Simrock, Karl

Lebensdaten
1802 – 1876
Geburtsort
Bonn
Sterbeort
Bonn
Beruf/Funktion
Dichter ; Germanist ; Schriftsteller ; Linguist ; Literarhistoriker ; Übersetzer ; Librettist
Konfession
katholisch
Normdaten
GND: 118614576 | OGND | VIAF: 22190203
Namensvarianten

  • Simrock, Karl Joseph
  • Simrock, Karl
  • Simrock, Karl Joseph
  • Gaenserich, Anserinus
  • Gänserich, Anserinum
  • Gänserich, Anserinus
  • K. S.
  • S., K.
  • Simrock
  • Simrock, C.
  • Simrock, Carl J.
  • Simrock, Carl Josef
  • Simrock, Carl Joseph
  • Simrock, Carolus
  • Simrock, Carolus Iosephus
  • Simrock, Carolus Josephus
  • Simrock, K.
  • Simrock, Karl J.
  • Simrock, Karl Josef
  • Simrocks, Karl
  • Simrock, Carl
  • Simrock, Karolus
  • Simrock, Karolus Iosephus
  • Simrock, Karolus Josephus
  • Simrocks, Carl

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Zitierweise

Simrock, Karl, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118614576.html [26.12.2024].

CC0

  • Simrock, Karl Joseph

    Germanist, Dichter, * 28. 8. 1802 Bonn, 18. 7. 1876 Bonn, Bonn, Alter Friedhof.

  • Genealogie

    V Nicolaus (1751–1832), franz. Mil.musiker, kurköln. Hof- u. Kammermusiker, Kaufm., Musikverl., S d. Johann (Simmerock) (1721–88), aus Obermörlen, kurmainz. Korporal (beide s. Fam.art.), u. d. Dorothea Sopp (1722–81);
    M Ottilie Franzisca (1756–1829), aus Mainz, T d. Franciscus Blasche(c)k, aus Böhmen, kurmainz. Hofmusiker;
    Ov Heinrich (1754–1839), kurköln. Hof- u. Kammermusiker, Geiger, Komp., Musikalienhändler (s. ADB 34); 12 ältere Geschw (3 früh †) u. a. Maria Elisabeth Dorothea (Dora) (* 1781, Anton Keil, 1768-n. 1818, Jur., ksl. franz. Staatsprokurator, Prof. f. Gesetzgebung an d. Centralschule in Köln, Verl. ebd., s. Hamberger-Meusel), Maria Elisabeth Franziska (Elise) (1782–1871, Marc Christoph Franz Magnier, * 1770, Hauptsteuereinnehmer in B.), Joseph (1789–1852), Musiker in B., Franz Carl Anton (Fritz) (1790–1872), Musikverl., Hotelbes. in B., Peter Joseph (1792–1868), Musikverl. in B.(beide s. Fam.art.), Maria Anna (Nannchen) (1795–1829, Karl Ludwig Fabricius, 1795–1860, Oberbergrat in B.);
    Bonn 1834 Gertrud Antoinette (1804–72), aus B., T d. Maximilian Friedrich Ostler (1770–1827), kfl. Forstmeister (s. Privatarchiv Ostler, bearb. v. R. Thomas, 1976), u. d. Agnes Huberta Koch (1772–1840);
    1 S Caspar (1842–97), Dr. med., prakt. Arzt in Frankfurt/M. (s. Lex. Homöopathen), 3 T Agnes (1835–1904), Dora (1836–1911), Anna Maria (1846–1905, August Reifferscheid, 1835–87, Prof. f. klass. Philol. in Breslau u. Straßburg, s. Bursian-BJ 61; F. A. Eckstein, Nomenclator philologorum, 1871; W. Pökel, Philol. Schriftst.lex, 1882);
    N Elisabeth Philippine (1829–1907, Carl Adolf v. Cornelius, 1819–1903, Prof. d. Gesch. in München, s. NDB III), Friedrich August (Fritz) (1837–1901), Musikverl. in B. u. Berlin (s. BJ VI, Tl.);
    E Heinrich Reifferscheid (1872–1945), Maler, Radierer, Prof. an d. Ak. in Berlin u. Düsseldorf (s. B. Roth, Werkverz. H. R., 1992; H. R., Radierungen 1899–1909, hg. v. I. Bodsch, 2007; ThB; Vollmer; P); Ur-E Walther Ottendorff(-Simrock) (1902–85), Jur., Schriftst. (s. Der Brückenschlag, Verpflichtendes Erbe, W. O.-S. z. 70. Geb.tage, Eine FS, hg. v. Th. Seidenfaden, 1972; L).

