Henning Voscherau
Henning Voscherau [13. August 1941 in Hamburg; † 24. August 2016[1] ebenda) war ein deutscher Politiker der SPD. Der Jurist war von 1988 bis 1997 Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg.
] (*Leben und Wirken
BearbeitenFamilie, Ausbildung und Beruf
BearbeitenHenning Voscherau war der Sohn des Schauspielers Carl Voscherau und von Martha, geb. Lohmann (1906–1971),[2] der Neffe des Volksschauspielers Walter Scherau (eigentlich Walter Voscherau) und Bruder von Eggert Voscherau. Henning Voscherau studierte nach dem Abitur am Gymnasium Oberalster[3] Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre an der Universität Hamburg. Im Jahr 1969 wurde er promoviert.
1971 heiratete Voscherau die Apothekerin Annerose. Sie bekamen einen Sohn und zwei Töchter.
Von 1974 bis 2011 (mit Unterbrechung von 1988 bis 1997) war er in Hamburg als Notar tätig. Von 2011 an führte er mit seinem Sohn, dem Rechtsanwalt Carl-Christian Voscherau, eine Rechtsanwalts-Bürogemeinschaft.
Politische Karriere
BearbeitenVoscherau bezeichnete sich selbst als „geborenen Sozi“, unter anderem waren seine Eltern und sein Großvater in der SPD. Er selbst trat der SPD 1966 bei.[4] Seine politische Laufbahn begann 1970 mit der Wahl in die Bezirksversammlung Wandsbek, in der er auch Fraktionsvorsitzender seiner Partei war und der er bis zur Wahl in die Hamburger Bürgerschaft 1974 angehörte. 1976 wurde er in einer Kampfabstimmung gegen den Parteilinken Jan Ehlers mit 41 zu 17 Stimmen zum zweiten stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Bürgerschaftsfraktion gewählt.[5]
Ab 1981 gehörte er dem Landesvorstand der SPD in Hamburg an. Im Jahr 1982 wurde er Vorsitzender der SPD-Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft und behielt diese Funktion bis 1987, bevor er am 8. Juni 1988 zum Nachfolger Klaus von Dohnanyis als Erster Bürgermeister Hamburgs gewählt wurde. Er führte bis 1997 drei Hamburger Senate an (Senat Voscherau I, II und III).
Dem von seinem Amtsvorgänger im Herbst 1987 erzielten Kompromiss mit ehemaligen Hausbesetzern der Hafenstraße stand er kritisch gegenüber und vertrat eine härtere Linie. Schließlich verzichtete er darauf, die Häuser räumen und abreißen zu lassen, da die Bewohner eine Bebauung angrenzender Freiflächen akzeptierten.[6] Vom 1. November 1990 bis zum 31. Oktober 1991 war Voscherau Präsident des Bundesrates. Anschließend hatte er zusammen mit Rupert Scholz den Vorsitz der Gemeinsamen Verfassungskommission (GVK) inne, um die nach Art. 5 des Einigungsvertrages „aufgeworfenen Fragen zur Änderung oder Ergänzung des Grundgesetzes“ bis zur Vorlage des Abschlussberichts am 5. November 1993 zu bearbeiten.
Vor dem Jubiläum 1997 initiierte er die umfangreiche Renovierung des Hamburger Rathauses. Er gewann den Senat und die Bürgerschaft sowie zahlreiche Spender für diese Aufgabe.[7] Voscherau war einer der Initiatoren der Hamburger HafenCity, eines neuen Stadtteils.
Bei der Bürgerschaftswahl 1997 erhielt die Hamburger SPD mit Voscherau als Spitzenkandidaten lediglich 36,2 % der Stimmen. Voscherau erklärte noch am Wahlabend in der 20-Uhr-Tagesschau, damit sei seine „Schmerzgrenze unterschritten“. Er übernehme die „volle Verantwortung“ für das Ergebnis und werde in der neuen Bürgerschaft nicht für das Amt des Ersten Bürgermeisters kandidieren. Seine Amtszeit endete am 8. Oktober 1997. Er zog sich daraufhin aus der aktiven Politik zurück, blieb aber bis 2001 Mitglied des SPD-Bundesvorstandes.
