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ADB:Schenk von Winterstetten, Ulrich

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Artikel „Schenk von Winterstetten, Ulrich“ von Konrad Burdach in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 31 (1890), S. 68–73, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schenk_von_Winterstetten,_Ulrich&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 16:38 Uhr UTC)
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Band 31 (1890), S. 68–73 (Quelle).
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Schenk: Ulrich S. von Winterstetten, einer der fruchtbarsten und vielseitigsten Minnesänger. Er stammt aus dem weitverzweigten oberschwäbischen Ministerialgeschlecht v. Tanne-Winterstetten. Am bedeutsamsten in der Geschichte hervor tritt Konrad v. Winterstetten, der sich auch Konrad v. Tanne nannte, Schenk des Herzogthums Schwaben, der Vertraute Kaiser Friedrich’s II., während dessen Abwesenheit neben seinem Oheim dem Truchsessen Eberhard v. Tanne-Waldburg und später auch allein Statthalter von Schwaben und Verwalter [69] der königlichen Geschäfte, der Erzieher und Berather des jungen Königs Heinrich VII., ein politisch vielfach thätiger Mann, gleichzeitig ein Gönner der deutschen Dichtung. Die Burg Winterstetten, deren Trümmer über der Südseite des heutigen Fleckens, der einstigen befestigten Stadt Winterstettenstadt im württembergischen Donaukreis (Oberamt Waldsee) an der Riß, noch erhalten sind, hatte ihm Friedrich II. für seine treuen Dienste verliehen, und später scheint sein schwäbisches zum Reichsschenkenamt erhoben zu sein. Seine einzige Tochter Irmengard war mit dem Reichsministerialen Konrad v. Schmalneck (Smalnegge) vermählt, dessen Stammburg über dem heutigen Pfarrdorf Schmaleck im Donaukreis (Oberamt Ravensburg) lag. Auch er war ein einflußreicher Mann, öfter im Gefolge Heinrich’s VII. und Mitglied von Konrad’s IV. geheimem Rathe. Nachdem sein Schwiegervater hochbetagt im Februar 1243 das Zeitliche gesegnet hatte, ward er Erbe der Schenkenwürde wie seiner Güter, nannte sich fortan Schenk von Winterstetten, starb aber bald danach. Er hatte sieben Söhne: Heinrich, Konrad, Eberhard, Ulrich, Rudolf, Hermann, Burkhart, und vier Töchter: Mathilde, Guta, Elisabeth, Engelburg. In seinem vierten Sohn Namens Ulrich, dem Enkel also Konrad’s v. Tanne-Winterstetten, muß man den Minnesänger erkennen. Er erscheint zuerst zusammen mit seinen Eltern, seinen älteren drei Brüdern und seinen Schwestern 1241 in einer Urkunde über den gemeinschaftlichen Verkauf eines Gutes an das Kloster Weissenau, den der Großvater Konrad v. Winterstetten vermittelt (Wirtemberg. Urkundenbuch IV, Nr. 961, S. 6). Und er muß damals eben erwachsen gewesen sein: wenigstens wurde von seiner Schwester Guta, der Braut Siegfried’s v. Mindelberg, die während des Verkaufs im Kloster Rottenbuch sich aufhielt, um dort Gesangunterricht zu nehmen, am 29. April 1241 eine ausdrückliche Mitvollziehung des Verkaufs durch eine besondere Deputation eingeholt (ebd. IV, Nr. 973, S. 21). 1257 bezeugt er eine Urkunde als Ulrich Schenk von Schmalneck (ebd. V, Nr. 1471, S. 181). Dann ist er Kanonikus in Augsburg geworden, offenbar jedoch ohne dort Residenz zu halten, wovon damals ja schon allgemein abgesehen zu werden pflegte. Als solchen finden wir ihn, immer zusammen mit seinem Bruder Eberhard, der Kanonikus in Constanz war, 1258 als Mitaussteller zweier in Weissenau und Winterstetten vollzogenen Urkunden (ebd. V, Nr. 1469, S. 235. 