Uigurische Literatur
Die uigurische Literatur ist die Literatur der Uiguren, die vor allem im Gebiet des heutigen Xinjiang, in geringerem Umfang auch in Kasachstan in der mit dem Usbekischen verwandten (neu-)uigurischen Sprache verfasst wurde. Sie bedient sich seit der Islamisierung der (persisch-)arabischen (in Xinjiang), später auch der kyrillischen Schrift (in Kasachstan), heute teils auch der lateinischen Schrift (in der Diaspora). Den Begriff der Uiguren verwendet das Volk als Selbstbezeichnung erst seit ca. 1920; vorher wurden die Einwohner als Türkmeni, später als Turkestani bezeichnet.
In Xinjiang stehen die traditionellen Formen uigurischer Dichtung vor allem durch den Zwang zur Verwendung der chinesischen Schrift vor ihrer Auslöschung.
Frühe buddhistische Literatur auf dem Gebiet der Uiguren
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Alt-Uigurische ist kein direkter Vorläufer des heutigen Uigurischen. Es war die alttürkische Sprache einer buddhistischen, später manichäischen Hochkultur der Uiguren vom 8./9. bis zum 13./14. Jahrhundert, die zahlreiche schriftliche Quellen in Orchon-Runen, einer reinen Konsonantenschrift, welche erst 1893 entziffert wurden, sowie in Brahmi-Schrift hinterließ.[1] Bei diesen Texten handelte es sich um Übersetzungen aus dem Tocharischen, Chinesischen, Tibetischen und später aus dem Sanskrit. Frühe Übersetzungen basieren auch auf sogdischen Texten.[2] Der buddhistischen Periode entstammt vor allem die Jataka-Dichtung mit Erzählungen aus dem Leben Buddhas[3] sowie das Goldglanz-Sutra, ein Mahayana-Sutra.
Die uigurische Literatursprache der frühesten Zeit hat sich bis zur Mongolenherrschaft erhalten. In einer Grotte der Oasenstadt Dunhuang an der Seidenstraße lagerten etwa 50.000 Schriften aus dem 4. bis 11. Jahrhundert, die Mönche im Jahre 1036 eingemauert hatten, um sie vor den Mongolen zu schützen. Darunter befand sich das Diamant-Sutra, ein Text des Mahayana-Buddhismus, der am 11. Mai 868 als Holztafeldruck hergestellt wurde und als das älteste Buchdruckerzeugnis der Menschheitsgeschichte gilt.[4]
Karachanidische Phase
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Nach der Islamisierung im 10. Jahrhundert entwickelte sich unter den Karachaniden Kaschgar zu einem wichtigen kulturellen Zentrum, das in enger und fruchtbarer Verbindung zu Persien standen.[5] In Kaschgar wirkten große Wissenschaftler und Gelehrte, vor allem Yusup Khass Hajip aus Balasagun (Yusuf Balasaguni, 1018/19–1077/85) und Mahmūd al-Kāschgharī (1005–1102), die Gesellschaft, Kultur, Gebräuche und Sprachen der überwiegend noch nomadischen Turkvölker in mitteltürkischer Sprache beschrieben.[6]
Mahmūd al-Kāschgharī verfasste um 1090 in Bagdad ein bedeutendes Wörterbuch der Turksprachen (Divan lugat at-turk, Sammlung der Sprachen der Türken) mit arabischen Übersetzungen, das eine wichtige Quelle zur Folklore Zentralasiens darstellt und für die arabischen Bündnispartner bestimmt war. Er verteidigte die Reinheit der türkischen Sprache gegen externe Einflüsse. Der Wesir, Theologe und Philosoph Yusuf Balasaguni war Urheber des Lehrgedichts Kutadgu Bilig (Gesegnetes Wissen, ca. 1069), das mit der Schöpfungsgeschichte beginnt und aus dem man viele Informationen zu den sozialen Beziehungen und Normen der Turkvölker entnehmen kann. Er sieht sich darin selbst als Begründer der türkischsprachigen Literatur und wird insbesondere in Kirgisistan[7] und Usbekistan verehrt. Seine Grabstätte in Kaschgar wurde während der chinesischen Kulturrevolution zerstört und in der Tauwetterperiode nach dem Tod Mao Zedongs wieder errichtet.
