Narva (Stadt)
Narva (deutsch Narwa, russisch Нарва) ist die drittgrößte Stadt der Republik Estland, eine wichtige Industriestadt und das Zentrum der russischsprachigen Minderheit Estlands, zu der etwa 95 % der Einwohner Narvas gehören.
Narva | |||
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Staat: | Estland | ||
Kreis: | Ida-Viru | ||
Gegründet: | 1345 | ||
Koordinaten: | 59° 22′ N, 28° 11′ O | ||
Höhe: | 25 m | ||
Fläche: | 84,54 km² | ||
Einwohner: | 56.103 (1. Januar 2018[1]) | ||
Bevölkerungsdichte: | 664 Einwohner je km² | ||
Zeitzone: | EET (UTC+2) | ||
Telefonvorwahl: | (+372) 035 | ||
Postleitzahl: | 20001 – 21020 | ||
Gemeindeart: | Stadt | ||
Bürgermeister: | Katri Raik | ||
Postanschrift: | Peetri pl. 5 20308 Narva | ||
Website: | |||
Geografie
BearbeitenNarva ist die östlichste Stadt Estlands. Sie liegt an der Grenze zu Russland am Fluss Narva, der hier den Grenzfluss bildet und nördlich der Stadt in den Finnischen Meerbusen der Ostsee mündet. Zusammen mit Iwangorod auf der russischen Seite bildet Narva eine Zwillingsstadt.
Seit 2017 wird die Stadt auf estnischer Seite komplett von der neu gegründeten Stadtgemeinde Narva-Jõesuu umschlossen.
Geschichte
BearbeitenNarva-Kultur
BearbeitenZwischen 4600 und 4100 v. Chr. ist die auch Narva-Kultur genannte Baltische Haffküstenkultur hier verbreitet. Sie gilt als Substratkultur der späteren Westbalten.[2]
Mittelalter
BearbeitenDurch seine günstige Lage war Narva schon im Mittelalter ein bedeutender Handelsplatz. In der Nowgoroder Chronik wird die Siedlung 1171 erwähnt. 1302 erhielt sie Stadtrecht. Die Dänen verkauften das Gebiet 1346 an den Deutschen Orden. 1492 erbaute Iwan III. auf der östlichen Seite der Narva die Festung Iwangorod. Der Livländische Krieg führte zur Besetzung Narvas durch Russland im Jahre 1558. 1581 begann die schwedische Herrschaft. Mit der Schließung des Hansekontors Peterhof in Nowgorod im Jahre 1494 durch Zar Iwan III. nahm die Bedeutung Narvas für den Handel nochmals zu.
Neuzeit
BearbeitenWährend des Großen Nordischen Krieges fand am 30. November 1700 hier die Schlacht von Narva statt, in der die russische Armee unter Peter I. eine verheerende Niederlage erlitt. Nach der Reorganisierung seiner Truppen eroberte Peter jedoch 1704 nach der Belagerung von Narva die Stadt und verleibte mit dem Frieden von Nystad 1721 große Gebiete des Baltikums und Kareliens dem Russischen Reich ein.
Im 19. Jahrhundert verlor Narva seine Bedeutung als Hafenstadt und entwickelte sich zu einem Zentrum der Textilherstellung. Das Unternehmen Kreenholm hat lange Zeit eine erhebliche Rolle für die Stadt gespielt. Von 1918 bis 1940 gehörte die Stadt zur Republik Estland, und nach der Annexion Estlands durch die Sowjetunion von 1940 bis 1991 zur Estnischen SSR.
Narva wurde im Zweiten Weltkrieg zwischen 1941 und 1944 nahezu vollständig zerstört. Die historischen Bauten wurden in der Regel nicht wieder aufgebaut. Das Stadtbild wird heute von monotonen Wohnblöcken mit großteils unverputzten Ziegelfassaden geprägt, die in sowjetischer Zeit gebaut wurden. In dieser Zeit kamen viele russische Zuwanderer in die Stadt, aber auch aus anderen Unionsrepubliken wurden Arbeiter für die Narvaer Industriebetriebe angesiedelt, während die evakuierte estnische Bevölkerung lange Zeit nicht zurückkehren durfte. Daher rührt der heutige hohe russischsprachige Bevölkerungsanteil.
