Blaubart (Lehnert)
Blaubart.
Es war einmal ein König, der sehr reich war; aber zu seinem eigenen Verdrusse hatte er einen blauen Bart, der ihn so widerlich und abschreckend machte, daß jeder, der ihn sah, sich vor ihm fürchtete.
Nun wohnte in seiner Nachbarschaft eine Wittwe, welche drei Söhne und zwei Töchter hatte, die sich einander sehr liebten und sich halfen, wo sie nur konnten. Die jüngste Tochter hieß Trudchen, und war von großer Schönheit; Aennchen, die älteste, war zwar nicht so schön, aber gesetzt und verständig. Von diesen beiden Schwestern beschloß Blaubart eine zu heirathen.
In einem schönen goldenen Wagen, mit sechs Pferden bespannt, und von vielen prächtig gekleideten Dienern umgeben, fuhr er zu der Wittwe, und begehrte von ihr das schöne Trudchen zur Gemahlinn. Die Mutter war darüber sehr erfreut, denn sie hielt es für eine große Ehre, einen König zum Schwiegersohn zu haben, auch war es ihr lieb, dadurch ihr jüngstes Kind versorgt zu sehen, weil sie [88] schon anfing, alt zu werden. Sie führte daher den König sogleich in das Gemach ihrer Töchter, damit sie sich sähen.
Als Trudchen hörte, daß der König sie zur Gemahlinn erwählt habe, war sie gar nicht abgeneigt: denn er war schön gewachsen, und sehr angenehm in seinem Betragen; aber wenn sie seinen blauen Bart ansah, so wurde ihr doch so graulich und ängstlich zu Muthe, daß sie es sich gar nicht erklären konnte. So sehr ihr also auch die Mutter und die Brüder zuredeten, dem Könige zu folgen, so konnte sie sich doch lange nicht entschließen, ihm ihre Hand zu geben. Endlich jedoch willigte sie ein, nachdem ihr Schwester Aennchen versprochen hatte, sie zu begleiten und bei ihr zu bleiben. Aus ängstlicher Besorgniß ging sie aber vorher noch zu ihren Brüdern, welche sehr tapfere Ritter waren, und sprach: „Der König mit seinem blauen Barte erweckt mir eine heimliche Furcht, so oft ich ihn ansehe; wenn Ihr mir aber versprecht, mich von Zeit zu Zeit zu besuchen, und mich zu beschützen, wenn es mir etwa übel bei ihm gehen sollte, so will ich ihn nehmen.“
Das versprachen ihr die Brüder mit Hand und Mund, und der älteste gab ihr eine silberne Pfeife, die schallte viele Meilen weit, wenn man hineinstieß. „Nimm diese Pfeife,“ sagte er, „und wenn dir irgend eine Gefahr drohen sollte, so blase hinein, und wir werden spornstreichs kommen und dir helfen.“
Nun war Trudchen zufrieden, küßte die Brüder, und nahm Abschied von ihnen und von der Mutter, und schied unter tausend Thränen; Aennchen aber begleitete sie, und reisete mit ihr.
Wie erstaunt waren sie aber, als sie in Blaubarts königlichem Palaste ankamen, und die Pracht und den Glanz sahen, der ihnen aus Sälen und Zimmern und Schlafgemächern und den kostbarsten Geräthschaften entgegen schimmerte! [89] Was ihre Augen wünschten, fand hier Trudchen, und alle Tage wurden unter immer neuen Vergnügungen und Lustbarkeiten zugebracht. Das gefiel Trudchen, und sie wäre ganz glücklich gewesen, wenn sie nicht jedes Mal ein heimliches Grauen empfunden hätte, so oft sie den blauen Bart des Königs ansah. Doch wußte ihr Aennchen immer wieder zuzureden, und da sie in beständigen Zerstreuungen und Lustparthieen lebte, so waren die widrigen Eindrücke auch nur von kurzer Dauer.
