Bruch der Ampelkoalition in Deutschland 2024
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Begründung: Das Lemma Regierungskrise in Deutschland 2024 stellt eine Wertung dar und hat somit in einer Enzyklopädie nichts verloren. Schon die Einleitung (Die Regierungskrise in der Bundesrepublik Deutschland 2024 beschreibt die Situation, in der sich die Bundesrepublik Deutschland seit dem Bruch der Ampelkoalition am 6. November 2024 befindet.) ist falsch, denn natürlich befindet sich nicht die Bundesrepublik Deutschland in einer Regierungskrise. Die Inhalte sind praktisch komplett schon in den Artikeln Kabinett Scholz, Ampelkoalition und Bundestagswahl 2025 geschrieben worden und dort zudem weit besser aufgehoben. Hier löschen (TF) und Weiterleitung einrichten. |
Am 6. November 2024 kam es zum Bruch der Ampelkoalition, in den Medien auch als Ampel-Aus bezeichnet, nachdem Bundeskanzler Olaf Scholz die Entlassung von Finanzminister Christian Lindner veranlasste. In der Folge traten zwei der drei anderen FDP-Minister zurück.
Hintergrund
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP wurde 2021 unter Bundeskanzler Olaf Scholz gebildet (siehe Kabinett Scholz). Ziel war es, nach Jahren der Großen Koalition eine neue politische Dynamik zu schaffen. Die Koalition stand jedoch seit ihrer Bildung vor großen Herausforderungen, insbesondere durch die anhaltenden Folgen der Corona-Pandemie und des Ukrainekriegs sowie die daraus resultierende Energiekrise und Inflation, welche zu finanz- und wirtschaftspolitischen Konflikten führten und die Zusammenarbeit zunehmend belasteten.
SPD und Grüne drängten auf neue Schulden für Investitionen in soziale und ökologische Projekte (Nachfragepolitik), während die FDP die Einhaltung der Schuldenbremse, Entlastungen und Bürokratieabbau forderte (Angebotspolitik). Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die geplante Umwidmung von Geldern aus dem Klima- und Transformationsfonds als verfassungswidrig erklärte, reduzierte die Einigungschancen.[1]
Teilweise lautete aufgrund der Differenzen den Haushalt betreffend die Einschätzung in der Presse bereits im August 2024, dass die Koalition „am Ende“ sei.[2][3]
Alle drei Ampel-Parteien erlitten bei den drei Landtagswahlen von 2024 herbe Verluste, und Umfragen attestierten der Regierung immer niedrigere Zustimmungswerte.[4]
Anfang November machte der Finanzminister ein 18-seitiges wirtschaftspolitisches Papier bekannt, in dem die FDP unter anderem Steuererleichterungen und Kürzungen bei Sozialausgaben forderte.[5] Gleichzeitig legte Wirtschaftsminister Robert Habeck ein Papier vor, in dem er erneut eine Aussetzung der Schuldenbremse forderte.[6]
Entstehung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Ereignisse um den 6. November 2024
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Am Sonntag, den 3. November 2024, trafen sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) im Kanzleramt. Lindner schlug vor, auf Grundlage des FDP-Positionspapiers eine neue wirtschaftspolitische Agenda zu entwickeln. Sollte Scholz dazu nicht bereit sein, sollte man gemeinsam den Weg zu sofortigen Neuwahlen freimachen. Vertreter der Ampelkoalition trafen sich am Montag (Neunerausschuss) und Dienstag, ohne eine Einigung über den Haushalt zu erreichen.[7]
Am 6. November 2024 hatten sich Bundeskanzler Olaf Scholz, Finanzminister Christian Lindner und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zu einem Krisengespräch getroffen, um über lange andauernde Differenzen in der Ampelkoalition zu beraten. Darin forderte Scholz den Finanzminister Berichten zufolge ultimativ auf, die Schuldenbremse auszusetzen, was Lindner mit Hinweis auf seinen Amtseid ablehnte. Da die Differenzen somit offenbar unüberwindbar waren, schlug Lindner vor, gemeinsam geordnete Neuwahlen im Frühjahr zu verkünden. Scholz lehnte das ab und gab am Abend bekannt, dass er Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier um die Entlassung des Finanzministers bitten würde.[8][9][10]
Noch am selben Tag kündigten Bundesjustizminister Marco Buschmann und Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (beide FDP) ihren Rücktritt aus dem Kabinett Scholz an.
Standpunkte und Vorwürfe
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Laut Scholz sei das Verhalten von Finanzminister Lindner verantwortungslos gewesen, weil dieser wiederholt ein konstruktives Angebot zur Schließung der Haushaltslücke und Stärkung der Wirtschaft abgelehnt habe. Lindner habe sich geweigert, notwendige Kompromisse einzugehen, habe Gesetze mehrfach aus sachfremden Erwägungen blockiert und parteipolitisch gehandelt, was die Handlungsfähigkeit der Regierung gefährdet und das Vertrauen in die Zusammenarbeit zerstört habe.[11]
Lindner warf Scholz vor, absichtlich die Koalition zu brechen, und kritisierte dessen wirtschaftliche Vorschläge als zu schwach und wenig ambitioniert. Er lehnte die Forderung ab, die Schuldenbremse auszusetzen, was die Gespräche weiter erschwerte, und erklärte, dass die FDP weiterhin bereit sei, in einer anderen Regierung Verantwortung zu übernehmen.[12] Lindner äußerte, dass er die Entscheidung, die Schuldenbremse nicht aufzugeben, als notwendigen Schritt ansah, um verfassungsrechtlichen Prinzipien treu zu bleiben. Er betonte, dass es für ihn eine Frage der persönlichen Überzeugung war, der Verfassung treu zu bleiben, auch wenn dies seine Entlassung aus dem Amt zur Folge hatte. Obwohl Scholz ihn aus dem Amt entließ, sagte Lindner, dass er sich auf der Straße gut aufgehoben fühle.[13] Am 13. November äußerte sich Lindner im Bundestag zur Schuldenbremse und zum Koalitionsbruch. Er beschrieb sich als Verfechter der Haushaltsdisziplin und kritisierte, dass Kanzler Scholz von ihm politische Zugeständnisse gefordert habe. Lindner interpretierte das Ende der Koalition als strategisch herbeigeführt durch Scholz.[14]
Folgen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Scholz bildete sein Kabinett um: Volker Wissing sagte als einziger Minister der FDP zu, in der Regierung zu verbleiben, und verließ stattdessen die Partei.[15] Lindner, Buschmann und Stark-Watzinger wurden am 7. November 2024 von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier aus ihren Ämtern entlassen. Der bisherige Staatssekretär Jörg Kukies (SPD) wurde neuer Bundesfinanzminister. Verkehrsminister Volker Wissing übernahm zusätzlich das Justizministerium.[16] Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) bekam zusätzlich das Bildungs- und Forschungsministerium übertragen.
