Zum Inhalt springen

Seite:Meyers b1 s0111.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Version vom 21. April 2022, 18:09 Uhr von Mapmarks (Diskussion | Beiträge) (Korrigiert: E-text von retrobib + korr.)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version ansehen (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 1

wird, oder infolge eines Parlamentsspruchs kann der Peer verhaftet werden. Die Peers werden bei Kriminalvergehen entweder vor das Gericht des Lord-Großhofmeisters (Lord High Steward) oder vor das Oberhaus als Oberparlamentsgericht gezogen und somit nur von Standesgleichen, bei geringern Vergehen (Schmähungen, Schlägereien u. dgl.) dagegen, wie jeder andre, vom Geschwornengericht abgeurteilt. Sie haben das Vorrecht, in Gerichtshöfen mit bedecktem Haupt zu sitzen. Als Geschworne geben sie ihre Aussprüche (verdict) nicht auf Eid, sondern auf ihr Ehrenwort; als Zeugen aber müssen sie den Eid wie andre ablegen. Nach dem Gesetz unterliegt jeder, der Schmähungen gegen einen Peer ausstreut, besondern, durch mehrere Parlamentsakten festgesetzten Strafen. Ein Peer als erblicher Rat des Königs ist befugt, vom König Gehör zu verlangen, um ihm auf ehrfurchtsvolle Weise in Angelegenheiten, die von Wichtigkeit scheinen, Vortrag zu halten. Endlich können Peers ihren A. nur durch Verurteilung zum bürgerlichen Tod (attainder) oder durch Aussterben verlieren. Der Rang der einzelnen Peers derselben Klasse richtet sich nach dem Alter, wenn nicht amtliche Bestimmungen hinzukommen. Der Erzbischof von Canterbury steht als Lord-Primas von ganz England an der Spitze der Peers. Das wichtigste Privilegium für alle Lords von England aber ist der erbliche Sitz im Oberhaus. Von den schottischen Peers werden 16 auf eine Sitzungszeit des Parlaments, von den irischen 28 auf Lebenszeit gewählt. Außer den erblichen Lords gibt es noch Lords durch gewisse Ämter; die Erzbischöfe und Bischöfe sind Lords ihrem geistlichen Amt nach und sitzen wie der Lordkanzler im Oberhaus. Auch die höchsten Richter, der erste Beamte mehrerer Städte u. a. führen den Titel Lord. Einen niedern A. in demselben Sinn wie in Deutschland gibt es in England eigentlich nicht; indes kann man für denselben die Gentry gelten lassen, wenigstens die erste Klasse derselben, die Baronets, deren Standeswürde forterbt, während dieselbe bei allen andern nur persönlich ist. Die Baronets folgen in der Rangtafel den jüngern Söhnen der Barone, haben den Vortritt vor allen Rittern mit Ausnahme derjenigen des Hosenbands und der zum Geheimen Rat Berufenen; sie setzen ihrem Namen das Wort Sir, welches immer mit dem Taufnamen und häufig mit diesem allein, aber niemals mit dem Familiennamen allein verbunden wird, den Namen ihrer Frauen das Wort Lady vor und führen ein Wappen. Die Würde wurde von Jakob I. in Großbritannien 1611, in Irland 1619 und in Neuschottland von Karl I. 1625 eingeführt. Jetzt wird sie auch ausgezeichneten Gelehrten, Militärs etc. verliehen. Übrigens hängt die Krëierung neuer Baronets ganz von der Krone ab. Nicht erblich ist die Würde der Knights oder Ritter, von denen die Ritter des Hosenbands im Rang unmittelbar nach den ältesten Söhnen der Barone, die übrigen in verschiedenen Stufen folgen. Die wahrscheinlich von Eduard I. geschaffene Würde des Knight Banneret, welche nur auf dem Schlachtfeld verliehen wurde, stand der aller andern Knights voran; dieselbe ist aber schon seit sehr langer Zeit nicht mehr verliehen worden. Auch die Knights führen das Wort Sir vor dem Taufnamen und ihre Frauen den Titel Lady. Die nächste Würde, Esquire, gebührt heutzutage von Rechts wegen nur den Abkömmlingen adliger Familien, welche ein Wappen führen, aber keinen Titel haben, ferner gewissen höhern Hofbeamten oder Offizieren vom Hauptmann aufwärts, den Doktoren der Rechte und der Medizin, den Mitgliedern der Royal Academy u. a.; faktisch führt diesen Titel aber jeder Gentleman, d. h. jeder Gebildete, so daß man ihn bei Aufschriften und Adressen immer mit dem Taufnamen oder wenigstens dem Anfangsbuchstaben oder einem Strich an Stelle desselben hinter dem Familiennamen und ohne Mr. (Mister, Herr) findet, also „C. Brown, Esq.“ oder „– Green, Esq.“

