Arndt, Ernst Moritz
- Lebensdaten
- 1769 – 1860
- Geburtsort
- Schoritz (Rügen)
- Sterbeort
- Bonn
- Beruf/Funktion
- Historiker ; Dichter ; Publizist ; Schriftsteller ; Freiheitskämpfer ; Komponist ; Theologe ; Lyriker ; Volkskundler ; Linguist ; Hochschullehrer ; Politiker ; Abgeordneter
- Konfession
- lutherisch
- Normdaten
- GND: 118504118 | OGND | VIAF: 59103999
- Namensvarianten
-
- Arndt, Ernst Moritz
- A., E. M.
- Arndt, E. M.
- Arndt, Ernst M.
- Arndt, Ernst Moriz
- E. M. A.
- S., E. von
- Schaller, F.
- X. Y. Z.
- Z., X. Y
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Arndt, Ernst Moritz
Historiker und Dichter, * 26.12.1769 Schoritz (Rügen), † 29.1.1860 Bonn. (lutherisch)
-
Genealogie
V Ludwig Nikolaus Arndt (1740–1808), ursprünglich rügenscher Leibeigener, später Gutspächter in Dumsewitz, Grabitz und Löbnitz bei Stralsund;
M Wilhelmina Friederica Eleonora Dorothea (1743–1804), T des Nikolaus Schumacher (1706–62), Krüger in Lancken, und der Ilse Marie Gilow (1714–59) aus Vilmnitz;
Gvv Ludwig Arndt (1684–1758), Schäfer zu Putbus und Darsband;
Gmv Anna Subklew (1699–1794) aus Zargelitz;
⚭ 1) Greifswald 23.2.1801 Charlotte (Marie, † 1801), T des Professors der Naturgeschichte und Ökonomie Johann W. Quistorp, 2) Berlin 8.9.1817 Nanna (Marie, 1786–1869), Stief-Schw des Theologen →Friedrich Schleiermacher;
S aus 1) Karl Moritz Arndt (1801–85), Forstmeister (E Arno Willibald Arndt, preußischer General, Gouverneur von Metz);
7 K aus 2). -
Biographie
A. besuchte die Gelehrtenschule in Stralsund und studierte 1789-94 Theologie, Geschichte, Erd- und Völkerkunde, Sprachen und Naturwissenschaften in Greifswald und Jena: anschließend war er Hauslehrer bei Ludwig Gotthold Kosegarten. 1798-99 unternahm er eine Bildungsreise über Jena und Bayreuth nach Österreich, Ungarn, Italien und Frankreich. 1800 wurde er Privatdozent für Geschichte und Philosophie in Greifswald, 1805 außerordentlicher Professor in Greifswald, 1803 sowie 1806-09 hielt er sich in Schweden auf (1806-07 Mitarbeiter an der schwedischen Gesetzeskommission für Pommern, Redakteur des „Nordischen Kontrolleur“). 1809-11 war er in Greifswald, 1812-16 Mitarbeiter des Freiherrn vom Stein. 1818 zum ordentlichen Professor nach Bonn berufen, wurde er 1820 wegen angeblicher demagogischer Umtriebe vom Amt suspendiert; 1822 wurde das Verfahren zwar eingestellt, aber er wurde nicht rehabilitiert und durfte von 1826-40 keine Vorlesungen halten; erst beim Regierungsantritt Friedrich Wilhelms IV. erfolgte seine Wiedereinsetzung. 1848 war er als Abgeordneter für Solingen in der Paulskirche (rechtes Zentrum) Anhänger der preußischen Erbkaiserpartei.
Durch das mütterliche Erbe war A. zum Poeten, zur versonnenen Träumerei mit feinem Verständnis für Frauen bestimmt, der nüchterne und praktische Sinn, den er vom Vater her besaß, hielt ihn zu einem tätigen Leben an. Der Sohn des Leibeigenen hatte eine starke Liebe zur pommerschen Heimat und dem angestammten patriarchalischen schwedischen Fürstenhaus. Der aristokratischen Kultur des 18. Jahrhunderts und den absolutistischen Staaten Preußen und Österreich stand er innerlich fremd gegenüber. A. begrüßte deshalb zunächst die französische Revolution von 1789 als das Erwachen einer Volksindividualität, später stieß ihn der rationalistische Despotismus der französischen Regierung ab, die er als eine Vergewaltigung des lebendigen Volksgeistes ansah. Unter den Eindrücken seiner Studienzeit, dem Einfluß Herders, Jakob Böhmes und Kosegartens konnte er sich nicht zu einer Tätigkeit als Pfarrer entschließen und suchte durch eine Studienreise seine Persönlichkeit zu bilden. In seiner Neigung zwischen Schweden und Deutschland schwankend, fand er in der französischen Revolution ganz den Weg zu letzterem. Starken Eindruck machte auf ihn die Gedankenwelt seines schwedischen Kollegen →Thomas Thorild, der von Kant, Herder, →Jean Paul, Klopstock und der schwedischen Volkstradition herkommend die Forderung einer den germanischen Rechtsideen entsprechenden Volksordnung aufgestellt hatte. A.s „Versuch einer Geschichte der Leibeigenschaft in Pommern und Rügen“ (1808) fand als Kampfschrift gegen adlige Bauernlegerei die Billigung Gustavs IV. von Schweden und führte 1806|mit zur Aufhebung der Leibeigenschaft in Pommern und Rügen. „Germanien und Europa“ (1803) wurde zur Kampfansage gegen den Geist Roms, der nach Zerstörung der griechischen Harmonie zwischen Natur und Geist in seiner Verfallszeit das Christentum und seit Renaissance und Reformation die verderbliche Selbstgesetzlichkeit des Absolutismus hervorgebracht habe. A. stellte dem das Ideal einer vom Einzelnen innerhalb eines Volkes geübten Humanität entgegen, die in unendlicher Fortwirkung den Staat zum Schützer des Volkes und seiner natürlichen Rechte (Machiavelli, Grotius), sowie der durch Klima wie Sprache bedingten Grenzen mache. Eindrücke seiner schwedischen Reise im Jahre 1803 wie der Einfluß des späten Schiller und →Schelling fanden in A.s „Fragmenten über Menschenbildung“ (1805) ihren Niederschlag, in denen A. die natürliche Güte des Menschen als Grundlage der Erziehung betonte und dieser die Entfaltung der leib-seelischen Persönlichkeit als Ziel setzte.
