Frage

[401] Frage. (Redende K�nste)

Eine rednerische Figur, nach welcher man einem Satz den Schein der Ungewi�heit giebt, um seine Gewi�heit desto lebhafter f�hlen zu machen. Die Frage, in so fern sie eine rednerische Figur ist, ist eigentlich keine Frage, sondern eine h�chst zuversichtliche Behauptung. Wenn Hagedorn fr�gt:


Wenn machte sich das Lob der Tugend eigen?

Wenn war es nicht des Gl�kes Folgemagd?1


so behauptet er, da� das Lob der Tugend nie eigen gewesen, sondern immer dem Gl�k gedient habe.

Man f�hlt leicht, wie durch das Zweifelhafte der Frage die Gewi�heit der Sache erh�ht werde. Sie ist eine zuversichtliche Auffoderung die Sache zu leugnen, weil man sicher ist, da� sie nicht kann geleugnet werden. Also entsteht sie nat�rlicher Weise aus der F�lle der Ueberzeugung, die keinen Widerspruch f�rchtet; sie ist nicht nur an sich die kr�ftigste Bejahung, sondern macht, da� der Zuh�rer, indem er aufgefodert wird, die Sache zu leugnen, ihre Wahrheit desto lebhafter f�hlt, weil er sie nicht leugnen kann; ob man ihm gleich einigermaa�en Troz bietet, es zuthun.

Hieraus l��t sich abnehmen, da� sie nur da m�sse gebraucht werden, wo es n�thig ist, dem Zuh�rer eine offenbare Wahrheit mit Kraft und Nachdruk vorzustellen. Nicht deswegen, als ob er sonst die Wahrheit nicht erkennen w�rde, sondern weil er sonst nicht aufmerksam genug darauf seyn m�chte.

Sie dienet auch der Rede den Ton der Wahrheit und der Ueberzeugung zu geben, weil auch im gemeinen Leben die Menschen nur alsdenn, wenn sie innigst �berzeuget sind, ohne Ueberlegung, sich dieser Figur bedienen.

Sie mu� aber nicht gemi�braucht werden; welches geschehen w�rde, wenn sie da vork�me, wo es nicht n�thig ist, den S�tzen einen besondern Nachdruk zu geben. Es ist damit wie mit dem Nachdruk, der einem Wort oder einer Redensart durch ausserordentliche Erhebung der Stimme gegeben wird. Der Redner wird frostig, wenn er dieses am unrechten Orte thut. Deswegen mu� auch die Frage nur da vorkommen, wo die Rede am intressantesten wird. Junge Redner, die nicht genug Ueberlegung und Beurtheilung haben, dieses zu f�hlen, bringen bisweilen an gleichg�ltigen Stellen diese Figur an, um der Rede mehr Leben zu geben, und machen dadurch gerade, da� sie alles Leben verliert. Denn wer da wichtig thut, wo kein wichtiger Gegenstand ist, der wird l�cherlich. Es ist weit rathsamer sich dieser Figur ganz zu enthalten, als sie am unrechten Ort anzubringen.

Es giebt auch Fragen, wodurch die Rede blos naiv wird; weil sie etwas so einf�ltiges an sich haben, da� man glaubt, dem der redet, auf den innersten Grund des Herzens zu sehen; daher diese blos naive Frage in der Fabel oft vork�mmt. Es geschieht auf zweyerley Art; entweder thut der Dichter eine Frage, die im Grund ein Stich ist, den er [401] der Person versezt, die er l�cherlich machen will; wie wenn Gellert in der Fabel von der Bethschwester fragt:


Was kann sie denn daf�r, da� es die Leute sehen?


Oder er legt die Frage dieser Person selbst in den Mund, und macht sie so dumm, da� der Frager l�cherlich wird.

1Der Weise in Hagedorns moralisch. Gedichten.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Sch�nen K�nste, Band 1. Leipzig 1771, S. 401-402.
Lizenz:
Faksimiles:
401 | 402
Kategorien: