„Verfassungsreferendum in der Türkei 2017“ – Versionsunterschied
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[[Datei:Turkey-Map-Referandum.png|miniatur|Ergebnisse des Verfassungsreferendums in den Provinzen und Kreisen. {{Farblegende|#FF361A|Nein}}{{Farblegende|#278E20|Ja}}
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In einem '''Verfassungsreferendum''' wurde in der '''[[Türkei]]''' am 16. April '''2017''' von den Wählern entschieden, dass das 18 Punkte umfassende verfassungsändernde Gesetz Nr. 6771<ref>''Türkiye Cumhuriyeti Anayasasında Değişiklik Yapılmasına Dair Kanun'' (Gesetz betreffend die Änderung der Verfassung der Republik Türkei); Gesetz Nr. 6771 vom 21. Januar 2017, Amtsblatt Nr. 29976 vom 11. Februar 2017 ([http://www.resmigazete.gov.tr/eskiler/2017/02/20170211-1.htm online]).</ref> im Wesentlichen voraussichtlich mit der
Vorgesehen ist die Bündelung der Exekutivbefugnisse und mehr Einfluss auf die Justiz in der Hand des [[Präsident der Republik Türkei|Präsidenten]] [[Recep Tayyip Erdoğan]] (seit 2014). Die Vorschläge zur Verfassungsänderung wurden in zwei Lesungen von einer nach Art. 175 Abs. 1 S. 3 der Verfassung erforderlichen Mehrheit von drei Fünfteln der Gesamtzahl der Parlamentsmitglieder aus der regierenden [[Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung]] (AKP) und der [[Rechtsextremismus in der Türkei|rechtsextremen]] [[Partei der Nationalistischen Bewegung]] (MHP) angenommen, während zwei Oppositionsparteien, die [[Republikanische Volkspartei]] (CHP) und die vorwiegend die [[Kurden in der Türkei|kurdische Minderheit]] repräsentierende [[Halklarin Demokratik Partisi|Demokratische Partei der Völker]] (HDP) dagegen stimmten; zwölf Abgeordnete der HDP, darunter ihr gesamtes Führungspersonal, waren inhaftiert. Da eine Dreifünftelmehrheit, aber keine Zweidrittelmehrheit erreicht wurde, war eine Volksabstimmung erforderlich.
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International wurden die [[Wahlkampagnen während des Verfassungsreferendums in der Türkei 2017#Wahlkampfauftritte|Wahlkampfauftritte türkischer Politiker]] im Ausland kritisiert. Die [[Venedig-Kommission]] des [[Europarat]]es warnte im Vorfeld bereits vor einem „persönlichen Regime“ und sprach von der Gefahr des Abgleitens in ein [[Autoritarismus|autoritäres]] System. Die vorgeschlagenen Änderungen würden nicht dem Modell eines demokratischen Präsidialsystems folgen.<ref>[http://www.venice.coe.int/webforms/events/default.aspx?id=2369&lang=EN Verlautbarung der Venedig-Kommission vom 10. März 2017]</ref> Zudem beklagten [[Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa|OSZE]]-Wahlbeobachter u.a. die Inhaftierungen von zahlreichen Journalisten und Oppositionellen sowie Einschüchterungen und Drohungen gegen das „Nein-Lager“.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.tagesschau.de/ausland/osze-kritik-tuerkei-101.html |titel=OSZE-Kritik: Nein-Lager in der Türkei wird behindert |werk=tagesschau.de |zugriff=2017-04-13}}</ref>
Bereits am Wahlabend sprach die Opposition (CHP, HDP, (ehemalige) Teile der MHP) von Wahlbetrug und verwies auf die Entscheidung des [[Hoher Wahlausschuss|Hohen Wahlausschusses]], Stimmzettel und Umschläge ohne amtlichen Stempel für gültig zu erklären. Dabei soll es sich um bis zu drei Millionen „zusätzliche Stimmen pro ''Evet“'' handeln. <ref>{{Internetquelle |autor=tagesschau.de |url=http://faktenfinder.tagesschau.de/tuerkei-referendum-161.html |titel=Türkei: Manipulationsvorwürfe nach Verfassungsreferendum |zugriff=2017-11-10 |sprache=de-DE}}</ref> Dass die Wahl durch Wahlbetrug entschieden wurde, legen Forschungsergebnisse von Wiener Statistikern vom [[Complexity Science Hub Vienna]] nahe.<ref>{{Literatur |Titel=Wahlbetrug hat Türkei-Referendum entschieden - science.ORF.at |Sammelwerk=science.ORF.at |Datum=2017-06-30 |Online=http://science.orf.at/stories/2852212 |Abruf=2017-11-10}}</ref>
[[Datei:AKP constitutional proposals at TBMM.jpg|mini|Die regierende AKP überreicht ihre vorgeschlagenen Verfassungsänderungen dem Parlamentssprecher [[İsmail Kahraman]] (AKP).]]