  • Biographie

    Bereits während des Besuchs des franz. Lycées in Bonn zeigte sich S.s Interesse für dt. Sprache und Literatur, das während seines 1818 begonnenen Jurastudiums an der neugegründeten Univ. Bonn durch Vorlesungen August Wilhelm Schlegels weiter gefördert wurde. 1822 wechselte er nach Berlin und wurde dort Schüler der Germanisten Friedrich Heinrich v. der Hagen und (seit 1824) Karl Lachmann (1793–1851). In Berlin trat S., der sich in Bonn mit Heinrich Heine angefreundet hatte, der „Mittwochsgesellschaft“ bei und verkehrte u. a. mit Adelbert v. Chamisso, Friedrich de la Motte-Fouqué und Heinrich Hoffmann (v. Fallersleben). Nach Beendigung des Jurastudiums war er seit 1826 als Referendar am Berliner Kammergericht tätig, wurde aber, obgleich politisch eher konservativ eingestellt, 1830 wegen eines Gedichts entlassen, das die Pariser Julirevolution feierte.

    S. wandte sich nun ganz seinen germanistischen und dichterischen Neigungen zu. Seit 1832 Privatgelehrter in Bonn, war S. 1844–47 Mitglied des literarischen „Maikäferbunds“ und pflegte regen Umgang mit Dichtern wie|Ferdinand Freiligrath, Emanuel Geibel und Karl Immermann. Eine enge Freundschaft verband ihn mit den Brüdern Grimm; außerdem hatte er gute Beziehungen zu Vertretern der „Schwäb. Romantik“, v. a. zu dem ihm geistesverwandten Ludwig Uhland. 1834 von der Univ. Tübingen u. a. aufgrund seiner Übertragungen aus dem Mittelhochdeutschen promoviert, erhielt S. 1850, zunächst ohne Gehalt, die erste germanistische Professur an der Univ. Bonn (1852 o. Prof.).

    S.s zahlreiche Ausgaben, Übersetzungen und Bearbeitungen mittelalterlicher und volksliterarischer Texte erlangten große Popularität bei seinen Zeitgenossen und werden teilweise bis heute gelesen, sind aber aus Sicht der modernen Germanistik größtenteils nur noch von wissenschaftsgeschichtlichem Interesse. Grund dafür ist der in S.s Schriften erkennbare Konflikt zwischen den von seinem Lehrer Lachmann übernommenen strengen philologischen Grundsätzen einerseits und S.s poetischen Neigungen sowie seiner in romantischer Tradition stehenden Absicht, auf eine Stärkung des dt. Nationalbewußtseins hinzuwirken, andererseits. Von seinen Übersetzungen mittelhochdt. und german. Dichtungen wurde besonders die erste volkstümlich und vielfach aufgelegt: S.s u. a. von Goethe geschätzte Übertragung des „Nibelungenlieds“ (1827) auf der Grundlage von Lachmanns kritischer Ausgabe 1820. Unter seinen Editionen mittelalterlicher Literatur, zu denen auch die Ausgaben des Nibelungenlieds (1868) und der Werke Walthers von der Vogelweide (1870) gehören, erscheint aus heutiger Perspektive der „Wartburgkrieg“ (1858) am bedeutendsten. Eine fast gänzlich eigenständige Schöpfung S.s ist das „Amelungenlied“ (in: Das Heldenbuch, Bd. 4–6, 1843–49), eine Nachdichtung des Sagenkreises um Dietrich von Bern.