Die Neugestaltung der gesamten Kultur auf diesen Grundlagen verkündete sein großer Rechenschaftsbericht des „Geist der Zeit“ (Teil I, 1806). In diesem Buch bekannte sich A. gegen den Universalismus →Napoleons zum Zusammenschluß Nord- und Süddeutschlands und unter dem Einfluß der Romantik zu den mit Skandinavien gemeinsamen mittelalterlichen Überlieferungen. Dem in →Napoleon verkörperten französischen Rationalismus sollten die germanischen Völker, Adligen und Fürsten unter Preisgabe ihrer bisherigen selbstsüchtigen Tendenzen entgegentreten, um die in der holländischen und Schweizer Geschichte sichtbar gewordene germanische Uridee der Volksfreiheit in einer Kultur zu verwirklichen, die in den Anlagen der Völker ihre Notwendigkeit und gesetzliche Bindung besitze. Nach der Flucht vor der französischen Besetzung Greifswalds im Jahre 1806, die A. in Verzweiflung versetzte, gab ihm die starke Gläubigkeit der Frau Elisa Maria von Munk in Schweden neue Kraft. Sein jetzt gewonnenes Verständnis für Luther umfaßte zwar nicht dessen tiefes christliches Sündenbewußtsein. A. näherte sich jedoch insofern dem Christentum, als er Luther als Apostel des menschenfreundlichen Christus in seiner ursprünglichen Reinheit auffaßte, ohne daß er sich an die Kirche gebunden fühlte. Er stellte seiner Zeit die Aufgabe, der seit 1789 eingeleiteten neuen Epoche die natürliche und einfache Kraft des Christentums als Mittelpunkt zu geben, wie es zugleich germanischem Denken entsprach. Damit näherte sich A. den Ideen der in Berlin wiederholt aufgesuchten christlich-deutschen Tischgesellschaft Kleists, Arnims, Brentanos und Adam Müllers, wenn sie ihm auch zu einseitig der Vergangenheit zugewandt erschienen. Er sah in →Andreas Hofer, →Ferdinand von Schill und Wilhelm Kaspar Ferdinand von Dörnberg wie in Österreichs deutscher Erhebung 1809 den Beweis dafür, daß sich in Europa das deutsche Volk am ursprünglichsten die von Tacitus gepriesene Sittenreinheit und Rechtlichkeit erhalten habe, daß der auf einer Volkskultur gegründete Staat und seine Politik als höchste Verwirklichung der Volkspersönlichkeit eine sittliche Eigengesetzlichkeit haben könne.
Germanische und christliche Vorstellungen verbanden sich somit, wenn A. als Mitarbeiter Steins in den Jahren 1812 bis 1814 das deutsche Volk zum Kampf gegen den Antichrist →Napoleon und sein entartetes Frankreich aufrief mit weithin wirkenden Kampfschriften und Liedern: „Katechismus für den teutschen Kriegs- und Wehrmann“, „Was bedeutet Landsturm und Landwehr?“, „Der Rhein, Teutschlands Strom, nicht Teutschlands Gränze“, „Über Volkshaß“, „Was ist des Deutschen Vaterland?“, „Der Gott, der Eisen wachsen ließ“. A. bezeugte dabei zwar seine Kraft zur Beschwörung der Tiefen der Völker, aber nicht zur praktisch-politischen Formung, an deren Stelle oft Phrasen traten. Seine Schriften „Über den deutschen Studentenstaat“ und „Entwurf der Erziehung und Unterweisung eines Fürsten“ waren deshalb bedeutungsloser als sein „Entwurf einer teutschen Gesellschaft“; aber auch dieses Programm lokaler Bünde der geistigen Führer des Volkes entbehrten konkreter politischer Ziele. So hat A. auch mit seiner die Ideen Steins wiedergebenden Schrift „Über künftige ständische Verfassungen in Deutschland“ nicht auf die Gestaltung dieser Frage gewirkt. Um so stärker waren die Anregungen, die von seinen Kampfschriften auf das Volksbewußtsein der schwedischen und deutschen Neoromantik ausgingen. Er hat damit den in Frankreich entstandenen Nationalismus in Deutschland gefördert, aber dies geschah nicht bewußt; Deutschland sollte den Ausgleich der europäischen Völkerideen herbeiführen, deren geistige Wirkungen über die Volksgrenzen hinaus er zwar anerkannte, deren politische Auswertung im Sinne der Herrschaft über andere Völker er jedoch ablehnte, da er dies als Vergewaltigung der von Gott geschaffenen und deshalb unverletzlichen Volkspersönlichkeit ansah. Dem Verständnis für die soziale Struktur Skandinaviens haben seine die Volkskunde anregenden Arbeiten der nächsten Jahrzehnte, zuletzt der „Versuch in vergleichenden Völkergeschichten“|(²1844) gedient, Völkerhaß war ihm nur Mittel völkischer Selbsterkenntnis.
A.s Hoffnung, daß der ihm innerlich immer näher gerückte Staat Preußen dem völkischen Gedanken sich anpassen werde, mußte ihn ebenso wie seine sich darauf gründende Freundschaft mit Gneisenau, Jahn und den Burschenschaftlern in Gegensatz zum revolutionären Liberalismus bringen wie zur Reaktion in Staat, Kirche und Philosophie. Befestigt durch die Verbindung zu Schleiermacher überwand er das Scheitern seiner Erwartungen auf eine Vereinigung von katholischer Autorität und evangelischer Freiheit in Hinwendung zu einem verinnerlichten Christentum, dem er durch seine Schrift „Von dem Worte und dem Kirchenliede“ (1819) mit all seiner großen Sprachgewalt neue Wege zu öffnen suchte. Seine eigenen Kirchenlieder verkündeten die neue Zeit im Kirchenlied und gehören noch heute zum evangelischen Liederstamm. Gegenüber der Selbstvergottung des Natürlichen an Mensch und Kultur betonte er nun die Notwendigkeit eines praktisch lebendig wirkenden Geistes im Volke, schon deshalb Gegner Hegels und Arnold Ruges. In der Restaurationszeit seines Amtes enthoben, schwieg er unter dem auf ihm lastenden Druck eine Weile vollständig, bis dann die französische Bedrohung Westdeutschlands ihn in den Jahren 1830 und 1840 zum Mahner deutscher Einigkeit werden ließ. Als Mitglied der Paulskirche gehörte er zu denen, die das Ausscheiden Österreichs für notwendig hielten, wenn ein nationaler Staat begründet werden sollte. Es war symptomatisch für seine Zeit, deren tiefste Kräfte A. instinktiv erfaßte, daß damit auch er zu einer Verengerung seines Blickfeldes gekommen war. Der Glaube an Gottes unerforschliche Führung blieb ihm aber als höchster Wert erhalten.