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Das Verfassungsgesetz von 1921 wurde durch die am 20. April 1924 verabschiedete [[Türkische Verfassung von 1924|neue Verfassung]] außer Kraft gesetzt, wobei das „System einer auf der Gewaltenverbindung beruhenden Konventsregierung“<ref>Ernst Eduard Hirsch: ''Die Verfassung der Türkischen Republik'' (= ''Die Staatsverfassungen der Welt in Einzelausgaben.'' Band 7). Alfred Metzner Verlag, Frankfurt am Main/Berlin 1966, S. 30.</ref> unverändert blieb. Die folgenden zwei Jahrzehnte waren vom [[Einparteiensystem]] unter der von Atatürk gegründeten [[Cumhuriyet Halk Partisi|Republikanischen Volkspartei]] (CHP) geprägt. Am 19. Mai 1945 kündigte [[İsmet İnönü]], der Nachfolger Atatürks als Staatspräsident und zugleich (statutengemäß unabsetzbarer) CHP-Vorsitzender eine stärkere Verwirklichung [[Demokratie|demokratischer]] Grundsätze im politischen und geistigen Leben des Landes an.<ref>Ensar Yılmaz: ''Türkiye’nin Demokrasiye Geçiş Yılları. 1946–1950.'' Birey Yayıncılık, Istanbul 2008, ISBN 978-975-264-128-0, S. 36.</ref><ref>Erik Jan Zürcher: ''Turkey. A Modern History.'' 3. Auflage. I.B. Tauris, London 2004, S. 209.</ref> Anfang November 1945 bemängelte er das Fehlen einer parlamentarischen Oppositionspartei und verkündete die Abkehr von der Einparteienherrschaft.<ref>Cem Eroğul: ''Demokrat Parti. Tarihi ve İdeolojisi.'' 4. Auflage. İmge Kitabevi Yayınları, Ankara 2003, ISBN 975-533-227-8, S. 21 f.</ref><ref>Bernard Lewis: ''Recent Developments in Turkey.'' In: ''International Affairs.'' Band 27, Nr. 3, 1951, S. 320–331 (321).</ref> Bei der vorverlegten [[Parlamentswahl in der Türkei 1946|Parlamentswahl im Jahr 1946]] konnte die Anfang desselben Jahres neugegründete [[Demokrat Parti (1946)|Demokratische Partei]] (DP) 54 [[Mandat (Politik)|Mandate]] erringen.<ref>Bülent Tanör: ''Osmanlı-Türk Anayasal Gelişmeleri (1789–1980).'' 21. Auflage. Yapı Kredi Yayınları, Istanbul 2011, S. 341.</ref><ref>Ensar Yılmaz: ''Türkiye’nin Demokrasiye Geçiş Yılları. 1946–1950.'' Birey Yayıncılık, Istanbul 2008, ISBN 978-975-264-128-0, S. 227 m.w.N.</ref> Die ersten wirklich „freien und ehrlichen Wahlen“<ref>Statt vieler Sabri Sayarı: ''Adnan Menderes. Between Democratic and Authoritarian Populism.'' In: Metin Heper, Sabri Sayarı (Hrsg.): ''Political Leaders and Democracy in Turkey.'' Lexington Books, Lanham 2002, ISBN 978-0-7391-0352-4, S. 65–85 (65). Originalwortlaut hier: ''“[F]ree and honest elections”''.</ref> fanden am 14. Mai 1950 statt und zogen einen unter anderem als „unblutige Revolution“ ''(kansız ihtilâl)'' gefeierten politischen Machtwechsel nach sich; die DP gewann aufgrund der relativen [[Mehrheitswahl]] 408 der 487 Parlamentssitze (53 % der Stimmen, 84 % der Sitze) und verwies die seit der Republikgründung regierende CHP mit 69 Abgeordneten (39 % der Stimmen, 14 % der Sitze) erstmals in die Opposition.<ref>Bülent Tanör: ''Osmanlı-Türk Anayasal Gelişmeleri (1789–1980).'' 21. Auflage. Yapı Kredi Yayınları, Istanbul 2011, S. 343 f.</ref><ref>Cem Eroğul: ''Demokrat Parti. Tarihi ve İdeolojisi.'' 4. Auflage. İmge Kitabevi Yayınları, Ankara 2003, ISBN 975-533-227-8, S. 83 f.</ref>