1497, S. 263), 1263 in Schmalneck (Codex diplomaticus Salemitanus I, S. 436), 1264 ebenda. Am 13. und 14. März 1265 stimmt er mit seinem Bruder Eberhard einem Verkauf seines Bruders Heinrich zu als – Pfarrer in Biberach (Chr. Friedr. Stälin, Wirtembergische Geschichte II, 638 f.). Am 20. Mai 1269 treffen wir ihn zu Constanz als Zeugen einer deutschen Urkunde des Minnesängers Walther v. Klingen (Neugart, Codex diplomaticus Alemanniae II, S. 269). In den bischöflichen Urkunden Augsburgs vermag ich ihn nicht nachzuweisen, während seine Brüder Eberhard, Heinrich, Konrad, Hermann mehrmals darin vorkommen. Zuletzt finde ich ihn unter den Zeugen einer bisher nicht beachteten Constanzer Urkunde seiner Brüder Heinrich, Konrad und Hermann vom 21. August 1280 (Zeitschrift für die Gesch. des Oberrheins 29, 142). – Früher hielt man für den Dichter einen andern Ulrich von Winterstetten, der ein einziges Mal 1239 in einer zu Leutkirch ausgestellten Urkunde nach vielen andern Ministerialen als Zeuge erscheint für die Vermittlung des Schenken Konrad’s v. Tanne-Winterstetten zwischen den Aebten von Kempten und Ißny. Die beiden, dieser Ulrich und Konrad, sollten dann Brüder sein. Es hatte etwas Verführerisches, die Elegie unseres Minnesängers über den Tod eines geliebten Bruders auf den gefeierten Hofschenken und Dichterfreund, den Berather der Staufer zu beziehen. Indeß wenn auch darauf kein Gewicht zu legen ist, daß der Ulrich von 1239 nicht den Titel Schenk führt, während ihn sich der Dichter in seinen Liedern doch [70] wiederholt selbst beilegt, da dieses Prädicat auch sonst in Urkunden den Mitgliedern der Familie manchmal vorenthalten wird, so spricht doch die Stellung desselben in jener Urkunde gegen so vornehme Abkunft, und die Bezeichnung der brüderlichen Verwandtschaft wäre schwerlich unterlassen. Den Ulrich von Winterstetten aus dem Jahre 1239 und den Schenken Ulrich v. Schmalneck (-Winterstetten) zu identificiren geht darum nicht, weil auf die Schmalnecker erst nach dem Tode Konrad’s v. Tanne-Winterstetten (1243) Besitz und Name von Winterstetten übertragen wurde. Ueberdies gibt die große Heidelberger Liederhandschrift als Wappen des Dichters nicht das Winterstetten’sche, sondern das Schmalneckische. Und endlich empfehlen litterarhistorische Gründe, den Minnesänger nicht in die Generation Konrad’s v. Tanne-Winterstetten hinaufzurücken. Gewiß herrschte zu dessen Zeit auf den Burgen Tanne und Winterstetten ein poetisch angeregtes Leben. Das entsprach ja nur alter Familientradition: waren doch die Herren von Tanne, bevor sie staufische Dienstmannen wurden, welfische und zwar Ministerialen Welf’s VI. gewesen, des „milden Welf“, wie ihn die Fahrenden zum Dank für die ihnen bewiesene Freigebigkeit nannten, hatte doch Konrad’s Oheim Truchseß Eberhard v. Tanne-Waldburg, der ihm nahe stand wie sein Vater, 1179 zu Weihnachten in Bergatreute (Oberamt Waldsee) ein Fest Welf’s mitgefeiert, an dem auch Friedrich, der Sohn Barbarossa’s theilnahm, eins jener Feste, bei denen Scharen von Spielleuten zusammen zu strömen pflegten und deren Ueppigkeit noch im 13. Jahrhundert von Dichtern wie Walther von der Vogelweide, Tannhäuser mit einer Art wehmüthigem Neid bewundert wurde. Aber der litterarische Geschmack, dem Konrad v. Winterstetten anhing, war offenbar durch die großen Meister der höfischen Kunst aus der besten Zeit gebildet und bestimmt: er veranlaßte Ulrich v. Turheim zur Fortführung von Gottfried’s Tristan, für ihn schrieb Rudolf v. Ems bald nach 1231 seinen Wilhelm v. Orlens, er selbst huldigte eifrig der Sitte des höfischen Minnedienstes, wie wir von den beiden Dichtern erfahren, und sein Mäcenatenthum entsprang dem Wunsch, der angebeteten Dame zu gefallen. Die Inschrift seines Ritterschwertes, die vielleicht von Rudolf v. Ems verfaßt ist (Zeitschrift f. deutsches Alterthum I, 194 ff.), bezeichnet deutlich die Richtung seines poetischen Interesses: die Welt der Artusromane, des Frauencultus d. h. die rein höfische Lebensanschauung. Demgemäß müssen wir uns den Minnesang denken, der damals in jenen Kreisen gepflegt wurde, die Lieder etwa