Cocceji, Heinrich Freiherr von

Lebensdaten
1644 – 1719
Geburtsort
Bremen
Sterbeort
Frankfurt/Oder
Beruf/Funktion
Jurist ; Hochschullehrer ; Geheimer Rat
Konfession
evangelisch
Normdaten
GND: 117691666 | OGND | VIAF: 14909064
Namensvarianten

  • Cocceji, Heinrich Freiherr von
  • Cocceji, Heinrich von
  • Cocceii, Henricus
  • Cocceius, Heinrich von
  • Cocceius, Henricus
  • Cocceius, Henricus de
  • Cocceji, Heinrich
  • Cocceji, Hendrik de
  • Cocceji, Henrici de
  • Cocceji, Henricus
  • Coccejus, Heinrich
  • Coccejus, Heinrich von
  • Coccejus, Hendrik
  • Coccejus, Henricus
  • Coccejus, Henricus a
  • Coccejus, Henricus de
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Zitierweise

Cocceji, Heinrich Freiherr von, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd117691666.html [16.11.2024].

CC0

  • Cocceji, Heinrich von (seit 1702), Freiherr von (seit 1713)

    Jurist, * 25.3.1644 Bremen, 18.8.1719 Frankfurt/Oder. (evangelisch)

  • Genealogie

    V Hinrich Coch, städtischer Hafenschreiber in Bremen;
    M Lucke (Lucie) v. Oldenburg, Schw des Heinr. v. Oldenburg (um 1615-77), der 1653 z. 2. Mal als Vertreter des Bremer Rats nach England ging, dort die Freundschaft Miltons wie auch Boyles u. a. Naturwissenschaftler erwarb u. mit ihnen die Gesellschaft z. Beförderung der physikalisch-math. Experimentalwissenschaften, der späteren Royal Society, gründete, deren 1. Sekretär er war;
    Heidelberg 17.11.1673 Marie Salome ( 1720), T des hanau-lichtenbergschen Amtsschaffners Samuel Hugwart in Diersheim u. der Eva Maria Walther v. Aachen;
    3 S, Samuel s. (2), Frdr. Heinr. (1676–1703), pfälzischer Oberstleutnant (s. ADB IV), Joh. Gottfr., GR in Magdeburg.

  • Biographie

    C. studierte Jura in Leiden 1667-69, unternahm eine Bildungsreise nach England (Dr. jur. in Oxford) und 1671 nach Frankreich, wurde Professor für Natur- und Völkerrecht in Heidelberg als Nachfolger Samuel Pufendorfs und 1682 Geheimer Rat des Kurfürsten und Mitglied des kurfürstlichen Revisionsgerichts. 1688 floh er aus dem von französischen Truppen besetzten Heidelberg, war für kurze Zeit Professor der Rechte in Utrecht und seit 1690 Professor primarius an der Universität Frankfurt/Oder. Jahrzehntelang war er die wichtigste Stütze der dortigen Spruchfakultät, berühmter Gutachter für zahlreiche europäische Höfe und erfolgreicher Unterhändler in staatsrechtlichen Streitfällen, so unter anderem für Brandenburg (1702) in der Oranischen Sukzessionssache und für Kurpfalz in den Erbauseinandersetzungsstreitigkeiten nach dem Tode der Herzogin Liselotte von der Pfalz. 1702 wurde er brandenburgischer Geheimer Rat.

    Zu C.s Zeit machten sich bereits nachhaltige Bestrebungen geltend, die auf eine Verselbständigung der Jurisprudenz gegenüber dem Einfluß der Theologie, auf genauere Beachtung der Wirklichkeit und stärkere rationale Arbeit hinzielten. Dazu trat eine wachsende Neigung, den Einfluß des römischen Rechts zurückzudrängen. C. zeigte sich für diese neu heraufkommenden Tendenzen in mancher Hinsicht aufgeschlossen, fühlte sich aber andererseits der Vergangenheit noch weitgehend verbunden. Seine Vorliebe für das römische Recht kam besonders im zivilistischen Bereich zur Geltung. Dort hat er infolgedessen auf die einheimischen Rechtsbildungen weniger Rücksicht genommen als dies nach der Vorarbeit Conrings dem Zug der Entwicklung entsprochen hätte.