    S.s wiederum auf romantische Vorbilder verweisendes volkskundliches Interesse zeigt sich v. a. bei den „Dt. Volksbüchern“ (verschiedene Ausgg., u. a. 58 Bde., 1839–67), die auch Gattungen wie Fabeln, Volkslieder, Rätsel und Sprichwörter enthalten. Eines von S.s erfolgreichsten Büchern, die „Rheinsagen aus dem Munde des Volks und deutscher Dichter“ (1837, 101891, Neuausg. v. W. Ottendorff-Simrock, 1950, ²1970), trug als Anthologie von Rheinballaden ebenso stark zur Popularität der „Rheinromantik“ bei wie die Reisebeschreibung „Das malerische und romantische Rheinland“ (1838–40, ⁴1865, Nachdr. 1975). In den „Rheinsagen“ veröffentlichte S. auch eigene Balladen, von denen die einleitende „Warnung vor dem Rhein“ als einziges seiner zahlreichen Gedichte (abgesehen von der später als Schlager stark veränderten ersten Strophe des 1834 verfaßten „Mein Herz war wie ein Bienenhaus“) bekannt geblieben ist.

  • Auszeichnungen

    bayer. Maximiliansorden (1853);
    preuß. Roter Adlerorden (1868).

  • Werke

    Weitere W Ausgew. Werke in zwölf Bdn., Mit Einl. u. e. Biogr. d. Dichters, hg. v. G. Klee, 1907 (P);
    Werke, Kl. Auswahl in sieben Bdn., hg. v. G. Klee, 1909 (P);
    – Quellen d. Shakspeare in Novellen, Märchen u. Sagen, 3 T., hg. v. Th. Echtermeyer, L. Henschel u. K. S., 1831, ²1870;
    Gedichte, 1844;
    Martinslieder, 1846;
    Doctor Johannes Faust, Puppenspiel in vier Aufzügen, 1846, Neuausg. mit d. Text d. Ulmer Puppenspiels, hg. v. G. Mahal, 1991;
    Das dt. Kinderbuch, Altherkömml. Reime, Lieder, Erzz., Uebungen, Räthsel u. Scherze f. Kinder, 1848, ²1856;
    Hdb. d. dt. Mythol. mit Einschluß d. nord., 2 Bde., 1853/55, ⁴1874, Nachdr. 1979;
    Legenden, 1855, ²1869;
    Die Nibelungenstrophe u. ihr Ursprung, Btr. z. dt. Metrik, 1858;
    Gedichte, Neue Ausw., 1863;
    Dt. Märchen, 1864;
    Überss. u. a. Hartmann v. Aue, Der arme Heinrich, 1830, ²1875;
    Gedichte Walthers v. d. Vogelweide, 2 T., 1833, ⁵1873, Neuausg. hg. v. A. Schaefer, 1987;
    Wolframs v. Eschenbach Parzival u. Titurel, 2 Bde., 1842, ⁴1861/62;
    Gudrun, in: Das Heldenbuch, I, 1843;
    Die Edda, 1851, ⁶1876, Neuausg. v. M. Stange, 1995;
    Gottfried v. Straßburg, Tristan u. Isolde, 2 T., 1855, ²1875;
    Heliand, 1856, Neuausg. v. A. Heusler, 1959;
    Beowulf, 1859;
    Bibliogr.:
    Goedeke² 13, S. 553–77 u. 14, S. 769–72;
    M. Zeller (Bearb.), in: H. Moser, K. S., 1976 (s. L), S. 400–04 (unvollst.);
    Nachlaß:
    Goethe-Schiller-Archiv Weimar;
    DLA Marbach;
    StadtA u. Univ.bibl. Bonn.

