di Lei erstellt. Zu realisieren war ausserdem die Infrastruktur zur Unterbringung von etwa 1500 Arbeitern, die auf dieser Gebirgsbaustelle lebten und arbeiteten. Die Bauarbeiten im Valle di Lei wurden im Sommer 1957 aufgenommen. Für den Mauerbau wurden südlich der Furgga zwei Steinbrüche eingerichtet, einer auf der Schweizer Seite der Grenze, der andere auf der Italienischen. Nach der Leistung von rund 1'080'000 Manntagen, waren die Bauarbeiten im Herbst 1962 mit dem ersten Vollstau beendet.[4]

Danach wurde eine Grenzkorrektur vollzogen: Das Gebiet um die Staumauer wurde von Italien an den Schweizer Kanton Graubünden abgetreten, während die etwas nördlicher gelegene Alpe Motta zum italienischen Staatsgebiet wechselte.[15] Von den Seilbahnen sind heute nur noch Ruinen vorhanden.[16][17] Seit der Ausserbetriebnahme der Seilbahnen besteht eine Verkehrsverbindung in das Tal nur über Schweizer Territorium.

An der westlich der Staumauer errichteten kleinen Kirche Santi Giacomo e Anna, die als „chiesa sussidiaria“[18] nur zu besonderen Anlässen geöffnet ist und zur Pfarrei Beata Vergine Assunta in Prosto di Piuro gehört,[19] befindet sich eine Gedenktafel für die zehn bei den Bauarbeiten tödlich Verunglückten.

Durch die Füllung des Stausees ab 1963 wurden zusammen mit dem Tal 15 Alpen geflutet,[20] beispielsweise Erebella, S. Anna (Kapelle der Talschaft), Palazzetto, Caurga, Mulacetto und Corbia di Sopra.[21] Übrig geblieben sind die Alpe Mottala, Alpe Pian del Nido und Alpe Scalotta im Talgrund sowie die Alpe del Crot und die Alpe Motta nördlich der Staumauer. Die Alpe della Palù (früher Alp la Palü) wurde vom Seegrund zum linken (westlichen) Ende der Mauerkrone hoch verlegt.

 
Lago di Lei kurz nach Beginn der Wiederauffüllung im Mai 2013

Zu Revisionszwecken wurde der Stausee im Oktober und November 2012 innerhalb von 19 Tagen erstmals vollständig entleert, wobei Ruinen der 1963 gefluteten Alpen sichtbar wurden. Nach erfolgter Revision der Stauwerkinstallationen und des Druckschachtes wurde die Wiederauffüllung im Frühling 2013 eingeleitet, die 2014 abgeschlossen wurde.[22][20]

Technische Daten

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Die Anlagen gehören der Kraftwerke Hinterrhein AG und sind Teil einer dreistufigen Anlagengruppe. In dieser wird das Wasser aus dem Lago di Lei in drei aufeinanderfolgenden Kraftwerken zur Stromerzeugung genutzt. Zunächst gelangt es in das Kraftwerk Ferrera mit 185 MW Leistung.

Abgesehen vom taleigenen Niederschlag, der nur etwa ein Drittel der Wassermenge im See ausmacht, wird der See mit Hilfe von Spiegelstollen aus den benachbarten Tälern Avers, Madris und Niemet gespeist. Auch wird aus dem Einzugsgebiet des Sufnersees Wasser in den See gepumpt.[4] Die Speicherpumpen sind im Kraftwerk Ferrera installiert. Im Durchschnitt werden jährlich etwa 60 Mio. m³ von Ferrera ins Valle di Lei gepumpt.[23]

Sportliche Nutzung des Sees

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Angelsport (ital. Pesca)

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Im See lebten Fische, unter anderem verschiedene Forellen und Saiblinge, deren Bestand bereits in den Jahren vor der Entleerung des Stausees 2012 stark reduziert worden war.[24] Die Kraftwerke Hinterrhein AG waren zum Wiederbesatz bis 2018 verpflichtet.

2024 bewirbt „in Lombardia“, die offizielle Tourismus-Website der Lombardei, den Lago di Lei als beste Möglichkeit zum Angeln in der Provinz Sondrio. Hier seien der amerikanische Seesaibling mit über 5 Kg Gewicht zu finden, aber auch Regenbogenforellen oder Bachforellen.[25]

Der Angelsport unterliegt der Regulierung durch die Provinz Sondrio, die der Unione pesca sportiva della provincia di Sondrio hierfür die Konzession erteilt hat.[26] Für die Bewirtschaftung und Ausgabe der Fangberechtigungen ist insofern die Unione Pesca Sportiva della Provincia di Sondrio in Sondrio zuständig. Sie regelt das Sportfischen[27] und erlässt die diesbezüglichen Bestimmungen.[28]

Rudersport (ital. Canottaggio)

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Der See wird auch von Schweizer und italienischen Rudersportlern (ital. canottieri) zum Höhentraining genutzt.[29]