Konrad’s v. Brauneck, in dessen Bruder Gottfried v. Hohenlohe († 1254 oder 1255), der mit Konrad v. Winterstetten eng befreundet und neben ihm Mitglied der Regentschaft für Konrad IV. war, ich trotz dagegen lautgewordenem Widerspruch ohne Bedenken den von Rudolf v. Ems belobten Dichter eines Artusromans sehe. Mit Gottfried v. Hohenlohe verknüpfte Gleichheit der politischen, persönlichen und litterarischen Bestrebungen das Haus Konrad’s v. Winterstetten wie seines Schwiegersohns Konrad’s v. Schmalneck, der 1243 Gottfried’s Vasall wurde. Ein anderer Geist dagegen lebte in der jüngeren Generation, in den Enkeln des alten Schenken Konrad, in den Altersgenossen Gottfried’s v. Neifen und seines Kreises (s. A. D. B. XXIII, 401 ff. u. den Artikel Schenk von Limburg, ob. S. 61). Auch Familienfeindschaft mochte in diesen Gegensatz hinein spielen: wir wissen, daß die Hohenlohe und die Neifen ein alter Haß entzweite. In diesem jüngeren Kreise jedesfalls erklangen Töne der Parodie und Satire, des realistisch gestimmten Gegensangs, hier stand man den früheren Idealen der höfischen Bildung nicht mehr gläubig, sondern spottend gegenüber. Von König Heinrich VII. scheint in Schwaben diese Wendung des Minnesangs ausgegangen zu sein, und gleichzeitig begünstigte in Oesterreich sein Schwager Friedrich der Streitbare eine ähnliche. Ulrich v. Winterstetten ist ein etwas jüngerer vielseitigerer Schüler Neifen’s. Er mag um [71] 1240 angefangen haben zu dichten, aber auch als Domherr entsagte er seiner Kunst nicht; denn der Nachruf an seinen Bruder, sein edelstes Gedicht, muß nach 1258 fallen, weil damals noch alle seine Brüder am Leben waren. Ich möchte ihn auf den Tod Eberhard’s beziehen, der Ulrich in Alter und Lebensführung wohl am nächsten stand, und den ich nach dem 3. October 1266 (Monumenta Boica 30, 1, S. 345: in Augsburg) nicht mehr nachweisen kann. Sein Bruder Rudolf (urkundlich zuerst 1258) war 1283 todt. Die übrigen Brüder lebten erheblich länger. – Die Enkel Konrad’s von Tanne-Winterstetten müssen ein lustiges, lockeres Leben geführt haben. Der St. Gallische Chronist Kuchimeister berichtet (Cap. 29), daß der weltlich gesinnte Abt Berchtold v. Falkenstein (1244–1272), der selbst Tagelieder dichtete (s. oben S. 58) Schenk von Landeck)[WS 1] ihr Freund war und ihnen zulieb bei einer Fehde des Bischofs Eberhard v. Constanz gegen sie, auf der er diesem, seinem alten Feinde, widerwillig Heeresfolge leisten mußte, einen spaßhaften Streich verübt habe, indem er den in Winterstetten belagerten Schenken, die er als Freunde guter Mahlzeiten kannte, den ganzen Proviant mit allen Leckerbissen in die Hände spielte. Derselbe Kuchimeister weiß aber auch von der gänzlichen späteren Verarmung der Schenken, insbesondere Konrad’s, zu melden, und die Urkunden bestätigen das, indem sie beredt genug von immer erneuten Verkäufen zur Tilgung von Schulden, von immer wiederholten Bußen zur Sühne für begangene Friedensbrüche und Gewaltthätigkeiten erzählen. Vollends der Annalist des Klosters Marchtal an der Donau (Oberamt Ehingen) nennt Ulrich’s Bruder Konrad v. Winterstetten abominabilis Deo et hominibus, ihn als einen schamlosen Räuber und Plünderer schildernd (Monumenta Germ. Script. 24, 681), wobei er etwa die Jahre 1266–72 im Auge haben wird. Ulrich v. Winterstetten dürfte diese wilde Zeit, vielleicht selbst als Betheiligter den Streich des St. Gallischen Collegen im geistlichen Amt und in der Poeterei erlebt haben. Indeß seine Dichtung, trägt sie gleich die Ausgelassenheit zur Schau, wie sie nach dem Fall der Staufer in den Kreisen der emporstrebenden üppigen Ministerialen herrschte, hat doch nichts Zuchtloses. – Ulrichs Production, von der es zweifelhaft bleibt, in welchem Umfange sie bis in die Biberacher Pfarrherrzeit hineinreicht, gliedert sich in drei Gruppen. Genaue