  • Literatur

    ADB 34;
    N. Hocker, C. S., Sein Leben u. seine Werke, 1877, Neudr. 1971 (P);
    H. Ottendorff, Lit. Leben im Rheinlande um d. Mitte d. 19. Jh., Bd. 1: Freiligrath u. S., 1911;
    W. Ottendorff-Simrock, Das Haus S., Ein Btr. z. Gesch. d. kulturtragenden Fam. d. Rheinlandes, 1942, ²1954, Neuausg. hg. v. I. Bodsch, 2003 (P);
    ders., Die Grimms u. d. S.s in Briefen, 1966 (P);
    H. Moser, K. S., Univ.lehrer u. Poet, Germanist u. Erneuerer v. „Volkspoesie“ u. älterer „Nat.lit.“, 1976 (W, L, P);
    D. Pinkwart (Bearb.), K. S. (1802–1876), Bonner Bürger, Dichter u. Prof., Dok. e. Ausst., 1979 (P);
    K. S., 1802–1876, Einblicke in Leben u. Werk, Wiss. Btrr. u. Dokumentarisches anläßl. S.s 200. Geb.tag am 28. Aug. 2002, hg. v. d. K.-S.-Forsch., 2002 (P);
    I. Bodsch (Hg.), „An d. Rhein, an d. Rhein . . .“, Das maler. u. romant. Rheinland in Dok., Lit. u. Musik, K. S. (1802–1876) z. 200. Geb.tag gewidmet, Kat. z. Ausst., 2002 (P);
    Doderer;
    Killy;
    Kosch, Lit.-Lex.³ (W, L);
    H. Reich, Nietzsche-Zeitgenossenlex., 2004;
    Internat. Germanistenlex. (W, L);
    Bonner Personenlex. (P);
    Enz. Märchen.

  • Porträts

    Lith. v. L. Kaufmann, 1841 (Bonn, K.-S.-Forsch.);
    Lith. n. Zeichnung v. A. Hohneck, 1846, in: G. Kinkel, Vom Rhein, Leben, Kunst u. Dichtung, 1847;
    Miniaturdr., 1850er J. (Bonn, StadtA);
    Bleistiftzeichnung v. H. Grimm, 1852 (Bonn, Stadtmus.), danach Radierung v. H. Reifferscheid, 1901 (Bonn, Univ.bibl.);
    Foto v. Th. Schafgans, um 1865 (Bonn,|StadtA);
    Foto v. N. N. Koch (Bonn), vermutl. um 1870 (Weimar, Goethe-Nat.mus.);
    Bildnisrelief aus Marmor v. R. Cauer, 1880 auf S.s Grabstein, Abguß vermutl. v. diesem Relief (Bonn, Stadtmus.);
    Büste v. A. Lindner, 1918, nach Foto v. ca. 1860 (Bad Honnef, Stadtverw.);
    Ölgem. v. W. Fassbender, um 1930, nach Foto v. um 1870 (Univ. Bonn);
    Denkmal v. A. H. Küppers, 1903, 1942 eingeschmolzen (Bonn, Hofgarten), Gipsabguß d. Kopfes (Bonn, Univ.verw.);
    Totenmaske (Weimar, Goethe-Nat.mus.).

  • Autor/in

    Johannes Barth
  • Zitierweise

    Barth, Johannes, "Simrock, Karl" in: Neue Deutsche Biographie 24 (2010), S. 447-449 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118614576.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA

  • Simrock, Karl

  • Biographie

    Simrock: Karl Joseph S., Dichter und Germanist. Er wurde am 28. Aug. 1802 zu Bonn a. Rh. geboren als das 10. und jüngste Kind eines ehemals kurfürstlichen Hofmusikus, der sich nach der Vertreibung des Hofes ganz auf den Musikalienhandel gelegt und ein — noch heute fortblühendes — musikalisches Verlagsgeschäft begründet hatte. Im Elternhause bewunderte man Napoleon und liebte die französische Nation, das Lyceum, in das Karl eintrat, war eine französische Anstalt — und doch fand der Knabe bereits den Weg zu den Meisterwerken der deutschen Dichtung, begeisterte sich an den großen Gestalten deutscher Sage und Geschichte und begrüßte mit Jubel die Niederwerfung des Franzosenkaisers. Im Spätjahr 1818 als Jurist immatriculirt, gehörte S. zu den ersten Studenten der jungen Bonner Universität, die Ostern 1819 eröffnet wurde. Das Interesse an deutscher Geschichte und Litteratur, das ihn in die Hörsäle E. M. Arndt's und A. W. Schlegel's führte, brachte ihn auch mit Heinrich Hoffmann (v. Fallersleben), J. B. Rousseau, Ed. Böcking und Heinrich Heine in Berührung, und den Verkehr mit Heine setzte S. auch in Berlin fort, wohin er sich im Herbst 1822 zum Abschluß seiner juristischen Studien begab. Heine schätzte den tüchtigen und offenen Menschen und legte Werth auf sein Urtheil in litterarischen Dingen. Das Altdeutsche, auf das ihn in Bonn ohne tiefere Anregung A. W. Schlegel geführt hatte, trieb S. zunächst mit Heine bei v. d. Hagen weiter, um dann mit dem bald befreundeten Wilhelm Wackernagel einer der ersten Schüler K. Lachmann's zu werden, der im Spätjahr 1824 von Königsberg nach Berlin berufen wurde. Früh schon hatte sich bei S. die poetische Ader geregt, und ein lebendiger Verkehr mit Chamisso, Hitzig, Gubitz und andern Genossen der „Mittwochsgesellschaft“ belebte die eigene lyrische Production wie den Cultus Goethe's, den der Jüngling schon zur Universität mitgebracht hatte. S. blieb auch, nachdem er die zweite Staatsprüfung bestanden hatte, als Referendar am Kammergericht in Berlin und vollendete hier im Winter 1826 in raschem Zuge die Uebersetzung des Nibelungenliedes, zu der ihn nach dem Erscheinen von Lachmann's Ausgabe Niebuhr ermuntert hatte: sie erschien zu Ostern 1827 und wurde dem deutschen Volke von keinem geringeren als Goethe warm empfohlen. Gleichwohl brachte sie es erst im Jahre 1839 zu einer zweiten Auflage, hat aber freilich seitdem bereits das halbe Hundert überschritten.

    Auf politischen Gebiete hatte der warmblütige Rheinländer die Fortschritte der Reaction wie die Regungen des Liberalismus in Deutschland und Frankreich mit Antheil verfolgt, und als zu Anfang August 1830 in Berlin die Nachricht vom Sturze der Bourbonenherrschaft eintraf, feierte er den Sieg der Freiheit in einem stark rhetorischen Gedichte „Drei Tage und drei Farben“. In einem freisinnigen Blatte gedruckt, brachte es dem poetischen Referendar die Entlassung aus dem preußischen Justizdienst und wurde so der Anlaß, daß sich S. ganz der Litteratur und der Wissenschaft widmete. Bald nach der Entlassung ist die Vorrede zu dem Sammelwerke „Die Quellen des Shakespeare in Novellen, Märchen und Sagen“ (1831, 3 Thle.) geschrieben; das Titelblatt nennt vor S. zwei hilfreiche Freunde, Th. Echtermeyer und L. Hentschel, deren Namen in einer zweiten, durch sagengeschichtliche Excurse vermehrten Ausgabe (Bonn 1872, 2 Bde.) mit Recht fortgelassen sind. Die Mußezeit verwandte S. zunächst in eindringendem Studium auf eine Uebersetzung der Gedichte Walther's von der Vogelweide; sie erschien 1833 in 2 Bänden mit Anmerkungen Wilhelm Wackernagel's, die später wegblieben, und hat es auf 7 Auflagen gebracht. Die tödtliche Erkrankung des Vaters hatte inzwischen S. an den Rhein zurückgeführt, und er blieb hier, in behaglichen Vermögensverhältnissen und seit 1834 in glücklicher Ehe, wohnen, indem er eine ungemein rege Thätigkeit als Sammler, Uebersetzer und nicht zum mindesten als selbständiger dichterischer Erneuerer alter Sage entfaltete. Zu den alten knüpfte|er als Poet und Germanist neue Beziehungen in Nah und Fern, und sein Haus in Bonn, sein Weingut in Menzenberg bei Honnef waren gastliche Heimstätten für den Kreis junger Dichter, der sich in den 30er und 40er Jahren am Rhein zusammenfand (Pfarrius, Smets, Kinkel, Freiligrath, Geibel, Al. Kaufmann, Wolfg. Müller). Damals erschienen u. a. die poetischen Sammlungen der „Rheinsagen" (1836) und des „Kerlingischen Heldenbuches" (1848), die Erneuerung der „Deutschen Volksbücher" (von 1839 ab, Gesammtausgabe 1845 bis 1867; 13 Bde.), die Uebersetzungen des „Parzival und Titurel" (1842, 2 Bde.) und der „Gudrun" (1843), die Nachdichtung des „Guten Gerhard" (1847), ferner der erste Theil seines groß angelegten „Amelungenliedes" (1843) und als dessen Vorläufer „Wieland der Schmied" (1835), sowie das „Kleine Heldenbuch“ (1844), mit diesem gleichzeitig die erste Sammlung der „Gedichte“ (1844). Den Ereignissen des Jahres 1848 stand S., der ganz in der vornehmsten Bethätigung des Patriotismus lebte, mit Schmerz und Sorge gegenüber. Er stellte (vgl. das Gedicht „Deutschland über Alles") die Sache des Vaterlandes höher als die Sache der Freiheit und befürchtete von der Demokratie die Schädigung des Deutschthums und der Cultur. Es ist bezeichnend für ihn, daß er in jenen trüben Tagen deutsche Volksbücher und Räthsel sammelte und ein „Deutsches Kinderbuch“ (1850) vorbereitete.

