Weerth, Georg
- Lebensdaten
- 1822 – 1856
- Geburtsort
- Detmold
- Sterbeort
- Havanna (Kuba)
- Beruf/Funktion
- Schriftsteller ; Kaufmann
- Konfession
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- Namensvarianten
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- Weerth, Georg Ludwig
- Weerth, Georg
- Weerth, Georg Ludwig
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Weerth, Georg Ludwig
Schriftsteller, Kaufmann, * 17.2.1822 Detmold, † 30.7.1856 Havanna (Kuba), ⚰ Havanna (Kuba), ehemaliger Hauptfriedhof, Calle Aramburu (Gedenktafel).
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Genealogie
V →Ferdinand (1774–1836), D. theol., Pfarrer 1795 in Homberg (Hzgt. Berg), 1796 in Kettwig/ Ruhr, lipp. Konsistorialrat, Gen.sup. f. d. Fst. Lippe, Publ. (s. NND 14, 1838; Westfäl. Lb. III, 1934; Prot. Profile Ruhrgebiet; BBKL 13), S d. Peter Karl aus’m Weerth, Kaufm., Weinhändler in Elberfeld, u. d. N. N. (* um 1824);
M Wilhelmina (1785–1865), T d. →Johann Gustav Burgmann (1744–95), Pfarrer 1768 in London, 1774 in Mülheim/ Rhein (s. Meusel);
Tante-v Marie Luise Cäcilie aus’m Weerth (1778–1841, ⚭ →Wilhelm Johann Gottfried Gf. v. Roß, 1772–1852, Gen.sup., ‚Bischof‘ d. Kirchenprovinzen Westfalen u. Rheinland);
3 B →Carl (1812–89), Naturwiss., Gymn.lehrer in D., Wilhelm (1815–84), Pfarrer in Oerlinghausen, →Ferdinand (1825–97), Kaufm. in Berlin, 1 Schw Charlotte (1814–36);
– ledig;
Vt →Gottfried Wilhelm (1815–84), Pfarrer in Blomberg;
N Marie (s. L), N 2. Grades →Otto (1849–1930), Naturwiss., Gymn.prof. in D., Gründungsmitgl. u. Vors. d. Naturwiss. u. hist. Ver. f. d. Land Lippe (s. Lipp. Mitt. aus Gesch. u. Landeskde. 71, 2002, S. 265–331);
Gr-N →Karl (1881–1960), Dr. phil., Lehrer in D., Mitgl. d. Hist. Komm. Westfalen (s. L). -
Biographie
Nach dem Besuch der Bürger- und Provinzialschule in Detmold wechselte W. 1833 auf das Gymnasium Leopoldinum, das er mit der Sekundareife verließ. Nach dem Tod des Vaters absolvierte er 1836–40 eine kaufmännische Lehre in Barmen (Textilfirma), wo er →Ferdinand Freiligrath (1810–76) und seinen späteren Mentor →Hermann Püttmann (1811–74) kennenlernte. 1840 / 41 arbeitete W. als Buchhalter in Köln, 1842 / 43 als Büroangestellter und Korrespondent in der Baumwollspinnerei „Weerth und Peill“ in Bonn. An der Universität hörte er Vorlesungen u. a. bei den Philologen →Heinrich Düntzer (1813–1901) und →August Wilhelm v. Schlegel (1767–1845). Durch Vermittlung →Freiligraths wurde W., der 1841 sein erstes Gedicht „Der steinerne Knappe“ veröffentlicht hatte, Mitglied in →Gottfried Kinkels (1815–82) „Maikäferkreis“. Nachdem W. 1843 in Bonn zur Aufdeckung eines politischen Skandals um den Bonner Bürgermeister beigetragen hatte, mußte er um seine Entlassung bitten.
1843 reiste W. nach London und ließ sich als kaufmännischer Angestellter der Textilfirma „Passavant & Co.“ in Bradford nieder. Seither veröffentlichte er Gedichte, dann zunehmend Reiseskizzen und Sozialreportagen im Feuilleton der „Kölnischen Zeitung“ und in mehreren von Püttmann herausgegebenen sozialistischen Jahrbüchern sowie der Anthologie „Album, Originalpoesien“ (1847) und im „Gesellschaftsspiegel“ (1845 / 46, Red. →Moses Hess). 1844 lernte er in Manchester →Friedrich Engels (1820–95) und 1845 in Brüssel →Karl Marx (1818–83) kennen. 1846 ging W. als Handelsvertreter der Textilfabrik „Emanuel & Son“ nach Brüssel. Hier hielt er im Sept.
