Vorlage:Infobox Anime-Film Katsudō Shashin (jap. 活動写真, dt. „Bewegte Bilder“), auch bekannt als Matsumoto Fragment, ist einer der ältesten japanischen Zeichentrickfilme (Anime). Der Autor und das Produktionsdatum des Werks sind unbekannt, wobei das Werk sehr wahrscheinlich zwischen 1907 und 1912 enstanden ist.[1][2]
Beschreibung
Der Film besteht aus 50 Einzelbildern, die mit Rot und Schwarz auf einen 35-mm-Zelluloidstreifen in einer Kappa-zuri (合羽版) genannten Schablonendrucktechnik gebracht wurden. Die Breite des Streifen schrumpfte durch das Alter auf 33,5 mm. Bei 16 Bildern pro Sekunde ist er etwa drei Sekunden lang. Gezeigt wird ein Junge im Matrosenanzug, der die Kanji 活動写真 auf eine Tafel schreibt, sich zum Zuschauer wendet, seinen Hut abnimmt und ihn grüßt. Die Junge wird nicht realistisch, sondern einem Cartoon entsprechend stilisiert dargestellt. Die Umsetzung des Drucks wird als qualitativ schlecht eingeordnet, so deckt sich die Farbfüllung der Mütze nicht immer mit deren Umriss.[1][2] Sandra Annett versteht den Inhalt als selbstbewusste und reflektierte Präsentation einer neuen Technologie, der zugleich zeigt, welche Bedeutung dem Lernen von Schrift beigemessen wurde.[3]
Entdeckung, Datierung, Herkunft
Im Dezember 2004 erfuhr Natsuki Matsumoto, Dozent an der Kunsthochschule Ōsaka und der Kunsthochschule Musashino und Sammler alter Filme, von einer Kiste mit alten Filmmaterialien in Kyōto. Im Januar 2005 erwarb er die Kiste, in der sich zusammen mit ausländischen Animationen, Filmvorführutensilien und älteren Animationstechnik wie Laterna magica, auch die Filmrolle mit Katsudō Shashin befand.[2] Die meisten Gegenstände in der Sammlung waren für den Heimgebrauch gedacht. Durch die Zusammenstellung der Gegenstände konnte Matsumoto, der den Fund gemeinsam mit Animationsfilmhistoriker Nobuyuki Tsugata untersuchte,[4] das Herkunftsjahr auf frühestens 1907 eingrenzen, da vorher keine solche Sammlung möglich gewesen wäre.[1] Frederic S. Litten hält eine Herstellung des Filmstreifens für die Zeit um 1907 für möglich, auch in den Jahren davor. Durch zeitgenössische Werbung kann nachgewiesen werden, dass ähnliche ausländische Filme, vor allem Realfilmaufnahmen, wie auch die Vorführtechnik seit dem Russisch-Japanischen Krieg 1904/1905 in Japan bekannt und verfügbar waren. Litten hält es daher für wahrscheinlich, dass einheimische Spielzeugproduzenten auf Grundlage der älteren optischen Spielzeuge solche Kurzfilme produzierten. Nicht nur der Inhalt mit japanischen Zeichen legt eine japanische Herkunft nahe, sondern auch die Drucktechnik. Diese wurde in Japan traditionell zum Bedrucken von Laterna magica oder Seide angewandt. Die schlechte Qualität des Drucks weist auf die Produktion eines kleineren Unternehmens hin. Die Wahl der Technik kann in Anlehnung zu bekannten deutschen Drucken geschehen sein, oder es wurde bewusst eine bekannte lokale Drucktechnik aufgegriffen. Eine Entstehung nach 1912 wird sowohl von Litten als auch Matsumoto für unwahrscheinlich gehalten, da die Preise für Celluloid in dieser Zeit stiegen und die Herstellung solcher Kurzfilme dann nicht mehr lohnenswert wäre.[2]
Mediale Rezeption
Das Stück Film wurde nach seiner Entdeckung gescannt und über das Internet verbreitet. Im Sommer 2005 erreichte es eine große Bekanntheit und mediale Aufmerksamkeit. Die Aussage Matsumotos, der Film sei wohlmöglich 10 Jahre älter als der bis dahin bekannten ältesten japanischen Animationsfilme von 1917, führt zu großen Spekulationen in der Berichterstattung und der öffentlichen Diskussion. Teils wurde über Datierungen noch vor 1907 spekuliert, bis dahin dass der Film als ältester Animationsfilm überhaupt bezeichnet wurde. Die Spekulationen basierten jedoch nicht auf wissenschaftlichen Untersuchungen des Fundes oder widersprachen diesen sogar.[1] Insbesondere in der englischsprachigen Welt setzte sich das Jahr 1907 trotz seines spekulativen Charakters für die Entstehung des Films und damit als Entstehungsjahr von Anime weitgehend durch, nicht nur durch mediale Berichterstattung, sondern auch über Internetplattformen wie Youtube oder Wikipedia.[3]