    Nach mehrfachen vergeblichen Anläufen erhielt S. 1850 eine ao. Professur der deutschen Sprache und Litteratur an der Bonner Universität; aber erst die Ablehnung eines Rufes nach München brachte ihm, dessen Vermögensverhältnisse inzwischen zurückgegangen waren, ein mäßiges Gehalt ein; 1853 folgte die Ernennung zum Ordinarius. Mit Ausnahme eines Jahres (1860/61), das er in einer Heilanstalt für Nervenkranke zubringen mußte, hat er bis zu seinem Tode regelmäßig Vorlesungen gehalten, in denen er die Geschichte der deutschen Sprache und Litteratur, deutsche Mythologie und von den altdeutschen Dichtern Walther von der Vogelweide bevorzugte, gelegentlich wohl auch Goethe's Faust interpretierte. Er ward kein Lehrer mehr von glänzenden Erfolgen und Schule bildender Wirksamkeit, aber der warme innere Antheil und das zwar nicht scharfe, aber klare Urtheil, mit dem er ein reiches Wissen vortrug, haben in seinen besten Jahren doch manchem den Sinn fürs deutsche Alterthum erschlossen. In dieses letzte Lebensdrittel fallen fast sämmtliche Arbeiten Simrock's von wissenschaftlicher Haltung oder wissenschaftlichen Ansprüchen, so namentlich seine „Deutsche Mythologie" (1855), sodann von den Uebersetzungen die der „Edda" (1851), des „Tristan" (1855), des „Heliand" (1856), des „Beowulf“ (1859), des „Freidank“ (1866), einzelnes von Shakespeare, Es. Tegnér und den altitalienischen Novellisten; Erneuerungen des Seb. Brant, Joh. Pauli, Logau, Spee. Schließlich die Vollendung seines großen Epos, des „Amelungenliedes" (1852), die „Legenden" (1855), die neue Auswahl der „Gedichte“ (1863) und die „Dichtungen“ (1872), in denen er eignes und angeeignetes, episches, lyrisches, didaktisches und dazu eine Erneuerung des Volksschauspiels vom Doctor Faust aufnahm. In voller geistiger Frische und mit dem Enthusiasmus eines Jünglings durchlebte er die große Zeit der Einigung unseres Volkes und der Wiederaufrichtung des Kaiserthums und stellte sich mit seinen „Kriegsliedern" (1870) und den „Liedern fürs deutsche Volk aus alter und neuer Zeit" (1871) auch in den Dienst des neuerwachten Volksgeistes. Er warnte vor den Gefahren, welche das Unfehlbarkeitsdogma heraufbeschwor, und trat mit Eifer protestirend der Bonner altkatholischen Gemeinde bei. Kleine und große Schäden unter den lieben Landsleuten sah sein klares Auge und geißelte seine liebenswürdige Feder im „Neuen Narrenschiff“ ("Dichtungen“ S. 322). Regsam in der alten Weise fortarbeitend und fortdruckend nahm ihn am 18. Juli 1876 der Tod hinweg.