1847 auf dem „Congrès des Économistes de tous les Pays“ eine international viel beachtete Rede über Probleme eines uneingeschränkten Freihandels. Unmittelbar nach der Februarrevolution 1848 reiste W. nach Paris. Im Frühjahr zog er nach Köln, wo er →Marx und →Engels bei der Gründung der „Neuen Rheinischen Zeitung“ unterstützte. Von der ersten Ausgabe am 1. 6. 1848 bis zu ihrer Einstellung am 19. 5. 1849 gehörte W. zur Redaktion der Zeitung. Dieses knappe Jahr war W.s literarisch und publizistisch produktivste Zeit. Er veröffentlichte anonym zahlreiche Artikel im politischen Teil des Blattes und war verantwortlich für den Inhalt des Feuilletons, das er v. a. mit eigenen Texten füllte. So setzte er die schon vor der Märzrevolution begonnenen „Humoristischen Skizzen aus dem deutschen Handelsleben“ fort und schuf mit der satirischen Fortsetzungsserie „Leben und Thaten des berühmten Ritters Schnapphahnski“ den ersten dt. Feuilletonroman. Vorbild für die pikaresken Abenteuer seines Titelhelden waren die amourösen Affären von Fürst →Felix Lichnowsky (1814–48). W. wurde wegen vorgeblicher Beleidigung des Fürsten angeklagt, verlor den Prozeß in letzter Instanz und verbüßte im Frühjahr 1850 eine dreimonatige Gefängnishaft in Köln. Nach einem Zwischenaufenthalt in Hamburg und England trat er Ende Aug. 1850 eine mehrmonatige Geschäftsreise durch Portugal, Spanien und Südfrankreich an. Auf der Rückreise nach Hamburg besuchte er in Paris sein Dichtervorbild →Heinrich Heine (1797–1856).
1852–55 unternahm W. im Auftrag der Hamburger Textilfirma „Steinthal & Co.“ von St. Thomas (Jungferninseln) aus Geschäftsreisen durch Mittel- und Südamerika. Während dieser abenteuerlichen und in Briefen an seine Mutter anschaulich geschilderten Reisen stieg er auf den Vulkan Chimborazo (6267 m), ritt über die Anden, durchquerte Mexiko vom Atlantik zum Pazifik und unternahm einen Abstecher zu den Goldminen Kaliforniens. Im Juni 1855 traf W. wieder in London ein, von wo er wenig später zu seiner zweiten Überseereise aufbrach. Im Sommer 1856 starb er nach einer Reise von Havanna nach Santo Domingo und Haiti an einer Malariainfektion.
In seiner frühen Lyrik und in Prosatexten stand W. ganz in der Tradition der Romantik. Während seines Englandaufenthalts wandte er sich zunehmend sozialpolitischen Themen zu, las nationalökonomische Schriften (Smith, Ricardo, Malthus), religionskritische Traktate (Feuerbach, Strauß), die frühen theoretischen Texte von Arnold Ruge, Engels und Marx sowie die „Deutsch-französischen Jahrbücher“. Neben ironisch-kritischen Reisebildern in der Nachfolge Heines verfaßte er sozialkritische Skizzen und Reportagen. Mit seinen „Humoristischen Skizzen“ und anderen Feuilletonserien aus der „Neuen Rheinischen Zeitung“ gehört er zu den bedeutenden Satirikern des Vormärz. Eine vom Berliner Verleger →Franz Duncker (1822–88) angeregte Sammlung von W.s Reisebriefen kam nicht zustande.
Ein von →Engels verfaßter Gedenkartikel auf W. markierte 1883 den Beginn einer einseitig marxistischen Rezeption, die W.s Werk auf seine gesellschaftspolitische Aussage begrenzte. An diesen Rezeptionsstrang knüpfte die DDR-Literaturwissenschaft mit ihren Bemühungen an, ein marxistisches kulturelles Erbe aufzubauen. →Bruno Kaisers (1911–82) zahlreiche Editionen ermöglichten seit 1948 eine W.-Renaissance. In der Bundesrepublik setzte die Rezeption in Folge der zunehmenden Politisierung nach 1968 ein. Seit Anfang der 1990er Jahre steht verstärkt die ästhetische Qualität von W.s Werk im Blickpunkt literaturwissenschaftlicher Untersuchungen.
