Ausgleichsmandat
Ausgleichsmandate dienen dazu, die bei bestimmten Wahlsystemen zustande kommenden Überhangmandate so auszugleichen, dass andere Parteien, die keine oder weniger Überhangmandate bekommen haben, nicht benachteiligt werden. So wird erreicht, dass die Parteien im Parlament entsprechend ihrem Zweitstimmenanteil (d. h. gemäß der Verhältniswahl) vertreten sind. Durch die Wahlrechtsreform 2023 wurden im Bundestag die Ausgleichsmandate zusammen mit Überhangmandaten durch die sog. Zweitstimmendeckung ersetzt.[1][2] Im Juli 2024 bestätigte das Bundesverfassungsgericht die Abschaffung der Ausgleichsmandate und Überhangmandate.
Verfahren
BearbeitenZu Überhangmandaten kann es kommen, wenn die Abgeordnetensitze sowohl in einer Mehrheitswahl (über Direktmandate) als auch in einer Verhältniswahl (über Parteilisten) vergeben werden. Dieses Verfahren der sogenannten personalisierten Verhältniswahl wird beispielsweise bei der Wahl zum Deutschen Bundestag, den meisten Bundesländern bei Landtagswahlen (nicht Bremen, Saarland)[3] und zum Teil bei Kommunalwahlen angewendet (z. B. Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen).
Das Verfahren der Zuteilung der Ausgleichsmandate, um die zuvor entstandenen Überhangmandate und das daraus entstandene Missverhältnis der Sitze im Parlament auszugleichen, ist sehr unterschiedlich. In Niedersachsen zum Beispiel wird die doppelte Anzahl der Überhangmandate zu der ursprünglichen Anzahl der zu vergebenden Sitze hinzuaddiert. Dann werden sämtliche Berechnungen so wiederholt, als wäre die Summe die ursprüngliche Anzahl der Sitze. Dadurch soll das Kräfteverhältnis annähernd wiederhergestellt werden.
Bei der Anwendung der Unechten Teilortswahl in Baden-Württemberg entstehen Ausgleichssitze durch den Abgleich zwischen dem Gesamtergebnis einer Liste in einem Gesamtgemeindegebiet und dem damit erzielten Anspruch ihrer Liste auf Sitze des zu wählenden Gremiums und den Ergebnissen ihrer Kandidaten für den von ihnen vertretenen Wahlbezirk (Teilort bzw. Wohnbezirk).
Rechtsgrundlagen
BearbeitenGebiet | Rechtsgrundlage |
---|---|
Deutschland | § 6 BWG (bis 2023) |
Baden-Württemberg | § 2 LWG; ferner § 25 KomWG |
Bayern | Art. 44 LWG |
Berlin | § 19 LWG, § 73 LWO |
Brandenburg | § 3 BbgLWahlG |
Hamburg | § 5 BüWG |
Hessen | § 10 LWG |
Mecklenburg-Vorpommern | § 58 LKWG M-V |
Niedersachsen | § 33 NLWG |
Nordrhein-Westfalen | § 33 LWG; ferner § 33 KomWG |
Rheinland-Pfalz | § 30 LWahlG |
Sachsen | § 6 SächsWahlG |
Sachsen-Anhalt | § 35 LWG |
Schleswig-Holstein | § 3 LWahlG |
Thüringen | § 5 ThürLWG |
Deutscher Bundestag (bis 2023)
BearbeitenBei den Bundestagswahlen von 1949 bis 2009 gab es keine Ausgleichsmandate, daher (und aufgrund der Sperrklausel) entsprach die Sitzverteilung im Bundestag nicht zwangsläufig der prozentualen Zweitstimmenverteilung.[4]
Seit Dezember 2011 galt ein modifiziertes Verfahren der Sitzverteilung für den Bundestag. Im Juli 2012 erklärte das Bundesverfassungsgericht dieses Verfahren für unwirksam. Der Zweite Senat gab mit seiner Entscheidung Verfassungsklagen der Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen sowie von mehr als 3000 Bürgern statt.[5][6]
Im Oktober 2012 einigten sich schließlich die Regierung (CDU, CSU und FDP) und Teile der Opposition (SPD und Grüne) im Bundestag darauf, ab der Bundestagswahl 2013 Ausgleichsmandate für den Bundestag einzuführen.[7] Die Wahlrechtsreform wurde am 21. Februar 2013 im Bundestag beschlossen[8] und durch Anpassung des § 6 des Bundeswahlgesetzes umgesetzt.