Mit der Islamisierung begann die arabische Schrift die altuigurische Schrift zu verdrängen, die sich jedoch im Tarimbecken bis ins 17. Jahrhundert hielt, aber nicht mehr senkrecht, sondern wie das Arabische von rechts nach links geschrieben wurde.
In das ältere volkssprachliche Kulturgut gelangten nach der Islamisierung viele Motive aus der persisch-arabischen Welt. Diese weltlichen oder religiösen epos-artigen Erzählungen (mit dem persischen Wort Dastan bezeichnet, turksprachlicher Plural: dastanlar) wurden insbesondere auf Festen vorgetragen oder gesungen. Sie sind auch bei Kasachen verbreitet und galten in China noch bis zu Beginn der verschärften kulturellen Unterdrückung um 2017 als schützenswertes Kulturgut.
Literatur in tschagataischer Sprache
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Unter der Herrschaft der Mongolen verbreitete sich seit 1400 die osttürkische, später als Tschagataisch bezeichnete Sprache, eine Vorläuferin der heutigen uigurischen und usbekischen Sprache, die als Verkehrssprache und klassische Literatursprache in ganz Zentralasien gebräuchlich war. Sie stellte eine Weiterentwicklung der karachanidischen Sprache dar und wurde mit einem arabischen Alphabet mit Vokalzeichen geschrieben. Ihr stand neben dem türkischen Wortschatz der gesamte Formenschatz der persischen, daneben auch der arabischen Literatur zur Verfügung.
Als Hofdichter der Herrscher von Samarkand wirkte um 1400 Sakkākī, von dessen Dichtung kaum etwas erhalten ist. Aus Herat stammte Lutfī (ca. 1364–ca. 1463), von dem Hunderte Ghaselen erhalten sind. Ein Höhepunkt der tschagataischen Dichtung bildet die Hamse (Chamza) des in Herat lebenden Uiguren Mir ʿAli Schir Nawāʾi (1441–1501), der einer Volkssängerfamilie entstammte. Es handelt sich um fünf Geschichten, die aus insgesamt 50.000 Versen bestehen. Daneben verfasste er viele Prosawerke, darunter Abhandlungen über die Dichtkunst.[8] Nawāʾis Werke waren im gesamten turksprachigen und iranischen Raum verbreitet; die Usbeken beanspruchen ihn als Nationaldichter.
Nach dem inneren Verfall der Khanate Turkestans lebte das kulturelle tschagataische Erbe im Khanat Qoʻqon (Kokand) im heutigen Usbekistan fort.[9]
Uigurische Literatur bis 1920
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Seit dem 17. Jahrhundert sind schriftliche Werke von Dichtern im so genannten „uigurischen Türkisch“ (Uygur Türkçesi, auch Turki) im heutigen Siedlungsgebiet der Uiguren nachgewiesen. Zunächst wurden vor allem religiöse Texte wie das Tadhkirah i Khwajagan aus dem Persischen ins Uigurische übersetzt; unter dem Einfluss der persischen Mystik entstanden aber auch neue religiöse Dichtungen, die als Manuskripte an den Höfen der Khane verwahrt wurden. Zu diesen uigurischen Dichtern gehören Muhammad Sadiq Zalili (ca. 1674–1723) und Khoja Jahan Arshi (wirkte um 1730/40), die auch in persischer Sprache dichteten.[10]
Um die Mitte des 18. Jahrhunderts endete die Mongolenherrschaft; die gesamte Region gelangte unter chinesische Herrschaft. Damit nahm die Bedeutung der persischen Sprache ab. Neben den schriftlich überlieferten religiösen Texten, Landesbeschreibungen, Gedichten und Übersetzungen aus dem Persischen waren die volkstümlichen uigurischen Texte ausschließlich in mündlicher Form überliefert worden, oft in Verbindung mit Musik, Tanz und Theaterdarbietungen. Abdurrahim Nizari (1770–1850) gilt als wichtiger Dichter dieser neuen Epoche. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts machen sich infolge der russischen Expansion in der Region Ost-Turkestan zunehmend Einflüsse der russischen Romantik und des Realismus bemerkbar. Zwischen den Uiguren im Russischen Reich und in China bestanden auch in der Folgezeit zahlreiche kulturelle Verbindungen, was zu einer Hybridkultur führte, die in ihrem westlichen Bereich von Russland beeinflusst war, während sie im Osten eine starke Resilienz gegen chinesische Einflüsse entwickelte und ihre uigurische Identität stärker bewahrte.