Nach einer wegen Stimmzetteldiebstahls[8] gescheiterten Mitgliederbefragung der Hamburger SPD über die Frage, ob Mathias Petersen oder Dorothee Stapelfeldt Ole von Beust (CDU) bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg 2008 herausfordern sollten, wurden Voscherau gute Chancen eingeräumt, erneut Spitzenkandidat der SPD zu werden. In einem Brief an den Landesvorsitzenden teilte er am 5. März 2007 jedoch mit, er habe sich wegen der Befürchtung, nicht dauerhaft unterstützt zu werden, und aus Rücksicht auf seine Familie entschlossen, nicht anzutreten.[9]
Nach dem Rücktritt Christian Wulffs war er im Februar 2012 als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten im Gespräch.[10]
Weitere Tätigkeiten und Tod
BearbeitenVoscherau gehörte ab 2003 dem Vorstand der Deutschen Nationalstiftung an, war dort stellvertretender Vorsitzender des Senats, weiterhin gehörte er dem Kuratorium der Hamburger Zeit-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius an und war sowohl Aufsichtsrats- als auch Kuratoriumsmitglied der privaten Hamburger Bucerius Law School.[11] Er gehörte zudem der Freitagsgesellschaft Helmut Schmidts an.[12]
Im April 2012 wurde Henning Voscherau Vorsitzender des Aufsichtsrats der South Stream Transport AG,[13] einem Joint Venture von Gazprom und dem italienischen Energieversorger Eni.
Voscherau war Vorsitzender der Mindestlohn-Kommission, die in Deutschland über die Anpassung der Höhe des gesetzlichen Mindestlohns befindet.[14] Er legte das Amt im April 2015 aus gesundheitlichen Gründen nieder.[15]
Voscherau starb am 24. August 2016, dem Todestag seines Vaters, im Alter von 75 Jahren in seinem Haus in Hamburg-Wellingsbüttel im Beisein seiner Familie an den Folgen eines Hirntumors.[16] Ein Staatsakt zu seinen Ehren fand am 9. September 2016 im Hamburger Thalia Theater statt. Er wurde am folgenden Tag im Kreis seiner engsten Familie auf dem Friedhof Ohlsdorf in Hamburg beigesetzt.[17]
Ehrungen
BearbeitenFür sein Engagement bei der Planung der HafenCity wurde Voscherau 2011 mit der Bürgermeister-Stolten-Medaille geehrt, einer der höchsten Auszeichnungen Hamburgs.[18] Er war zudem Ehrenmitglied des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold.
Der Vorplatz der HafenCity Universität wurde am 14. November 2019 nach Henning Voscherau benannt.[19]
Rezeption
BearbeitenDieter Wedels in Hamburg spielender Sechsteiler Die Affäre Semmeling von 2001 weist, trotz gegenteiliger Beteuerung, zahlreiche Parallelen zu Voscherau, seinem Nachfolger Ortwin Runde sowie zur Hamburger SPD auf. Der von Robert Atzorn gespielte Hamburger Bürgermeister „Dr. Klaus Hennig“ gilt im Gegensatz zu seinem bodenständigen, in der Partei verhafteten Nachfolger Axel Ropert als intellektueller integrer Politiker, der auf Grund familiärer Probleme sowie eines sich mit den Grünen abzeichnenden Bündnisses zurücktritt. Voscherau erkannte sich in der Rolle des Dr. Hennig nicht wieder; eine Szene, in der Sozialdemokraten in der Oper eine Intrige schmieden, bezeichnete er als unmöglich, „da dort nicht genug SPD-Mitglieder zusammenkommen.“[4]
Publikationen
Bearbeiten- Die unerhebliche falsche Zeugenaussage: Ein Beitrag zur Geschichte und zur Auslegung des objektiven Tatbestandes von uneidlicher und eidlicher falscher Aussage. Hamburg 1970, DNB 482079193 (Dissertation, Universität Hamburg, 1. Juli 1970).