    Im Staatsrecht dagegen, das C. als erster in einem selbständigen systematischen Lehrbuch dargestellt hat, löste er sich sehr gründlich vom römischen Recht. Er arbeitete dort aber auch nicht vorwiegend mit rationalen Erwägungen, sondern gewann seine Grundsätze in erster Linie aus dem geschichtlichen Material, das ihm die heimischen Verhältnisse boten. Er blieb dabei nicht, wie viele seiner Zeitgenossen, bei der Tatsachensammlung stehen, sondern schritt zur Herstellung größerer Zusammenhänge fort, freilich ohne daß ihm hier die Treffsicherheit eigen gewesen wäre, mit der Conring oft trotz dürftigster Quellenunterlagen die wahren Zusammenhänge zu erahnen wußte.

    C.s zwischen den Fronten liegender geistesgeschichtlicher Standort ist vielleicht am deutlichsten aus der erregenden Kontroverse um die Grundlegung des Naturrechts, an der er maßgeblich beteiligt war, zu erkennen. Er bekämpfte hier Grotius und Pufendorf, die - späteren Anschauungen den Weg bereitend - das Naturrecht in der Hauptsache auf den menschlichen Geselligkeitstrieb gegründet hatten, und lehrte im Gegensatz dazu, daß der Wille Gottes die alleinige Quelle des Naturrechts sei. Er tat dies nicht etwa wie andere seiner Zeitgenossen in Verfolg orthodoxer religiöser Anschauungen, sondern vornehmlich, weil er die Ableitung des Naturrechts aus dem göttlichen Willen als eine fruchtbare konstruktive Idee ansah, die ihm wie keine andere geeignet erschien, dem Naturrecht zwingende Kraft und höchste Autorität zu verleihen. Zwar hatten auch Grotius und Pufendorf Gott als letzten Ursprung des natürlichen Rechts bezeichnet; aber sie hatten es bei weitem nicht mit solcher Ausschließlichkeit getan wie C.. Dieser widersetzte sich, indem er den Willen Gottes zur alleinigen Quelle des Naturrechts machte, sehr nachdrücklich einer so gründlichen Verweltlichung des Rechtsdenkens, wie sie seine wissenschaftlichen Gegner anstrebten. Er|glaubte es nicht gutheißen zu können, daß durch die Zurückführung des Naturrechts auf die socialitas ein Zustand herbeigeführt wurde, in dem der Mensch nicht mehr an höhere, ihm von dritter Seite auferlegte Weisungen gebunden war, sondern das alleinige Maß der Dinge in sich selbst fand. Andererseits gab C. insoweit wieder neuen Ideen Raum, als er nicht nur die göttliche Offenbarung, sondern auch die menschliche Vernunft und die historische Forschung zur Erkundung des göttlichen Willens für brauchbar hielt.

    In C.s praktischem Wirken sind diese rechtsphilosophischen Anschauungen im Untergrund ebenfalls spürbar, und zwar nicht nur in seinen staatsrechtlichen Gutachten, sondern auch in den von ihm verfaßten Consilien der Frankfurter Spruchfakultät. Darüber hinaus zeigte C. hier im Gegensatz zu seinen manchmal allzu kühnen Gedankenkombinationen auf rechtsgeschichtlichem Gebiet ein bemerkenswertes Verständnis für die Realitäten des Lebens; er betätigte in diesem Bereich seinen praktischen Blick und jene große Lebenserfahrung, die für die Spruchkollegien damals wegen des häufigen Zwanges zur Entscheidung auf Grund eines unvollständigen Tatbestands und hinterhältiger Fragestellungen einfach unerläßlich waren.

  • Werke

    Juris publici prudentia, Frankfurt/O. 1695, ⁴1723;
    Autonomia juris gentium, ebenda 1718;
    Exercitationum curiosiarum, vol. 1, 2, Lemgo 1722 (darin Fata et merita, maßgebend f. Biogr.);
    Deductiones, consilia et responsa in causis Illustrium, ebenda 1725;
    Consilia, responsa et res judicatae in causis privatorum, dgl. in causis criminalibus, ebenda 1728;
    Grotius illustratus, 4 Bde., Breslau 1744-52 u. ö. (hrsg. v. S. Cocceji).

