Rudolf Levin

deutscher Geisteswissenschaftler und SS-Funktionär, Leiter eines Sonderauftrages zur Erforschung der Hexenverfolgung

Hermann Max Rudolf Levin (* 1. Juli 1909 in Dohna; † wahrscheinlich Frühjahr 1945 in Berlin)[1] war ein deutscher Geisteswissenschaftler, SS-Sturmbannführer oder Obersturmbannführer[2] und spätestens ab Beginn des Zweiten Weltkrieges[3] im Sicherheitsdienst des Reichsführers SS Leiter des „H-Sonderauftrages“ zur „wissenschaftlichen“ Untersuchung der Hexenverfolgung.

Levin, Sohn eines evangelischen Kantors[1] und späteren Kirchenmusikdirektors, ging auf das Realreformgymnasium in Chemnitz. In den Jahren 1931 bis 1934 studierte er Geschichte, Germanistik, Anglistik und Philosophie in Kiel und Leipzig. Während seines Studiums wurde er Mitglied der Burschenschaft Arminia Kiel und der Burschenschaft Ghibellinia Leipzig.[4] 1935 wurde er an der Universität Leipzig bei Joachim Wach (der als „Nichtarier“ noch im selben Jahr aus Deutschland emigrieren musste) und Theodor Litt promoviert.

Am 27. Juni 1937 beantragte Levin die Aufnahme in die NSDAP und wurde rückwirkend zum 1. Mai desselben Jahres aufgenommen (Mitgliedsnummer 4.583.184).[5]

Ab 1938 oder ab Beginn des Zweiten Weltkriegs war Levin Nachfolger von Wilhelm Spengler als Leiter des vom Reichsführer SS Heinrich Himmler innerhalb des Sicherheitsdienstes (SD) initiierten „H-Sonderauftrages“ zur (pseudo)wissenschaftlichen Untersuchung der Hexenverfolgung und zur Anlage einer „Hexenkartothek“ (SS-Nummer 272.257). Das Vorhaben sollte offenbar Material für die generelle antikirchliche Propaganda des NS-Regimes liefern, Belege dafür, dass insbesondere die gemeinsamen jüdisch-christlichen Wurzeln der katholischen Kirche der Hintergrund der Hexenverfolgungen gewesen seien, und Material über eine heidnisch-altgermanische Volkskultur, die angeblich durch die Hexenverfolgung der Kirche zerstört werden sollte. Dem „H-Sonderauftrag“ gehörten mehrere Wissenschaftler in Diensten der SS an, die ihre Recherchen in über 260 Archiven und Bibliotheken meist verdeckt durchführten.

1938 skizzierte Levin – im Zusammenhang mit der Abwehr einer durch die 1935 gegründete Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe versuchten Annexion der von ihm geleiteten, aus rund einem Dutzend Mitarbeitern bestehenden Forschergruppe und des Hexenthemas – das Arbeitsprofil seiner Gruppe. Demnach richtete sich deren Tätigkeit auf folgende Probleme:

  • die Erforschung der rassen- und bevölkerungsgeschichtlichen Folgewirkungen der Hexenprozesse
  • die Wertung der Frau in Hexenprozessen und
  • einen Überblick über das bisherige Schrifttum zu den Hexenprozessen sowie das Verfertigen einer thematischen Bibliographie.

Die Arbeitsgruppe bildete ab 1939 im Reichssicherheitshauptamt, Amt II und ab 1941 im Amt VII („Weltanschauliche Forschung und Auswertung“), eine eigene Dienststelle. Ab 1941 leitete Levin das Referat C3 „wissenschaftliche Sonderaufträge“ im Amt VII, dazu gehörte auch ein „ständiges Hilfsreferat für die H-Forschung“. Auf dem Arbeitsplan von 1942 standen mehr als ein Dutzend aufwendiger Abhandlungen, darunter zum Beispiel eine Studie über die geisteswissenschaftlichen Grundlagen des H-Komplexes, die wirtschaftlichen Folgen der H-Prozesse oder ein Grundbuch der H-Forschung. Auch kriegsbedingte Benutzungseinschränkungen in Archiven und Bibliotheken behinderten die Forschung, Recherchen nach Hexenprozessakten waren weit unwichtiger als die kriegswichtige Arbeit. Am 19. Januar 1944 stellte der Sicherheitsdienst die Erfassungsarbeiten kriegsbedingt ein, da nach Levin „jetzt andere politisch aktuelle Fragen sehr drängen“.