Der letzte Repräsentant der klassischen Dichtung war Bilal Nazım (1825–1900). Er verfasste Gedichte in der klassischen Form der Ghasele mit gereimten Suffixen, aber auch realistische Prosa (Gazat Der Mülk-i Çin), in der sich die uigurische Gesellschaft spiegelt, sowie u. a. eine Biographie der Sängerin Nazugum (Nazugum'un Kıssası).[11] Auch als Musiker trat Bilal Nazim hervor. Sein Bericht Kitab-gazat-dar Chin beschreibt den Aufstand der Uiguren gegen die Chinesen 1864–1867.[12]
In den 1920er Jahren wurde in der Sowjetunion das Tschagataische offiziell abgeschafft. Die lokalen Dialekte wie das Uigurische stiegen stattdessen zu Literatursprachen auf, welche zunächst das lateinische Alphabet benutzten, bis im Zuge der Russifizierungspolitik das kyrillische Alphabet eingeführt wurde.
Angesichts der Randlage und der sozialen Situation der teilweise verarmten Region konnte sich in der Folge keine vollprofessionelle Literatenklasse entwickeln konnte. Dennoch fanden semiprofessionelle Texte immer wieder Verbreitung auf beiden Seiten der Grenze.[13] Um die Wende zum 20. Jahrhundert wurden die ersten uigurischen Texte und Zeitungen gedruckt. Die einzige Druckerei im südlichen Xinjiang, die Texte in arabischer Schrift auf modernen Maschinen drucken konnte, war die der schwedischen Missionsanstalt in Kaschgar, die von 1912 bis 1938 existierte. Die dort gedruckten sogenannten Kashgar Prints gehören heute zu den wichtigen historischen und literarischen Quellen.[14]
Neu-Uigurische Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Ethnonym „Uiguren“ für die heutige Bevölkerungsgruppe wurde erstmals 1921 in Taschkent verwendet und seit den 1930er Jahren in Xinjiang gebraucht.[15] Diese neu-uigurische Literatur und das Schicksal der Literaten, die immer wieder verfolgt wurden, aber oft auch als Nationalhelden und Märtyrer gelten, ist eng mit der wechselhaften politischen Entwicklung der Region seit den 1930er Jahren verknüpft.
Sowjetunion, Kasachstan
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Von 1926 bis 1937 wurde in der Sowjetunion ein lateinisches Alphabet für die uigurische Sprache verwendet. In den 1930er und 1940er Jahren verstanden sich die uigurischen Intellektuellen an der Grenze zu China als Keimzelle einer künftigen vereinten uigurischen Kultur und verbanden diese transkulturelle Idee mit der Vorstellung der Modernisierung ganz Zentralasiens. Dieser Modernisierungsimpuls – verbunden mit der sowjetischen Einflussnahme – strahlte vor allem auf die periphere Grenzregion Ili im Nordwesten Xinjiangs aus. Dort versuchten turksprachige moslemische Intellektuelle, eine uigurische Nationalkultur auf beiden Seiten der Grenze mit Hilfe des Schulwesens und der massenhaften Verbreitung von Druckerzeugnissen zu etablieren.