Olaf Scholz gab bekannt, am 15. Januar 2025 die Vertrauensfrage stellen zu wollen, in dessen Folge Bundespräsident Steinmeier Neuwahlen veranlassen könnte (vorausgesetzt, Scholz würde wie erwartet nicht die Mehrheit des Bundestages hinter sich vereinen k��nnen). Bis dahin würde eine rot-grüne Minderheitsregierung im Amt bleiben.[17] Als Frist zur Auflösung eines Bundestages nach einem negativen Vertrauensvotum sind für den Bundespräsidenten 21 Tage vorgesehen, anschließend sind innerhalb von 60 Tagen Neuwahlen anzusetzen.[18] Später erklärte Scholz, er sei bereit, die Vertrauensfrage im Bundestag noch vor Weihnachten zu stellen, sofern dies von den politischen Akteuren gewünscht werde. Er werde sich dabei an einem Zeitplan von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich und Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU/CSU) orientieren.[19] Als gemeinsamer Vorschlag für einen Termin für die vorgezogene Bundestagswahl wurde anschließend der 23. Februar 2025 festgelegt. Dieser Termin war von den Fraktionen der SPD und der CDU/CSU vereinbart worden, wobei auch die FDP und Grüne dem Vorschlag ihre Unterstützung zugesichert hatten. Es wurde ebenfalls festgelegt, dass Bundeskanzler Scholz die Vertrauensfrage am 11. Dezember im Bundestag stellen würde. Eine Abstimmung darüber wurde für den 16. Dezember angesetzt, wie SPD-Fraktionschef Mützenich mitteilte. Das endgültige Wahldatum obliegt zwar der Entscheidung des Bundespräsidenten, dieser hatte jedoch bei einem Treffen im Schloss Bellevue mit dem Oppositionsführer Merz, dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Mützenich sowie den Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Britta Haßelmann und Katharina Dröge, bereits Zustimmung signalisiert und den Zeitplan gebilligt.[20][21]
Am 13. November gab Scholz im Bundestag eine Regierungserklärung ab, in der er zentrale Gesetzesvorhaben bis zur Neuwahl am 23. Februar 2025 skizzierte. Scholz verteidigte die Entlassung von Finanzminister Lindner als notwendig und betonte die fortgesetzte, aber maßvolle Unterstützung der Ukraine. Scholz erklärte, dass die Finanzierung der Ukrainehilfe nicht zu Lasten von Infrastruktur- oder Sozialprojekten in Deutschland gehen dürfe. Er begrüßte den festgelegten Wahltermin.[22]
Reaktionen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Reaktionen der Ampelparteien
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Wirtschaftsminister Robert Habeck betonte, dass die FDP Lösungsvorschläge für die Koalitionskrise ablehnte, was zur Entlassung von Christian Lindner führte. Er verwies auf die negativen Folgen von Populismus und betonte Deutschlands Verantwortung, Einheit zu fördern. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hob angesichts des Ukraine-Kriegs die Notwendigkeit einer erhöhten Sicherheitsinvestition hervor, die durch eine Schuldenbremse hätte realisiert werden sollen.[23] Sie sah im Urteil des Bundesverfassungsgerichts einen Wendepunkt für die Ampelkoalition, da seitdem Investitionen in Bildung und Soziales gekürzt werden mussten. Sie kritisierte zudem, dass Lindner als Finanzminister auf soziale Einsparungen und fossile Energien setzte, was ihrer Ansicht nach die Bevölkerung zusätzlich belastete.[24] Habeck erklärte, dass Neuwahlen zeitnah stattfinden sollten, betonte jedoch, dass es vor allem darauf ankomme, nach der Wahl „zielgerichtet und zügig zu handeln“.[25]
Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) betonte, dass es in der aktuellen Lage notwendig gewesen sei, Sicherheits- und Wirtschaftsmaßnahmen zu ergreifen. Er stellte klar, dass Lindner als Finanzminister in der Vergangenheit selbst rechtmäßige Überschreitungsbeschlüsse getroffen habe, die gemäß Artikel 115 des Grundgesetzes zulässig sind. Er kritisierte, dass der Kanzler pragmatische Lösungen suchte, während Lindner Steuererleichterungen für Wohlhabende und Einschnitte in die soziale Sicherheit für Arbeitnehmer forderte.[26]
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bezeichnete das Ende der Ampelkoalition als historischen Fehler, da wichtige Herausforderungen wie der Ukraine-Krieg, die wirtschaftliche Krise in Deutschland und die Wahl Donald Trumps als US-Präsident weiterhin bestehen. Er erklärte, dass die Koalition seiner Ansicht nach nicht mehr zu retten war, da Finanzminister Christian Lindner eine konstruktive Zusammenarbeit abgelehnt habe. Die Entlassung Lindners durch den Kanzler sei daher unvermeidlich gewesen und habe das Ende der Koalition nur beschleunigt.[27]