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Werke
Weitere W Gedichte, 2 Bde., 1818;
Schrr. für u. an seine lieben Deutschen, 4 Bde., 1845–55; Sämtl. Werke, hrsg. v. H. Rösch, H. Meisner u. E. Schirmer, 14 Bde., 1892-1909 (A.s Selbstbiogr. in Bd. 1 u. 2); H. Meisner u. R. Geerds, E. M. A., Lebensbild in Briefen, 1898;
Geistl. Lieder, hrsg. v. R. Eckhart, 1910;
Ausgew. Werke, hrsg. v. A. Leffson u. W. Steffens, 12 T., 1912;
E. Gülzow, Heimatbriefe E. M. A.s, in: Pommersches Jb., Erg.-Bd 3, 1919;
Staat u. Vaterland, Ausw., hrsg. v. E. Müsebeck, 1921;
Rügen-Märchen, hrsg. v. E. Gülzow, 1931;
Volk u. Staat, A.s Schrr. in Ausw., hrsg. v. P. Requad, 1934;
Gedichte, mit einem Lebensbild A.s, hrsg. v. O. Anwand, 1935. -
Literatur
ADB I;
Goedeke VII, 1906, S. 815-34;
G. Lange, Der Dichter A., 1910;
P. Czygan, Zur Gesch. d. Tageslit. während d. Freiheitskriege, 3 Bde., 1911–12;
F. Gundolf, Hutten, Klopstock, A., 1924;
H. Laag, Die religiöse Entwicklung E. M. A.s, 1926;
E. Cremer, E. M. A. als Gesch.schreiber, Diss. Kiel 1926;
R. Flad, Der Begriff d. öffentl. Meinung b. Stein, A. u. Humboldt, 1929;
Stammfolge d. Geschlechts A., in: Pommersches Geschlechterbuch, hrsg. v. B. Koerner u. H. Scheele. Bd. 2, 1929;
P. H. Ruth, A. u. d. Gesch., = Beih. 18 d. HZ, 1930;
J. Hashagen, Freiheit u. Gebundenheit bei E. M. A., in: HV 26, 1931, S. 312-19;
W. v. Eichborn, E. M. A. u. d. dt. Nationalbewußtsein, 1932;
R. Wolfram, E. M. A. u. Schweden, Zur Gesch. d. dt. Nordsehnsucht, 1933;
Frels, 1934;
H. Plath, E. M. A. u. sein Bild vom dt. Menschen, 1935;
A. G. Pundt, A. and the Nationalist Awakening in Germany, New York 1935;
H. Polag, E. M. A.s Weg z. Deutschen, 1936;
R. Fahrner, A.s geistiges u. polit. Verhalten, 1937;
Chan Tien-Lin, Die Auseinandersetzung E. M. A.s mit Frankreich, 1941 (W, L);
P. H. Ruth-L. Magon-E. Gülzow, E. M. A., Ursprung, Wesen, Wirkung, 1944;
E. Gülzow, E. M. A.s Studentenstammbuch, in: Archiv f. Sippen-F, Jg. 21, 1944, H. 9, S. 149-55;
ders., A.-Forschungen (ungedr.);
ders., Berichtigungen u. Ergg. z. E. M. A.s Selbstbiogr., in: FF, 1947;
L. Haas, A. u. Stein, Erlebnis u. Darst., Diss. Bonn 1946 (ungedr.);
U. Willers, E. M. A. och hans svenska förbindelser, Stockholm 1945 (vgl. DLZ, 1949, Sp. 318-20); H. Kohn, A. and the Character of German Nationalism, in: The American Historical Review 54, 1949;
A.-Mitt., Nr. 5. Kassel 1953 (Genealogie, L); A. Windemuth. E. M. A.s Napoleonbild im Vergleich mit d. Auffassung Fichtes, Diss. Berlin 1946 (ungedr.); Staatslex. I, ⁵1926;
E. Müsebeck. E. M. A., in: Pommer. Lb. I, 1934, S. 1-24 (W, L); H. Kern, E. M. A., in: Gr. Deutsche II, 1935, S. 503-23 (P vor S. 497);
s. a. Holtzmann-Ritter, Nr. 6480-85. – A.-Mus. in Godesberg
, begründet v. J. Loevenich, seit 1922 im Besitz d. Stadt Bonn. -
Porträts
Gem. v. F. Bender, 1843 (Nat.-Gal. Berlin); Stich v. C. T. Riedel nach Zeichnung v. L. Buchhorn (Stadtgeschichtl. Mus. Leipzig);
Radierung v. E. Eichens nach Zeichnung v. L. Heine, um 1813, Abb. in: Gr. Deutsche (s. L). -
Autor/in
Hellmuth Rößler -
Zitierweise
Rößler, Hellmuth, "Arndt, Ernst Moritz" in: Neue Deutsche Biographie 1 (1953), S. 358-360 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118504118.html#ndbcontent
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Arndt, Ernst Moritz
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Biographie
Arndt: Ernst Moritz A., geb. am zweiten Weihnachtstage 1769 in Schoritz auf Rügen als Zweitältester von acht Geschwistern, † 1860. Sein Urgroßvater war nach Familienüberlieferungen als Unterofficier aus Schweden gekommen, sein Vater war damals Inspector der sogenannten Schoritzer Güter, ursprünglich leibeigen, später vom Grafen Putbus freigelassen; seine Mutter war Friederike Wilhelmine Schuhmacher. Kaum sechsjährig, kam der Knabe nach Dunsewitz, wo sein Vater ein Bauergut pachtete, dort unterrichtete die Mutter die Kinder selbst, Lehrer erhielten sie erst, als der Vater 1780 als Pachter in die Nähe von Stralsund übergesiedelt war. Die ersten großen Eindrücke des Knaben waren die Seelandschaft, die Hünengräber und Volkssagen, das ernste, harte, fromme und arbeitsame Leben in den Familien der kleinen Landwirthe. Unterstützt durch unbekannte Gönner bezog er 1787 die gelehrte Schule zu Stralsund, arbeitete emsig und härtete sich auf jede Weise ab. Trotzdem erfaßte ihn im Herbst 1789 ein heftiger innerer Kampf und die Furcht, Stralsund möchte ihn doch verweichlichen; er entlief der Stadt in der Absicht, bei einem Landwirth Schreiber zu werden, kehrte aber bald ins elterliche Haus zurück, wo er in eifrigem Lernen ohne Lehrer bis Ostern 1791 verblieb. In diesem Jahr begab er sich nach Greifswald Theologie zu studiren, von dort nach Jena. Aber die theologischen Vorlesungen ließen ihn kalt, dagegen imponirte ihm Fichte. October 1794 kehrte er in die Heimath zurück, repetirte, wurde nach zwei Jahren Candidat und predigte, darauf Hauslehrer bei Pastor Kosegarten in Altenkirchen auf Wittow. Dennoch entfremdete er sich immer mehr dem geistlichen Stande, er entsagte ihm, 28 Jahre alt, gänzlich. Hierauf unstetes Wanderleben 1½ Jahr lang, er besuchte Wien, Ungarn, Italien, Frankreich, Belgien, zog über Köln den Rhein hinauf und nach Hause zurück.