Hezim İskenderov (1906–1970) begann während seines Studiums in Taschkent zu publizieren. 1937 wurde er nach Sibirien verbannt, später warb er in seinen Arbeiten für die Kollektivierung der Landwirtschaft.[16]
Der in Kasachstan geborene Ziya Samedi (Ziya Semediy, 1914–2000) emigrierte Anfang der 1930er Jahre mit seinen Eltern aus der Sowjetunion nach Xinjiang und kritisierte dort in seinem Roman Der blutige Berg die Repressionspolitik der Guomindang gegenüber den Uiguren. Auch verfasste er ein Theaterstück auf der Grundlage des Volksepos Gherip Senem. Die repressive chinesische Politik führte zum uigurischen Aufstand und zum Einmarsch sowjetischer Truppen 1934/35 und 1937. Samedi war von 1937 bis 1944 in chinesischer Haft und kämpfte anschließend auf Seiten der in der Ili-Region gegründeten sozialistischen Republik Ostturkestan, die versuchte, ihre Unabhängigkeit zunächst von China, dann von der Sowjetunion zu wahren. Nach deren Zerschlagung 1949 flohen viele uigurische Intellektuelle in die Sowjetunion, insbesondere nach Kasachstan.[17] Samedi blieb in Xinjiang und arbeitete dort auf verschiedenen Positionen für die chinesischen Regierung. 1958 beschuldigte man ihn des Separatismus und verurteilte ihn erneut zu mehreren Jahren Lagerhaft. Er floh in die Sowjetunion, wo er 1980 den kasachischen Literaturpreis für seine historischen Romane erhielt. In seinem Werk Maimhan erzählt er vom Kampfe uigurischer Bauern gegen eine ungerechte Obrigkeit.[12] 2000 starb er in Kasachstan, wo seine Bücher immer noch gedruckt werden.[18]
Ende der 1930er Jahre wurden auch uigurische Autoren Opfer der stalinistischen Repression. Dennoch fanden nach dem Zweiten Weltkrieg insbesondere die Werke von Puschkin und Gorki einen starken Widerhall bei den uigurischen Schriftstellern, die in der Sowjetunion lebten. Dazu zählte der in Kasachstan geborene Hizmet Abdullin (1925–1986), der als Übersetzer russischer Literatur tätig war, ehe er in den 1950er Jahren selbst literarisch tätig wurde. Er reflektierte dabei immer wieder das Thema „Freiheit“ und ihren Missbrauch. Von der klassischen Tradition beeinflusste Naturlyrik im klassischen Stil verfasste Hezim Iskanderow (1906–1970) unter dem Pseudonym Tetik.[12]
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Lutpulla Mutellip (Lutfula Mutalip, 1922–1945) wurde bei Alamty in Kasachstan (nach anderen Angaben vielleicht in der Kasachischen Autonomen Präfektur Ili in Xinjiang geboren, wo kasachische Intellektuelle vor der russischen Revolution Zuflucht fanden). In der Schule lernte er die russische Literatur, aber auch moderne chinesische Autoren wie Lu Xun kennen. Er arbeitete seit 1937 (!) zunächst als Lehrer, dann als Übersetzer für russische Ingenieure und seit 1941 als Redakteur in Ürümqi.[19] Schon seine in jungem Alter verfassten Gedichte waren wegen der Schönheit ihrer Sprache berühmt. Nach der antikommunistischen Wende der lokalen Regierung wurde er 1944 in Aksu verhaftet und 1945 von den nationalistischen chinesischen Behörden liquidiert. Vielen Uiguren gilt er als Nationalheld.[20]
Xinjiang
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Zunun Kadir (Zunnun Quadiri, 1911–1989), der im äußersten Norden Xinjiangs geboren wurde, veröffentlichte 1937 sein erstes Drama, 1942 den Dreiakter Wen-chʻing-mu, außerdem Gedichte und Essays. Politisch wandte er sich zunächst gegen die Herrschaft der chinesischen Warlords, später gegen andere Formen der Repression, teils in offener (Das Edikt), teils in subtiler Form. Als ein vehementer Verteidiger uigurischer Identität war er während der Herrschaft Mao Zedongs 17 Jahre lang in Lagern inhaftiert, wurde später rehabilitiert und starb in Kasachstan.[21]
Abdurehim Ötkür (1923–1995) lernte in der Schule die russische und turksprachige Literatur kennen. Er war der wichtigste uigurische Poet Xinjiangs, seine Gedichte waren weit verbreitet. Lange Zeit litt er unter der bald nach der Machtübernahme der Kommunisten 1949 einsetzenden Repression. Bis etwa 1968 konnte er nicht publizieren. In den 1990er Jahren schrieb er den Roman Uyanan Zemin über die Aufstände in Ostturkestan in den 1930er Jahren und die Gründung und den Zusammenbruch der ersten Islamischen Republik Ostturkestan.[22]