Über die Arbeiten im Sicherheitsdienst Reichsführer SS hinaus versuchte Rudolf Levin sich im universitären Wissenschaftsbetrieb zu etablieren, um in die Fußstapfen seines Amtschefs, Franz Six, zu treten, stand aber als Assistent in dessen Schatten. 1944 versuchte er, sich mit einer Arbeit über „Das magische Problem bei den Gerichtsprozessen des 16. und 17. Jahrhunderts und seine Auswirkungen auf das Volksleben“ zu habilitieren. Die Arbeit wurde jedoch von der Philosophischen Fakultät der Universität München abgelehnt, weil sie „keinen Nachweis strenger methodischer Wissenschaftlichkeit erbracht“ habe.[6]

Schriften

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  • Der Geschichtsbegriff des Positivismus unter besonderer Berücksichtigung Mills und der rechtsphilosophischen Anschauungen John Austins. Moltzen, Leipzig 1935, (Leipzig, Universität, Dissertation, 1935).
  • Das Geschichtsbild und die außenpolitische Willensbildung. In: Zeitschrift für Politik. Band 33, Nr. 3, 1943, ISSN 0044-3360, S. 181–184, JSTOR:43528101.
  • Geisteswissenschaftliche Methodik der Gegnerforschung. In: Grundprobleme der Gegnerforschung. Vorträge, gehalten auf der Oktobertagung 1943 des RSiHA, Amt VII. Reichssicherheitshauptamt, s. l. 1943, S. 1–27.

Literatur

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  • Zum Habilitationsversuch des SS-Hexenforschers Dr. Rudolf Levin. Anhang zu Wolfgang Behringer: Der Abwickler der Hexenforschung im Reichssicherheitshauptamt (RSHA): Günther Franz. In: Sönke Lorenz, Dieter R. Bauer, Wolfgang Behringer, Jürgen Michael Schmidt (Hrsg.): Himmlers Hexenkartothek. Das Interesse des Nationalsozialismus an der Hexenverfolgung (= Hexenforschung. 4). Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld 1999, ISBN 3-89534-273-4, S. 109–134, hier S. 134.
  • Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945 (= Fischer-Taschenbücher. 16048). Aktualisierte Ausgabe, 2. Auflage. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-596-16048-8.
  • Carsten Klingemann: Soziologie und Politik. Sozialwissenschaftliches Expertenwissen im Dritten Reich und in der frühen westdeutschen Nachkriegszeit. VS – Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2009, ISBN 978-3-531-15064-2, S. 28–29.
  • Joachim Lerchenmueller: Die Geschichtswissenschaft in den Planungen des Sicherheitsdienstes der SS. Der SD-Historiker Hermann Löffler und seine Denkschrift „Entwicklung und Aufgaben der Geschichtswissenschaft in Deutschland“ (= Archiv für Sozialgeschichte. Beiheft. 21). Dietz, Bonn 2001, ISBN 3-8012-4116-5.
  • Barbara Schier: Hexenwahn und Hexenverfolgung. Rezeption und politische Zurichtung eines kulturwissenschaftlichen Themas im Dritten Reich. In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde. 1990, S. 43–115, (online).
  • Gerhard Schormann: Hexenprozesse in Deutschland (= Kleine Vandenhoeck-Reihe. 1470). 3., durchgesehene Auflage. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1996, ISBN 3-525-33456-7, S. 9.
  • Carsten Schreiber: Generalstab des Holocaust oder akademischer Elfenbeinturm? Die ‚Gegnerforschung‘ des Sicherheitsdienstes der SS. In: Jahrbuch des Simon-Dubnow-Instituts. Band 5, 2006, ISSN 2198-3097, S. 327–352.
  • Carsten Schreiber: Von der Philosophischen Fakultät zum Reichssicherheitshauptamt. Leipziger Doktoranden zwischen Universität und Gegnerforschung. In: Ulrich von Hehl (Hrsg.): Sachsens Landesuniversität in Monarchie, Republik und Diktatur. Beiträge zur Geschichte der Universität Leipzig vom Kaiserreich bis zur Auflösung des Landes Sachsen 1952 (= Beiträge zur Leipziger Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte. Reihe A, 3). Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2005, ISBN 3-374-02282-0, S. 263–287.
  • Helge Dvorak: Biographisches Lexikon der Deutschen Burschenschaft. Band I: Politiker. Teilband 9: Nachträge. Koblenz 2021, S. 108–109. (Online-PDF)

Einzelnachweise

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  1. a b Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Aktualisierte Ausgabe, 2. Auflage. Frankfurt am Main 2007, S. 370.
  2. Obersturmbannführer laut Gerhard Schormann und anderen; laut Gerd Simon: Germanistik und Sicherheitsdienst. Germanisten im SD-Hauptamt, Fußnote 2 (pdf; 43 kB), ist das „eher unwahrscheinlich, wurde jedenfalls nicht aktenkundig“.
  3. Ab 1938 laut Gerhard Schormann (unter Berufung auf das Posener Findbuch zur Hexenkartei) und anderen; laut Gerd Simon: Germanistik und Sicherheitsdienst. Germanisten im SD-Hauptamt, Fußnote 2 (pdf; 43 kB), arbeitete Levin zu dem Zeitpunkt in diesem Projekt aber noch als Mitarbeiter Wilhelm Spenglers.
  4. Mitglieder-Verzeichnis des Frankenburg-Bau-Vereins e. V. Berlin 1940, S. 16.
  5. Bundesarchiv R 9361-IX KARTEI/25681135
  6. Maximilian Schreiber: Walther Wüst. Dekan und Rektor der Universität München 1935–1945, München 2008, S. 242