Auf dieser Meise lernte er sich fröhlich unter Fremden behaupten und erwarb das Geschick, mit jeder Art von Menschen zu verkehren. Sein warmes Murgefühl und die Freude an den charakteristischen Lebensäußerungen jedes Volksthums gaben ihm überall eine Fülle von Beobachtungen, welche er genau und sauber in seinem Tagebuch fixirte. Er reiste als schwedischer Unterthan und galt unter den Fremden im Anfange gern für einen Schweden, „weil die deutsche Nationalität zu viel mißachtet war.“ Aber er bestand für sein deutsches Wesen schon damals manchen Strauß und bei unbefangener Anerkennung des Fremden festigte sich gerade auf dieser Fahrt sein deutscher Patriotismus. Ein Sommer in Paris machte ihn mit den französischen Zuständen unter dem Directorium unmittelbar vor Napoleons Rückkehr aus Aegypten genau bekannt. Ostern 1800 habilitirte er sich als Privatdocent der Geschichte in Greifswald, heirathete Charlotte Marie, natürliche Tochter des Professor der Naturgeschichte Quistorp, die er im nächsten Jahre nach der Geburt seines ersten Sohnes durch den Tod verlor. Er wurde Adjunct in der philosophischen Facultät|und hielt zumeist geschichtliche Vorträge. Ins Jahr 1800 fällt sein erster schriftstellerischer Versuch: „Ueber die Freiheit der alten Republiken.“
Wohlwollende Aufnahme fand die Redaction seines Reisetagebuchs, welche unter dem Titel: „Reisen durch einen Theil Teutschlands, Ungarns, Italiens und Frankreichs in den Jahren 1798 und 1799“. (6 Th. 1802; II. Aufl 4 Th. 1804) erschien. Im Jahre 1803 gewann er zuerst als Politischer Schriftsteller Bedeutung. Auf die Schrift: „Germanien und Europa" (Altona 1803), welche er selbst eine wilde und bruchstückige Aussprudelung seiner Ansicht von der Weltlage d. J. 1802 nennt, folgte eines seiner besten Bücher: „Versuch einer Geschichte der Leibeigenschaft in Pommern und Rügen,“ (Berl. 1803), welchem er (Berl. 1817) einen Anhang gab: „Geschichte der Veränderung der bäuerlichen und herrschaftlichen Verhältnisse in dem vormaligen schwedischen Pommern und Rügen von 1806 bis 1816.“ Die Darstellung der mittelalterlichen Zustände ist mangelhaft, aber die Entwickelung zum Schlimmern vom 16. Jahrhundert ab und vor Allem die Verhältnisse der Neuzeit sind vortrefflich geschildert. Das Buch machte in der Landschaft das größte Aufsehen und erregte gegen ihn Klagen mehrerer Edelleute bei König Gustav IV. Adolf. Aber A. wußte sich durch den Inhalt seiner Schrift zu vertheidigen, der König erfuhr daraus die unleidlichen Zustände und hob 1806 Leibeigenschaft und Patrimonialgerichte auf.
Im Herbst 1803 unternahm A. eine Reise nach Schweden, wo er ein ganzes Jahr weilte, den Winter in regem Verkehr mit Gesinnungsgenossen zu Stockholm, den Sommer am einer Fahrt nach den nördlichen Provinzen. Sein tapferes Buch hatte ihm warmen Empfang bereitet, seine sorglose Heiterkeit und die Wißbegierde, womit er Menschen und Landschaft beobachtete, gewannen ihm überall Freunde. Das Werk, in welchem er seine Fahrten schilderte: „Reise nach Schweden im Jahre 1804.“ (4 Bde. Berlin 1806), ist ziemlich flüchtig in einer Zeit geschrieben, wo ihm die Seele bereits durch andere Sorgen in Anspruch genommen war. Schon vor der Reise hatte er seine Gedichte in Druck gegeben (1. Ausg. Rostock 1804) und ein Drama: „Der Storch und seine Familie, eine Tragödie in drei Aufzügen“, (Greifswald 1804, auf Kosten des Verfassers), worin er das Elend schildert, welches durch überspannte Romantiker und phantastische Philosophen (die Schlegel) in eine ehrliche Pachtersfamilie gebracht wird. Aber alle Handelnden sind wunderlich als Vögel dargestellt. — Nach seiner Rückkehr aus Schweden gab er heraus: „Ideen über die höchste historische Ansicht der Sprache" (Rostock 1805) und mit größerem Erfolg: „Fragmente über Menschenbildung“ (2 Bde. Altona 1805): ein 3. Bd. erschien (Alt. 1819) mit dem Beititel: „Briefe an Psychidion oder über weibliche Erziehung.“ Beide Bücher sind aus Beobachtungen und Gedanken entstanden, welche in ihm das kurze Glück seiner Ehe, der kleine Sohn und die letzte Reise aufgeregt hatten. Aus dieser contemplativen Vertiefung in das Familienleben riß ihn die Sorge um die Schicksale Europas zu Politischer Arbeit. Wie ein Komet war die Macht Napoleons aufgestiegen, sie brach den Widerstand Oesterreichs und bedrohte Preußen. Wenige Deutsche kannten damals die Zustände des französischen Volkes aus eigener Anschauung so gut wie A., und beurtheilten so richtig das Deutschfeindliche und Despotische in der Natur des Siegers. Jetzt wollte A. die Deutschen an die Tüchtigkeit ihrer eigenen Art mahnen, vor der Ueberschätzung des Fremden warnen, die Volkskraft zum Kampf gegen den übermächtigen Einfluß der Franzosen stählen. Im Herbst 1805 schrieb er: „Geist der Zeit“ (1. Theil, Altona 1806, 2. Th. London 1809, 2. und 3. Th. Berlin 1813, 4. Th. 1818.) Dies Werk wurde entscheidend für sein eigenes Leben, sein Urtheil über Napoleon und die französischen Ansprüche ward durch die furchtbaren Ereignisse der nächsten Jahre|vor aller Augen bestätigt. Das Buch machte großes Aufsehen und warf ihn selbst aus der Gelehrtenstube in die Gefahren eines wilden Völkerkampfes. Er hatte eben seinem König für die im J. 1805 erhaltene außerordentliche Professur gedankt und wurde in der Regierungskanzlei zu Stralsund für die schwedischen Angelegenheiten beschäftigt, da gerieth er zunächst mit einem schwedischen Officier beim Weine in Streit, weil dieser das deutsche Volk schmähte. Im Zweikamps erhielt A. einen Schuß durch den Leib. Der kräftige Mann sank zu Boden, stand aber wieder auf und ging nach der Stadt, wo er sich verbinden ließ und acht Wochen auf dem Streckbett lag. Als ihn im Herbst die Nachricht von der Schlacht bei Jena und dem Anzug der Franzosen erreichte, hatte er jeden Grund für sein Leben zu fürchten, und flüchtete nach Stockholm. Dort wurde er freundlich aufgenommen, auch von der Regierung angestellt, er arbeitete an einer Uebersetzung der schwedischen Gesetze für Pommern