  • Literatur

    ADB IV;
    J. P. Niceron, Nachrr. v. d. Begebenheiten u. Schrr. berühmter Gelehrten, hrsg. v. S. J. Baumgarten, T. 10, Halle 1754, S. 161-74;
    Hymmens Btrr. z. jur. Lit. in d. preuß. Staaten, Bd. 5, Berlin 1780, S. 197-201;
    H. F. W. Hinrichs, Gesch. der Rechts- und Staatsprinzipien III, 1852, S. 318 ff.;
    A. Stölzel, Brandenburg-Preußens Rechtsverwaltung u. Rechtsverfassung II, 1888, S. 5 ff., 58 ff.;
    Stintzing-Landsberg, III, 1, 1898, S. 112-16 u. Notenbd. S. 65-68;
    M. Springer, Die C.sche Justizreform, 1914, S. 13-15;
    B. v. Selchow, Die Not unseres Rechts, 1932, S. 242 f.;
    E. Wolf, in: Encyclopaedia of the social sciences III, New York 1937, S. 603. - Zu Heinr. v. Oldenburg: W. v. Bippen, H. v. O., d. Sekretär d. kgl. Ges. d. Wiss. in London u. seine Vorfahren, in: Brem. Jb. 15, 1889, S. 118-40.

  • Porträts

    Kupf. v. J. G. Mentzel, G. Uhlich, M. Bernigeroth (sämtl. Kupf.kab. Dresden).

  • Autor/in

    Erich Döhring
  • Zitierweise

    Döhring, Erich, "Cocceji, Heinrich Freiherr von" in: Neue Deutsche Biographie 3 (1957), S. 300-301 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd117691666.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Cocceji, Heinrich von