Zordun Sabir (1937–1998) war ein uigurischer Autor, dessen Trilogie Anayurt („Heimatland“) in Ürümchi erschien. Der letzte Band kam aus politischen Gründen jedoch in Kasachstan heraus. Memtimin Hoshur (* 1944) wurde über Xinjiang hinaus bekannt, vor allem durch seine Sozialsatiren. Sein Roman Qum Basqan Sheher („Stadt unter der Wüste“) gilt als sein Meisterwerk und wurde in viele Sprachen übersetzt.[12]
Azad Sultan (* 1950), geboren in Ürümchi, arbeitete als Lehrer, Dozent und Literaturprofessur. Er verfasste 1997–2002 mehrere Lehrbücher zur Geschichte der uigurischen Literatur.[23]
Etwa seit 2010 nahm die Repression gegen die islamisch-uigurische Kultur und ihre Träger in Xinjiang erneut stark zu. Nurmemet Yasin (ca. 1977–2011?) wurde 2005 als Separatist wegen einer Gedichtsammlung kritisiert, in der er in Form einer Allegorie die Diktatur kritisiert. Er starb in Haft.[24] Der Lyriker, Hochschullehrer, Lehrbuchautor und Übersetzer Abdukadir Calalidin (Jalalidin, * 1964), der auch in Japan und England studiert hatte,[25] wurde 2018 verhaftet und vermutlich zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt.[26]
Der von Kafka und Camus inspirierte Lyriker, Erzähler, Romanautor und Journalist Perhat Tursun (* 1969) stieß 1999 mit seinem „häretischen“ Roman Die Kunst des Selbstmords auf massive Kritik konservativer Moslems, wobei es zu Bücherverbrennungen kam. Seit ca. 2018 ist er in Haft, 2022 erhielt er in Abwesenheit den Tucholsky-Preis des schwedischen Sektion des P.E.N.-Clubs.[27] 2022 veröffentlichte sein amerikanischer Übersetzer The Backstreets: A Novel from Xinjiang, einen Roman über die Einsamkeit eines Uiguren in der von Han-Chinesen dominierten Hauptstadt der Provinz. Die Zeitschrift Foreign Policy nannte ihn „den chinesischen Salman Rushdie“.[28]
Über 30 Dichter wie Abuqadir Jüme Tunyuquq, Idris Nurillah und Shahip Abdusalam Nurbeg verschwanden in Internierungslagern. Es ist faszinierend, welche Macht die uigurische Poesie, die früher schon von den Schulkindern verinnerlicht wurde, bis vor kurzer Zeit ausübte, und charakteristisch, wie heftig China gerade auf diese identitätsstiftende Form der Literatur reagierte.[29] Gleichzeitig waren uigurische Poeten immer wieder flexibel genug, um in freien Versen zu dichten und sich den Einflüssen des euoräischen Symbolismus zu öffnen.
Die uigurische Sprache wird mittlerweile radikal von nicht-chinesischen Einflüssen „gesäubert“. Zudem kann man auch aufgrund chinesischer Regierungsdokumente von einer Kampagne der „Verhinderung der Weitergabe von religiösen Bräuchen, Tradition, Kultur und Sprache zwischen den Generationen“ sprechen,[30] was letztlich auch folkloristische Inszenierungen und die islamischen Feiertage betraf.
Um 2020 steht die uigurische Dichtung in Xinjiang vor ihrer Auslöschung, vor allem durch den Zwang zur Verwendung der chinesischen Sprache und Schrift.[31] Sie lebt fort in der Diaspora, etwa in den Gedichten von Muhemmet Baghrash (* 1962) und Bughda Abdulla, sowie in Kasachstan, wo etwa 250.000 Uiguren leben.[32]
Ein von der Fritz-Thyssen-Stiftung geförderte Projekt der Universität Gießen soll die gesamte uigurische Literatur an Xinjiang von der Tauwetterperiode 1980 bis zur erneuten Verfolgung um 2017 dokumentieren.[33]
Exil
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Munawaar Abdulla lebt in den USA. Sie ist Übersetzerin uigurischer Literatur, Herausgeberin und Aktivistin des uigurischen Tarim-Netzwerks.[34] Auch der Dichter und Filmemacher Tahir Hamut Izgil emigrierte in die USA, die Dichterin Fatimah Abdulghafur lebt in Australien.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Neşe Harbalioğlu (Hrsg.): Çağdaş uygur edebiyatı tarihi. Ankara 2017.
- K. H. Menges, fortgeführt von Sigrid Kleinmichel: Die turksprachigen Literaturen außerhalb der Türkei. In: Kindlers neues Literatur-Lexikon, Bd. 20, München 1996, S. 602–626.