und in der Staatskanzlei als Publicist und Uebersetzer politischer Flugschriften. Drei Jahre lebte er daselbst friedlich und sicher unter Freunden und doch klagt er, daß diese Jahre auch für ihn sehr unglücklich waren. In der Fremde fühlte er einsam den Jammer des geliebten Vaterlandes, an den Schweden kränkte ihn die Vergötterung Napoleons und die herannahende Regierungskatastrophe, welche den franzosenfeindlichen König aus seinem Lande schleudern sollte. Denn Arndt's deutscher monarchischer Sinn und persönliche Dankbarkeit fesselten ihn an den König. Als er die Intriguen bei der Thronentsetzung erlebt hatte, litt es ihn nicht länger im Lande. Heimlich schlug er sich im Herbst 1809 als Sprachmeister Allmann durch die Franzosen an die Küste Pommerns, bis nach Trantow zu seinen Geschwistern. Vater und Mutter waren während seiner Abwesenheit gestorben, er selbst war schon 1808 durch einen Befehl des Marschalls Soult seines Lehramtes entsetzt worden, und gerade jetzt wurde er geächtet. Denn in London war der 2. Theil seines „Geistes der Zeit“ erschienen, in welchem er die unsittlichen Grundlagen der Napoleonischen Herrschaft in hellem Zorn angriff und die Deutschen mit flammenden Worten zu den Waffen rief: ein einiges Volk zu sein, sei die Religion unserer Zeit, die höchste Religion sei das Vaterland lieber zu haben als Herren, Weiber und Kinder, die höchste Bestimmung des Mannes sei, für Gerechtigkeit und Wahrheit zu siegen oder zu sterben.
Er hielt sich in der Heimath mit Grund für gefährdet und ging Ende des Jahres nach Berlin, wo er bei seinem Jugendfreunde, dem Buchhändler Reimer wohnte. Das Haus seines Gastfreundes war ein Mittelpunkt für preußische Patrioten aus allen Städten, auch A. wurde dort zu einem warmen Preußen. Inzwischen hatte der Friede zwischen Frankreich und Schweden vom 6. Januar 1810 Greifswald an Schweden zurückgegeben, und A. wurde vom Generalstatthalter Grafen von Essen wieder in sein Lehramt eingesetzt. Noch einmal kehrte er in alte Verhältnisse zurück, die ihm jetzt sehr unerquicklich dünkten. Im Herbst 1811 bat er um seine Entlassung und begab sich über Trantow mit einem russischen Paß Anfang Januar 1812 heimlich nach Berlin, von da nach Breslau. Jetzt trat er in Verbindung mit mehreren Führern der großen Bewegung: mit Blücher, Scharnhorst, Gneisenau, Gruner u. A. Von Breslau ging er zu Fuß durch Schlesien nach Prag, von dort durch Galizien nach Petersburg zum Freiherrn von Stein, der ihn zu sich geladen hatte, um ihn in Geschäften der deutschen Legion und in seinem Bureau zu beschäftigen. Schnell bildete sich zwischen beiden kräftigen Männern ein festes Verhältniß, der mächtige Einftuß Stein's öffnete ihm Zutritt zu den höchsten Kreisen der Petersburger Gesellschaft und zu den Besten der patriotischen Deutschen, welche dort zusammen geströmt waren. In gehobener Stimmung, unter den mächtigsten Eindrücken, im Wirbel der ungeheuren Ereignisse des Jahres 1812 wurde|A. ein Theilnehmer und guter Beobachter der russischen und der deutschen Erhebung. Am 5. Januar 1813 verließ A. mit Stein Petersburg und kam aus der Rückzugsstraße des französischen Heeres am 21. Januar in Königsberg an. Auch er lebte jetzt, wo in Millionen Seelen der Sturm ausbrach, den er seit einem Jahrzehnt ersehnt und angefacht hatte, das größte Jahr seines Lebens. Sein Herz glühte in Begeisterung und Haß, eine ganze Reihe von Flugschriften warf er wie zündende Raketen über das deutsche Land: „Katechismus für den deutschen Kriegs- und Wehrmann," „Was bedeutet Landsturm und Landwehr," „Lieder für Teutsche“ — nicht alle der stärksten hat er in die spätere Sammlung seiner Gedichte aufgenommen, z. B. nicht das berühmte: „O Teutsche, nicht mehr Teutsche.“ — Mitte März ging A. über Breslau nach Dresden, um mit Stein zusammenzutreffen. Dort redigirte er neben Flugschriften den 3. Theil des „Geist der Zeit“ und forderte: „Ein Deutschland. Reichstag mit freiem Wort und Reichsverfassung, ein allgemeines deutsches Oberreichsgericht, Schwurgerichte, einerlei Münze, Maaß und Gewicht, Abschaffung aller Binnenzölle, eine große Lehr- und Erziehungsanstalt für Fürsten- und Herrensöhne.“ Schon wurde A. ein Jacobiner gescholten. — Von Dresden folgte er dem Freiherrn v. Stein nach Reichenbach ins Hauptquartier der verbündeten Monarchen und verlebte mehrere gute Wochen auf dem Gute des Grafen Geßler. Nach der Schlacht bei Leipzig weilte er in der befreiten Stadt, dort schrieb er: „Der Rhein Deutschlands Strom, aber nicht Deutschlands Grenze.“ Nach dieser Schrift versprach ihm Hardenberg eine Anstellung in Preußen. Den verbündeten Heeren folgte A. nach dem Rheine, traf Mitte Januar in Frankfurt a. M. ein und nahm seine alte Thätigkeit bei Stein wieder auf. Nach dem ersten Frieden begleitete er den Freiherrn auf sein Schloß in Nassau, wo er fröhliche Tage durchlebte. Im Herbst ergriff ihn seine alte Wanderlust: er reiste über Wien nach Berlin. Trotz dem Wechsel des Aufenthalts als Patriot beschäftigt, und den Gang der großen Politik argwöhnisch beobachtend schrieb er: „Die Glocke der Stunde in Zügen," „Das preußische Volk und Heer," „Noch ein Wort über die Franzosen und über uns,“ „Ueber Sitte, Mode und Kleidertracht,“ „Ueber künftige ständische Verfassungen in Deutschland." Und als die Verhandlungen des Wiener Congresses immer wirrer wurden: „Blicke aus der Zeit auf die Zeit,“ „Die Regenten und die Regierten.“ Als im März 1815 der Krieg aufs neue entbrannte, eilte A. nach Aachen, von da nach Köln. Dort weilte er ohne amtliche Beschäftigung, man bedurfte seiner nicht mehr. Er begründete die Zeitschrift „Der Wächter“ in zwanglosen Heften. Aber das Mißbehagen über Hoffnungen, welche nicht erfüllt waren, trieb ihn bald aufs neue in die Fremde; er zog durch seine Heimath nach Dänemark, in der Absicht auch dies germanische Volk in der Nähe zu betrachten, und kehrte erst im Herbst 1816 an den Rhein zurück, wieder ohne dort fest zu haften. Es waren für seine Feder zwei thatlose Jahre.
Im Herbst 1817 ließ A. sich in Bonn nieder, heirathete seine zweite Frau. Nanna Marie, Schwester Schleiermacher's; im Herbst 1818 begann er sein Lehramt als Professor der Geschichte an der neuen Universität ohne litterarische Hülfsmittel, da seine Bücher und Sammlungen auf der Wasserreise von Stralsund verdorben waren. Dort in pecuniär günstiger Lage, glücklich an der Seite einer guten und festen Gattin, in lang entbehrter Häuslichkeit, redigirte er aufs neue seine Gedichte (Frankfurt 1818), gab „Mährchen und Jugenderinnerungen“ (Berl. 1818) heraus, „Erinnerungen aus Schweden" (Berl. 1818), darauf „Ein Wort über die Pflegung und Erhaltung der Forsten und Bauern“ (Schleswig 1820), eine gute kleine Schrift, welche er später zum Theil den „Erinnerungen aus seinem äußern Leben“ einverleibte. Stein's Aufforderung zur Mitarbeiterschaft an den „Monumenta Germaniae“ lehnte er ab. Aber in seinem Privatglück barg er nicht den tapfern Zorn gegen die große Reaction der Cabinette. Der 4. Theil des „Geistes der Zeit“ erschien, worin er den Wehrstaat statt des Polizeistaats forderte und die „Dummheit, Feigheit, Faulheit“ an den Gegnern freier Entwickelung wacker abstrafte. Die starken Anklagen und der edle Freiheitssinn erregten großes Aufsehen und Aergerniß. Schon am 11. Febr. 1819 erging eine warnende Cabinetsordre gegen A., auf welche dieser dem Curator der Universität, Oberpräsidenten Grafen Solms-Laubach, muthig antwortete. Da kam am 23. März 1819 die Ermordung Kotzebue's und deren Folgen. Am 13. Juni hatte sich A. der Geburt eines Sohnes gefreut, kurz nachher wurde Haussuchung bei ihm gehalten und die Untersuchung eröffnet. Vergebens reichte er Verwahrung gegen die Beschlagnahme seiner Papiere bei Hardenberg ein. In seiner Sache erging kein Bescheid, die Zeitungen verleumdeten ihn, wieder und wieder bat er den Minister um Recht. Da die preußische Commission trotz alles Suchens nichts Strafbares an ihm fand, leitete die Mainzer Central-Behörde die Criminaluntersuchung gegen ihn ein. Am 10. Februar 1820 wurde ihm seine Lehrthätigkeit untersagt. Als nach 1½ Jahr die Vertheidigungsschrift eingereicht werden konnte, forderte A. — Juni 1822 — in einer neuen Eingabe an Hardenberg die Rettung seiner Ehre und verlangte, daß seine Ankläger nicht zugleich seine Richter sein sollen. Aehnliche Bitte am 9. Juli an Altenstein. Alles vergeblich. Weder für „schuldig" noch für „unschuldig“ wurde er erklärt. Lein Gehalt wurde ihm gelassen, aber im Amte blieb er „still gestellt.“ Vielen galt er damals für einen Staatsverbrecher, er zog sich auf den engen Kreis seiner Freunde zurück, das feste und treue Verhältniß zu Stein, der zürnend auf seinen Schlössern saß, war ihm bis zum Tode des großen Patrioten 1831 Anhalt und Trost. Seine litterarische Thätigkeit aber war für zehn Jahre gelähmt. Er veröffentlichte „Forschungen über die Geschichte der nordischen und germanischen Völker“ (Nebenstunden I. Leipzig 1826), schrieb gegen die Auffassung des Protestantismus in Friedrich Schlegel's „Geschichte der alten und neuesten Litteratur" (gedruckt im 3. Bd. der Schriften für und an seine Deutschen), „Christliches und Türkisches" (Stuttgart 1828). Erst die Julirevolution hob wieder seine Production. In Sorge um die Rheingrenze schrieb er „Die Frage über die Niederlande und die Rheinlande" (Leipzig 1831), der belgische Aufstand veranlaßte sein „Belgien und was daran hängt." (Leipzig 1834.) „Die Zeit der Reaction ist vorüber,“ ruft er froh, „der deutsche Mittelstand ist eine Macht geworden, ich glaube, bis mich die letzte Hoffnung verläßt, noch an Preußens große Bestimmung für unser Vaterland.“ — Am 2. Juni 1834 sah er seinen neunjährigen Sohn Willibald im Rhein ertrinken. Da brach ihm fast das Herz und nur langsam gewann er seinen Lebensmuth zurück. — Im Jahre 1839 erschien: „Schwedische Geschichten unter Gustav III., vorzüglich aber unter Gustav IV. Adolf“ (Leipzig.)