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Die in den folgenden zehn Jahren von der DP gestellte und einen zunehmend autoritären wie auch repressiven Charakter annehmende Regierung wurde mit dem [[Militärputsch in der Türkei 1960|Militärputsch vom 27. Mai 1960]] gestürzt und die Regierungsgewalt vom neu konstituierten [[Komitee der Nationalen Einheit]] provisorisch übernommen. Gegen die „Gestürzten“ folgten die sogenannten [[Yassıada-Prozesse]]. Der eigens dafür eingerichtete Hohe Gerichtshof verurteilte unter anderem 15 Angeklagte wegen Hochverrats im Sinne des Verfassungsumsturzes nach Art. 146 Abs. 1 tStGB in der damaligen Fassung<ref>Art. 146 Abs. 1 tStGB aF lautet in deutscher Übersetzung: „Wer mit Gewalt versucht, die Verfassung der Türkischen Republik ganz oder teilweise zu ändern oder außer Kraft zu setzen oder die aufgrund dieser Verfassung gebildete Große Nationalversammlung zu sprengen oder an der Ausübung ihrer Befugnisse zu hindern, wird mit dem Tode bestraft.“ Übersetzung Silvia Tellenbach: ''Das Türkische Strafgesetzbuch. Türk Ceza Kanunu. Vom 1. März 1926 nach dem Stand vom 31. Januar 2001'' (= ''Sammlung ausländischer Strafgesetzbücher in deutscher Übersetzung.'' Band G 110). 2. Auflage. Edition iuscrim, Freiburg im Breisgau 2001, ISBN 3-86113-921-9, S. 74.</ref> [[Todesstrafe|zum Tode]]. Das Komitee der Nationalen Einheit bestätigte drei Todesstrafen und wandelte die übrigen in lebenslange Zuchthausstrafen um. In Übereinstimmung mit dieser Entscheidung wurden Mitte September 1961 der frühere Ministerpräsident [[Adnan Menderes]], sein Außenminister [[Fatin Rüştü Zorlu]] und der Finanzminister [[Hasan Polatkan]] auf der Insel [[İmralı]] durch den Strang [[Hinrichtung|hingerichtet]]. In der Zwischenzeit hatte die nach [[Ankara]] einberufene [[Verfassunggebende Versammlung]] zum ersten Jahrestag des Putsches einen Verfassungstext angenommen, der am 9. Juli 1961 [[Verfassungsreferendum in der Türkei 1961|vom Volk bestätigt]] worden war. Die wesentlichsten Neuerungen der [[Türkische Verfassung von 1961|Verfassung von 1961]] waren die Aufgabe des Grundsatzes der Gewaltenverbindung zugunsten einer ''modifizierten'' [[Gewaltenteilung]],<ref>Dazu ausführlich Gottfried Plagemann: ''Von Allahs Gesetz zur Modernisierung per Gesetz. Gesetz und Gesetzgebung im Osmanischen Reich und der Republik Türkei'' (= ''Deutsch-Türkisches Forum für Staatsrechtslehre.'' Band 5). Lit Verlag, Münster 2009, ISBN 978-3-8258-0114-4 (zugleich Dissertation, Universität Leipzig 2005), S. 183 ff.</ref> die Verankerung des [[Mehrparteiensystem]]s,<ref>Die Verfassung von 1961 bezeichnete in ihrem Art. 56 Abs. 3 erstmals politische Parteien, ausdrücklich auch solche in der Opposition, als „unverzichtbare Bestandteile des demokratischen politischen Lebens“ und bestimmte in Art. 56 Abs. 2, dass diese ohne vorgängige Erlaubnis gegründet werden und sich frei betätigen konnten; vgl. ferner Şeyda Dilek Emek: ''Parteiverbote und Europäische Menschenrechtskonvention. Die Entwicklung europäischer Parteiverbotsstandards nach Art. 11 Abs. 2 EMRK unter besonderer Berücksichtigung des deutschen und türkischen Parteienrechts'' (= ''Europäisches und Internationales Recht.'' Band 67). Herbert Utz Verlag, München 2007, ISBN 978-3-8316-0648-1 (zugleich Dissertation, Universität München 2006), S. 74 m.w.N.</ref> die Erweiterung der richterlichen Unabhängigkeit, die Errichtung des [[Verfassungsgericht der Republik Türkei|Verfassungsgerichts]] und die Einführung des [[Zweikammersystem]]s.
