Mit dem Wort Totenhilfe oder dem Motiv der Helfenden oder Dankbaren Toten bezeichnen Volkskundler und Kunsthistoriker Hilfe, die Lebende von Toten erfahren – ein wiederkehrendes Motiv in Legenden, Sagen und Märchen. Ikonografisch ist das Motiv der Totenhilfe vor allem in Zeugnissen der Volkskunst des 15. bis 18. Jahrhunderts verbreitet.[1][2] Mit anderer Bedeutung, namentlich in der altnordischen Literatur, steht das Wort für den letzten Dienst am Verstorbenen.

Darstellung einer Totenhilfe (Friedhofskapelle Westerndorf am Wasen von 1691)

Totendienst und Totenhilfe

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Die Vorstellung der Totenhilfe entspricht einem wechselseitigen Geben und Nehmen: Der „Totendienst“ wird als Dienst gesehen, den die Lebenden den Toten erweisen, die „Totenhilfe“ als Dankbarkeitsleistung der Toten für die Lebenden.[3] Eine zentrale Rolle spielt in diesem Zusammenhang der Glaube, dass die Gebete der Lebenden, besonders im Rahmen des Memorialwesens, dazu beitragen, die Zeit der Armen Seelen im Fegefeuer zu verkürzen. Diese erweisen sich in Legenden und der entsprechenden Ikonografie oft als „dankbare und helfende Tote“.[4]

Eine einschlägige Legende geht auf Caesarius von Heisterbach zurück, die sehr häufig und verändert tradiert wurde: Ein Ritter hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, auf Friedhöfen für Verstorbene zu beten. Als er einmal von Feinden, oder auch Räubern, verfolgt wurde, flüchtete er sich auf einen Friedhof – wo bewaffnete Tote aus den Gräbern stiegen und ihm zu Hilfe eilten. Über die Legenda aurea des Jacobus de Voragine – hier weisen die Gerätschaften, mit denen die Toten kämpfen, auf deren Berufsstand im Leben hin – fand die Legende im Spätmittelalter weite Verbreitung.[5] Votivbilder mit diesem Topos finden sich unter anderem in der Friedhofskapelle Westerndorf am Wasen und im Kolberger Dom. Daneben sind Legenden überliefert, in denen das Motiv der Totenhilfe für einzelnen Personen auf ganze Gruppen ausgeweitet wurde, wie der 1742 im Österreichischen Erbfolgekrieg angesiedelten Legende vom Totenheer von Lenggries, oder der Erstürmung Landshuts durch die Schweden 1933 im Dreißigjährigen Krieg, wo die aus ihren Gräbern gestiegenen Toten den Bürgern der Stadt zu Hlfe eilen und die Angreifer in die Flucht schlagen. Hier weitet sich das Verhältnis der Toten auf ihre grundsätzliche Teilnahme am Schicksal der lebenden Nachkommen aus.[6]

Beispiele

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Werke mit dem Motiv der dankbaren Toten:

Totenhilfe in der Sage und im Märchen

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Besonders oft kommt das Totenhilfe-Motiv in Sagen vor. Der Märchen-, Mythen- und Sagenforscher Heino Gehrts führt Beispiele aus Unterfranken, dem Wallis, dem Allgäu und Jütland, aber auch aus China an.[14]

Für das Gebiet des Märchens weist Heino Gehrts auf die oft entscheidende Rolle wunderbarer Helfer hin. Gemäß Gehrts treten diese Helfer in einigen wenigen Märchentypen ausdrücklich als Tote auf.[15] Zwei Beispiele stellt er heraus: das Märchen vom Reisekameraden und das Aschenputtelmärchen.[16] Für sein Märchen Der Reisekamerad habe Hans Christian Andersen auf folgenden, in vielen Versionen überlieferten Märchentypus zurückgegriffen: Ein junger Bursche erweist einem Verstorbenen den Totendienst; auf seiner anschließenden Wanderschaft wird er von einem fremden Mann eingeholt, der ihm die Wanderkameradschaft anbietet; dieser Reisekamerad leistet dem jungen Burschen überlebenswichtigen Beistand; schließlich (manchmal auch schon vorher) offenbart er sich als dankbarer Toter.[15] Aber auch der Aschenputtelstoff mit der helfenden verstorbenen Mutter stehe für einen „Märchentypus mit Totenhilfe“.[17]