Die Wahl 2013 ergab schließlich vier Überhangmandate für die CDU.[9] Durch die Verteilung nach Landeslisten in der 1. Stufe bestimmten jedoch in der 2. Stufe die 56 Mindestmandate der CSU die Gesamtgröße, sodass es insgesamt 29 Ausgleichsmandate gab.[10]
Die Regelung des Ausgleichs – nicht der Ausgleich an sich – und die damit verbundene Gefahr einer starken Aufblähung der Sitzzahl wurde bereits im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens kritisiert.[11]
Im Januar 2023 stellte die Ampelkoalition einen Gesetzentwurf zur Reform des Wahlrechtes und zur Verkleinerung des Bundestages vor, der eine Abschaffung der Überhangmandate und Ausgleichsmandate zum Inhalt hat.[12]
Am 14. Juni 2023 trat die Gesetzesänderung in Kraft.
Bundestagswahl | AfD | CDU | CSU | FDP | Grüne | Linke | SPD | SSW | Summe | Rechnerisch maßgeblicher Mandatszuwachs | |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
2021[13] | Überhang | 1 | 12 | 11 | 10 | 34 | 34→42[+3] (CSU) | ||||
Ausgleich | 13 | 18 | 0 | 16 | 24 | 7 | 26 | 0 | 104 | ||
2017[14] | Überhang | 36 | 7 | 3 | 46 | 168→200 (CDU) | |||||
Ausgleich | 11 | 0 | 0 | 15 | 10 | 10 | 19 | – | 65 | ||
2013[15] | Überhang | 4 | 4 | 53→56 (CSU) | |||||||
Ausgleich | – | 13 | 0 | – | 2 | 4 | 10 | – | 29 |
Weblinks
Bearbeiten- Wahlrecht.de: Ausgleichsmandate – Wahlrechtslexikon
- Deutscher Bundestag (Herausgeber): Stichwort Wahlen – Grundpfeiler der Demokratie (PDF, 45 S., Stand Juli 2013; 2,4 MB)
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes
- ↑ Wie der Bundestag an Größe verlieren soll
- ↑ Roman Kaiser, Fabian Michl: Landeswahlrecht (2020), S. 490
- ↑ Bei den Wahlen 1965, 1969, 1972 und 1976 kam es zu keinen Überhangmandaten.
- ↑ BVerfG, Urteil vom 25. Juli 2012, Az. 2 BvF 3/11 (+ 2 BvR 2670/11 + 2 BvE 9/11), BVerfGE 131, 316 – Landeslisten
- ↑ Karlsruher Richter erklären Wahlrecht für verfassungswidrig. In: sueddeutsche.de
- ↑ Überhänge werden „neutralisiert“. In: n-tv.de
- ↑ Breite Mehrheit für Reform ( vom 16. Juni 2014 im Internet Archive) In: tagesschau.de
- ↑ Warum der neue Bundestag 631 Abgeordnete zählt. In: bundestag.de
- ↑ Ein neuer Typ von Überhangmandaten im neuen Bundestagswahlsystem. In: Wahlrecht.de
- ↑ Überwiegend Zustimmung zur Reform des Wahlrechts. In: bundestag.de
- ↑ Spiegel.de: Wahlrechtsreform, AfD Fraktion unterstützt Ampelpläne zur Bundestagsverkleinerung, Januar 2023
- ↑ Informationen des Bundeswahlleiters, Wahl zum 20. Deutschen Bundestag am 26. September 2021, Heft 3, S. 12 ff.
- ↑ Informationen des Bundeswahlleiters, Wahl zum 19. Deutschen Bundestag am 24. September 2017, Heft 3, S. 387 ff.
- ↑ Informationen des Bundeswahlleiters, Wahl zum 18. Deutschen Bundestag am 22. September 2013, Heft 3, S. 318 ff.