Was die übrigen europäischen Länder anbetrifft, so gibt es in Holland wie in Belgien zwar einen Adelstand, der sich in Grafen, Barone und Ritter teilt, der aber ohne politische Bedeutung ist. In der Schweiz, wo zur Zeit der Befreiung von der österreichischen Herrschaft ein A. ganz in deutscher Weise bestand, gestaltete sich derselbe später in ein Patriziat um, welches, aus reichen Bürgerfamilien sich rekrutierend, in einzelnen Kantonen eine aristokratische Regierungsform begründete, während in andern die demokratische Verfassung unangetastet blieb. In Dänemark hat der A., der aus dem Herzog von Holstein-Glücksburg, einigen Grafen, Baronen und niedern Adligen besteht, noch einzelne Vorrechte (Jagd-, Patronatsrecht etc.). Weit bedeutender sind aber die Prärogativen des Adels in Schweden, wo derselbe den ersten Stand ausmacht. Es hat dort ursprünglich keine Unterscheidung des Adels in hohen und niedern bestanden; diese besteht erst, seit Erich XIV. 1561 bei seiner Krönung Grafen und Freiherren krëierte, deren Zahl mit der Zeit bedeutend vermehrt wurde. Das Gleiche geschah mit dem nunmehrigen niedern A.; die Königin Christine allein hat über 400 Familien in den Adelstand erhoben. Der schwedische A. teilt sich in drei Klassen: a) Herrar, Herrenstand, zu dem die Grafen und Freiherren gehören; b) Riddare, Ritterstand, zu dem diejenigen Geschlechter gehören, die erweisen können, daß einer oder mehrere ihrer Vorfahren eine Reichsratsstelle gehabt; c) Swenner, die einfachen Edelleute ohne Titel. König Karl XI. begünstigte die Einwanderung ausländischer, namentlich deutscher, adliger Familien, wodurch er den mißvergnügten alten A. einschränken zu können glaubte. Nach Karls XII. Tod riß der A. fast alle königlichen Rechte an sich, bis der König Gustav III. die Macht desselben brach, was er mit dem Leben büßte. Nach der Thronrevolution von 1809 wuchs die Macht des Adels wieder und ward auch in der Neuzeit nicht geschmälert. Jedes adlige Familienhaupt hat nach erreichtem 24. Lebensjahr Zutritt zum Reichstag. Doch ist der schwedische A. im allgemeinen arm, weil er es verschmäht, sich an kommerziellen und industriellen Unternehmungen zu beteiligen. In Norwegen ward der A. durch das Reichsgrundgesetz vom 4. Nov. 1814 ganz abgeschafft und völlige Gleichheit aller Norweger vor dem Gesetz begründet. In Polen ist der A. seinem Ursprung nach reiner Kriegsadel. Daher bestand hier früher kein Unterschied zwischen hohem und niederm A. Fürsten- und Grafentitel waren von auswärtigen Dynasten verliehen und begründeten durchaus keine Vorrechte. Die Adligen hießen Szlachcicen, welcher Name gegenwärtig aber mehr auf den unbegüterten A. übergegangen ist. In Rußland war der A. ursprünglich an Grundbesitz geknüpft. Knjäse und Bojaren bildeten den hohen, die übrigen Adligen den niedern A. Peter d. Gr. beseitigte diesen alten A. durch Einführung von Rangklassen, wodurch alle Standesvorzüge lediglich mit kaiserlichen Dienstverhältnissen verbunden wurden. Die niedern Rangklassen geben nur persönlichen, die höhern erblichen A. Letzterer wird erworben durch Verleihung von

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 1. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b1_s0111.jpg&oldid=- (Version vom 21.4.2022)