Flei�

[389] Flei�. (Sch�ne K�nste)

Die Bestrebung, ein Werk der Kunst auch in den kleinsten Theilen mit der �ussersten Aufmerksamkeit vollkommen zu machen, folglich jede kleinste Sch�nheit zu erreichen, und die geringsten Fehler oder M�ngel auszubessern1. Der Flei� geh�rt demnach zur Ausf�hrung und Ausbildung, wovon bereits in besondern Artikeln gesprochen worden. Weil die gr��ten Sch�nheiten eines Werks der Kunst in gro�en Gedanken bestehen, welche die Vorstellungs- und Begehrungskr�fte mit starken Schl�gen angreiffen, so kann ein Werk eine starke W�rkung thun, an welches kein Flei� ist gewendet worden. Ein Werk, dessen gr��te W�rkung von [389] Haupttheilen herk�mmt, darf auch nur in den Haupttheilen vollkommen seyn, weil man bey dem starken Gef�hl der Vollkommenheit auf die Kleinigkeiten nicht sieht. Wer gro�e und sehr merkw�rdige Dinge zu erz�hlen hat, der erwekt gro�e Aufmerksamkeit, und macht starken Eindruk, wenn er gleich auf die Kleinigkeiten der Rede, die beste Wahl der Redensarten, der W�rter, der T�ne, der Stimme und der Geb�hrden gar nicht sieht. Der Mahler oder Bildhauer, der uns eine Figur oder ein Bild darstellt, das durch die besten Verh�ltnisse des K�rpers, durch eine sehr edle Stellung und durch einen gro�en Charakter r�hrt, braucht nicht auf Kleinigkeiten der Ausbildung, nicht auf die h�chste Sch�nheit der F�rbung oder des Glatten, nicht auf die Richtigkeit in den geringsten Falten des Gewandes, oder andre Nebensachen zu sehen: er gef�llt hinl�nglich. Und diese Beschaffenheit hat es mit allen Werken der Kunst, die in ihrer Erfindung und in ihren Haupttheilen gro� sind; der �usserste Flei� kann da schaden, wenigstens ist er unn�tze.

Hingegen ist er in den Werken oder Theilen derselben n�thig, deren Vollkommenheit aus vielen kleinen Verh�ltnissen, aus subtilen Vergleichungen herk�mmt, von welcher Art alle feinen Gegenst�nde, alles Kleine, Niedliche, alles, dessen Wesen aus der Sammlung oder Zusammenfa�ung vieler kleinen Theile besteht, sind.

Die W�rkung des Flei�es ist demnach das Feine in jedem kleinsten Theile des Werks. Wenn Wahrheit und Richtigkeit da sind, so kann das Feine noch hinzukommen. Ein Marmorbild kann die Figur mit voller Wahrheit und Richtigkeit darstellen, so da� es einem, der sie aus einer gewissen Stellung betrachtet, nicht m�glich w�re, etwas daran auszusetzen, sie ist aber nicht fein polirt, die Umrisse sind nicht bis auf die kleinesten Z�ge der Linien ausgef�hrt, alsdann ist nicht der �usserste Flei� daran gewendet. Eben so kann ein Gem�hlde dasjenige, was es vorstellen soll, vollkommen vorstellen, ohne da� jeder Strich des Pinsels in die n�chsten verflie�t, ohne da� jedes kleine Glied der Figuren, jede Falte des Gewandes, jedes Blatt an B�umen so ausgef�hrt sey, da� es einzeln betrachtet in allen seinen Theilen vollendet sey. So fehlt auch diesem der Flei�.

Hieraus l��t sich abnehmen, in was f�r F�llen der �usserste Flei� unn�tz, oder gar sch�dlich sey, und wenn er ein n�thiges Mittel zur Vollkommenheit werde. In den Dingen, die f�r das Gesicht gemacht sind, folglich in allen bildenden K�nsten ist der Flei� unn�tze, wenn das Werk der Kunst weit aus dem Auge soll gesetzt werden; denn da verlieren sich alle kleinen Theile. Es w�re vollkommen unn�tz, in einem Bilde, das auf eine hohe S�ule, oder auf ein Geb�ude gesetzt wird, alle feinen Z�ge des Gesichts, alle Falten der Haut, alle zarten Erh�hungen und Vertiefungen, v�llig auszudr�ken. Man wei� gar wol aus der Geschichte der beyden Bildhauer in Athen, da� in solchen F�llen der Flei� schadet, weil er die W�rkung des Ganzen hindert. Wer ein Dekengem�hlde in ein hohes Zimmer nach Mignaturart, oder nur nach der gew�hnlichen Art kleiner Staffeleygem�hlde ausf�hren wollte, w�rde dem Auge, das weit vom Gem�hlde steht, nichts Reitzendes vorlegen, wenn die Figuren noch so gro� w�ren; denn die St�rke der Farben, welche in der N�he hinreichende W�rkung thun, verlieret sich in der Entfernung; was aber von ferne her stark w�rken soll, mu� auch stark, und f�r die N�he grob und rohe seyn.

