Sayte

[1007] Sayte. (Musik)

Die genaue Untersuchung dessen, was bey dem Klang einer stark gespannten Sayte theils durch Beobachtung, theils durch Rechnungen kann entdeket werden, hat in der Theorie der Musik so vielfachen Nuzen, da� die klingende Sayte hier einen besondern Artikel verdienet.

Aus genauer Beobachtung dieser Sayte hat man gelernt, woher eigentlich der Unterschied zwischen Schall und Klang komme, und da� bey diesem einzele Schl�ge so schnell auf einander folgen, da� der Zeitraum von einem Schlag zum andern unmerklich wird.1 Der Klang einer stark gespannten Sayte wird durch die sehr schnellen Schwingungen, oder das schnelle hin- und her- Fahren der Sayte verursachet. Je schneller diese Schwingungen auf einander folgen, je h�her wird der Ton.

Aus dieser Entdekung hat man den Vortheil gezogen, da� man sowol die absolute H�he eines Tones, als die relative oder verh�ltni�m��ige H�he zweyer T�ne gegeneinander, das ist, die Gr��e der Intervalle, durch Zahlen ausdruken konnte. N�mlich die T�ne verhalten sich in Absicht auf ihre H�he gegeneinander, wie die Zahlen der Schl�ge, oder Schwingungen, welche die Sayten in einerley Zeit machen. Wenn also eine Sayte zwey- drey- vierhundert Schl�ge thut, in eben der Zeit, da eine andere nur ein hundert macht, so ist der Ton jener Sayte zwey, drey, oder viermal h�her als der andere. Und hierauf gr�ndet sich die ganze Berechnung der T�ne.2

Wenn man alles, was zu diesen Berechnungen geh�rt, verstehen will, so mu� man sich einen einzigen Saz, dessen Wahrheit die Mathematiker, nach ihrer Art, strenge bewiesen haben, genau bekannt machen. Deswegen wollen wir diesen Saz hier deutlich vortragen.

Man stelle sich zwey wolgespannte Sayten von einerley Materie, als Kupfer- oder Silberdrat, vor. Wenn beyde gleichlang, gleichdik und gleichstark gespannt sind, auch gleichstark gezupft, oder angeschlagen werden, so begreift man, da� sie im Unisonus klingen m�ssen; weil bey der einen alles ist, wie bey der anderen. Jederman wei� aber, da� der Unterschied zwischen etwas st�rkern und schw�chern Zupfen der Sayte ihren Ton in Absicht auf die H�he nicht �ndere, folglich kann dieser Umstand weggelassen werden. Also bleiben in Absicht auf die H�he des Tones, der hier allein in Betrachtung kommt, nur noch drey Umst�nde �brig, wodurch sie bestimmt wird. 1. Die L�ngen der Sayten; 2. ihre Dikken, 3. ihre Spannungen. Wird in einem dieser Umst�nde etwas ver�ndert, so leidet auch die H�he des Tones eine Ver�nderung. Damit man aber deutlich sehe, was f�r Ver�nderung in der H�he des Tones durch Aenderung eines der bemeldten drey St�ke verursachet werde, mu� man das allgemeine Gesez von den Schwingungen solcher Sayten vor Augen haben. Dieses Gesez dr�kt Euler3 durch folgende symbolische Vorstellung aus

Sayte

deren Sinn wir vor allen Dingen erkl�ren m�ssen.

Durch υ wird die Anzahl der Schwingungen ausgedr�kt, die die gezupfte Sayte in einer Secunde Zeit macht. Durch n wird die St�rke der Spannung der Sayte angedeutet. Sie mu� aber durch ein Gewicht so ausgedr�kt werden, da� n anzeiget, wie vielmahl es das Gewichte der Sayte �bersteigt. Durch a wird die L�nge der Sayte ausgedr�kt, und wenn man obiges Grundgesez ganz auf Zahlen bringen will, so mu� diese L�nge nach Scrupeln des Rheinl�ndischen Fu�es gemessen werden, deren 1000 einen Fu� ausmachen. Wenn also die Sayte drey und einen halben Fu� lang w�re, so m��te man statt a, die Zahl 3500 sezen. Endlich ist noch zu merken, da� das Zeichen Sayteso viel bedeute, da� man von der Zahl vor welcher es stehet, die Quadratwurzel nehmen m�sse. Dieses vorausgesezt, wollen wir nun zeigen, was f�r einen Gebrauch man von dem angef�hrten Grundgesez machen k�nne.

[1007] Wenn eine Sayte von gegebener L�nge, Dike und Spannung gegeben ist, so kann man allemal finden, wie viel Schwingungen sie in einer Secunde mache. Wie folgendes Beyspiehl zeiget.

Die Sayte sey 21/2 rheinl�ndische Fu� lang, das ist 2500 Scrupel; so wird diese Zahl statt a gesezt. Ferner sey das Gewichte, wodurch sie gespannt wird 10000 mal schweerer, als die Sayte, so wird diese Zahl statt des Buchstabens n gesezt. Alsdenn wird das Gesez der Schwebungen so ausgedr�kt

Sayte

Dieses bedeutet nun so viel; die Anzahl der Schl�ge welche diese Sayte in einer Secunde macht, oder υ werde gefunden, wenn man 3166 durch 10000 multiplicirt, das was herauskommt durch 2500 dividirt, aus dem Quotienten die Quadratwurzel auszieht, und diese hernach durch den Bruch 355/113 multiplicirt. F�hret man diese Rechnung aus, so findet man, da� diese Sayte in einer Secunde 353 1/2 Schl�ge thue.

Hiedurch k�nnte man den Vortheil erhalten, ein absolutes Tonmaa� auf die Nachwelt zu bringen. Wir wissen nun nicht mehr wie hoch der tiefste, oder der h�chste Ton des griechischen Systems gewesen ist. Uns aber w�r es leicht den Umfang unsers Tonsystems, n�mlich den tiefsten und h�chsten Ton desselben so weit in die Nachwelt zu bringen, als unsre Schriften selbst reichen werden. Nach Eulers Sch�zung gab eine Sayte, die in einer Secunde 392 Schwingungen machte, den Ton A, daher denn folget, da� das Contra A von einer Sayte angegeben w�rde, die 98 Schwingungen in einer Secunde macht, folglich das Contra C, wenn man dieses f�r den tiefsten Ton annehmen wollte, von einer Sayte von 58 4/5 Schwingungen in einer Secunde. Ich f�hre dieses nur als ein Beyspiehl an; denn wenn man die Sach im Ernst festsezen wollte, so m��te man eine Sayte vermittelst eines Gewichtes genau in unsern tiefsten Ton stimmen, und denn deren L�nge, Dike und Gewicht genau messen. Um aber der Nachwelt diesen Ton genau anzugeben, auch auf den Fall, da� unser Fu�maa� nicht bis auf sie kommen sollte, m��te dabey erinnert werden, da� die L�nge der Sayte nach einem solchen Maa�e zu bestimmen sey, wovon 3166 Theile die L�nge eines Uhrperpendikels machen, der Secunden schl�gt. Alsdenn w�r nach viel tausend Jahren, wenn sich die Wissenschaften erhalten, ein Tonsystem gerade so zu stimmen, wie wir izt es thun. Doch dieses sey im Vorbeygang gesagt.

Man kann aus dem angef�hrten Grundgesez der Schwingungen diese Folgen ziehen.

1. Zwey gleich lange und gleich dike Sayten, geben T�ne, die sich in Absicht auf die H�he verhalten, wie die Quadratwurzeln ihrer Spannungen, oder wie die Anzahl ihrer Schwingungen, in gleicher Zeit.

2. Wenn die Sayten gleich lang und gleich gespannt sind, so verhalten sich ihre T�ne umgekehrt, wie die Diken der Sayten; n�mlich die nur halb so dik ist, als die andere, wird noch einmal so hoch, oder in der Octave der ersten seyn.

3. Wenn die Spannungen und die Diken zweyer Sayten gleich sind, so verhalten sich die T�ne umgekehrt, wie die L�ngen.

Also hat man dreyerley Mittel den Ton der Sayten zu �ndern, n�mlich ihre Dike, oder L�nge, oder ihre Spannung anders zu nehmen. Von diesen Mitteln kann man bey Stimmung eines Sayteninstruments eines, oder zwey, oder alle drey zugleich brauchen. Allein, es ist keinesweges gleichg�ltig, was f�r eine Wahl man dabey treffe. Denn da man angemerkt hat, da� der Ton der Sayten am vollesten und angenehmsten wird, wenn die Sayte ohngef�hr die st�rkste Spannung hat, die m�glich ist, so w�rde man sehr �bel thun, wenn man bey gleicher Dike und L�nge die H�he des Tones durch Nachlassung der Spannung vermindern wollte.

Aus diesen Betrachtungen w�ren die Regeln zu der vollkommensten Beziehung, oder Besaytung der Instrumente herzuleiten. Da aber dergleichen praktischen Materien au�er der Sph�re dieses Werks liegen, so k�nnen wir uns dabey nicht aufhalten.

Eine wichtige Erscheinung der klingenden Sayten ist es, da� jede, besonders, wenn der Ton etwas tief ist, mehrere T�ne zugleich angiebt. Davon aber haben wir im Artikel Klang hinl�nglich gesprochen.

Endlich mu� hier noch angemerkt werden, da� die Reinigkeit des Klanges (nicht des Intervalls) einer Sayte davon herr�hre, da� sie 1. eine hinl�ngliche Spannung habe, 2. mit hinl�nglicher St�rke, nur nicht �bertrieben, und 3. an einer schicklichen Stelle angeschlagen oder gezupft werde, damit die ihr beygebrachte Bewegung die Sayte nach ihrer ganzen L�nge in dieselbe Schwingung sezen k�nne, [1008] 4. da� sie durchaus einerley Dike habe, ohne welches die Schwingungen nicht regelm��ig seyn k�nnen.

1S. Klang.
2S. Klang. Harmonie.
3S. Euleri tentamen nov� theorin Music�. p. 6.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Sch�nen K�nste, Band 2. Leipzig 1774, S. 1007-1009.
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