Drei bis vier Wochen mochte dies lustige Leben so gewährt haben, als eines Tages der König Blaubart zu seiner jungen Gemahlinn sagte: „Ich muß verreisen, und dich auf einige Zeit verlassen. Hier hast du die Schlüssel zu allen Gemächern im Schlosse, zu den Gewölben, Kellern, Speichern und Kammern. Hüte sie wohl, daß du keinen verlierst. Ganz vorzüglich aber nimm diesen kleinen goldenen Schlüssel in Acht. Alle Thüren im ganzen Hause magst du aufschließen, nur die Kammerthüre nicht, wozu dieser kleine goldene Schlüssel paßt; merke dir das recht, und höre auf meine Worte, wenn dir dein Leben lieb ist.“
Trudchen versprach, Alles zu thun, wie er es verlange, und sich der verbotenen Kammer nicht zu nahen, noch weniger sie zu berühren.
Als nun Blaubart abgereis’t war, öffnete sie nach und nach alle Gemächer und Kammern, die ihr nicht verboten waren. Welche Menge von Reichthümern und Schätzen erblickte sie da! Ganze Haufen waren hier von Silber, dort von Golde, viele sogar von Perlen und Edelsteinen aufgeschichtet. Andere Zimmer waren vollgehängt von ausgelegten Waffen, Purpurkleidern, Hermelin und Sammt und Seide. Ueberall lagen die schönsten Teppiche ausgebreitet, Kronenleuchter schimmerten im wunderbarsten Glanze, und an den Wänden herum hingen ungeheure Spiegel, in [90] welchen man sich von Kopf bis zu Fuße sehen konnte, und die mit breiten goldenen und silbernen Rahmen eingefaßt waren.
Kein Zimmer hatte Trudchen nunmehr unbesucht gelassen, nur die verbotene Kammer am Ende der langen Gallerie war noch übrig, wozu der kleine goldene Schlüssel führte. So oft sie diesen ansah, wurde auch ihre Neugier immer von neuem rege, sie zu öffnen, um zu erfahren, was darin enthalten seyn möchte. Kein Essen oder Trinken wollte ihr mehr schmecken, und des Nachts konnte sie davor nicht schlafen. Gewiß hätte sie sich schon am andern Tage hineingewagt, hätte nicht Schwester Aennchen sie gewarnt und abgehalten. Doch am dritten Tage konnte sie ihre Neugier nicht länger bezwingen. Sie nahm heimlich das Schlüsselchen, und trat mit pochendem Herzen an die geheimnißvolle Kammer. Da dachte sie noch einmal an das Verbot des Königs und seinen angedrohten Zorn; doch die Versuchung war so groß, und der Gedanke: wer wird es sehen oder verrathen? gab ihr endlich Muth, daß sie alle Bedenklichkeiten überwand, und den Schlüssel in das Schloß steckte, und leise, leise die Thüre öffnete.
Anfangs sah sie gar nichts, denn es war ziemlich dunkel in dem Gemache; bald aber bemerkte sie, wie der ganze Boden mit geronnenem Blute bedeckt war, und längs der Wand eine Menge Leichname hingen. Das waren Alles Weiber von Blaubart, die er nach einander geheirathet, und hernach gemordet hatte.
Bei diesem Anblick erschrak sie so heftig, daß sie die Thüre gleich wieder zuschlug, aber der Schlüssel sprang dabei heraus, und fiel in das Blut. Geschwind hob sie ihn auf, und wollte das Blut abwischen; aber es war umsonst, sie mochte waschen und reiben, so viel sie wollte, der rothe Fleck wich vor keinem Waschen und Scheuern. Endlich am [91] Abend, nachdem sie Alles vergeblich versucht hatte, legte sie ihn in’s Heu, das sollte die Nacht das Blut ausziehen.