Narva und Iwangorod
BearbeitenNach der Gründung von Iwangorod auf dem anderen Ufer der Narva im Jahr 1492 entstand über viele Jahrzehnte eine enge Beziehung zwischen den beiden Städten. In der Zeit der staatlichen Unabhängigkeit der Republik Estland von 1918 bis 1940 lag auch Iwangorod auf estnischem Territorium, da die Grenze zur damaligen Sowjetunion weiter östlich lag. Nach der Okkupation Estlands durch die Sowjetunion 1940 und Konstituierung der Estnischen SSR wurde der Narvafluss zur Grenze zwischen den Unionsrepubliken Estland und Russland. Mit der erneuten Unabhängigkeit Estlands 1991 entstand wieder eine bewachte Grenze, die seit dem Beitritt Estlands zur Europäischen Union am 1. Mai 2004 Außengrenze der EU ist.
Städtepartnerschaften
BearbeitenKultur und Sehenswürdigkeiten
BearbeitenMuseen
Bearbeiten- Narva Muuseum mit umfangreicher Ausstellung in der Hermannsfeste zur Geschichte von Stadt, Festung und Region sowie der in einem barocken Altstadtgebäude aus dem 18. Jahrhundert untergebrachten Kunstgalerie.
Bauwerke
Bearbeiten- Die Hermannsfeste (Hermanni linnus), eine nach schweren Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs restaurierte Festung des Deutschen Ordens, liegt der am Westufer der Narva gegenüber der russischen Festung Iwangorod. Im Turm der Festung ist die geschichtliche Ausstellung des Narva Museums untergebracht.
- Das Rathaus wurde während der schwedischen Herrschaft von 1665 bis 1671 nach Entwurf des aus Lübeck stammenden Architekten Georg Teuffel im Stil des niederländischen Klassizismus errichtet und nach schweren 1944 erlittenen Kriegsbeschädigungen als eines der wenigen Baudenkmale im Altstadtbereich von 1960 bis 1963 wieder aufgebaut.[3]
- Die russisch-orthodoxe Auferstehungskathedrale wurde von 1890 bis 1898 im neobyzantinischen Stil errichtet.
- Die evangelisch-lutherische Alexanderkirche wurde in Form eines Oktogons mit ebenfalls achteckigem 61 Meter hohen Turm 1883/1884 im neuromanischen Stil errichtet und nach dem bei einem Attentat 1881 ums Leben gekommenen Zaren Alexander II. benannt. Sie wurde 1944 zerstört und in der Nachkriegszeit wiederaufgebaut, der Glockenturm 2007/2008 rekonstruiert.
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Hermannsfeste (links), die Brücke nach Russland und Festung Iwangorod
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Rathaus
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Russisch-orthodoxe Auferstehungskathedrale
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Evangelisch-lutherische Alexanderkirche 2006
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Alexanderkirche 2022 mit rekonstruiertem Turmoktogon
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Deutsches Gefallenendenkmal des Zweiten Weltkriegs in Narva
Parks
BearbeitenAm Stadtrand von Narva liegt, direkt am Grenzfluss Narwa, die Deutsche Kriegsgräberstätte Narva, die bereits 1943 von der deutschen Wehrmacht angelegt wurde. Sie wird seit der Mitte der 1990er Jahre vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge betreut und unterhalten. Die weitläufige Anlage, auf der rund 15.000 Kriegstote ruhen und auf der immer noch Zubettungen Gefallener stattfinden, wurde am 29. August 1999 eingeweiht. In Narva bestand das sowjetische Kriegsgefangenenlager 393 für deutsche Kriegsgefangene des Zweiten Weltkriegs.[4] Schwer Erkrankte wurden im Kriegsgefangenenhospital 1011, Kiviõli, versorgt.
Wirtschaft und Infrastruktur
BearbeitenVerkehr
BearbeitenDurch Narva verlaufen sowohl die wichtigste Fernstraße von Tallinn nach Sankt Petersburg als auch die Bahnstrecke Tallinn–Narva, die vor allem im Güterverkehr mit Russland bedeutsam ist. Im Eisenbahnpersonenverkehr fahren mehrere Zugpaare: zweimal täglich Narva-Tallinn, je einmal täglich Moskau-Narva-Tallinn sowie Sankt Petersburg-Narva-Tallinn. Zusätzlich gibt es dreimal wöchentlich ein weiteres Zugpaar zwischen Tallinn und Sankt Petersburg, welches in Narva hält. Wie überall in Estland hat der Busverkehr einen größeren Anteil im Personenverkehr.
Ansässige Unternehmen
BearbeitenEine wichtige Rolle im Wirtschaftsleben Narvas spielt das 1857 gegründete Textilunternehmen Kreenholm, das heute zur schwedischen Borås Wäfveri gehört.