Endlich im Jahr 1840 setzte ihn Friedrich Wilhelm IV. wieder in sein Amt ein. Die Universität wählte ihn für das nächste Jahr zum Rector. Alsbald rührte sich kräftig die Feder des Alten. Er gab die „Erinnerungen aus dem äußeren Leben" (1840) heraus, ein liebenswerthes Buch, Hauptquelle für seine Biographen; er schrieb für das Turnwesen (1842), formte den Inhalt seiner Vorlesungen „Ueber vergleichende Völkergeschichte" (1843) zu einem Buche und sammelte die wichtigeren seiner Flugschriften unter dem Titel: „Schriften für und an seine lieben Deutschen“ (3 Bde. Leipzig 1845); der 4. Bd. (Berlin 1855) enthält meist Ungedrucktes. Seine Rechtfertigungsschrift erschien als „Nothgedrungener Bericht aus meinem Leben mit Urkunden der demagogischne und antidemagogischen Umtriebe“ (Leipzig 1847, 2 Bde.)
Als der Sturm des Jahres 1848 über Deutschland hereinbrach, sah der 78jährige Greis mit einer wundervollen Frische und Zuversicht auf die Bewegung, und der alte Freiheitskämpfer stand keinen Augenblick an, sich dem Treiben einer jungen Demokratie entgegen zu stellen. Wieder schrieb er kleine Flugschriften: „Das verjüngte Deutschland," und „Polenlärm.“ Er wurde in das Frankfurter Parlament gewählt, dort saß er als Mitglied des rechten Centrums, hielt am 2. Juli seine einzige längere Rede und zwar im Einklange mit den Ueberzeugungen seines ganzen Lebens: „Zur Vertheidigung der geschichtlichen Ehren und Titel des Adels.“ Am 30. März 1849 wurde er Mitglied der Deputation, welche nach Berlin reiste, um Friedrich Wilhelm IV. die Kaiserkrone anzubieten; am 30. Mai schied er mit seinen Gesinnungsgenossen aus dem Parlament. Seine „Blätter der Erinnerung aus der Paulskirche“ (Leipzig 1849). waren aber Gedichte. Noch einmal trat er in dem Buch „Pro Populo germanico“ (Berlin 1854) als ernster Mahner vor seine Nation, er verglich darin, wie er gern that, die Zustände Deutschlands mit denen anderer Staaten. „Es geht doch vorwärts,“ rief er zuversichtlich, „wahrt Euch nur vor den Junkern und Pfaffen.“ Sein letztes Werk war ein Denkmal seiner Herzenstreue: „Wanderungen und Wandelungen mit dem Reichsfreiherrn von Stein“ (Berlin 1858). Noch dies brachte ihn wegen einiger Bemerkungen über den Fürsten von Wrede in einen Conflict mit bairischen Gerichten, der ihm aber in Bonn einen Fackelzug verursachte.
Im Jahre 1854 hatte er sein akademisches Lehramt niedergelegt, im Jahre 1859 wurde sein 91. Geburtstag an sehr vielen Orten festlich begangen. Am 29. Januar 1860 entschlummerte er, bis zum Tode gepflegt von seiner treuen Gattin.
A. war von kleinem Leibe, ausgeturnten Gliedern, die stahlharten Muskeln auch ungewöhnlichen Anstrengungen gewachsen, sein Antlitz offen und freundlich, seine hellen Augen von scharfem Blick und herzlichem Ausdruck, sein Wesen vor Jedermann unbefangen und sicher. Er hatte ein sehr heftiges Naturell, brauste leicht auf und wurde schnell wieder versöhnt. Eine echt deutsche Natur auch in seiner geistigen Arbeit, in ruhiger Zeit ein Grübler und Träumer, der gern dahinschlenderte und in sich hinein summte, wenn ihm aber etwas das Herz ergriff, dann kehrte er sich schnell und behend nach Außen voll Feuer und Unternehmungslust, dann war er von einer großen Fülle und Energie der Rede und dabei von schnellen: und klaren: Urtheil, sein heißes Fühlen durch einen sehr gesunden, massiven Menschenverstand gebändigt. Er wurde kein Gelehrter; obgleich er viel gelesen und für sich gearbeitet hatte, fehlte ihm doch zu sehr die Schule: er war auch kein kunstvoller Dichter, wo er Größeres frei schuf, bedrängten ihn die Fülle der Worte und die schnellen Einfälle und hinderten ihn der Mangel an schönem Formensinn. Seine lyrischen Gedichte gleichen in der Mehrzahl Improvisationen. Es wurde ihm nicht leicht, eine Idee in lyrischer Kürze abzuschließen, die Energie des Ausdrucks war ihm auch hier wichtiger als der musikalische Wohllaut. Die Gedichte sind deshalb von sehr ungleichem Werth. In den früheren wiederholte er mit großer Unbefangenheit die Ideen fremder Lieder, zumal Goethe’scher, seine Phantasie spielt mit Blumen, Vögeln, Gestirnen, dem Meer, mit dem Wandel in der Natur und im Menschenleben, das Behagen ist größer als der Reichthum und die Originalität; immer aber erfreut eine innige und gesunde Frömmigkeit, zumal in den geistlichen Gedichten. Dennoch gehört er zu den stärkeren Lyrikern unserer Nation. Das Bedürfniß des lyrischen Ausdrucks blieb ihm von der Jugend bis in das höchste Greisenalter, und neben Unvollkommenem gelang ihm auch einmal das Beste, wenn das leidenschaftliche Wesen seiner feurigen Natur zur Geltung kommen konnte. In den|Jahren der Freiheitskriege, wo seine Seele sich am gewaltigsten erhob, wurden seine Gedichte ein großartiger Ausdruck der poetischen Erhebung, in welcher das deutsche Volk den Krieg begann. Darum erreichte er, was nur wenigen Glücklichen vergönnt wird, daß wol mehr als ein Dutzend seiner Lieder in die volksthümliche Litteratur überging, durch poetischen und historischen Werth ein bildendes Moment für die späteren Geschlechter. Dazu gehören: „Was ist des Deutschen Vaterland,“ „Der Gott der Eisen wachsen ließ,“ „Es zog aus Berlin ein tapferer Held," „Was blasen die Trompeten," „Sind wir vereint zur guten Stunde," „Aus Feuer ist der Geist geschaffen," „Bringt mir Blut der edeln Neben," „Deutsches Herz verzage nicht," „Wer ist ein Mann, der beten kann,“ „O lieber heil'ger frommer Christ.“
Doch ein Liebling der Nation wurde er vorzugsweise durch seine Prosa. Auch seine prosaischen Schriften sind fast sämmtlich Improvisationen, selbst breit angelegte Bücher, sogar die geschichtlichen. Der Plan ist selten fest gehalten, gern ergeht er sich in Abschweifungen, dicht neben dem Tiefsinnigen und Durchdachten steht wol einmal der flüchtige Einfall. Aber den Leser fesselt sogleich die starke treibende Kraft des Schreibenden, die hohe Wahrhaftigkeit und die rücksichtslose Tapferkeit und neben dem trotzigen Zorn gegen die Bösen, die warme, wohlthuende Liebe zum Vaterlande, zu allem Guten und Großen. Immer erkennt man einen Mann von völliger Selbstlosigkeit, dem es nur um die Wahrheit zu thun ist; und fast überall erfreut in seinen Angriffen innere Freiheit und heitere Sicherheit. Wie kräftig seine Worte, wie scharf seine Hiebe fallen, stets leitet ihn heiliger Ernst für die Sache und die Treue einer festen Ueberzeugung. In dem aber, was er fordert, ist der feurige Mahner höchst maßvoll und besonnen. Denn ihn controllirt sein massiver Verstand, ein klares und reines Gemüth; die Bilder, welche die Außenwelt in seine Seele sendet, sind ohne Verzerrung. Darum muß der Leser ihn selbst ehren, oft gewinnt er ihn recht von Herzen lieb; und darin liegt wol das letzte Geheimniß seiner großen und dauernden Wirkung auf die Nation. Nicht nur die Worte des Mannes, sondern auch sein eigener Charakter wirken kräftigend auf den Leser. Seine politischen Forderungen galten einst Vielen für revolutionär, wir haben die Erfüllung fast Aller erlebt. Was sein Eifer damals nicht durchsetzte, ist in der nächsten Generation lebendig geworden, und viele seiner Worte klingen uns jetzt wie die Mahnung eines Sehers.
