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ADB:Creuzer, Friedrich

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Artikel „Creuzer, Georg Friedrich“ von Karl Ludwig Urlichs in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 4 (1876), S. 593–596, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Creuzer,_Friedrich&oldid=- (Version vom 16. November 2024, 07:31 Uhr UTC)
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Creuzer: Georg Friedrich C., geb. 10. März 1771 zu Marburg, gest. 16. Febr. 1858 zu Heidelberg. Seinen Vater, der das Gewerbe eines Buchbindermeisters an einen älteren Sohn übergeben und dann die Stelle eines Steuereinnehmers bekleidet hatte, verlor er im ersten Lebensjahre; die Mutter wünschte den Sohn die theologische Laufbahn, nach dem Vorgange mehrerer Verwandten von beiden Seiten, einschlagen zu sehen. So fing C. um Ostern [594] 1789 seine theologischen Studien in Marburg an und setzte sie im Herbst 1790 in Gemeinschaft mit seinem Vetter Leonhard in Jena fort. Dort wohnte er in des berühmten Griesbach Hause und hatte Gelegenheit Schiller, an dessen Frau ihn Jung Stilling empfohlen hatte, zu sehen. Griesbach hörte er fleißig, aber Reinhold’s philosophische, Schiller’s historische und Schütz’ litterarische Vorlesungen gaben seinen Studien eine andere Richtung. Im September 1791 nach Marburg zurückgekehrt, schwankte er zwischen dem Berufe eines Pfarrers und eines Schullehrers, zu welchem ihn innere Neigung hinzog. Da ihm als Lutheraner die Aussicht auf eine Anstellung an dem Gymnasium seiner Vaterstadt verschlossen war, begründete er mit seinem Vetter und mit Professor Hauff eine Privatlehranstalt, in welcher bedeutende Männer erzogen worden sind. Als er von dort aus um Ostern 1798 einen Zögling nach Leipzig begleiten und ein halbes Jahr weiter studiren, u. A. auch Hermann hören durfte, und seine Erstlingsschrift über Herodot und Thukydides (1798) nicht ungünstig aufgenommen wurde, entschied er sich für die Alterthumswissenschaft, indessen wirkten seine theologischen Studien auf deren Auffassung und Behandlung stets bedeutend ein. Unter dem anregenden Einfluß Savigny’s habilitirte er sich 1799 in Marburg als Privatdocent. Schon 1800 wurde er außerordentlicher, 1802 ordentlicher Professor. Sein Buch „Ueber die historische Kunst der Griechen“ (1803) und die Verwendung seiner Freunde Daub und Jung Stilling verschaffte ihm im Jahre 1804 einen Ruf nach Heidelberg als Professor der Philologie und alten Geschichte. Das frische geistige Leben der aufblühenden Universität, die Bekanntschaft mit den allmählich dort versammelten Romantikern Arnim, Görres u. A. regte ihn wohlthätig an, aber schwere Seelen- und Körperleiden, namentlich 1806 der tragische Tod der ihm schwärmerisch geneigten Dichterin Tian (Caroline v. Günderode), ließen ihn eine Veränderung wünschen. Deshalb nahm er im December 1808 einen Ruf nach Leyden an, aber kaum dort angekommen (am 12. Juli 1809) bereute er seinen Entschluß. Am 8. Aug. 1809 rief ihn der wohlwollende Minister v. Reizenstein zurück, und im October langte er in Heidelberg wieder an, um es nicht mehr zu verlassen. Lockende Berufungen nach Göttingen, Bonn und Kiel lehnte er ab, und weitere Reisen unternahm er, einen Ausflug nach München (1821) und Paris (1826) abgerechnet, nicht. Dagegen blieb er mit den bedeutendsten Gelehrten des Auslandes in brieflichem Verkehr und empfing gern ihre Besuche. Die „glücklichen Septembertage 1815“ hat Goethe in einem eigenen Gedichte gepriesen. Der Zeitraum von 1815 bis 1830 bezeichnet den Höhepunkt von Creuzer’s akademischer Wirksamkeit: seine Vorlesungen über Symbolik und Mythologie waren die besuchtesten der Universität; zahlreiche Schüler ehrten im Auslande seinen Namen, und das Studium der Mythologie sowie einen tüchtigen Lehrerstand in Baden hat er begründet.