Volker Wissing (Digitales und Verkehr, parteilos) erklärte, dass in der Politik der „Faktor Mensch“ stets eine entscheidende Rolle spiele. Er kritisierte, dass auf Bundesebene zu lange an der ständigen Kommunikation der Differenzen zwischen den Parteien festgehalten wurde. Schuldzuweisungen seien nicht seine Aufgabe, aber er bedauerte, dass die Suche nach Lösungen und gemeinsamen Wegen immer weiter in den Hintergrund gerückt sei. Besonders gegen Ende der Legislaturperiode habe die Bereitschaft zu Kompromissen immer mehr abgenommen.[28]
Reaktionen der Opposition und zur Bundestagswahl 2025
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) und die AfD-Fraktionschefs Alice Weidel und Tino Chrupalla forderten Scholz dazu auf, die Vertrauensfrage bereits in der Woche ab dem 11. November 2024 zu stellen.[29] Die BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht sprach sich für vorgezogene Neuwahlen aus.[30] Ein konstruktives Misstrauensvotum lehnte Merz ab, um sich nicht von der AfD zu einem Übergangskanzler wählen zu lassen.[31] Er warf dem Kanzler im Bundestag am 13. November eine Spaltung des Landes und einen fragwürdigen Umgang mit der Vertrauensfrage vor.[32]
Am 8. November 2024 äußerte die Bundeswahlleiterin, Ruth Brand, Bedenken hinsichtlich der Durchführung einer Bundestagswahl im Januar 2025. Sie wies darauf hin, dass die administrativen Vorbereitungen aufgrund der Weihnachtspause nur schwer rechtzeitig abgeschlossen werden könnten, was durch den eingeschränkten Zeitraum und den damit verbundenen Zeitdruck zusätzlich erschwert würde. Diese Einschätzung fand Unterstützung bei Bundeskanzler Olaf Scholz, der ebenfalls einen späteren Wahltermin favorisierte. Auch die Oppositionspartei Die Linke schloss sich diesem Vorschlag an und argumentierte, dass ein späterer Wahltermin sowohl aus organisatorischer als auch praktischer Sicht vorteilhafter wäre.[33] Die CDU kritisierte Bundeswahlleiterin Brand, die vor einem vorgezogenen Wahltermin gewarnt hatte, was indirekt den Zeitplan von Bundeskanzler Scholz unterstützte. Die Union warf ihr „Instrumentalisierung“ vor, was SPD-Vertreterin Katja Mast zurückwies. Hintergrund der Auseinandersetzung war Brands Ernennung durch Innenministerin Nancy Faeser (SPD) zur Präsidentin des Statistischen Bundesamts Anfang 2023, wodurch sie auch das Amt der Bundeswahlleiterin übernahm.[34] Brand erklärte in einer Sondersitzung des Wahlprüfungsausschusses im Bundestag, dass sie keine Einwände gegen eine Wahl im Februar habe und diese für rechtlich durchführbar halte.[35]
Internationale Reaktionen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die internationale Reaktion auf den Bruch der Ampelkoalition zeigte eine deutliche Besorgnis über die politische Instabilität, die zu einer Schwächung der deutschen Wirtschaft führen könnte. Dieser Zerfall der Koalition trat zu einem kritischen Zeitpunkt auf, da Deutschland bereits mit einer stagnierenden Wirtschaft, einer veralteten Infrastruktur und einer unzureichenden militärischen Vorbereitung konfrontiert war. Internationale Beobachter warnten, dass das Zerbrechen der Koalition auch das Vertrauen in die politische Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Union beeinträchtigen könnte. Dies erschwerte die Bemühungen um eine tiefere Integration der Union. Einige Analysten äußerten die Befürchtung, dass die politischen Turbulenzen in Deutschland populistischen Bewegungen, insbesondere der rechtspopulistischen AfD, Auftrieb geben könnten, was eine weitere Polarisierung der politischen Landschaft zur Folge haben könnte.[36]
Bewertungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Laut dem Politikwissenschaftler Uwe Wagschal von der Universität Freiburg „stellt der Bruch der Ampelkoalition eine besondere Herausforderung dar, da er zu einer Minderheitsregierung führt. In einem solchen System, in dem eine stabile Mehrheit fehlt, sind die Handlungsmöglichkeiten der Regierung stark eingeschränkt. Historisch gesehen sind Minderheitsregierungen in Deutschland eher ungewöhnlich, da sie auf die Unterstützung oder Duldung anderer Parteien angewiesen sind. Im Vergleich zu anderen Ländern, wie etwa Schweden, Kanada oder Spanien, wo Minderheitsregierungen auch über längere Zeiträume funktionsfähig waren, ist dieses Modell in Deutschland traditionell schwieriger umzusetzen. Besonders problematisch könnte es werden, wenn dringende Gesetzgebungsprozesse oder Krisenbewältigungen notwendig werden.“ Laut Waschgal „werden die politischen Ränder stärker und Themen wie Steuern, Migration und Staatsverschuldung gewinnen an Bedeutung, während Umwelt- und Klimaschutz sowie kulturelle Debatten weniger zentral werden. Zudem könnte die Zersplitterung der Parteienlandschaft steigen, was dazu führen könnte, dass einige Parteien die Fünf-Prozent-Hürde nicht überschreiten und somit nicht in den Bundestag einziehen.“[37]
Der Staatsrechtler Joachim Wieland äußerte gegenüber dem Spiegel, dass aus seiner Sicht keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Bundeskanzler verfassungswidrige Handlungen von Bundesfinanzminister Christian Lindner gefordert habe. Wieland betonte, dass die Interpretation des Grundgesetzes durch den Kanzler sich auf spezifische Bestimmungen beziehe, welche das Ziel verfolgen, in Krisensituationen außergewöhnliche Maßnahmen zur Finanzbeschaffung zu ermöglichen. Scholz habe demnach eine verfassungsrechtliche Grundlage angestrebt, um in Anbetracht der sicherheitspolitischen Lage zusätzliche Haushaltsmittel zur Unterstützung der Ukraine zu mobilisieren, ohne gegen die verfassungsmäßigen Vorgaben zu verstoßen.[38]
Der Staatsrechtler Alexander Thiele hielt einen Überschreitensbeschluss zur Schuldenbremse angesichts der politischen und wirtschaftlichen Lage für gerechtfertigt. Dieser Beschluss hätte es dem Bundestag erlaubt, die festgelegte Obergrenze der Schuldenbremse zu überschreiten, um in einer außergewöhnlichen Notsituation zusätzliche Kredite aufzunehmen. Thiele verwies auf die Unsicherheit durch die US-Wahl und mögliche wirtschaftliche Herausforderungen in Europa, etwa durch Zölle, die eine solche außergewöhnliche Notsituation dargestellt hätten.
Henning Tappe, Steuerrechtsexperte an der Universität Trier, sah den Überschreitensbeschluss als einen Grenzfall. Er betonte, dass die Situation nicht mit plötzlichen Ereignissen wie Naturkatastrophen oder der Pandemie vergleichbar gewesen sei, da der Finanzbedarf durch den Ukraine-Krieg schon länger bestanden habe und die Auswirkungen der US-Wahl nicht unvorhersehbar gewesen seien.[39]
Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte von der Universität Duisburg-Essen, sah die „Wutrede“ von Bundeskanzler Olaf Scholz gegen Finanzminister Christian Lindner als strategischen Schachzug im Vorfeld des Wahlkampfs. Für Korte erinnerte die Situation an die Ereignisse von 2005, als die damalige Regierung unter Gerhard Schröder und Franz Müntefering ebenfalls vorzeitig Neuwahlen anstrebte, was Schröder durch die Vertrauensfrage erreichte. Er beschrieb die Rede von Scholz als ungewöhnlich „kalt und persönlich abwertend“, was für den Kanzler untypisch sei, da Scholz normalerweise eher zurückhaltend agiere. Die Rede deutete auf tiefgreifende Spannungen zwischen den beiden hin und habe Lindner offenbar persönlich getroffen. Laut Korte habe Lindner „aufs falsche Pferd gesetzt“, da er als Finanzminister stark auf die Einhaltung der Schuldenbremse fokussiert war, was ihn letztlich in seiner Funktion scheitern ließ. Der Kanzler, so Korte, versuchte zu diesem Zeitpunkt, einen politischen Aufbruch zu organisieren, den er selbst anführen wollte.[40]
Historische Beispiele
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Auf Bundesebene sind Minderheitsregierungen in Deutschland bisher nur selten vorgekommen. Sie wurden etwa 1966 notwendig, nachdem die FDP ihre Minister aus dem Kabinett Ludwig Erhard (CDU) zurückzog, und 1982, als Helmut Schmidt (SPD) die FDP-Minister entließ. Diese Minderheitsregierungen bestanden jedoch meist nur für wenige Wochen.[41]
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Sabine Kinkartz: Warum Deutschlands Ampelkoalition zerbrochen ist. In: dw.com. 6. November 2024, abgerufen am 8. November 2024.
