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ADB:Kölreuter, Joseph Gottlieb

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Artikel „Koelreuter, Joseph Gottlieb“ von Ernst Wunschmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 16 (1882), S. 493–496, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:K%C3%B6lreuter,_Joseph_Gottlieb&oldid=- (Version vom 28. Dezember 2024, 21:16 Uhr UTC)
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Koelreuter: Joseph Gottlieb K.[1], Botaniker, geb. zu Sulz am Neckar, den 27. April 1733, † zu Karlsruhe am 12. Novbr. 1806 als Professor der Naturgeschichte. Leider fehlen über diesen für die Geschichte der Botanik [494] bedeutungsvollen Mann die näheren biographischen Mittheilungen. Man weiß nur, daß er neben seiner Professur während der Jahre 1768–1786 die Oberaufsicht über die botanischen Hofgärten inne hatte, daß er diese Stelle aber, der Widersetzlichkeit der Gärtner weichend, aufgeben mußte, nachdem seine Beschützerin, die Markgräfin Caroline von Baden gestorben war, worauf er seine Beobachtungen in seinem eigenen kleinen Garten fortsetzte. Bedeutungsvoll aber war dieser Mann für die Entwickelung der Botanik nach mehr als einer Richtung hin. Zunächst bereicherte er die Wissenschaft durch die Entdeckung zahlreicher in das Gebiet der Bastardbefruchtung der Pflanzen fallender Thatsachen, die auch heute noch unbestrittene Gültigkeit haben, sodann aber erhob er sich durch die exakte Methode seiner Untersuchung, die völlig den Principien moderner Naturforschung entspricht, sowie durch die Klarheit und Durchsichtigkeit seiner Gedanken, weit über seine Zeitgenossen, so daß es nicht Wunder nehmen konnte, daß die Bedeutung seiner Arbeiten erst ziemlich spät anerkannt wurde, jedenfalls nach viel längerer Zeit Würdigung errang, als diejenige war, die er selbst brauchte, um seine Entdeckungen zu Tage zu fördern. Koelreuter’s wichtigste Schrift: „Vorläufige Nachricht von einigen das Geschlecht der Pflanzen betreffenden Versuchen“ erschien in 4 Abtheilungen in den Jahren 1761, 1763, 1764, 1766. Die Frage nach der Sexualität im Pflanzenreich war bereits durch die im J. 1694 erschienene Schrift von R. J. Camerarius De sexu plantarum epistola in dem Sinne entschieden worden, daß in der That im Pollen und in der Samenknospe der Phanerogamen eine geschlechtliche Differenz bei den Pflanzen obwalte und daß durch deren gegenseitige Einwirkung fruchtbare Samen entständen. Darauf hatten einige wenige spätere Beobachter, vor allen Gleditsch durch die im J. 1749 im botanischen Garten zu Berlin mit Glück ausgeführte künstliche Befruchtung einer Palme, der Chamaerops humilis, die Angaben des Camerarius bestätigt. Für die streng naturwissenschaftliche Forschung kam es jetzt darauf an, auf experimentellem Wege weiter zu erfahren, welchen Antheil das männliche und welchen das weibliche an der Bildung der neuen Pflanze nehme. K. suchte nun dadurch diese Frage zu entscheiden, daß er Kreuzungsversuche zwischen verschiedenen Pflanzenformen anstellte, in der richtigen Ueberzeugung, daß – vorausgesetzt, daß eine solche Vereinigung überhaupt möglich sei – es sich hier zeigen müsse, ob und welche Eigenschaften die Nachkommen durch den Pollen und welche durch die Samenknospe sie gewinnen. Wie sehr K. von der Wichtigkeit seiner Untersuchung durchdrungen war, erhellt nicht nur aus der Sorgfalt, mit welcher er die über den behandelten Gegenstand vorhandene Litteratur durchstudirte, – ein Beweis dafür ist sein in Mikan’s Opuscula botanici argumenti erschienener Bericht: „Historie der Versuche, welche vom Jahre 1691 bis auf 1752 über das Geschlecht der Pflanzen angestellt worden sind“ – sondern auch aus der bewunderungswürdigen, zu seiner Zeit ganz unerhörten Ausdauer, mit welcher er, durchaus systematisch, an die Beantwortung seiner Frage ging. Zunächst untersuchte er in seinen „Vorläufigen Nachrichten etc.“ sehr sorgfältig die verschiedenen Einrichtungen innerhalb der Blüthe in ihrer Beziehung zum Sexualverhältniß. Er zählte beispielsweise die in den Antheren gewisser Pflanzen, wie Hibiscus und Mirabilis vorkommenden Pollenkörner, verglich die erhaltenen Zahlen mit der Zahl der zum Zwecke vollständiger Befruchtung unumgänglich nöthigen Pollenkörner und fand, daß in der Regel von letzteren viel mehr producirt, als wirklich gebraucht werden, überzeugte sich auch davon, daß bei getheilten Griffeln schon die Bestäubung eines einzigen eine Befruchtung der Samenknospen sämmtlicher Fächer des Fruchtknotens herbeiführe. Große Aufmerksamkeit wendete er dann denjenigen Einrichtungen zu, durch welche die Bestäubung in der freien Natur vermittelt werde und fand als einer [495] der ersten, daß der Insektenwelt hierbei eine große Rolle zukomme; er untersuchte auch den Nektar vieler Pflanzen, den er ganz richtig als das für die Herbeilockung der Insekten wichtigste Agens erkannt hatte. Uebrigens hatte ihn das Studium der Insekten, wie aus seiner 1755 in Tübingen erschienenen Dissertation: „De insectis coleopteris, nec non de plantis quibusdam rarioribus“ hervorgeht, bereits früher beschäftigt, auch ist erwähnenswerth, daß in seiner „Untersuchung über die Fortpflanzung der Mistel“, 1763, bereits die Frage über den Zusammenhang der Existenz der Pflanze mit der gewisser Thiere erörtert wird, eine Frage, deren volle Bedeutung bekanntlich erst die neuesten Forschungen erkannt haben. Ferner zog K. in seinem Werke die Bewegungen der Staubgefäße und Narben behufs der Befruchtung in den Kreis seiner Beobachtungen und entdeckte, daß die Narbenlappen von Martynia proboscidea und Bignonia radicans, mechanisch gereizt, sich zwar schließen, bald aber wieder öffnen, daß sie dagegen, wenn sie mit Pollen belegt werden, so lange geschlossen bleiben, bis die Befruchtung gesichert ist. Ueber den eigentlichen Sexualvorgang hatte K. allerdings noch dieselben falschen Vorstellungen, wie seine Zeitgenossen, indem er im Pollenkerne die Existenz eines besonderen Samenstoffes annahm, für welchen er das den Körnern außen anhaftende Oel hielt; gleichwohl erkannte er die Strukturverhältnisse der Pollenkörner ziemlich genau, ja er beobachtete auch bereits die Anfänge der Pollenschlauchbildung, wenn er sie auch falsch deutete. Klarer wurde man über diesen Punkt überhaupt erst 60–70 Jahre später, als auf Grund besserer Mikroskope die Kunst des mikroskopischen Sehens weit mehr ausgebildet war. Wo es auf letzteres nicht ankam, sondern nur um geschicktes Experimentiren sich handelte, da war jedoch K. Meister und erreichte Resultate, an denen auch später nichts zu ändern war. Hierhin gehören und bilden somit Koelenreuter’s bedeutendste Leistung, die mit Glück ausgeführten zahlreichen Bastardirungsversuche. So beschreibt er in der letzten Fortsetzung seiner Arbeit (1763) eine lange Reihe von Blendlingen aus den Gattungen Nicotiana, Kedmia, Dianthus, Mattiola, Hyoscyamus u. a. und im letzten Abschnitte seiner Schrift vom J. 1766 achtzehn Hybridationsversuche mit 5 einheimischen Verbascum–Arten. Zugleich zeigt er, auf Experimente gestützt, daß, wenn eigener und fremder Pollen gleichzeitig auf eine Narbe kommen, nur der eigne befruchtend wirke und daß hierin zum Theil das Fehlen wilder Bastarde, die man aber künstlich erzeugen könne, begründet sei. Er stellte auch künstliche Bastarde dritten, vierten und fünften Grades her, bewies, wie aus solchen die väterliche Urform durch wiederholte Bestäubung mit letzterer sich reconstruiren lasse; kurz er kam zu Resultaten, die heutzutage die Grundlage für die allgemeinen Gesetze der Hybridation bilden. Was aber außerdem nicht hoch genug anzuschlagen ist, ist der Umstand, daß K. mit allen diesen Thatsachen, die zum Schaden der Wissenschaft zähe festgehaltene Evolutions- oder Einschachtelungstheorie zu Fall brachte und einen tiefen Blick in das wahre Wesen der sexuellen Vereinigung bei den Pflanzen thun ließ.

