Benutzerin:Emmy Sophie/Höfischer Roman
Der höfische Roman ist eine literarische Gattung und die epische Großform der höfischen Literatur vor allem des Hoch- und Spätmittelalters. Der höfische Roman verwendet alte Sagenstoffe, die keltischen, antiken und orientalischen Quellen entnommen wurden. Hauptpersonen dieser Dichtung sind Heldenfiguren, die idealisierte Versionen der an den Fürstenhöfen lebenden Ritter sind. Zu den Autoren dieser Dichtung gibt es unterschiedliche Erklärungen. Ausgehend vom Schreibstil und dem formellen sprachlichen Aufbau kommen Spielleute, Geistliche oder die Ritter selbst als Verfasser infrage.
Definition und Terminologie
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Begriff höfischer Roman bezieht sich auf die Erzählungen ritterlicher Abenteuer, wie sie zuerst an mittelalterlichen Adels- und Königshöfen etwa ab 1150 anzutreffen sind. Das Wort Roman geht zurück auf den altfranzösischen Ausdruck mettre en romanz (dt. „in einheimische Sprache übersetzen“, gemeint ist die Übersetzung häufig antiker Stoffe ins (Alt-)Französische).[1]
Mit Romanen sind in diesem Zusammenhang epische Texte des Mittelalters wie etwa der Versroman und später auch Prosatexte gemeint, aber nicht der Roman der heutigen Zeit, wie er sich Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts als populäre Literaturgattung etablierte. Die englische Sprache macht hier eine andere Unterscheidung als die deutsche, indem sie von romance (im Sinne von höfischem Roman) einerseits und novel (für längere Prosatexte) andererseits spricht. Im Deutschen wird Roman für jegliche Form längere Erzählung verwendet, genau wie sich im Spanischen novela ebenso auf die mittelalterlichen höfischen Epen wie auf die späteren Ritterromane eines Miguel de Cervantes beziehen kann.[2] In der deutschen Fachliteratur findet man statt höfischer Roman auch den allgemeineren Ausdruck höfische Epik.[3] Trotz dieser Unterscheidung sind höfischer Roman und heutiger Prosaroman nicht ohne Zusammenhänge, so hat der höfische Roman auch Einfluss auf spätere Entwicklungen des Romans bis in die heutige Zeit ausgeübt.
Form und Inhalte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Themen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Entsprechend einer Einteilung des Sängers Jean Bodel in seinem altfranzösischen Epos Chanson de Saisnes unterscheidt man für das höfische Epos drei große Themenkomplexe:
Ne sont que 3 matières à nul homme atandant,
De France et de Bretaigne, et de Rome la grant.
Es gibt nur drei Erzählstoffe, die jeder kennen sollte:
Den von Frankreich, den von Britannien und den von Rom, der ehrwürdigen (Stadt).
Die Literaturwissenschaft unterscheidet auf dieser Basis:
- Matière de Rome: Stoffe aus antiker, lateinischer Überlieferung wie der Trojanische Krieg oder die Geschichte des Alexander des Großen, z. B. verarbeitet im Roman d’Alexandre und anderen Antikenromane
- Matière de Bretagne: Stoffe aus keltischer Überlieferung wie Tristan und Isolde, König Artus oder Parzival, beispielsweise verarbeitet in den Artusromanen
- Matière de France: historische Stoffe etwa aus der karolingischen oder deutschen Geschichte, vor allem über Karl den Großen und seinen Umkreis
Zusätzlich nennt die Literaturwissenschaft noch orientalische oder hellenistisch-byzantinische Erzählstoffe.[4]
Die Themen, die die höfische Epik behandelt, sind außerordentlich vielfältig: Frühe höfische Epen wie das Rolandslied handeln Herrschaft, Krieg und Heldentod, ferner werden Brautwerbung und Erwerb von Reichtum früh thematisiert. Auch das Thema Liebe und die Minne (das dienende Liebesverhältnis des Ritters zu einer Dame der Gesellschaft) ist früh ein zentrales Thema der höfischen Romane, beispielsweise im ältesten deutschen Tristanroman von Eilhart von Oberg Ende des 12. Jahrhunderts.[4] Viele höfische Romane enthalten eine Reihe von Abenteuern (aventiuren), die der Ritter zur Ehre der geliebten Dame[5] vollbringt (oder zur Ehre des Hofes).