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[[Datei:Opinion pollar.png|miniatur|Umfragen-Koordinatensystem zum Verfassungsreferendum: weiß = ja; braun = nein; grau = Enthaltung]]
{{Hauptartikel|Wahlkampagnen während des Verfassungsreferendums in der Türkei 2017#Wahlkampagnen}}
Laut Umfragen
[[Halil Berktay]] von der [[Sabancı-Universität]] unterstützt die Änderungen.<ref>{{Internetquelle|url=http://www.spiegel.de/politik/ausland/tuerkei-worueber-recep-tayyip-erdogan-sein-land-abstimmen-lassen-will-a-1130689.html|autor=Vanessa Steinmetz|titel=Worüber Erdogan die Türken abstimmen lassen will|werk=spiegel.de|datum=2017-01-21|zugriff=2017-01-25}}</ref> Die Verfassungsexperten [[Kemal Gözler]] und [[İbrahim Kaboğlu]] lehnen die Änderungen ab, da sie zu einer starken Erosion der Gewaltenteilung führen würden.<ref>[[Kemal Gözler]]: ''Elveda Kuvvetler Ayrılığı, Elveda Anayasa. 10 Aralık 2016 Tarihli Anayasa Değişikliği Teklifi Hakkında Bir Eleştiri.'' In: ''Ankara Barosu Dergisi.'' 2016/4, {{ISSN|1300-9885}}, S. 25–36 ([http://www.anayasa.gen.tr/elveda-anayasa-abd.pdf PDF-Datei; 115 kB])</ref><ref>{{Internetquelle|url=https://tr.sputniknews.com/politika/201612271026505410-akp-anayasa-padisah-kaboglu/|titel='AKP'nin anayasa teklifi en büyük kırılma, padişahlık ötesi bir durum söz konusu'|werk=Tr.sputniknews.com|datum=2016-12-27|zugriff=2017-02-28}}</ref>
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Zum Verfassungsreferendum hat der türkische<ref>er lebt und lehrt in der Bundesrepublik Deutschland</ref> Wirtschaftswissenschaftler [[Şefik Alp Bahadır]] sich entschieden für die Verfassungsänderung ausgesprochen: {{Zitat|Die Türkei (ist) durch starke ethnische Widersprüche, sowie ideologische, religiöse und kulturelle Unterschiede gekennzeichnet. Bei derart großen Differenzen funktioniert das parlamentarische System, das auf Konsensus basiert, in der Türkei nicht. Die Parteien werden sich in keinem einzigen Punkt einig. Es gibt in der Türkei eine tiefe Spaltung, die alle Bereiche in der Gesellschaft betrifft.|Autor=Bahadır, April 2017|ref=<ref>[https://www.nachrichtenxpress.com/2017/04/erlanger-uni-professor-ich-werde-mit-evet-stimmen/ Erlanger Uni-Professor: „Ich werde mit 'Evet' stimmen“] In: ''[[nachrichtenxpress.com]]'' vom 8. April 2017</ref>}}
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Die Abstimmung fand am 16. April 2017 statt, weil das türkische Gesetz vorschreibt, dass Abstimmungen am ersten Sonntag nach Ablauf von 60 Tagen nach der Verkündung des entsprechenden Gesetzes im Amtsblatt stattfinden müssen.<ref>Das Gesetz (Nr. 6771) über die in Rede stehende Verfassungsänderung wurde am 11. Februar 2017 im Amtsblatt veröffentlicht, womit sich nach Art. 2 des Gesetzes Nr. 3376 als Datum der Volksabstimmung der 16. April 2017 ergibt.</ref> Bei dieser genügt eine einfache Mehrheit zur Annahme des Gesetzes.