Letzter Dienst am Verstorbenen

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Das Motiv der Toten- oder Leichenhilfe als letzter Dienst am Verstorbenen ist in den Isländersagas des 13. und 14. Jahrhunderts besonders prominent. Aus Fürsorgepflicht war es geboten, dem Toten Augen, Nasenlöcher und Lippen zuzudrücken, ihn zu waschen und zu kämmen.[18] Der Skandinavist Felix Niedner schreibt: „Für die Verwandten war es unbedingte Pflicht, dem Gestorbenen die Totenhilfe zu gewähren. Man drückte ihm Lippen und Nasenlöcher zu, damit die Seele aus dem Körper leichter weichen könne.“[19] Niedner begründet diesen Usus mit dem Wiedergängerglauben: „Es wimmelt in den isländischen Sagas von böswilligen Toten und Gespenstern, die unheilstiftend wiederkehren und oft erst mit größter Mühe zur endgültigen Ruhe gebracht werden können“.[20]

Literatur

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  • Heino Gehrts: Von den Toten und vom Totendienst. In: Heino Gehrts: Die „andere“ Welt und Lebensweisheiten. Schriften zur Märchen-, Mythen- und Sagenforschung Bd. 4. Gesammelte Aufsätze 4. Igel Verlag Literatur & Wissenschaft, Hamburg 2017, ISBN 978-3-86815-715-4, S. 11–28.
  • Heino Gehrts: Helfende Tote in Märchen, Sage und Alltag. In: Heino Gehrts: Die „andere“ Welt und Lebensweisheiten. Schriften zur Märchen-, Mythen- und Sagenforschung Bd. 4. Gesammelte Aufsätze 4. Igel Verlag Literatur & Wissenschaft, Hamburg 2017, ISBN 978-3-86815-715-4, S. 29–50.
  • Felix Niedner: Islands Kultur zur Wikingerzeit. Diederichs, Jena 1913.
  • Günther Thomann: Die Armen Seelen im Volksglauben und Volksbrauch des altbayerischen und oberpfälzischen Raumes. Untersuchungen zur Volksfrömmigkeit des 19. und 20. Jahrhunderts. In: Historischer Verein für Oberpfalz und Regensburg (Hrsg.): Verhandlungen des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg. Teil I: Bd. 110 (1970), S. 115–179; Teil II: Bd. 111 (1971), S. 95–167; Teil III: Bd. 112 (1972), S. 173–261 (Digitalisate auf www.heimatforschung-regensburg.de, Stand 21. Juli 2018).
  • Ruth Vogelsang: Dankbare Tote. Zum Motiv der Totenhilfe. In: Märchenspiegel. Zeitschrift für internationale Märchenforschung und Märchenkunde, Bd. 12 (01/2001), S. 27/28; Bd. 13 (02/2001), S. 63–66.
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Commons: Dankbare Tote in der Kunst – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Hans Georg Wehrens: Legende von den „Dankbaren Toten“. In: Der Totentanz im alemannischen Sprachraum. Schnell + Steiner, Regensburg 2012, ISBN 978-3-7954-2563-0, S. 39–48.
  2. Günther Thomann: Die Armen Seelen im Volksglauben und Volksbrauch des altbayerischen und oberpfälzischen Raumes. Untersuchungen zur Volksfrömmigkeit des 19. und 20. Jahrhunderts. Teil I. In: Verhandlungen des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg, Bd. 110 (1970), S. 115–179, hier: S. 155.
  3. Die Bezeichnungen „Totendienst“ und „Totenhilfe“ erscheinen in folgenden Aufsätzen gleich in der Überschrift bzw. im ersten Satz: Heino Gehrts: Von den Toten und vom Totendienst. In: Heino Gehrts: Die „andere“ Welt und Lebensweisheiten, S. 11–28; Heino Gehrts; Helfende Tote in Märchen, Sage und Alltag. In: Heino Gehrts: Die „andere“ Welt und Lebensweisheiten, S. 29–50.