philologische Untersuchung könnte diese wohl nach der Zeit und nach den Schichten des Publicums, für die sie bestimmt waren, schärfer sondern. Einmal pflegt er das höfische Minnelied, nach dem Muster Neifen’s, aber ganz ohne ironische oder travestirende Züge, meistens mit obligatem Natureingang (Sommerlieder – Winterlieder), theilweise (in neun dreistrophigen Liedern) auch ohne Beziehung auf die Jahreszeit. Dieser Gruppe gehören im Ganzen 31 Lieder d. h. die größere Masse. Obwol ihre Anlage und Composition conventionell und gewöhnlich nach dem längst ausgebildeten Schema gemacht ist, fehlt es im einzelnen nicht an hübschen, neuen Zügen. Von der Sonne, die durch die Blätter leuchtet, sagt er, sie flechte zum Schmuck Maienglanz hinein in den grünen Schild von Laub, der den Vögeln den schützenden Schatten gibt (die Schilde wurden bekanntlich reich mit Edelsteinen und Gold durchbrochen). Das erinnert an Wolfram’s Manier. Und dieser, dem Ulrich neben Walther auch sonst Manches verdankt, steht als Muster auch hinter der zweiten Gruppe seiner Gedichte: seinen fünf Tageliedern, die ganz gegen seine sonstige Weise eine gedrungene, wortkarge Darstellung und das Fehlen von Refrain und Reimkünsten auszeichnet. Am meisten charakteristisch muß die dritte Gruppe genannt werden, die theils an Neidhart und die höfische Dorfpoesie anknüpft, theils an die Balladen Neifen’s und Burkart’s v. Hohenfels, theils an die Tanzleiche Tannhäusers. Eigen ist ihr der versteckte oder offene Spott, die stille oder laute Opposition gegen die höfische Sitte, Rede und Poesie. Auf Neidhart geht zurück das vierte [72] Lied, welches einen Dialog zwischen der tanzlustigen, verliebten Tochter und der warnenden, zankenden Alten darstellt. Wie Neidhart nennt sich der Dichter selbst mit Namen als den, welcher der Tochter den Kopf durch seinen Gesang verdreht hat; wie bei Neidhart schilt die Mutter auf seine Verführungskünste: wir erfahren, daß seine Lieder auf der Gasse Tag und Nacht gesungen wurden, daß er oder sein Bruder das Jahr vorher das Mädchen des Nachts vom Bette der Mutter hat entführen wollen; wie bei Neidhart läßt die Tochter sich nicht halten. Aber abweichend ist und an eine verbreitete Klasse von späteren Volksliedern erinnert, daß der Dichter das Zwiegespräch als aus einem Versteck belauscht erzählt und im Refrain mit einer Verwünschung gegen die Mutter begleitet; abweichend auch und von Burkhart v. Hohenfels entlehnt die Verlegung des Tanzes in die Erntezeit. Aus Neifen’s Schule sind hervorgegangen die anderen drei Balladen: die eine gibt den Monolog eines Mädchens wieder, das über die unminnigliche Gesinnung und die Rohheit der Männer mit wenig höfischen Worten jammert; die beiden andern schildern ein Rencontre zwischen dem Dichter und einer Dame, die ihn derb, ja in unanständiger Weise abfallen läßt. Man muß diese Gattung, auf die doch wohl auch romanische Vorbilder eingewirkt haben, als Parodien der höfischen Wechsel ansehen, die Walther mit so unnachahmlicher Grazie behandelt hatte, wenngleich in seinem Gedichte Genâde, frowe! tuo alsô bescheidenlîche (70, 22 Lachmann) auch der Keim zu dieser satirischen Verzerrung verborgen ist. Die fünf Tanzleiche bestehen aus zwei metrisch und inhaltlich getrennten Theilen: den ersten füllt eine Liebesklage, der dreimal ein längerer Natureingang vorausgeht, als zweiter folgt das Tanzbild. Der Dichter stellt hier aber nicht wie Neidhart eine ausgeführte Scene oder Handlung vor uns hin, er malt nicht die Tölpeleien der Bauern; er gibt auch nicht wie Tannhäuser (nach Art der Pastourellen) eine Erzählung eines Liebesabenteuers oder wie dieser und Rudolf von Rotenburg (s. A. D. B. XXIX, 297) eine Häufung litterarischer, geographischer, mythologischer Weisheit. Zum Schluß stößt er uns sozusagen mitten in den dichten Wirbel