  • Biographie

    Cocceji: Heinrich v. C., Jurist, geb. zu Bremen 25. März 1644, zu Frankfurt a. O. 18. Aug. 1719, wendete sich, nachdem er seine Schulbildung in seiner Vaterstadt empfangen, im J. 1667 nach Leyden, um die Rechte zu studiren, und disputirte hier 1669 über seine Dissertation „De momentaria possessione etc.“, ging dann 1670 nach London, wo sein Muttersbruder H. v. Oldenburg als Secretär der königl. Gesellschaft der Wissenschaften lebte, beschäftigte sich mit Physik und Philosophie und erlangte 1670 in Oxford die juristische Doctorwürde. Im folgenden Jahre besuchte er Frankreich und kam, in der Absicht sich nach Speier an das Reichskammergericht zu begeben, nach Heidelberg. Hier zog er durch die öffentliche Vertheidigung seiner Abhandlung „De proportionibus“ die Aufmerksamkeit des Kurfürsten Karl Ludwig auf sich, ward zum Professor des Natur- und Völkerrechts, als S. Pufendorf's Nachfolger ernannt, erhielt dann die Professur des Lehnrechts und 1680 auch die der Pandekten; ward 1682 kurfürstlicher geh. Staatsrath und Beisitzer des kurfürstlichen Revisionsgerichts. Die ihm von seiner Vaterstadt angetragene Rathsherrenstelle, Berufungen nach Utrecht und Frankfurt a. O. lehnt er ab. Nach der Capitulation Heidelbergs 1688 flüchtet er nach Würtemberg, folgt dann einer Berufung nach Utrecht, kehrt aber schon 1690 nach Deutschland zurück, durch Kurfürst Friedrich von Brandenburg zum Professor primarius in Frankfurt a. O. ernannt. Er blieb in dieser amtlichen Stellung bis zu seinem Tode, durch seinen Landesherrn, der inzwischen die Königswürde angenommen hatte, zum Geh. Rath und in den erblichen Adelsstand erhoben. — Seit dem J. 1673 bis zum J. 1720 war er mit Marie Salome Howard, Tochter des würtembergischen Kanzlers Howard, Herrn v. Dirsheim, verheirathet. Drei Söhne wurden ihm noch in Heidelberg geboren, von denen der älteste Friedrich Heinrich als Oberstlieutenant in pfälzischen Diensten 1703 bei Roermonde fiel. Die beiden jüngern Johann Gottfried (später Geh. Rath an der Regierung in Magdeburg) und Samuel (geb. 1679), der Erbe|des väterlichen Ruhmes, disputirten im J. 1699 zu Frankfurt a. O. öffentlich unter dem Präsidium ihres Vaters, welcher den letzteren im Januar 1703 zum Doctor promovirte. Neben seiner ausgedehnten akademischen und litterarischen Thätigkeit ist C. sowol in pfälzischen, wie in preußischen Diensten zu Staatsgeschäften verwendet worden; er wurde u. a. 1702 wegen der Oranischen Erbschaft nach dem Haag geschickt und hat für die verschiedensten Höfe Staatsschriften verfaßt, welche sich in seinen „Deductiones, consilia et responsa in causis illustrium“ gesammelt finden. Seine große wissenschaftliche Bedeutung liegt auf dem Gebiete des Naturrechts und des öffentlichen Rechts. In jenem bekämpft er die Principien des H. Grotius und Pufendorf's, indem er als Grundquelle alles Rechts nicht die Socialität, sondern unmittelbar den befehlenden und erlaubenden Willen Gottes angesehen wissen will. Sein System, welches er niemals publicirt hat, ist nur durch seine Vorlesungen verbreitet und durch die Inaugural-Disputation seines Sohnes Samuel zu weiterer Geltung gebracht worden. Kurz vor seinem Tode (1719) erschienen dann seine „Autonomia justitiae gentium“ und der „Prodromus juris gentium“. — Für das öffentliche Recht ist er epochemachend deswegen, weil er in seiner „Juris publici prudentia“ 1695 zuerst ein selbständiges System aufstellte. Er gründet dasselbe nicht auf römische, noch auf naturrechtliche Principien, sondern erklärt in den Prolegomenis: „Quod in caeteris juris disciplinis ratio praestat, id in jure publico Germaniae historia.“ Demgemäß sucht er das deutsche Staatsrecht aus der deutschen Geschichte zu begründen, und wenn er auch dabei oft willkürlich zu Werke geht (wie z. B. in seiner berühmten Herleitung der Eintheilung in 10 Kreise aus den altdeutschen, bei Plinius, Strabo und Tacitus genannten Völkerschaften), so hat er doch durch Ablösung des deutschen Staatsrechts von den Grundlagen des römischen Rechts wesentlich in der durch Conring eröffneten Richtung mit gewirkt. Auf dem Gebiete des Privatrechts vertritt er dagegen mit großer Entschiedenheit die Geltung des römischen Rechts gegen die Theorie der neuen germanistischen Richtung. — Schriften: die kleineren gesammelt in „Exercitationum curiosarum Vol. 1. 2.", Lemgoviae 1722. 4. „Deductiones, consilia et responsa in causis illustrium", Lemgoviae 1725, 1728. 2 voll. fol. „Juris publici prudentia", Francof. ad V. 1695. 1700. 1705. 1718. 1723. „Hypomnemata juris feudalis", Francof. ad V. 1693,1702, 1707. „Hypomnemata juris ad seriem Institutionum", Francof. 1698. „Autonomia juris gentium". Francof. 1718. „Prodromus justitiae gentium“, Francof. 1719. „Grotius illustratus“, voll. 4. Vratislaw. 1744—52. fol. herausgegeben von Samuel Cocceji mit dessen introductio und observationes Spätere Ausgaben: Lausanne 1751. 5 voll. 4. Genf 1755. fol.

  • Literatur

    Vgl. Fata et merita H. de Cocceji vor Exercitat. curios. Vol. 1, danach Moser, Niceron, Pütter.

  • Autor/in

    Stintzing.
  • Zitierweise

    Stintzing, Roderich von, "Cocceji, Heinrich Freiherr von" in: Allgemeine Deutsche Biographie 4 (1876), S. 372-373 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd117691666.html#adbcontent

    CC-BY-NC-SA