Allmählich machte sich das Alter fühlbar, seine Vorlesungen verloren an Reiz, und nachdem er am 4. April 1844 die Feier seiner 49jährigen Amtsthätigkeit durch eine Reihe glänzender Ehrenbezeugungen verschönert erlebt hatte, erhielt er am 7. November 1845 unter voller Anerkennung seiner Verdienste die erbetene Quiescirung. Bis in sein höchstes Greisenalter nahm er an interessanten Erscheinungen regen Antheil, war unermüdlich als Schriftsteller thätig und blieb im Gespräch eben so geistreich wie liebenswürdig. C. war ein ungemein lebhafter, ideenreicher Geist, mit Phantasie, speculativem Sinn und historischer Auffassungsgabe reichlich ausgestattet; mehr productiv als kritisch bemerkte er entlegene Aehnlichkeiten leichter als nahe liegende Unterschiede; mit seiner umfassenden Gelehrsamkeit hielt die methodische Schulung nicht gleichen Schritt. Daher gab er im Einzelnen bittern Angriffen manche Blöße, aber im Ganzen war seine [595] Wirksamkeit desto mächtiger. Sie hat ihre Wurzel in dem philologischen Studium der alten Historiker, ihre Krone in der vergleichenden Darstellung der religiösen Ideen und Begriffe des Alterthums, sowol nach der philologischen als archäogischen Seite reiche und fruchtbare Verzweigungen. Seine historischen Arbeiten begannen in Marburg. Das dort verfaßte Hauptwerk „Die historische Kunst der Griechen“ (1803, 2. Auflage 1845) stellt die Geschichtschreibung zuerst in ihrem historischen Zusammenhange, dann in ihrer Trennung vom Epos dar. Dem epischen Cyclus wird eine Uebergangsstellung von der Sage zur Erzählung angewiesen, durch die Logographie und die Entwicklung weiter geführt, bis sie in den Werken der drei großen Meister mit einer neuen Kunstgattung abschließt. Das Unternehmen, eine organische Gestaltung der griechischen Litteratur nachzuweisen, durch Wolf’s Prolegomena angeregt, den Arbeiten Fr. Schlegel’s der Tendenz nach verwandt, an Gelehrsamkeit überlegen, behält trotz der mehrfachen, von Dahlmann u. A. nachgewiesenen Schwächen der Ausführung noch jetzt seine Bedeutung. Aus der Beschäftigung mit den römischen Alterthümern, auf die C. durch Savigny geführt wurde, ist später der „Abriß der römischen Antiquitäten“ (1824 und 1829), dem Umfang und der Absicht nach vollständig und mit reichen Nachweisungen aus der Litteratur, hervorgegangen.

Durch die Verbindung mit dem tiefsinnigen Daub angeregt, durch seine theologischen und philosophischen Studien vorbereitet, wandte sich C. in Heidelberg der Aufgabe zu, die Religionen des Alterthums in ihrer Ausbildung, ihrem Zusammenhange, und ihrem Uebergang in das Christenthum darzustellen. Sein Hauptwerk „Symbolik und Mythologie der alten Völker, besonders der Griechen“ (1810–12, 2. Auflage 1819–22, 3. Auflage 1836–43 in 4 Bänden) hat gleich bei seinem Erscheinen allgemeines Aufsehen erregt und trotz vieler und heftiger Angriffe (Voß, Antisymbolik 1825) dem Verfasser einen europäischen Ruhm verschafft, indem er der Mythologie eine bestimmte und große Aufgabe stellte. Den alten Religionen lag nach C. der Kern einer reineren monotheistischen Urreligion zu Grunde, der, von priesterlichen Lehrern in der Form von Zeichen (Symbolen) und Erzählungen (Mythen) mitgetheilt, durch die Einmischung volksthümlicher Sagen, durch die poetisch gestaltende Kraft und durch die Empfindung der belebten Natur zu einer polytheistischen Gliederung auswuchs, aber in den Mysterien am reinsten erhalten war. Durch die Vergleichung der orientalischen Grundformen mit deren griechischer Umgestaltung und einen gebildeten Sinn für mythologische Anschauung gelingt es der Wissenschaft, diesen Kern ans Licht zu ziehen. Obgleich die Ausführung der Aufgabe der scharfen Kritik vielfache Blößen darbietet, die philosophische Behandlung theilweise von Schelling, die historische von O. Müller und Welcker überholt worden ist, darf man doch sagen: der neueren Mythologie im weitesten Umfange ist von C. das Ziel gezeigt, die Wissenschaft von ihm begründet worden. Hatten beide Beschäftigungen C. auf Herodot und dessen Vorgänger hingeleitet („Historicorum graecorum antiquissimorum fragmenta“, 1806, „Commentationes Herodoteae“ 1818), so wandte er sich von der letzteren mit besonderer Vorliebe theils den Ausläufen der antiken Religion und Speculation in den Neuplatonikern, theils der bildenden Kunst der Alten zu. Von jenen behandelte er besonders den bedeutendsten Plotinus, dessen Werke er zusammen mit Moser im J. 1835 herausgab („Plotini opera omnia etc.“, 3 voll. 4. Oxonii 1835). Die alte Kunst hatte er schon in Hessen lieb gewonnen und im Umgange mit dem gelehrten Archäologen Völkel verstehen gelernt. In Heidelberg gab er in dem Bilderheft zur Symbolik eine Anzahl kunstmythologisch wichtiger Denkmäler mit gelehrten Erläuterungen, er legte sich dann eine Sammlung von Münzen und Anticaglien an, die nachher von dem Großherzog angekauft wurde, und beschäftigte sich seit der Vollendung [596] seiner großen Werke überwiegend mit Archäologie. Wahrhaft Bedeutendes leistete er für die Denkmäler seiner Heimath und des badischen Landes, sowie die dorthin gebrachten Werke aus Italien und Griechenland. Die Abhandlungen „Zur Geschichte altrömischer Cultur am Oberrhein und Neckar“ (1832), „Ueber ein altathenisches Gefäß“ (1832), „Gemmenkunde“ (1834), „Das Mithreum zu Neuenheim“ (1838), besonders „Zur Gallerie der alten Dramatiker" (1839) u. a. m. beweisen eine umfassende Kenntniß der Litteratur und geben lehrreiche Erläuterungen und Bemerkungen. Mit gleichmäßiger Aufmerksamkeit verfolgte er bedeutendere archäologischen Publicationen und berichtete darüber in zahlreichen Recensionen und Aufsätzen. Bedenkt man, daß C. weder Italien noch England gesehen hatte, so wird man seine Leistungen und den feinen Geschmack doppelt werth schätzen.