Für das Talent Arndt's wäre in den Jahren nach den Pariser Frieden auch ohne die eintretende Reaction eine segensreiche friedliche Thätigkeit nicht leicht geworden, denn zum akademischen Lehramt war er trotz der Kraft seines mündlichen Vortrags doch nicht ganz geeignet. Aber die Art, wie dem bejahrten Kämpfer für seine patriotische Arbeit gelohnt wurde, machte sein Schicksal tragisch. Es gab wol in Deutschland keinen namhaften Bürger, der weniger die Eigenschaften eines Verschwörers hatte, als dieser ehrliche, offenherzige, fest monarchisch gesinnte Mann, der treueste Anhänger Stein's, der sich aus einem Schweden durch freie Wahl und Liebe zum Preußen gemacht hatte. Und doch wurde er von Preußen aus als politischer Verschwörer behandelt. Den Schaden, der ihm dadurch zugefügt wurde, hat er selbst ergreifend ausgesprochen: „Zwar schien ich während dieser Untersuchunng und während der Folgen und Nachfolgen derselben mich nach dem Urtheile meiner Freunde mit leidlicher Gleichmüthigkeit und Besonnenheit zu benehmen; aber doch habe ich die langsame Zerreibung und Zermürsung meiner besten Kräfte bis ins Mark hinein nur zu tief gefühlt. Man sieht dem Thurm, so lange er steht, nicht an, wie Sturm, Schnee und Regen seine Fugen und Bänder allmählich gelockert und gelöst haben. Das Schlimmste aber ist gewesen, daß ich schöne Jahre, welche ich tapferer und besser|hätte anwenden können und sollen, in einer Art von nebelndem und spielendem Traum unter Kindern, Bäumen und Blumen verloren habe. Ich erkenne und bereue es jetzt wol, aber es ist zu spät; diese Zeit und überhaupt meine Zeit, ist vergangen und verloren.“ — Als Friedrich Wilhelm IV. ihn wieder in seine Ehren einsetzte, war A. 71 Jahre alt und ein jüngeres Geschlecht tummelte sich um ihn in neuem Kampfe. Aber gerade in der Zeit des Drucks bewährte sich der Adel seiner Gesinnung und die Reinheit seines Patriotismus, er wurde nicht verbittert, und das heitere Vertrauen, mit welchem er in die deutsche Zukunft sah, seine Loyalität und Anhänglichkeit an Preußen wurden nicht vermindert. Er war der Nation vorher sehr werth geworden, jetzt kam zu der herzlichen Achtung die Rührung und Ehrfurcht. So wuchs sein Bild dem jüngern Geschlecht in das Herz, und selbst die erbitterten Parteikämpfe von 1848 und sein Auftreten in Frankfurt vermochten ihm diese Popularität nicht auf die Dauer zu schädigen. Zwanzig Jahre seines Lebens waren ihm durch die Reaction verdorben worden, wie zur Entschädigung legte ein gnadenvolles Schicksal ihm noch zwanzig Jahre über ein vollgemessenes Maaß der Lebensjahre zu; der kräftige Schlag des Herzens, der Frohsinn und ein gesunder Leib blieben ihm bewahrt. Als er starb, gerade während der Vorbereitung zu einer neuen Zeit großer Siege und politischer Erfolge, wo fast Alles erfüllt werden sollte, wofür dieser gute Herold des deutschen Volkes gerufen und gesungen, gekämpft und gelitten hatte, da fühlten die Zeitgenossen, daß ein Held geschieden war, welcher in einer Periode harten Preßzwangs, unter den größten persönlichen Gefahren, so laut, tapfer und dauerhaft wie kein Anderer für die Ehre und Größe seines Volles gesprochen und geschrieben hatte, ein lauterer Charakter, in welchem die Eigenheiten der deutschen Natur sich zu einem fast typischen Bilde unserer Volksart vereinigt erwiesen.
Eher als seinem großen Freunde Stein errichtete ihm das deutsche Volk die Statue. Der Erzguß nach Afinger's Modell wurde 1865 zu Bonn enthüllt, in der Bibliothek daselbst steht seine Marmorbüste.
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Literatur
Biographien und Charakteristiken Arndt's im 5. Bd. der Preuß. Jahrbücher (1860), von Eugen Labes (1860), von H. Rehbein und R. Keil (1861), von Daniel Schenkel (1866). Ein Verzeichniß seiner Schriften in: K. Goedeke, Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung 3. Bd. S. 226.
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Autor/in
Gustav Freytag. -
Zitierweise
Freytag, Gustav, "Arndt, Ernst Moritz" in: Allgemeine Deutsche Biographie 1 (1875), S. 541-548 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118504118.html#adbcontent