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== Vorwurf des Wahlbetrugs ==
Dass die Wahl durch Wahlbetrug entschieden wurde, legen Forschungsergebnisse von Wiener Statistikern vom [[Complexity Science Hub Vienna]] nahe. Eine geringe Menge an Wahllokalen schmiert deutlich in einer Wahlergebnis-vs.-Wahlbeteiligung-Punktewolke-Grafik in Richtung 100 % Ja und 100 % Wahlbeteiligung aus – ein Indiz für "ballot-stuffing", dem "Stopfen" von zusätzlichen Ja-Stimmen in eine Wahlurne. Dies tritt bei 6 % (+/– 0,15 % 3-Sigma-[[Fehlergrenze]]) der Wahllokale auf. Weiters weichen kleine Wahllokale, die anfälliger sind für "voter rigging" (Wählermanipulation, wie etwa Einschüchterung oder Verwehren des Zugangs) signifikant vom lokalen Trend ab. Die wahrscheinlichen Manipulationen sind in Richtung und Ausmaß so groß, dass sie die Abstimmung von Nein auf 51,4 % Ja umgedreht haben. Die Analyse aus der Wissenschaftsredaktion des ORF vom 1. Juli 2017 basiert auf 2 Publikationen der 2 Tage zuvor.<ref>[http://science.orf.at/stories/2852212 Wahlbetrug hat entschieden] orf.at, 1. Juli 2017, abgerufen 1. Juli 2017.</ref><ref>Raúl Jimenez, Manuel Hidalgo, Peter Klimek: (Research Article, Applied Mathematics) [http://advances.sciencemag.org/content/3/6/e1602363 Testing for voter rigging in small polling stations] Science Advances, Vol. 3, no. 6, e1602363, 30. Juni 2017, abgerufen 1. Juli 2017. {{DOI|10.1126/sciadv.1602363}}. – Englisch.</ref><ref>Peter Klimek, Raul Jimenez, Manuel Hidalgo, Abraham Hinteregger, Stefan Thurner: (Statistics > Applications) ''Election forensic analysis of the Turkish Constitutional Referendum 2017'' {{arXiv|1706.09839v1}}, Version 1, eingesandt am 29. Juni 2017, abgerufen 1. Juli 2017. – Englisch.</ref>
=== Rechtsbehelfe der Opposition ===
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=== Proteste ===
Nachdem die Ergebnisse herauskamen und sich die Niederlage der „Nein“-Stimmer abzeichnete, riefen die „Nein“-Organisationen zu Kundgebungen auf. In [[Beşiktaş]], ein Stadtteil von [[Istanbul]], versammelten sich in Stadtzentrum bis zu 2000 Demonstranten und bezeichneten Präsident Erdoğan als „Dieb, Mörder Erdoğan!“. In [[Kadiköy]] (asiatischer Teil) lehnten sich die Hausbewohner aus dem Fenster, klatschten und schlugen als Zeichen des Protestes auf Töpfe und hielten Plakate mit dem Slogan „Das ‚Nein‘ ist nicht zu Ende, es fängt gerade erst an“ in die Höhe. Weitere Proteste gab es in [[Ankara]] und [[Izmir]]. Weitere Protestaufrufe gegen Erdogan und das neue Präsidialsystem gibt es z. B. von den Gruppen „Hayir Besiktas“
== Reaktionen auf den Ausgang ==