Form
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Höfische Romane sind in der Regel in Versform verfasst, und zwar im vierhebige Reimpaar, und der paargereimte Achtsilbler im Französischen. Der Vers wird im späten Mittelalter zunehmend durch Prosa abgelöst wird.[6]
Ideal und Wirklichkeit im höfischen Roman
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die literaturwissenschaftliche und literaturhistorische Forschung geht davon aus, dass der höfische Roman ein idealisiertes Bild der höfischen Lebenswelt wiedergibt und nicht als realistische Schilderungen der Wirklichkeit im Mittelalter anzusehen sind. Häufig werden idealisierte Schilderungen einer fernen Vergangenheit genutzt, um darzustellen, was man in der Gegenwart als erstrebenswert erachtet.[7] Häufig diente der höfische Roman auch der Vermittlung des idealen adeligen Lebensmodells in der Erzählung.[8]
Ursprünge und Entwicklung des höfischen Romans
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Entwicklung des höfischen Romans begann in der Mitte des 12. Jahrhunderts mit den Antikenromanen, freie Übersetzungen von lateinischen Epen und Chroniken ins Französische an frankophonen Königshöfen des europäischen Mittelalters. Zu diesen frühen Antikenromanen zählten der Roman d'Eneas (über den antiken Helden Äneas) und der Roman de Troie, Nacherzählungen klassischer antiker Epen mit fantasievollen Ergänzungen. Ein weiterer erster höfischer Roman ist der Roman de Brut des anglonormannischen Dichters Wace (ca. 1155), der die Historia regum Britanniae des englischen Historikers Geoffrey von Monmouth adaptierte und dabei nicht nur die legendäre Gründung Britanniens durch Brutus, Äneas' Schwiegersohn, verarbeitete, sondern auch die Legende von König Artus und der Tafelrunde.[9]
Der Artusroman gelangte durch Chrétien de Troyes auf den europäischen Kontinent. Aus deutschsprachigem Gebiet stammt der erste höfische Roman von Heinrich von Veldeke (Eneasroman, entstanden zwischen 1170 und 1190 nach einer französischen Bearbeitung von Vergils Aeneis). Neben Hartmann von Aue (Erec 1180, Iwein 1202) und Gottfried von Straßburg (Tristan, zwischen 1200 und 1210) steht Wolfram von Eschenbach mit seinem Gralsepos Parzival (um 1200–1210).
Weitere Beispiele/Weiterentwicklungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Abor und das Meerweib (1300–1350), Fragment
- Aucassin und Nicolette (13. Jh.), unbekannter Autor
- Reinfried von Braunschweig (13./14. Jh.), unbekannter Autor
- Blanschandin, (13. Jh.)
- Edolanz (13. /14. Jh.)
- Amadís de Gaula
- Paris und Vienne von Pierre de la Cépède von 1487.
Autoren, Publikum, Auftraggeber und Überlieferung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Aufgrund des Aufwands und der Kosten für ein Manuskript benötigt jeder Text einen Auftraggeber oder Mäzen. Der Dichter oder Autor stellt seine Fähigkeiten in den Dienst des Auftraggebers, in der Regel der Adel, angefangen von den Territorialfürsten bis hin zum niederen Adel oder geistlichen Würdenträgern; später (ab dem 13. Jahrhundert) kam noch der Stadtadel hinzu.[10] Das Erstellenlassen einer eigenen (kunstvoll gestalteten) Abschrift eines Manuskripts (meist populären Stoffs) unterstrich die Bildung des Auftraggebers und seinen Reichtum.