    In Simrock's schwer zu übersehender Gesammtproduction treten die Arbeiten streng philologischer Natur fast ganz zurück. Das beste was er für die Wissenschaft, der seine litterarische Thätigkeit manchen Jüngling früh geworben haben mag, direct geleistet hat, ist den „Gipfelpunkten der altdeutschen Dichtung“ zu gute gekommen, als die er Walther von der Vogelweide und die Nibelungen bezeichnete; in seiner Professorenzeit erschienen, sind die Schrift „Die Nibelungenstrophe und ihr Ursprung“ (1858) und die Ausgabe der Gedichte Walther's (1870) doch in der Werkstatt des Uebersetzers vorbereitet. Wie S. den Unterschied zwischen Lied und Spruch bestimmt und die Spruchtöne bezeichnet hat, so halten es die Germanisten; andere seiner Anregungen (die Liedertöne, Chronologie der Sprüche) stehn jedenfalls noch heute zur Discussion. Und eben gegenwärtig wird auch seine fein ausgeführte Ansicht vom volksthümlichen Ursprung der Nibelungenstrophe durch neue Gründe gestützt, erfährt sein Hinweis, daß der Schlüssel zur deutschen Metrik im Volkslied und Sprichwort zu suchen sei, durch Rud. Hildebrand u. A. die schönste Ausführung. Problemen der höhern Kritik, wie sie auch der von S. neu herausgegebene „Wartburgkrieg" (1858) darbietet, zeigte er sich dagegen nicht gewachsen; zur Förderung der großen „Nibelungenfrage" hat er, der sich durch 50 Jahre immer wieder mit dem Epos beschäftigte, nichts beigesteuert. Und seine „Mythologie“ stellt in der Geschichte unserer Wissenschaft nicht einmal eine Etappe dar: dieser Versuch, die ganze Götterlehre der Edda als eigensten poetischen Besitz unserer Voreltern „auf den offenen Markt der Nation zu bringen“, bezeichnet vielmehr einen entschiedenen Rückschritt gegen Jac. Grimm, den S. durch Mehrung des mythologischen Wissensschatzes, voreilige Deutung und geistige Verwerthung überbieten wollte. Wie fremd und gleichgiltig S. jede Quellenkritik war, zeigt sich am deutlichsten da, wo sie sich ihm einfach aufdrängen mußte, bei den „Quellen des Shakespeare“. Dagegen soll es ihm unvergessen sein, wie er von früh auf bis in sein spätes Alter hinein neben den altdeutschen Studien immer wieder Goethe aufgesucht und noch ein Jahr vor seinem Tode eine Jugendliebe erneuert hat mit der Ausgabe des „Westöstlichen Divan, mit den Auszügen aus dem Buch des Kabus“ (1875).

    Der Dichter und der Uebersetzer sind bei S. von dem Gelehrten durchaus nicht zu trennen, ja mit naiver Unbefangenheit löst gelegentlich einer den anderen ab: es macht S. gar nichts aus, in Bd. 10 seiner „Deutschen Volksbücher nach den ächtesten Ausgaben hergestellt“ die Geschichte von den 7 Schwaben aufzunehmen, wie er selbst sie aus der köstlichen Prosa Ludw. Aurbacher's in die Strophen und den Stil der Jobsiade umgekleidet hat. In seinem großen „Heldenbuch" läßt er auf „Nibelungenlied" und „Gudrun" seine eigene Ausgestaltung der Dietrichsage als dreibändiges „Amelungenlied" folgen. Von einer Uebersetzung der „Edda“ zur Abfassung einer deutschen Mythologie dünkt ihn nur ein Schritt: und das Ziel des Historikers alter Sage und Poesie gilt ihm völlig gleich mit dem ihres dichterischen Wiedererweckens. Dies Ziel ist „das Herz des Volkes“, wie er selbst sagt: er will in ihm das erstorbene Vaterlandsgefühl wieder ins Leben rufen, und thatsächlich gehört er zu den besten und ist sicher der erfolgreichsten einer unter denen, welche zwischen 1830 und 1870 dafür gesorgt haben, daß die Wissenschaft Jac. Grimm's in der Bildung und Gesinnung der Nation Früchte trug.