Bedeutung
Es ist nicht bekannt, ob der Film jemals öffentlich vorgeführt wurde. Ebenso sind keine Einflüsse auf spätere Werke bekannt. Frederick S. Litten sieht in dem Film dennoch, auf Grundlage seiner Datierung, den ältesten noch erhaltenen japanischen Animationsfilm.[2] Für Antonio López stellt die Entdeckung des Films sogar die Vorreiterrolle von Amerika und Frankreich im Animationsfilm jener Zeit in Frage, ist er doch möglicherweise vor oder zumindest zeitgleich zu den ersten bisher bekannten Trickfilmen entstanden. Er zitiert dazu auch Nobuyuki Tsugata, der sich in dieser Weise gegenüber Asahi Shimbun äußerte, dabei aber auch zu bedenken gab, dass man Katsudō Shashin kaum als Animationsfilm im üblichen Sinne bezeichnen kann. In jedem Fall zeigt der Film, so López, dass die Verwendung von 35mm-Film in Japan kein Verdienst von Jun'ichi Kouchi und Seitaro Kitayama 1917/1918 war, wie man bis dahin gedacht hatte.[4] Der Einschätzung Katsudō Shashins als Vorreiter des Animationsfilms hält Sandra Annett entgegen, dass dieser im Gegensatz zum ersten französischen Animations-Film Fantasmagorie von 1908 oder Humorous Phases of Funny Phases von 1906 aus den USA nicht nur sehr ungenau datiert werden kann, sondern inhaltlich einfach und wenig kreativ gehalten ist. Gemeinsam hätten die Filme jedoch den reflektierten Umgang mit dem Medium Animation.[3]
Natsuki Matsumoto selbst sieht die Bedeutung des Fundes, nach Abebben der medialen Aufmerksamkeit, nicht in dem möglicherweise ersten japanischen Animationsfilm, sondern in der Sammlung als Ganzes. Da vor allem viele ältere, einfache Animationstechniken und optische Spielzeuge wie Laterna magica enthalten sind, zeigt dies die viel längere Tradition von Animation in der japanischen Kultur. Die Bedeutung eines „ersten“ Werks einer bestimmten Technik rückt dabei in den Hintergrund, es zeigt sich eine Kontinuität kultureller und technischer Entwicklung. Jonathan Clements betont, dass Zoetropen, Laterna magica und Praxinoskop bereits früher Einzug in Japan gehalten haben und im Laufe des 19. Jahrhunderts teil von Bühnenvorstellungen wurden, wie dies auch in anderen Teilen der Welt der Fall war. Die Vorführung von Filmen fand noch in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in gleicher Weise eingebettet in ein Bühnenprogramm statt.[1]
Weblinks
- Commons: Katsudō Shashin – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Literatur
- Natsuki Matsumoto: Eiga Torai Zengo no Katei-yō Eizō Kiki: Gentō, Animation, Gangu Eiga (映画渡来前後の家庭用映像機器). In: Kenji Iwamoto: Nippon Eiga no Tanjō (日本映画の誕生). Shinwa-sha, 2011. S. 95–128. ISBN 978-4-86405-029-6.
- Frederick S. Litten: Japanese color animation from ca. 1907 to 1945. 3.3 Katsudō shashin. 17. Juni 2014, S. 13–15, abgerufen am 21. Juni 2014 (englisch).
Einzelnachweise
- ↑ a b c d e Jonathan Clements: Anime - A History. Palgrave Macmillan 2013. S. 20. Darin Verweis auf Matsumoto, 2011.
- ↑ a b c d e Litten, 2014, S. 11-15. Darin auch Verweis auf Matsumoto, 2011.
- ↑ a b c Sandra Annett: Anime Fan Communities: Transcultural Flows and Frictions. Palgrave Macmillan, 2014. S. 28-30.
- ↑ a b Antonio López: A New Perspective on the First Japanese Animation. In: Published proceedings‚ Confia‚ (International Conference on Illustration and Animation), 2012. IPCA. S. 583 f. ISBN 978-989-97567-6-2.