Ministerpräsident Binali Yildirim (AKP) sagte: „Wir sind eine Nation. […] Wir werden unsere Einheit und Solidarität wahren. […] Es gibt keine Verlierer dieser Volksabstimmung. Gewonnen hat die Türkei und mein edles Volk. Jetzt ist es Zeit, eins zu sein.“ Das Volk habe das letzte Wort gesprochen. Es habe «Ja» gesagt und einen Punkt gesetzt.<ref name="augsburg-201167" /> Präsident Erdoğan erklärte, das Volk habe „eine historische Entscheidung“ getroffen.<ref name="augsburg-201167">{{Internetquelle|url=http://www.augsburger-allgemeine.de/politik/Erdogan-sieht-sich-als-Sieger-id41201167.html |titel=''Erdogan sieht sich als Sieger'' |autor=Augsburger Allgemeine |werk=augsburger-allgemeine.de |datum=2017-04-16 |zugriff=2017-04-17}}</ref> Der Vorsitzende der rechtsextremen MHP, [[Devlet Bahçeli]]
=== OSZE ===
Die Wahlbeobachter der [[Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa]] sagten, das Verfassungsreferendum am 16. April habe unter ungleichen Bedingungen stattgefunden. Außerdem betonten sie, dass die beiden Seiten der Kampagne nicht die gleichen Möglichkeiten gehabt haben und die Wähler nicht mit unabhängigen Informationen über zentrale Aspekte der Reform versorgt worden seien, die für einen demokratischen Prozess wesentlich sind.<ref name="merkur-407648">{{Internetquelle|url=https://www.merkur.de/politik/ergebnis-zum-tuerkei-referendum-im-live-ticker-erdogan-siegt-opposition-will-anfechten-zr-8146637.html|titel=OSZE sieht zahlreiche Mängel|autor=merkur.de|werk=merkur.de |datum=2017-0417 |zugriff=2017-04-17}}</ref> Der oberste Wahlbeobachter der OSZE, [[Michael Georg Link]], warf der türkischen Regierung zudem vor, bei der Klärung der Manipulationsvorwürfe beim Verfassungsreferendum nicht zu kooperieren, merkte zugleich jedoch an, dass die Volksbefragung „rein technisch ordentlich abgelaufen“ sei.<ref>{{Internetquelle|url=http://www.heute.de/tuerkei-nach-referendum-osze-macht-ankara-vorwuerfe-47002430.html|titel=Streit über Referendum: OSZE: Türkei kooperiert nicht – heute-Nachrichten|autor=Zweites Deutsches Fernsehen (ZDF)|sprache=de|zugriff=2017-04-19}}</ref>
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Die [[Europäische Kommission]] reagierte zunächst zurückhaltend auf den Ausgang des Referendums. Man warte noch auf die Bewertung der internationalen Wahlbeobachter, „auch mit Blick auf angebliche Unregelmäßigkeiten“, schrieben die EU-Außenbeauftragte [[Federica Mogherini]], der EU-Kommissar für Nachbarschaftspolitik [[Johannes Hahn (Politiker)|Johannes Hahn]] und EU-Kommissionschef [[Jean-Claude Juncker|Juncker]].<ref name="badische-749267">{{Internetquelle|url=http://www.badische-zeitung.de/ausland-1/tuerkei-erdogan-gewinnt-referendum-ueber-praesidialsystem-knapp--135749267.html |titel=Ausland: Türkei: Erdogan gewinnt Referendum über Präsidialsystem knapp |autor=dpa |werk=badische-zeitung.de |datum=2017-04-17 |zugriff=2017-04-17}}</ref> {{Zitat
|Text=Die Werte und Verpflichtungen im Rahmen des Europarats sollten die türkische Regierung zu einem freien und ehrlichen Dialog mit allen Teilen des politischen und sozialen Lebens bringen. Die Organisation eines Referendums über die Todesstrafe würde natürlich einen Bruch mit diesen Werten und Verpflichtungen darstellen.