Tages darauf kam Blaubart zurück, und das Erste war, daß er die Schlüssel forderte. Trudchen gab sich alle Mühe, sich so viel möglich unbefangen und fr��hlich zu stellen, und brachte die Schlüssel. Blaubart nahm sie, zählte sie nach, und sprach: „Hier fehlt einer! Wo ist der Schlüssel zu der verbotenen Kammer?“ Dabei sah er ihr scharf in die Augen. Sie aber zitterte an allen Gliedern, und wurde blutroth im Gesichte, und stammelte ängstlich: „Ich weiß nicht, er muß oben liegen; ich will ihn hernach suchen.“ – „Schaff’ ihn den Augenblick,“ schrie Blaubart mit fürchterlicher Stimme, „ich muß ihn gleich haben!“ Da erschrak Trudchen abermals, und sagte: „Ich will dir nur gestehen, ich habe den Schlüssel im Heu verloren.“ Mit zürnenden Blicken entgegnete Blaubart: „Du hast ihn nicht verloren, versteckt hast du ihn im Heu, damit er die rothen Flecke verlieren soll. Hol’ ihn den Augenblick, oder ich schleppe dich in die Blutkammer, wo es dir gehen soll, wie den Andern!“
Da holte sie den Schlüssel, welcher noch voller Blutflecke war, und gestand Alles, und beschwor ihn mit allen Zeichen der aufrichtigsten Reue, ihr nur dies Mal zu vergeben. Er aber blieb hart, wie ein Stein, und war durchaus nicht zu erweichen. „Vorwärts, hinauf in die Kammer!“ schrie er. „Bereite dich zum Tode, denn du mußt sterben!“ Bebend vor Angst umfaßte sie seine Kniee, benetzte sie mit heißen Thränen, und bat um ihr Leben. Aber er riß sich los, ergriff ein großes Messer, und schrie wieder: „Vorwärts auf die Kammer!“
„Weil Euch denn nichts erweicht,“ sagte hierauf Trudchen, und nahm allen ihren Muth zusammen, „so vergönnt [92] mir wenigstens noch eine Stunde Zeit, daß ich bete, und mich zum Tode vorbereite.“
„Wohlan, es sey!“ erwiederte Blaubart. „Geh’ auf dein Zimmer und bete, und bereite dich zum Tode; aber nur eine halbe Stunde, und keine Minute mehr.“
Nun war kein Augenblick für die Arme zu verlieren. Sie lief eiligst hinauf zu ihrer Schwester Aennchen, fiel ihr um den Hals, und erzählte ihr weinend und schluchzend ihr Unglück. Da gedachte Aennchen der Pfeife, die ihr die Brüder gegeben, trat auf den Erker vor dem Fenster, und stieß drei Mal hinein, so laut sie nur konnte, daß die Luft erbebte, und der Wiederhall vom Walde zurückscholl. Trudchen aber warf sich auf die Kniee, und betete, während ihre Schwester auf dem Erker blieb, und in’s Feld schaute, ob die Brüder kamen.
Jetzt hatte Trudchen ausgebetet, und fragte: „Anna, Schwester Anna, siehst du nichts?“ Und Aennchen antwortete:
„Ich seh’ die Sonne funkeln,
Und den Wald dunkeln,
Sonst seh’ ich nichts!“
Voller Angst betete Trudchen abermals, und als sie bis zum Amen gekommen war, fragte sie wieder: „Anna, Schwester Anna, siehst du nichts?“ Und Aennchen antwortete:
„Ich seh’ die Sonne funkeln,
Und den Wald dunkeln,
Sonst seh’ ich nichts!“
Da rief Blaubart: „Komm, oder ich hole dich!“ – „Ach, nur noch einen Augenblick!“ antwortete Trudchen bittend, und fragte wieder: „Anna, liebe Schwester Anna, siehst du noch nichts?“
„Ja,“ sagte Aennchen, „ich sehe eine große Staubwolke sich heranwälzen, aber die Brüder erkenne ich nicht.“
[93] Wiederum schrie Blaubart: „Wirst du noch nicht kommen?“ – Und Trudchen erwiederte: „Nur noch einen einzigen Augenblick!“ knieete dann halbtodt nieder, und rief: „Anna, Schwester Anna, siehst du noch nichts?“
„Ich sehe zwei Reiter, sie sind aber noch weit weg!“ erwiederte Aennchen; gleich darauf aber rief sie: „Gott sey gelobt, es sind die Brüder! ich winke ihnen, so viel ich kann.“
Jetzt war aber auch Blaubarts Geduld zu Ende; mit fürchterlichem Getöse stieg er die Treppe hinauf, um Trudchen in die Blutkammer zu schleppen. Schon hatte er die Thüre aufgebrochen, und das arme Trudchen an den Haaren ergriffen, als plötzlich die Brüder hereinstürmten, und ihn mit ihren Schwertern niederhieben, als er eben der unglücklichen Schwester das tödtende Messer in’s Herz stechen wollte.
Voll Freude, ihre Schwester gerettet zu haben, hingen sie nun den Wüthrich in der Blutkammer auf, wo er Trudchen den Platz zugedacht hatte, und räumten alle seine Schätze aus den Kammern, welche ihre Schwester erbte. Darauf steckten sie das Haus in Brand, und rissen es nieder, daß kein Stein auf dem andern blieb.