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Werke
Weitere W Lieder aus Lancashire, 1845 (Gedichte);
Scherzhafte Reisen, 1844;
Engl. Reisen, 1844, neu hg. v. B. Kaiser, 1954;
Proletarier in England, 1845;
Das Blumen-Fest d. engl. Arbeiter, 1845;
Das engl. Armenwesen, 1846;
Das Parl. d. engl. Arbeiter,|1847;
Korr. aus London, 1847 / 48;
Das Domfest v. 1848, 1848, neu hg. v. B. Füllner, 2014;
Proklamation an d. Frauen, 1849;
– Ausgew. Werke, hg. v. B. Kaiser, 1948;
Sämtl. Werke in 5 Bdn., hg. v. dems., 1956 / 57 (P);
Gedichte d. Arbeiterbewegung, hg. v. H. Pross, 1956 (P);
Fragment e. Romans, vorgest. v. S. Unseld, 1965;
Blödsinn dt. Ztgg. u. anderes, Ausw. u. Nachw. v. D. Pforte, 1970;
Vergessene Texte, Werkausw., Nach d. Hss. hg. v. J.-W. Goette u. a., 2 Bde., 1975 / 76 (P);
Reiseberr. aus England, Frankreich u. Köln, hg. v. B. Füllner, 1985;
– Briefe: Briefwechsel mit Betty Tendering, hg. v. B. Kaiser, 1972 (P);
Sämtl. Briefe, hg. u. eingel. v. J. W. Goette, 2 Bde., 1989;
„Es muss schrecklich sein, auf demselben Fleck beim Nichtstun alt geworden zu sein“, Zwei unveröff. Briefe an G. W., hg. v. B. Füllner, 2001;
– Vertonungen: H. Scherchen, Vier Lancashire-Lieder (Das ist d. Haus am Schwarzen Moor;
Der alte Wirt in Lancashire;
Herüber zog e. schwarze Nacht;
Die hundert Männer v. Haswell), [um 1927];
H. Todenhöfer, Was kein Jh. ahnungsvoll erharrt, 1962 (Neues Chorliederbuch 42 B);
– Bibliogr.: G.-W.-Bibliogr., bearb. v. E. Fleischhack, 1972;
dass., Nachtrag, zus.gest. v. dems., 1982;
ders. u. a., G.-W.-Bibliogr. 1983 ff. (fortlaufend erg. im Grabbe-Jb.);
– Nachlaß: Internationaal Inst. voor Sociale Geschiedenis (IISG) Amsterdam;
Russ. StA f. soziopol. Gesch. (RGASPI) Moskau;
Lipp. Landesbibl., Theol. Bibl. u. Mediothek Detmold (Lipp. Lit.archiv). -
Literatur
|F. Engels, in: Soz.-Demokrat. Zürich, Nr. 24 v. 7. 6. 1883;
Karl Weerth, G. W., d. Dichter d. Proletariats, Ein Lb., 1930 (P);
W. Böttger, Die Herausbildung d. satir. Stils in d. Prosawerken G. W.s, 1962;
F. Vaßen, G. W., 1971 (P);
G. W., Werk u. Wirkung, hg. v. d. Ak. d. Wiss. d. DDR, 1974;
G. W., Neue Stud., hg. v. B. Füllner, 1988;
U. Zemke, G. W. 1822–1856, Ein Leben zw. Lit., Pol. u. Handel, 1989 (P);
G. W. (1822–1856), Referate d. I. Internat. G.-W.-Colloquiums 1992, hg. v. M. Vogt, 1993 (P);
B. Füllner, „Es ist e. gutes Stück;
ich glaube, daß es Euch Freude machen wird – lustig ist es wenigstens“, Zur Entstehung u. Überlfg. v. G. W.s Humorist. Skizzen aus d. dt. Handelsleben, in: Forum Vormärz Forsch., Jb. 1995, S. 213–35;
ders., „Voilà du courage! Voilà la vérité!“, G. W.s Rede auf d. „Congrès des Économistes de tous les Pays“ in Brüssel am 18. Sept. 1847, ebd. 1996, S. 219–39;
ders., „An d. Früchten sollt ihr sie erkennen“, Lit. Dialoge in G. W.s Briefwechsel mit d. Mutter 1843 bis 1845, in: Briefkultur im Vormärz, hg. v. dems., 2001;
ders., G.-W.-Chronik (1822–1856), 2006 (P);
Marie Weerth, G. W., 1822–1856, Ein Lb., hg. v. dems., 2009 (P);
G. W. u. d. Feuilleton d. „Neuen Rhein. Ztg.“, Koll. z. 175. Geb.tag, hg. v. M. Vogt, 1999;
F. Melis, G. W. in neuer Sicht, Großbritannien-Ber.erstatter u. Feuilletonist d. „Neuen Rhein. Ztg.“, in: Grabbe-Jb. 2004, 2005, S. 176–203;
G. W. u. d. Satire im Vormärz, Referate d. internat. Koll. im 150. Todesj. d. Autors, hg. v. M. Vogt, 2007 (P);
Brümmer;
Killy;
Kosch, Lit.-Lex.³ (W, L);
Lex. sozialist. Lit.;
Metzler Autoren Lex. (P);
Westfäl. Autorenlex. (W, L, P);
Reinalter II. -
Porträts
|Daguerreotypie, um 1853 (W.-Archiv, Lipp. Landesbibl. Detmold).
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Autor/in
Bernd Füllner -
Zitierweise
Füllner, Bernd, "Weerth, Georg" in: Neue Deutsche Biographie 27 (2020), S. 536-538 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/sfz139512.html#ndbcontent