- Peter Zieme: Buddhistische Stabreimdichtungen der Uiguren. Schriften zur Geschichte und Kultur des Alten Orients, 13, Band 13. De Gruyter, 1986. Reprint 2022.
- Peter Zieme: Religion und Gesellschaft im Uigurischen Königreich von Qočo. Springer, 1992.
- Michael Reinhard Heß: In schweren Tagen. Texte und Quellen zu den Uiguren Kasachstans. Turcologica 118. Harrassowitz, Wiesbaden 2019.
- Munawwar Abdulla u. a. (Hrsg.): Under the Mulberry Tree – A Contemporary Uyghur Anthology, Vol. 1, Tarim Network, revised edition 2023 (Anthologie uigurischer Autoren in der Diaspora)
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- https://www.uigurkultur.com/kunst-und-wissenschaft/literatur/ Website zur uigurischen Kultur
- https://www.thetarimnetwork.com Netzwerk der uigurischen Diaspora
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Yukiyo Kasai: Die altuigurischen Fragmente mit Brāhmī-Elementen (=Berliner Turfantexte 38). Brepols Publishers, Turnhout 2017.
- ↑ Peter Zieme 1992, S. 16 ff.
- ↑ Peter Zieme 1986.
- ↑ Ligurische Literatur auf uigurkultur.de
- ↑ Menges 1996, S. 603.
- ↑ Uigurische Literatur auf uigurkultur.com
- ↑ Kyrgyzstan: Medievak Philosopher reclaimed National Hero auf eurasianet.org, 12. Oktober 2016
- ↑ Menges 1996, S. 605.
- ↑ Menges 1996, S. 606.
- ↑ David Brophy: A Lingua Franca in Decline? The Place of Persian in Qing China. In: (Hrsg.): The Persianate World: The Frontiers of a Eurasian Lingua Franca. Univ. of California Press, 2019, S. 175–192.
- ↑ Menges 1996, S. 609.
- ↑ a b c d Wer sind die Uiguren? Abgerufen am 11. Februar 2022 (deutsch).
- ↑ Ildikó Bellér-Hann, M. Cristina Cesàro, Joanne Smith Finley: Situating the Uyghurs Between China and Central Asia. Routledge, 2016, Teil 2.
- ↑ Prints from the Swedish Mission in Kashgar auf jarringcollection.se
- ↑ Ralf Elger (Hrsg.): Kleines Islam-Lexikon: Geschichte, Alltag, Kultur. Beck, München, 4. Auflage 2006, S. 334 f.
- ↑ Harbalioğlu 2017, S. 163.
- ↑ Joshua L. Freeman: Print and Power in the Communist Borderlands: The Rise of Uyghur National Culture. Doctoral dissertation, Harvard University, Graduate School of Arts & Science, 2019.
- ↑ Harbalioğlu 2017, S. 321 f.
- ↑ Harbalioğlu 2017, S. 189–193.
- ↑ Lutpulla Mutellip auf Uyghur Academy, abgerufen am 12. Januar 2025
- ↑ Kurzbiographie auf aaww.org
- ↑ Harbalioğlu 2017, S. 78 f.
- ↑ Harbalioğlu 2017, S. 107 f.
- ↑ Die Wilde Taube auf novastan.org
- ↑ Harbalioğlu 2017, S. 57–59.
- ↑ Who is Abduqadir Jalalidin? auf uyghurhelp.org, 21. Januar 2023
- ↑ Perhat Tursun receives the Tucholsky Prize 2022 auf svenskapen.se (schwedisch)
- ↑ Stéphane Duperray: Uigurische Region: Schriftsteller Perhat Tursun veröffentlicht Roman aus der Haft auf novastan.org, 1. Mai 2022
- ↑ Joshua L. Freeman: Uighur Poets on Repression and Exile in The New York Review, 13. August 2020,
- ↑ Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages: Die Uiguren in Xinjiang im Lichte der Völkermordkonvention. Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 - 027/2021, S. 58 f.
- ↑ Lily Kuo: Poetry, the soul of Uighur culture, on verge of extinction in Xinjiang in: theguardian.com, 6. Dezember 2020
- ↑ M. R. Heß 2019
- ↑ Die uigurische Prosaliteratur in der VR China von der Reformära bis zur erneuten Repression auf fritz-thyssen-stiftung.de, abgerufen am 23. März 2024
- ↑ Munawwae Abdulla auf aaw.org