- ↑ Nicolas Richter: Staatsfinanzen: Die Ampel regiert am Rande der Rechtswidrigkeit, in: Süddeutsche Zeitung, 1. August 2024.
- ↑ Gerald Braunberger: Haushaltsstreit – Die Ampel ist am Ende, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18. August 2024
- ↑ Ellen Ehni: ARD-DeutschlandTrend: Zufriedenheit mit Ampel auf neuem Tiefstand. Abgerufen am 8. November 2024.
- ↑ Alexandra Gubser: Das Wichtigste zur Regierungskrise in Deutschland. In: srf.ch. 4. November 2024, abgerufen am 8. November 2024.
- ↑ Kristina Hofmann: Habeck will Milliarden für die Wirtschaft. In: zdf.de. 23. Oktober 2024, abgerufen am 8. November 2024.
- ↑ Der Spiegel vom 9. Nov. 2024, Seite 14f.
- ↑ Ende der Ampel: Olaf Scholz entlässt Christian Lindner – und beide rechnen hart miteinander ab. In: table.media. 6. November 2024, abgerufen am 8. November 2024.
- ↑ Friederike Haupt: Ampel-Aus: Christian Lindner gegen Olaf Scholz – Mann gegen Mann. In: faz.net. 7. November 2024, abgerufen am 8. November 2024.
- ↑ Jekaterina Jalunina: „So. Doof.“ – Der Moment, als Scholz mit Lindner brach und so das Ampel-Aus besiegelte. In: fr.de. 8. November 2024, abgerufen am 8. November 2024.
- ↑ Kanzler Scholz zur Entlassung des Finanzministers Christian Lindner. In: bundesregierung.de. Abgerufen am 7. November 2024.
- ↑ Ivana Sokola: Lindner verteidigt Beharren auf Schuldenbremse. In: zeit.de. 6. November 2024, abgerufen am 7. November 2024.
- ↑ Friederike Haupt: „Die Koalition ist so gescheitert, wie sie begonnen wurde“. In: faz.net. 10. November 2024, abgerufen am 10. November 2024.
- ↑ Claudia Buckenmaier: Ab jetzt ist Wahlkampf. In: tagesschau.de. 13. November 2024, abgerufen am 13. November 2024.
- ↑ Finn Michalski: Wissing verlässt FDP nach Kanzlergespräch: "Möchte mir selbst treu bleiben". t-online.de, 7. November 2024, abgerufen am 7. November 2024.
- ↑ Entlassung und Ernennung von Ministerinnen und Ministern der Bundesregierung. Der Bundespräsident, abgerufen am 8. November 2024 (Terminkalender: Donnerstag, 7. November 2024).
- ↑ Kanzler Scholz will im Januar Vertrauensfrage stellen. In: tagesschau.de. Abgerufen am 7. November 2024.
- ↑ So ist der Weg zur Neuwahl in Deutschland. In: spiegel.de. 7. November 2024, abgerufen am 8. November 2024.