Literatur
Bearbeiten- Uwe Bahnsen: Henning Voscherau. Ellert & Richter Verlag, Hamburg 2022, ISBN 978-3-8319-0819-6.
Weblinks
Bearbeiten- Literatur von und über Henning Voscherau im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Rainer Burchardt: „Als Großstadtbürgermeister braucht man Fleiß, Härte und Präzision“: Der ehemalige Erste Bürgermeister in Hamburg, Henning Voscherau, erinnert sich. Interview in der Deutschlandfunk-Reihe Zeitzeugen im Gespräch, 27. September 2012
- Henning Voscherau: Trauerrede für Loki Schmidt, 1. November 2010
- Staatsarchiv Hamburg Nachlass 622-1/511
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Dr. Henning Voscherau Traueranzeige der Stifter Albert Darboven. in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 2. September 2016, abgerufen am 6. Oktober 2020
- ↑ Familiengrab auf knerger.de
- ↑ Frank Reschreiter: »Solang ich kann, arbeite ich«, Archiv: Interview Henning Voscherau. Hamburger Morgenpost vom 12. August 2006 ( vom 19. Februar 2009 im Internet Archive)
- ↑ a b Wer war’s? - Henning Voscherau, in: Vorwärts 6/2013, S. 41
- ↑ „21 waren gegen Ulrich Hartmann“, in: Hamburger Abendblatt vom 27. April 1976, abgerufen am 22. März 2020.
- ↑ Die Geschichte der Hafenstraße, ndr.de vom 6. September 2011
- ↑ Gisela Schütte: Das Rathaus strahlt - Hamburg dankt den Bürgern. In: welt.de. 21. September 1999, abgerufen am 7. Oktober 2018.
- ↑ SPD leistet Abbitte bei Ex-Parteichef Petersen, welt.de vom 8. Dezember 2009
- ↑ Kandidatensuche: Voscherau lässt Hamburgs SPD abblitzen, Spiegel-Artikel vom 5. März 2007 zur Kandidatur Voscheraus bei der Bürgerschaftswahl im Jahr 2008
- ↑ Daniel Friedrich Sturm: Plötzlich war ein Sozialdemokrat für Bellevue im Spiel, welt.de vom 20. Februar 2012
- ↑ Henning Voscherau auf der Webpräsenz seiner Kanzlei, gesehen am 28. Dezember 2012
- ↑ Objekt der Woche: Die Freitagsgesellschaft. In: helmut-schmidt.de. 23. November 2018, abgerufen am 5. Februar 2023.
- ↑ Benedikt von Imhoff: Voscherau zum South-Stream-Aufsichtsratschef gewählt. In: Abendblatt.de, 13. April 2012
- ↑ Pressemitteilung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 17. Dezember 2014
- ↑ Pressemitteilung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 8. Juni 2015
- ↑ Senat trauert um Ersten Bürgermeister Henning Voscherau hamburg.de, abgerufen am 24. August 2016
- ↑ Weggefährten nehmen Abschied von Henning Voscherau. In: Welt.de, 9. September 2016, abgerufen am 10. September 2016
- ↑ Pressemeldung vom 9. August 2011: Wochendienst der Pressestelle des Senats: Senat verleiht Bürgermeister a. D. Henning Voscherau die Bürgermeister-Stolten-Medaille (abgerufen am 30. März 2021)
- ↑ Henning-Voscherau-Platz in der HafenCity feierlich eingeweiht auf www.hamburg.de vom 14. November 2019, abgerufen am 14. November 2019
Personendaten | |
---|---|
NAME | Voscherau, Henning |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Politiker (SPD), MdHB, Erster Bürgermeister Hamburgs (1988–1997) |
GEBURTSDATUM | 13. August 1941 |
GEBURTSORT | Hamburg |
STERBEDATUM | 24. August 2016 |
STERBEORT | Hamburg |