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Letztendlich entschieden sich die Außenminister der EU-Mitgliedsstaaten nach einer Erklärung vom 28. April 2017 aber dafür, den Beitrittsprozess der Türkei zur Europäischen Union nicht zu stoppen. Man ließ nach einem Treffen auf [[Malta]] über die Außenbeauftragte [[Federica Mogherini|Mogherini]] verlautbaren, dass man das Ergebnis des Referendums respektiere und der Beitrittsprozess weitergehe.<ref>[http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-04/tuerkische-verfassungsreform-eu-beitritt-verhandlungen-venedig-kommission "Die EU will Beitrittsverhandlungen mit der Türkei nicht stoppen"] Die Zeit vom 28. April 2017</ref>
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[[Ulrike Lunacek]], eine der 14 Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments und Delegationsleiterin der [[Die Grünen – Die Grüne Alternative|österreichischen Grünen]], äußerte, die EU dürfe die Erdoğan-Opposition nicht vergessen, die heute für eine demokratische Türkei gestimmt habe. Dass trotz des massiven Drucks bis hin zu Gewaltdrohungen und Inhaftierungen sowie Ausschaltung der Medienfreiheit das Nein-Lager ein derartig starkes Zeichen für eine demokratische wie europäische Türkei gesetzt habe, lasse für eine Zukunft nach dieser autoritären „Revolution von oben“ hoffen. Die relativ knapp bestätigte autoritäre Ausrichtung der Erdoğan’schen Politik müsse von der EU mit einem gleichermaßen eindeutigen Bekenntnis zu den europäischen Werten beantwortet werden. Die von Erdoğan angestrebte verstärkte wirtschaftliche Zusammenarbeit dürfe es nicht geben, solange er seinen autoritären Kurs fortsetze. Verhandlungen über die Modernisierung der Zollunion dürften erst geführt werden, wenn Erdoğan unter Beweis gestellt habe, dass er bereit sei, Zugeständnisse zu machen und zur Demokratie zurückzukehren.<ref name="profil-082109">{{Internetquelle|url=https://www.profil.at/ausland/tuerkei-referendum-kurz-signal-eu-8082109 |titel=Türkei-Referendum – Kurz fordert klares Signal der EU |autor=APA |werk=profil.at |datum=2017-04-17 |zugriff=2017-04-17}}</ref> Der Vorsitzende des [[Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten, Menschenrechte, Gemeinsame Sicherheit und Verteidigungspolitik|EU Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten]] [[Elmar Brok]] (CDU) folgerte, dass das zur Abstimmung gestellte Staatssystem die Türkei EU-untauglich mache, man aber nicht sämtliche Beziehungen abbrechen solle. Man würde sich so an der Hälfte der türkischen Bevölkerung versündigen, die mit „Nein“ gestimmt habe. Auch die Tür für Beitrittsgespräche solle nach Brok nicht zugeschlagen werden. Nur wenn Erdoğan die Todesstrafe einführe, könne es wirklich keine Beitrittsverhandlungen mehr geben.<ref>[https://www.welt.de/politik/deutschland/article163745398/Rueckkehr-der-Todesstrafe-Dann-ist-EU-Beitritt-gescheitert.html Torsten Krauel: "Rückkehr der Todesstrafe? „Dann ist EU-Beitritt gescheitert“"] welt.de vom 16. April 2017</ref>
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== Folgen in der AKP ==