  4. Günther Thomann: Die Armen Seelen im Volksglauben und Volksbrauch des altbayerischen und oberpfälzischen Raumes. Untersuchungen zur Volksfrömmigkeit des 19. und 20. Jahrhunderts. Teil I. In: Verhandlungen des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg, Bd. 110 (1970), S. 115–179, hier: S. 161.
  5. Günther Thomann: Die Armen Seelen im Volksglauben und Volksbrauch des altbayerischen und oberpfälzischen Raumes. Untersuchungen zur Volksfrömmigkeit des 19. und 20. Jahrhunderts. Teil I. In: Verhandlungen des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg, Bd. 110 (1970), S. 115–179, hier: S. 161–163.
  6. Günther Thomann: Die Armen Seelen im Volksglauben und Volksbrauch des altbayerischen und oberpfälzischen Raumes. Untersuchungen zur Volksfrömmigkeit des 19. und 20. Jahrhunderts. In: Historischer Verein für Oberpfalz und Regensburg (Hrsg.): Verhandlungen des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg. Band 2, S. 157–158 (heimatforschung-regensburg.de [PDF; abgerufen am 19. Juli 2023]).
  7. Geschichte: Bis zur Reformation. In: zh-kirchenspots.ch. Abgerufen am 19. Juli 2023.
  8. Geoffroy de La Tour Landry, Marquart (von Stein), Albrecht Dürer: Der Ritter vom Turn von den Exempeln der gotsforcht vnd erberkait. Basel 1493, S. 5r (digitale-sammlungen.de [abgerufen am 19. Juli 2023]).
  9. Digitalisat: Neustift/Novacella, Augustiner-Chorherrenstift, Cod. 654 auf manuscripta.at (Abruf am 20. Juli 2023)
  10. Josef Grünenfelder: Pfarrkirche St. Martin und Beinhauskapelle St. Anna in Baar (= Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte [Hrsg.]: Schweizerische Kunstführer. Band 84, Nr. 832). GSK, Bern 2008, ISBN 978-3-85782-831-7.
  11. Eckhard Michael: Der "Wittfeitzener Altar" - Ein Nebenaltar aus Kloster Lüne. In: Beiträge zur Archäologie und Geschichte Nordostniedersachsens. Berndt Wachter zum 70. Geburtstag (= Schriftenreihe des Heimatkundlichen Arbeitskreises Lüchow-Dannenberg. Nr. 8). 1991, S. 189–212.
  12. Hans Georg Wehrens: Legende von den „Dankbaren Toten“. In: Der Totentanz im alemannischen Sprachraum. Schnell + Steiner, Regensburg 2012, ISBN 978-3-7954-2563-0, S. 39–48, hier 41.
  13. Markwart Herzog: Helfende tote in der Gemineschaft der Heiligen. In: Geist & Leben. Nr. 6. Echter Band=62, 1989, S. 416–424 (geist-und-leben.de [abgerufen am 20. Juli 2023]).
  14. Heino Gehrts; Helfende Tote in Märchen, Sage und Alltag. In: Heino Gehrts: Die „andere“ Welt und Lebensweisheiten, S. 29–50, hier: S. 38–43.
  15. a b Heino Gehrts; Helfende Tote in Märchen, Sage und Alltag. In: Heino Gehrts: Die „andere“ Welt und Lebensweisheiten, S. 29–50, hier: S. 33.
  16. Heino Gehrts: Von den Toten und vom Totendienst. In: Heino Gehrts: Die „andere“ Welt und Lebensweisheiten, S. 11–28, hier: S. 27/28.
  17. Heino Gehrts; Helfende Tote in Märchen, Sage und Alltag. In: Heino Gehrts: Die „andere“ Welt und Lebensweisheiten, S. 29–50, hier: S. 35.
  18. Siehe Klaus Böldl, Andreas Vollmer und Julia Zernack (Hrsg.): Isländersagas 1. Die Saga von Brennu-Njáll. Fischer, Frankfurt 2011, ISBN 978-3-10-007622-9. Im Glossar gibt es sowohl den Eintrag „Leichenhilfe“ als auch den Eintrag „Totenhilfe“ (mit Verweis auf „Leichenhilfe“).
  19. Felix Niedner: Islands Kultur zur Wikingerzeit. Diederichs, Jena 1913, S. 72.
  20. Felix Niedner: Islands Kultur zur Wikingerzeit. Diederichs, Jena 1913, S. 74.