und das Gedränge der Tanzenden hinein. Er ruft immer dringender anfeuernd in die Menge; er weist, als es Winter ist, von der Straße in die Stube; er zählt die reigenden Mädchen mit Namen auf (dies wie Neidhart in seinen Winterliedern, der Tannhäuser, wie Graf Konrad v. Kirchberg!); er mustert mit flüchtigen Blicken ihre Tracht; er schickt die Widerspenstigen vor die Thür; er stachelt die Ermüdeten zu neuen Sprüngen. Immer toller wird das Treiben, immer enger schlingen sich die Kreise, immer mehr verwirrt sich der Knäuel, immer rascher jagen die kurzen, über einander stürzenden Verszeilen, immer dichter drängt sich Reim an Reim, der oft Silbe hinter Silbe bindet. Wir hören die schnellen Athemzüge der erschöpften Mädchen, abgerissene Rufe nach dem Schluß des Tanzes und Widerspruch, Alles glüht zum Platzen – da plötzlich bricht der Sänger mit einem jähen Heia, hei! ab, die Saite zerriß, das Lied ist zu Ende. – Ulrich v. Winterstetten besitzt ein überwiegend formales Talent: jedem Lied gibt er eine besondere Strophenform; er handhabt Refrain, Responsion, Allitteration, Annomination, Wortspiel und die feinsten Reimkünste virtuos. Freilich macht er dem Dialect manche Concession, die in der guten Zeit unstatthaft gewesen wäre, und wendet auch viel typische Reime und Gedanken und allerlei stilistische Behelfe an. Aber man darf nicht vergessen: er war und wollte vor allem ein Dichter der Gesellschaft sein und für deren Amüsement sorgen, einer Gesellschaft, die im höchsten Maß genußsüchtig, aber auch eminent genußfähig war und in einer Zeit grauenhafter Verwirrung das arme Leben in jedem sicheren Augenblick bis zur Neige auskosten wollte. Dieser Gesellschaft bequemte er sich an und stimmte danach seinen Sang, der in Folge dessen höfische und[WS 2] unhöfische Töne enthält, je nachdem die Kreise der Hörer es [73] erwarteten. So errang er seinen großen Erfolg, der nicht am wenigsten auch durch die musikalische Composition seiner Leiche und Lieder bedingt war und sich etwa dem vergleichen läßt, den in unseren Tagen der Wiener Walzerkönig Strauß erntete. Auch wir, denen die Melodien fehlen, empfinden den prickelnden Rhythmus und die stürmische Lebendigkeit dieser Gesänge und Tänze. Sollten sie ein Motto tragen, es müßte jenes jauchzende Heia hei! sein, der Lieblingsruf des Dichters, zugleich ein Wahrzeichen ungebundener, aber auch unbändiger Daseinsfreude und Weltlust, wie sie damals auch die geistlichen Kreise Süddeutschlands erfüllte.

v. der Hagen, Minnesinger I, 134 ff.; III, 509 ff.; IV, 132 ff. – Bartsch, deutsche Liederdichter Nr. 38. – Minor, Die Leiche und Lieder des Schenken Ulrich v. Winterstetten. Wien 1882 (dazu Burdach, Literaturblatt für germanische und romanische Philologie 1882, S. 451 ff.). – Ueber die Person und Familien des Dichters: Vanotti, Zur Geschichte der Schenken von Winterstetten und der mit denselben verwandten Familien, in den Württembergischen Jahrbüchern für vaterländische Geschichte, Jahrg. 1833, S. 155 ff.; Chr. Fr. Stälin, Wirtemb. Gesch. II, 614 ff., 765; Ficker, Die Reichshofbeamten der staufischen Periode, Sitzungsb. d. Wiener Akad., Philolog.-histor. Classe, Bd. 40, S. 493 f., 494 f., 496; Baumann, Korrespondenzblatt des Vereins für Kunst und Alterthum in Ulm und Oberschwaben II, 3 (1877); Paul Friedr. Stälin, Geschichte Württemberg’s I, 361, 441; Vochezer, Geschichte des fürstlichen Hauses Waldburg in Schwaben. I. Kempten 1888, S. 48 ff., 101 ff., 205, 211 ff. (der Bruder Ulrich’s Burkart v. Ittendorf 1269 aus einer Urkunde in Baindt nachgewiesen: S. 211). – Zur Charakteristik: Uhland, Schriften 5, 260 ff.; Roethe, Reinmar von Zweter, S. 355 ff. (über die Leiche); Zoepfl, Die höfische Dorfpoesie. Wien 1889, S. 39 ff.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: 2 schließende Klammern.
  2. Vorlage: uud