Eben dieses mu� man auch f�r die Gegenst�nde bemerken, die zwar das Aug in der N�he hat, die aber in Vergleichung andrer auf demselben Gem�hlde weit entfernt sind.

Zweytens ist der Flei� unn�tze, wenn ein Gegenstand blos im Ganzen genommen w�rken soll. Gesetzt, eine Landschaft sey in der Natur blos wegen einer sehr sch�nen Austheilung des Hellen und Dunkeln, oder wegen der sch�nen Harmonie der Farben angenehm; so hat der Mahler seinen Zwek v�llig erreicht, wenn er dieses darstellt, und hingegen keinen einzigen einzeln Theil, weder in seiner Zeichnung noch besondern Erleuchtung mit Flei� ausf�hrt. Eben so unn�tz w�re der Flei�, den ein Tonsetzer auf jede einzele Stimme in einem Chor oder Tutti wenden wollte, da der Gesang im Ganzen w�rken mu�. Dieselbe Beschaffenheit hat es mit einer Rede oder einem Haupttheile derselben, da die Aufmerksamkeit blos auf die allgemeine Beschaffenheit einer Sache gehen soll. Wenn man da auf jeden besondern Begriff Flei� wenden, jedes einzele Wort, oder jeden einzeln Satz vollkommen flei�ig bearbeiten wollte, so w�re dieses eine unn�tze M�he. [390] Der Flei�, den man in solchen F�llen auf Nebensachen wenden wollte, w�re auch sehr sch�dlich. Er w�rde unsre Aufmerksamkeit dem Ganzen entziehen. Wer einen Helden vorstellen wollte, dessen Gr��e in den Gesichtsz�gen und der Stellung m��te bemerkt werden, w�rde seinem Werk schaden, wenn er das Gewand, oder die Waffen, so flei�ig bearbeiten wollte, da� sie das Auge nothwendig auf sich z�gen. Es ist demnach eine gro�e Klugheit, den Nebensachen den Flei� zu entziehen. Dies ist die docta negligentia vieler Alten.2 Wer in einer Rede, darin von einer sehr wichtigen Angelegenheit gehandelt wird, eine solche Zierlichkeit, einen solchen Klang und solche Feinigkeit der Ausdr�ke brauchen wollte, da� die Aufmerksamkeit des Zuh�rers auf diese Sache gelenkt w�rde, der m��te seinen Zwek nothwendig verfehlen.

Wir k�nnen also �berhaupt diese Regel festsetzen, da� der Flei� �berall sch�dlich sey, wo er die Aufmerksamkeit von der Hauptsache abzieht, es sey, da� sie auf Nebensachen, oder gar von dem Werke auf den K�nstler und dessen Bearbeitung, gegen die Absicht gelenket werden.

Wenn ein Redner sich �ber eine Anklage rechtfertigen und beweisen wollte, da� er ein redlicher Mann sey, so w�rde er seines Zweks verfehlen, wenn seine ganze Rede so k�nstlich und so fleissig w�re, da� der Zuh�rer nur darauf Achtung g�be. Auch da ist der Flei� sch�dlich, wenn er in Trokenheit und M�hesamkeit ausartet; denn beyde sind der Leichtigkeit und Freyheit entgegen. In allen kleinen, artigen, und in blos erg�tzenden Gegenst�nden ist der Flei� gut, wenn er nur mit hinl�nglicher Freyheit und W�rkung des Ganzen verbunden wird, wie in den Werken eines G. Dow. und Fr. Mieris.

1Characterem felicis Aesthetici coronat correctionis studium (lim� labor et mora) seu habitus protensa attentione in pulcre informatum opus, quantum possis, minores, minutorum etiam ejus partium perfectiones augendi, tollendi imperfectiones, aliquantula ph�nomena, citra detrimentum totius. Baumgarten Aesthet. �. 97.
2Qu�dam etiam negligentia est diligens. Cic. in Orat.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Sch�nen K�nste, Band 1. Leipzig 1771, S. 389-391.
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