Insbesondere höfische Romane aus dem deutschsprachigen Raum entstanden als Übersetzungen oder freiere Übertragungen aus anderen Sprachen, insbesondere aus dem Altfranzösischen.[11]
Für Texte bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts ist es mit wenigen Ausnahmen heute kaum möglich, Aussagen über den Autor zu machen: Frühe mittelalterliche Texte wurden in der Regel anonym verfasst. Dies ändert sich ab der Mitte des 12. Jahrhunderts, als sich zunehmend Autoren in ihren Texten zu erkennen geben; dies gilt auch für die aufkommenden höfischen Romane. In höfischen Romanen nennen die Autoren ihren Namen an prominenter Stelle und nutzten ihre Texte sogar, um ihre Autorenschaft dort explizit zu thematisieren, auch um sich selbst zu profilieren.[12]
Über Herkunft und Stand der Autoren der höfischen Romane kann die literaturwissenschaftliche Forschung nur indirekt Schlüsse ziehen. Obwohl für die höfischen Romane uns Namen der Autoren vorliegen, ist es kaum möglich, etwas über ihren sozialen Stand zu sagen. Von einigen wenigen Autoren, so beispielsweise Hartmann von Aue, gibt es die Angabe, sie seien Ministerialien gewesen. Ob Aussagen echte biografische Angaben oder nur fiktiv sind, lässt sich nicht klären. Von vielen Epikern des Mittelalters, z.B. Wolfram von Eschenbach, Gottfried von Straßburg oder Konrad von Würzburg nimmt die literaturwissenschaftliche Forschung an, dass sie Berufsdichter gewesen seien.[13]
Adressaten der weltlichen Literatur des Mittelalters waren die Auftraggeber (Mäzene) der Literatur, in der Regel weltliche Fürsten sowie die Angehörigen ihres Hofes. Belegt ist, dass auf Hoffesten Sangsprüche oder Minnelieder vorgetragen wurden. Für kürzere epische Stücke oder Auszüge aus längeren höfischen Romanen ist das auch denkbar, aber die Vorträge längerer epischer Texte wie höfische Romane konnte wohl nur von Personen in Gänze angehört werden, die sich permanent am Hofe aufhielten. Im späten Mittelalter differenzierte sich das Publikum weiter aus, und es kamen adelige und stadtadelige Adressaten hinzu.[14] Ungeklärt ist, ob höfische Romane primär über einen Vortrag oder durch individuelle Lektüre rezipiert wurden.[15]
Mittelalterliche höfische Romane sind teilweise nur in wenigen Manuskripten erhalten[16] und bilden den Übergang zwischen oraler Tradierung und der ab 1500 durch den Buchdruck verbreiteten Schriftkultur.
Rezeption
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der höfische Roman erlebte seinen Höhepunkt im hohen und späten Mittelalter, danach ging er über in den Ritter- und Abenteuerroman des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit. Der höfische Roman bzw. seine Weiterentwicklung als Ritterroman wurde zunehmend als überholt wahrgenommen oder sogar parodiert. Klassisches Beispiel einer solchen Parodie ist Cervantes' Don Quijote.
Heutige Fantasyromane in den Untergattungen High Fantasy oder Sword and Sorcery berufen sich ebenfalls auf den höfischen Roman.
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Einführungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Dorothea Klein: Mittelalter. Lehrbuch Germanistik, 2. Auflage. Metzler, Stuttgart 2015, ISBN 978-3-476-02596-8. (allgemeine Einführung in die Literatur des Mittelalters)
- Roberta L. Krueger (Hrsg.): The Cambridge Companion to Medieval Romance. Cambridge University Press, Cambridge 2000, ISBN 0-521-55687-2.
- Volker Mertens, Ulrich Müller (Hrsg.): Epische Stoffe des Mittelalters. Kröner, Stuttgart 1984, ISBN 3-520-48301-7.
Ideal und Wirklichkeit im höfischen Roman
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Xenja von Ertzdorff: Die Wahrheit der höfischen Romane des Mittelalters. In: Zeitschrift für deutsche Philologie. Band 86, 1967, S. 375–389.
- Hans Ulrich Gumbrecht: Wie fiktional war der höfische Roman? In: Dieter Henrich, Wolfgang Iser (Hrsg.): Funktionen des Fiktiven. München 1983, S. 433–440.
- Erich Köhler: Ideal und Wirklichkeit in der höfischen Epik. Studien zur Form der frühen Artus- und Graldichtung. 2. Auflage. Tübingen 1970 (= Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie. Band 97).
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Roberta L. Krueger: Introduction. In: Roberta L. Krueger (Hrsg.): The Cambridge Companion to Medieval Romance. Cambridge University Press, Cambridge 2000, ISBN 0-521-55687-2, S. 1.
- ↑ Marina S. Brownlee: Medieval Spanish paradigms and Cervantine revisions. In: Roberta L. Krueger (Hrsg.): The Cambridge Companion to Medieval Romance. Cambridge University Press, Cambridge 2000, ISBN 0-521-55687-2, S. 254.
- ↑ So z.B. bei Dorothea Klein: Mittelalter. Lehrbuch Germanistik, 2. Auflage. Metzler, Stuttgart 2015, ISBN 978-3-476-02596-8, S. 158.
- ↑ a b Dorothea Klein: Mittelalter. Lehrbuch Germanistik, 2. Auflage. Metzler, Stuttgart 2015, ISBN 978-3-476-02596-8, S. 158.
- ↑ Vgl. auch die politische Rolle der Frauen: P. Kellermann-Haaf: Frau und Politik im Mittelalter. Untersuchungen zur politischen Rolle der Frau in den höfischen Romanen des 12., 13. und 14. Jahrhunderts (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik. Band 456). Kümmerle Verlag, Göppingen 1986, ISBN 3-87452-691-7.
- ↑ Dorothea Klein: Mittelalter. Lehrbuch Germanistik, 2. Auflage. Metzler, Stuttgart 2015, ISBN 978-3-476-02596-8, S. 78.
- ↑ Erich Köhler: Ideal und Wirklichkeit in der höfischen Epik. Studien zur Form der frühen Artus- und Graldichtung. 2. Auflage. Tübingen 1970 (= Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie. Band 97), S. 5.
- ↑ Dorothea Klein: Mittelalter. Lehrbuch Germanistik, 2. Auflage. Metzler, Stuttgart 2015, ISBN 978-3-476-02596-8, S. 207.
- ↑ Roberta L. Krueger: Introduction. In: Roberta L. Krueger (Hrsg.): The Cambridge Companion to Medieval Romance. Cambridge University Press, Cambridge 2000, ISBN 0-521-55687-2, S. 2.
- ↑ Dorothea Klein: Mittelalter. Lehrbuch Germanistik, 2. Auflage. Metzler, Stuttgart 2015, ISBN 978-3-476-02596-8, S. 98.
- ↑ Dorothea Klein: Mittelalter. Lehrbuch Germanistik, 2. Auflage. Metzler, Stuttgart 2015, ISBN 978-3-476-02596-8, S. 27.
- ↑ Dorothea Klein: Mittelalter. Lehrbuch Germanistik, 2. Auflage. Metzler, Stuttgart 2015, ISBN 978-3-476-02596-8, S. 104-107.
- ↑ Dorothea Klein: Mittelalter. Lehrbuch Germanistik, 2. Auflage. Metzler, Stuttgart 2015, ISBN 978-3-476-02596-8, S. 108.
- ↑ Dorothea Klein: Mittelalter. Lehrbuch Germanistik, 2. Auflage. Metzler, Stuttgart 2015, ISBN 978-3-476-02596-8, S. 112-113.
- ↑ Dorothea Klein: Mittelalter. Lehrbuch Germanistik, 2. Auflage. Metzler, Stuttgart 2015, ISBN 978-3-476-02596-8, S. 20.
- ↑ Dorothea Klein: Mittelalter. Lehrbuch Germanistik, 2. Auflage. Metzler, Stuttgart 2015, ISBN 978-3-476-02596-8, S. 119-120.
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