Endlich war C. auch ein sehr guter Lateiner, er sprach und schrieb geläufig und elegant. Eine genauere Kenntniß Cicero’s beweisen die mit Moser veranstalteten Ausgaben der Bücher „De natura deorum“ (1818), „De legibus“ (1824), „De re publica“ (1826), „De divinatione“ und „De fato“ (1828), „De Verris praetura Siciliensi“ (1829).

Nimmt man hierzu die vermischten Abhandlungen („Meletemata“, 1817 etc.) sowie seine zahlreichen Aufsätze in Zeitschriften, so wird man die Arbeitskraft des unermüdlichen Forschers bewundern. Der Werth dieser kleinen Schriften ist verschieden, mehrere, besonders die älteren, ausnehmend gediegen und lehrreich. Methode und Form der Schriften Creuzer’s entsprechen dem gegenwärtigen Standpunkte der Wissenschaft nicht durchaus, eine Anhäufung stoffmäßiger Erudition hält den geraden Gang der Untersuchung auf, und eine stricte Beweisführung ist nicht die Sache des geistreichen Mannes, der oft mehr ahnt und behauptet als begründet. Dafür entschädigen in vollem Maße der tiefe Sinn, der Reichthum an Gedanken, die lebendige Phantasie und die Raschheit der Combination. Sein Hauptwerk, die vergleichende Religionsgeschichte des Alterthums, welche C. mit echt christlichem Sinn durchführt, vereinigt Vorzüge und Fehler in gleichem Grade; im Einzelnen angefochten und anfechtbar, hat es sofort die Anerkennung von Goethe und W. v. Humboldt gefunden, und seine Verdienste um die Erkenntniß der ägyptischen Religion, die Auffindung neuer Thatsachen und das Durchdringen der bekannten mit dem Gedanken preist Bunsen: „für beides“, schließen wir unsere Darstellung mit ihm, „wird Creuzer’s Name immer mit hoher Achtung genannt werden“ (Aegyptens Stelle in d. W. G. V. S. 217).

Vgl. Creuzer, Aus dem Leben eines alten Professors , 1848. Derselbe, Paralipomena, 1858. Umbreit, Theol. Studien und Kritiken 31, 2. S. 599. Guigniaut, Notice historique, 1864. Stark, Friedrich Creuzer. Heidelberg 1874. Derselbe in Weech’s badischen Biographien 1875 1, S. 152. Ein Verzeichniß von Creuzer’s Schriften ist der erstgenannten Schrift beigegeben. Dazu kommt in den deutschen Schriften als 5. Abth. 2. Band ein Buch zur Geschichte der classischen Philologie (1854).