Das kanadische Unternehmen Neo Performance Materials begann ab dem Jahr 2023 in Narva mit dem Bau einer Verarbeitungsanlage für Seltenerdmagneten, die in Elektrofahrzeugen verwendet werden. Die Anlage soll 2025 in Betrieb gehen, um die Produktion von etwa 1,5 Millionen Elektroautos zu unterstützen und bis auf 5.000 Tonnen pro Jahr gesteigert werden, genug für 4,5 Millionen E-Autos. Die Anlage soll von der firmeneigenen nahegelegenen Seltenerd-Trennanlage in Sillamäe beliefert werden. Diese wiederum soll ihre Rohmaterialien aus den Vereinigten Staaten und anderen Ländern erhalten.[5]
Medien
BearbeitenDie Zeitung Narva Postiljon ist mit 5.000 Exemplaren die Lokalzeitung der Stadt. Sie wird einmal pro Woche (am Samstag) in estnischer Sprache herausgegeben. Zweimal wöchentlich erscheint sie unter dem Namen Narvskaja Gazeta auf Russisch.
Bildung
BearbeitenIn Narva gibt es eine Außenstelle der Universität Tartu, das Narva Kolledž, an der hauptsächlich Lehrer ausgebildet werden. Unterrichtssprache ist vor allem Russisch. Ferner gibt es dort eine Außenstelle der privaten Estonian Entrepreneurship University for Applied Sciences.[6]
Persönlichkeiten
BearbeitenSöhne und Töchter der Stadt
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Personen, die im Ort wirkten
Bearbeiten- Otto von Uexküll († 1601), 1599 schwedischer Statthalter in Narwa
Literatur
Bearbeiten- Karsten Brüggemann (Hrsg.): Narva und die Ostseeregion. Beiträge der II. Internationalen Konferenz über die Politischen und Kulturellen Beziehungen zwischen Russland und der Ostseeregion (Narva, 1.–3. Mai 2003) = Narva and the Baltic sea region. Narva Kolledž, Narva 2004, ISBN 9985-4-0417-3
- Dirk-Gerd Erpenbeck, Enn Küng: Narvaer Bürger- und Einwohnerbuch 1581–1704. Forschungsstelle Ostmitteleuropa, Dortmund 2000, ISBN 3-923293-63-1
- Dirk-Gerd Erpenbeck: Narvaer Bürger- und Einwohnerbuch 1704–1840. AGoFF, Herne 2014, ISBN 978-3-939271-06-2
- Heinrich J. Hansen: Geschichte der Stadt Narva. Heinrich Laakmann, 1858; archive.org.
- Anton Weiss-Wendt: Must-valge linn / Schwarz-weiße Stadt. Vana-Narva fotoajalugu / Fotogeschichte Narvas. Kataloog / Katalog. Tallinn, 1997
- Martin Zeiller: Narva. In: Matthäus Merian (Hrsg.): Topographia Electoratus Brandenburgici et Ducatus Pomeraniae (= Topographia Germaniae. Band 13). 1. Auflage. Matthaeus Merians Erben, Frankfurt am Main 1652, S. 17–18 (Volltext [Wikisource]).
- Stadtansicht (nicht aufgeklapptes Faltbild im Anhang) nach J. B. v. Fischer: Versuch einer Naturgeschichte von Livland. 2. Auflage. Königsberg 1791
Weblinks
Bearbeiten- Offizielle Internetpräsenz der Stadt
- Narvaer Kolleg der Universität Tartu
- Das Narvamuseum (estnisch, russisch, englisch)
- Narva 2012. Art-Project (Fotokunst und Malerei); get.google.com
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Population by sex, age and place of residence after the 2017 administrativ reform, 1 January. Statistics Estonia, abgerufen am 17. Februar 2019 (englisch).
- ↑ Marija Gimbutas: Die Ethnogenese der europäischen Indogermanen. Innsbruck, Inst. f. Sprachwissenschaft d. Univ., 1992
- ↑ Bauwerke in Narva. estland.com
- ↑ Erich Maschke (Hrsg.): Zur Geschichte der deutschen Kriegsgefangenen des zweiten Weltkrieges. Verlag Ernst und Werner Gieseking, Bielefeld 1962–1977.
- ↑ Sebastian Schaal: Neo Performance Materials baut Werk für Magnet-Produktion in Estland. In: electrive.net. 12. Juli 2023, abgerufen am 1. Mai 2024.
- ↑ Study Centres: Narva. ( vom 13. Februar 2013 im Webarchiv archive.today) eek.ee