Diverse: Handbuch der Politik – Band 3 | |
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Freund Abdul Hamids und Kennans. Ei starb in Stambul 1897. Dieser Mann war der Vater des Panislamismus. Da über die Rasse seiner Sippe nichts Genaues überliefert wird, so darf man mit Fug annehmen, dass er, der unter den Pathan Kabulistans geboren wurde, auch selbst ein Pathan, ein Arier war. Es entbehrt nicht eines gewissen Reizes, dass der Ursprung einer mohammedanischen, überwiegend semitischen Bewegung in dem Gehirne eines Indogermanen zu suchen ist. Ähnlich kommt man ja jetzt immer mehr und mehr darauf, dass sehr viele Vorstellungen und Gedanken der Propheten des alten Testaments auf persische Vorbilder zurückführen.
Al Hussein hinterliess, wie Sokrates, zwar Schüler, aber keine Schriften. Sein Traum war ein universeller, aber duldsamer Islam, der ein Freund des Fortschrittes und der Zivilisation sei. Noch zu Lebzeiten Husseins, der gewöhnlich nach seinem Geburtsland al Afghani genannt wird, bildete sich in Ägypten die „Feste Vereinigung“, Al Orvatul Woska. Sie beauftragte al Afghani, ein panislamisches Organ in Paris zu gründen. Das geschah. Jetzt aber mischte sich England ein, genau wie es Sept. 1910 heftigen und erfolgreichen Widerstand gegen die Abhaltung eines jungägyptischen Kongresses in Paris ausgeübt hat. Auf britische Veranlassung hin wurde jenes Organ unterdrückt. Dann wurde ein allmohammedanischer Kongress nach Mekka berufen. Hiergegen jedoch war Abdul Hamid. Ihm schien der Bund, den er selbst zuerst gefördert hatte, gefährlich zu werden. Er fürchtete, und mit nicht Unrecht, dass ein arabischer Ansturm gegen das türkische Kalifat entstehen könne. Er wollte die Wasser des Panislamismus lieber auf seine eigene Mühle leiten, in der Tat entfaltete er eine ungemeine Tätigkeit in der Richtung. Er sandte zahlreiche Ulema als Apostel aus; er knüpfte Fäden mit den Emiren Turkestans und den Sultanen von Borneo und Waddai; er unterstützte chinesische und malaiische Pilger, die auf der Mekkafahrt nach Konstantinopel kamen, und Theologiestudenten, die aus Südafrika und der Dsungarei herbeieilten. Er unterhielt Spione bei allen auswärtigen moslimischen Höfen, und erhielt regelmässige Berichts von ihnen. Sein Haupttrumpf aber war der Bau der Mekkabahn, zu deren Kosten die Gläubigen der ganzen islamischen Welt viele Millionen beisteuerten.
Inzwischen hatte sich die Propaganda der Senussi aufgetan. Über die Brücke, die sie mit Yildiz Kiosk und der ägyptischen Gruppe verband und verbindet, ist kaum etwas Zuverlässiges in die Öffentlichkeit gedrungen. Als unmittelbarer Nachfolger des Afghani ist dagegen al Kawakebi bekannt. Er war der erste, der ein Buch über den Panislamismus schrieb. Ganz ungleich seinem Vorgänger, war er ein erbitterter Feind Abdul Hamids und der Türken. Das Schwergewicht der neuen Bewegung verlegte sich jetzt dauernd nach Ägypten. Einer ihrer bedeutendsten Vorkämpfer wurde Mustafa Kamil, der vor etwa fünf Jahren in noch jugendlichem Alter starb, und dann vor allem der Grossmufti Ägyptens, der Scheich Mohammeds Abdu. Das Ziel dieser Männer war ein mohammedanischer Protestantismus. Ihre Bestrebungen waren jedoch mehr ägyptisch als universell, und waren mehr kultureller als religiöser Art.
Wenn eine Zeit reif geworden, so wird dieselbe Erfindung von mehreren Köpfen gemacht, so tritt gleich eine ganze Reihe von Reformatoren auf die Bühne. Auch Indien brachte jetzt Förderer und Vorkämpfer des Panislamismus hervor. Ich nenne Achmed Khan (1817–97), der die Gesellschaft Targeamad gründete. Auch ist wohl hier der Aga Khan zu erwähnen, ebenfalls ein Afghane, eine geniale und ganz besonders anziehende Erscheinung. Halb Mystiker, halb Realpolitiker, vereinigt dieser Imam, der sich selbst eine grosse Gemeinde in Mittelasien, Indien und Ostafrika gegründet hat, und der an der Spitze der mohammedanischen Vereinigungen Indiens steht, des Schwärmers Ernst mit des Weltmanns Blick.
Der Panislamismus ist in seinem letzten Ende als eine Gegenwirkung gegen den bedrohlichen Vorstoss, das immer deutlichere Umsichgreifen der westlichen Kultur, aufzufassen. Inwieweit freilich das unzweifelhaft folgenreiche Phänomen auch politisch sich auswirken werde, das ist eine andere Frage. Die Senussi haben im Kriege um Tripolis eine massgebende Rolle gespielt. Der Panislamismus hat aber als solcher weder Heere noch Flotten. Ein staatlicher Zusammenschluss der islamischen Well ist unmöglich; ein politisches Allmohammedanertum noch misslicher, als ein politisches Allslaventum oder Allangelsachsentum.
Wenig Bedeutung hat der Panbuddhismus, der von Japanern, Engländern und Amerikanern eine Zeit lang propagiert wurde. Die Welt des Buddhismus scheint im Gegenteil auch religiös immer mehr zerfallen zu wollen.
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 370. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/386&oldid=- (Version vom 23.12.2021)