    Freilich ist viel überhastetes und ohne Zweifel auch handwerksmäßiges in Simrock's Betriebsamkeit: keine seiner Uebersetzungen kann als ein Meisterwerk gelten, wird auf die Dauer unserer Litteratur angehören, wie etwa das, was Wilh. Hertz als Uebersetzer geleistet hat; auch der Walther von der Vogelweide nicht, auf den er bei weitem den meisten Fleiß und die größte Liebe verwandt hat. Niemand wird heute mehr Goethe das Lob nachsprechen, daß Simrock's Nibelungenlied|von dem alten „Gemälde nur den verdunkelnden Firniß“ weggenommen habe, denn dieser angebliche Firniß ist ein zarter, undefinirbarer Farbenstaub, der nur dem Sprachkundigen sichtbar ist, dem Laien durch nichts ersetzt werden kann. Kein Germanist wird heute noch Simrock's Streben planmäßig fortsetzen und dem deutschen Volke eine möglichst große Masse altdeutscher Poesie in sprachlicher Umformung aufdrängen wollen, und jeder nüchterne Beurtheiler wird das Maß des wirklichen Verständnisses, das durch diese Uebersetzungen vermittelt wurde, recht gering anschlagen. Und doch haben sie unzweifelhaft eine historische Aufgabe erfüllt: sie haben Stimmung gemacht, die der Wissenschaft Wärme und Enthusiasmus erzeugt, die der nationalen Erhebung zu gute gekommen sind. Sie waren und sind zwar eine magere, aber doch unendlich bessere Kost als jene Ausgaben, welche durch schülerhafte Anmerkungen ein nothdürftiges Wortverständniß ermöglichen, das wahrlich keinen bessern Begriff von den alten Dichtungen gibt. Und ausdrücklich muß ein ehrlicher Philolog S. Recht geben, wenn er auch noch die Schriftsteller des 16. und 17. Jahrhunderts sprachlicher Erneuerung für bedürftig hielt.

    Der Dichter Simrock gehört zu den sympathischsten Erscheinungen aus dem Gefolge Uhland's und Chamisso's. Er hat ein paar kleine Stücke geschaffen, die uns, wie die „Warnung vor dem Rhein“ und das „Ständchen“, ans Herz gewachsen sind und unvergänglich scheinen. Er hat auch sonst in der leichten Lyrik, im fröhlichen Gesellschaftsliede, in der historischen Ballade und im derben holzschnittmäßigen Schwank vortreffliches geleistet, in schelmischer Satire und im urwüchsigen Kernspruch oft den Nagel auf den Kopf getroffen. Auch seinen größeren Sagendichtungen fehlt es nicht an echter Poesie, die dem besten aus der alten Ueberlieferung abgelauscht scheint. Aber im ganzen sagen uns heutigen doch seine Knittelverse fast besser zu, als diese endlosen Nibelungenstrophen, und einer dauernden Wirkung scheint keines dieser Werke fähig. Aber sie alle gehören zu dem Gesammtbilde, zu dem Lebenswerke des Mannes, und dieses Lebenswerk als ganzes genommen, wird in der Bildungsgeschichte unseres Volkes unvertilgbar fortleben.

  • Literatur

    Nic. Hocker, Carl Simrock. Sein Leben und seine Werke. Leipzig 1877. — Heinr. Düntzer, Erinnerungen an Carl Simrock, Pick's Monatsschrift für Westdeutschland II (1876), 321—345. 501—531; III (1877), 1—18. 159—186.

  • Autor/in

    Edward Schröder.
  • Zitierweise

    Schröder, Edward, "Simrock, Karl" in: Allgemeine Deutsche Biographie 34 (1892), S. 382-385 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118614576.html#adbcontent

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