Siehe auch

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Literatur

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  • Bündner Kalender. 169. Jahrgang. Casanova Druck und Verlag, Chur 2010, ISBN 978-3-85637-276-7, S. 131–140.
  • Gregorio Luigi Fanetti, Luciano Guanella: Storia per immagini della Val di Lei. 2008 (italienisch).
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Commons: Lago di Lei – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

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  1. SAC-Tourenportal. Abgerufen am 16. Oktober 2024 (Schweizer Hochdeutsch).
  2. a b Maps of Switzerland - Swiss Confederation - map.geo.admin.ch. Abgerufen am 16. Oktober 2024.
  3. Il primo ponte sul fiume Reno è a Piuro - Alla riscoperta della Val di Lei. In: Comune di Piuro (SO). Abgerufen am 16. Oktober 2024 (italienisch).
  4. a b c d Stauseen - Stausee Valle di Lei. In: KHR Kraftwerke Hinterrhein AG, Thusis (Schweiz). Abgerufen am 16. Oktober 2024.
  5. Wanderbus Valle di Lei. In: Geschäftsstelle Naturpark Beverin. Abgerufen am 16. Oktober 2024.
  6. Inforama - Tunneldurchfahrt. In: Kraftwerke Hinterrhein AG, Thusis. Abgerufen am 16. Oktober 2024.
  7. KHR & Staumauer Valle di Lei. Viamala Tourismus, Splügen, abgerufen am 16. Oktober 2024.
  8. a b Jürg Simonett: Valle di Lei. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 16. Februar 2017, abgerufen am 5. Juni 2019.
  9. Dufourkarte von 1858, Blatt XIX, aufgerufen am 8. Juni 2013.
  10. Publikationsdatum von Blatt XIX Chiavenna-Bellinzona der Dufourkarte.
  11. Staatsvertrag Italien-Schweiz von 1863 (Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Königreich Italien über die Festlegung der italienisch-schweizerischen Grenze auf der Strecke zwischen Run Do oder Cima Garibaldi und Mont Dolent. Staatsvertrag, deutsche Version).
  12. Michele Fanelli: Profili dei grandi maestri di idraulica - Claudio Marcello (1901-1969). In: Associazione Idrotecnica Italiana, Roma (Italia). Mai 2004, abgerufen am 17. Oktober 2024 (italienisch).
  13. Dr.-Ing. Claudio Marcello. In: ICE Virtual Library - essential engineering knowledge. Emerald Publishing Limited, Leeds (UK), abgerufen am 17. Oktober 2024 (englisch).
  14. Bündner Kalender. 2010, S. 131.
  15. Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Italienischen Republik betreffend eine Grenzbereinigung im Val di Lei (PDF; 110 kB).
  16. Bergstation Passo d’Angeloga. Foto. In: Panoramio. Archiviert vom Original am 30. Januar 2016; abgerufen am 4. November 2022.
  17. Seilbahnantrieb. Foto. In: Panoramio. Archiviert vom Original am 11. Januar 2016; abgerufen am 4. November 2022.
  18. Orari e luoghi delle Sante Messe - Chiesa dei Santi Giacomo e Anna. In: Diocesi di Como. Abgerufen am 18. Oktober 2024 (italienisch).
  19. PARR. B. VERGINE ASSUNTA - PROSTO. In: Diocesi di Como. Abgerufen am 18. Oktober 2024 (italienisch).
  20. a b 50 Jahre unter Wasser: Stausee gibt Schätze frei. In: SRF News. 25. April 2013, abgerufen am 4. November 2022.
  21. Alpbezeichnungen auf der Siegfriedkarte (Online)
  22. Lago di Lei: Verwunschene Ruinen im Stausee. In: SRF News. 25. April 2013, abgerufen am 4. November 2022.
  23. Stauseen - Stausee Sufers. In: KHR Kraftwerke Hinterrhein AG, Thusis (Schweiz). Abgerufen am 16. Oktober 2024.
  24. Abfischen am Lago di Lei. In: Fisch & Fang. Paul Parey Zeitschriftenverlag, 26. Mai 2009, abgerufen am 4. November 2022.
  25. Angeln in der Lombardei. In: in Lombardia - offizielle Tourismus-Website der Lombardei. Explora S.p.A. (Alleinaktionär Regione Lombardia), abgerufen am 19. Oktober 2024.
  26. Com'è regolamentata la pesca | Provincia di Sondrio. In: Amministrazione Provinciale di Sondrio, Sondrio (Italien). Provincia di Sondrio, abgerufen am 20. Oktober 2024 (italienisch).
  27. Regolamenti. In: Unione Pesca Sondrio. Abgerufen am 19. Oktober 2024 (italienisch).
  28. Regelung für das Sportfischen in Salmonidengewässern der Provinz Sondrio – Saison 2024. In: Unione Pesca Sportiva della Provincia di Sondrio. 10. Januar 2024, abgerufen am 19. Oktober 2024.
  29. Raffaele Soldati: Canottaggio «L’oro mondiale di Aurelia-Maxima dà lustro anche alla nostra società». In: Corriere del Ticino. Gruppo Corriere del Ticino, Muzzano (Lugano, Schweiz), 9. August 2023, abgerufen am 19. Oktober 2024 (italienisch).