Weniger glücklich, als mit dem besprochenen Werk war K. mit der 1777 erschienenen Arbeit: „Das entdeckte Geheimniß der Kryptogamie“. Wie schon oben erwähnt, war die mikroskopische Forschung nicht das Feld, auf dem K. mit Erfolg sich tummeln konnte und da nur sie allein für die Physiologie des Befruchtungsvorganges kryptogamer Pflanzen die richtige Beobachtungsmethode abgeben konnte, so ist es erklärlich, daß Koelreuter’s Angaben in dem citirten Werke, die wohl meist auch aus dem Verlangen, Analoga zu den Phanerogamen zu bieten, entstanden sind, viele unrichtige Thatsachen enthalten. Beispielsweise sei erwähnt, daß K. bei den Lebermoosen und Moosen die Haube, bei den Lykopodiaceen, Ophioglosseen, Schachtelhalmen und Rhizokarpeen den Sporenbehälter [496] selbst, bei den Farnen das Indusium für das männliche Organ hielt. Von den Flechten glaubte er, daß die sogenannte Marksubstanz die Anlage zu den Samen darstelle und die darüber ausgebreitete Rindensubstanz den befruchtenden Saft dazu hergebe. Indessen irrte hier K. nicht mehr als seine Zeitgenossen, wie denn die Erkenntniß der sexuellen Vorgänge bei den Kryptogamen überhaupt erst ein Verdienst der modernen botanischen Forschung ist. Daher wird eine vorurtheilsfreie Kritik K. jedenfalls mit zu den bedeutendsten Erscheinungen unter den Botanikern des 18. Jahrhunderts rechnen müssen. Daß sein Name in der Wissenschaft erhalten bleibe, sichert die von Laxmann aufgestellte kleine Pflanzengattung Koelreuteria aus der Familie der Sapindaceae, die durch eine im nördlichen China heimische Art vertreten ist. (Sachs, Geschichte der Botanik).

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 493. Z. 3 v. u.: Ueber Kölreuter s. jetzt J. Behrens, Jos. Gottl. K. Ein Karlsruher Botaniker des 18. Jahrhdts. Karlsruhe, Braun, 1894. [Bd. 55, S. 890]