Das ([[Adalet ve Kalkınma Partisi#Wahlergebnisse|im Vergleich zu früheren Wahlen]]) schlechte Abschneiden in einigen Großstädten führte zu einigen Änderungen in der AKP auf Kommunalebene. So bekam das „Ja“ in Provinzen wie [[Ankara (Provinz)|Ankara]] oder [[Istanbul (Provinz)|Istanbul]] keine Mehrheit der Wähler, obwohl die beiden Parteien, die offiziell für ein solches geworben haben (AKP und MHP), bei der [[Parlamentswahl in der Türkei November 2015|Parlamentswahl im November 2015]] ca. 60 % der Stimmen für sich entscheiden konnten. Gleiches gilt auch für [[Antalya (Provinz)|Antalya]] und [[Adana (Provinz)|Adana]], wo
Diese Umstände führten dazu, dass Parteivorsitzender Erdoğan von „Ermüdungserscheinungen“ in seiner Partei sprach und einige Veränderungen ankündigte.<ref>{{Literatur |Autor=STANDARD Verlagsgesellschaft m.b.H. |Titel=Erdoğan fordert Rücktritt von Ankaras Bürgermeister |Sammelwerk=derStandard.at |Online=http://derstandard.at/2000066321186/Erdogan-fordert-Ankaras-Buergermeister-zum-Ruecktritt-auf |Abruf=2017-11-10}}</ref> So trat [[Kadir Topbaş]], der bis dahin dreizehn Jahre lang [[Liste der Istanbuler Bürgermeister|Oberbürgermeister]] von [[Istanbul]] war, im September 2017 zurück.<ref>{{Literatur |Autor=stefan.hofer |Titel=Istanbul: AKP-Bürgermeister tritt überraschend zurück |Online=https://kurier.at/politik/ausland/istanbul-akp-buergermeister-tritt-ueberraschend-zurueck/287.771.090 |Abruf=2017-11-10}}</ref> Oktober desselben Jahres folgten unter anderem auch die Rücktritte der Bürgermeister von [[Bursa]]<ref>{{Literatur |Titel=Auf Wunsch von Erdogan: Bursa OB Recep Altepe tritt zurück |Sammelwerk=Deutsch Türkisches Journal {{!}} DTJ ONLINE |Datum=2017-10-23 |Online=https://dtj-online.de/auf-wunsch-von-erdogan-bursa-ob-recep-altepe-tritt-zurueck-90007 |Abruf=2017-11-10}}</ref>, [[Balıkesir]]<ref>{{Literatur |Titel=Bürgermeister von Balıkesir gibt Rücktritt bekannt |Sammelwerk=DailySabah |Online=https://www.dailysabah.com/deutsch/politik/2017/10/31/buergermeister-von-balikesir-gibt-ruecktritt-bekannt |Abruf=2017-11-10}}</ref> und [[Ankara]]<ref>{{Literatur |Titel=Umstrittener Bürgermeister von Ankara tritt zurück |Sammelwerk=Die Presse |Online=http://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5308259/Umstrittener-Buergermeister-von-Ankara-tritt-zurueck |Abruf=2017-11-10}}</ref>.
Ahmet Edip Uğur, zurückgetretener Bürgermeister von Balıkesir, trat zeitgleich aus der AKP aus und sprach dabei auch Drohungen an, die gegen ihn und seine Familie gerichtet wurden, als er nicht gewillt war, seinen Posten zu räumen.<ref>{{Literatur |Titel=Balıkesir Belediye Başkanı Edip Uğur görevinden istifa etti |Sammelwerk=NTV |Datum=2017-10-30 |Online=https://www.ntv.com.tr/turkiye/balikesir-belediye-baskaniedip-ugur-gorevinden-istifa-etti,sK6mZDB8_EawbzJXmtNZNQ |Abruf=2017-11-10}}</ref> Der Rücktritt von [[Melih Gökçek]], der 23 Jahre lang Ankaras Oberbürgermeister war, sorgte innerhalb der AKP für Diskussionen, vor allem [[Bülent Arınç]] kritisierte ihn und deutete öffentlich auf Gökçeks Verbindungen zur [[Gülen-Bewegung|Hizmet-Bewegung]] hin. Dabei soll laut einem ehemaligen engen Mitarbeiter Gökçeks Erdoğan im Zweifelsfall auch über ein Gerichtsverfahren nachgedacht haben. Zuvor sollen vor allem Gökçek und Recep Altere (Bursa) Widerstand geleistet haben.<ref>{{Literatur |Autor=STANDARD Verlagsgesellschaft m.b.H. |Titel=Aufräumen in der AKP: Erdogan rüstet sich für die nächsten Wahlen |Sammelwerk=derStandard.at |Online=http://derstandard.at/2000066797161/Aufraeumen-in-der-AKP-Erdogan-ruestet-sich-fuer-die-naechsten |Abruf=2017-11-10}}</ref>
== Weblinks ==
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