- ↑ Monika Pilath: Olaf Scholz ist bereit zu Vertrauensfrage vor Weihnachten. In: zeit.de. 10. November 2024, abgerufen am 11. November 2024.
- ↑ Neuwahlen sollen am 23. Februar stattfinden. In: tagesschau.de. 12. November 2024, abgerufen am 12. November 2024.
- ↑ Neuwahl des Bundestags am 23. Februar – Steinmeier billigt Zeitplan. In: mdr.de. 12. November 2024, abgerufen am 13. November 2024.
- ↑ Scholz wirbt für wichtige Gesetze in letzter Minute. In: tagesschau.de. 13. November 2024, abgerufen am 13. November 2024.
- ↑ Robert Habeck nennt Entlassung von Christian Lindner "folgerichtig". In: zeit.de. 6. November 2024, abgerufen am 9. November 2024.
- ↑ Maximilian Kettenbach: Baerbock zitiert Lindner aus entscheidender Ampel-Sitzung – was das Fass zum Überlaufen brachte. In: fr.de. 9. November 2024, abgerufen am 10. November 2024.
- ↑ "Dürfen uns keine lange Hängepartie leisten". In: zdf.de. 8. November 2024, abgerufen am 10. November 2024.
- ↑ Tobias Peter: Christian Lindner hat ideologische Maximalforderungen gestellt“. In: stuttgarter-zeitung.de. 9. November 2024, abgerufen am 9. November 2024.
- ↑ "Lindner wollte nicht mehr". In: n-tv.de. 11. November 2024, abgerufen am 13. November 2024.
- ↑ "Das macht unser Land nicht stärker". In: tagesschau.de. 8. November 2024, abgerufen am 14. November 2024.
- ↑ Merz fordert von Scholz sofort Vertrauensfrage. In: tagesschau.de. Abgerufen am 7. November 2024.
- ↑ Ampel-Aus: Die Ereignisse zum Bruch der Koalition im Rückblick. In: br.de. 13. November 2024, abgerufen am 13. November 2024.
- ↑ Marko Schlichting: Merz: Scholz kommt „hinten und vorne“ mit Geld nicht aus. In: n-tv.de. 8. November 2024, abgerufen am 8. November 2024.
- ↑ Matthias Wyssuwa: Merz an Scholz: „Sie leben in Ihrer eigenen Welt“. In: faz.net. 13. November 2024, abgerufen am 13. November 2024.
- ↑ Bundeswahlleiterin warnt vor »unabwägbaren Risiken« bei einer Neuwahl im Januar. In: spiegel.de. 8. November 2024, abgerufen am 9. November 2024.
- ↑ Wenke Börnsen: Wie es nach dem Ampel-Aus weitergeht. In: tagesschau.de. 9. November 2024, abgerufen am 9. November 2024.
- ↑ Neuwahlen am 23. Februar nach Vertrauensfrage von Scholz im Dezember. In: mdr.de. 12. November 2024, abgerufen am 12. November 2024.
- ↑ Sarah Marsh, Andreas Rinke: Germany faces snap election as Scholz's coalition crumbles. In: reuters.com. 7. November 2024, abgerufen am 10. November 2024.
- ↑ Politikwissenschaftler Uwe Wagschal über den Bruch der Ampel-Koalition: „Die Träume von schnellen Neuwahlen sind illusorisch.“ In: uni-freiburg.de. 8. November 2024, abgerufen am 8. November 2024.
- ↑ Dietmar Hipp: Mit Verfassungsbruch hat das nichts zu tun. In: spiegel.de. 12. November 2024, abgerufen am 14. November 2024.
- ↑ Samuel Kirsch: Lindner zum Bruch des Amtseids gedrängt? In: zdf.de. 9. November 2024, abgerufen am 9. November 2024.
- ↑ Korte & Rink zum Ampel-Ende: Scholz hat noch nicht verloren. In: allgemeine-zeitung.de. 11. November 2024, abgerufen am 13. November 2024.
- ↑ Regieren ohne Mehrheit im Parlament. In: bundestag.de. Abgerufen am 10. November 2024.