Festival junger Künstler Bayreuth

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Das Festival junger Künstler Bayreuth ist ein Ort internationaler Begegnung und interkulturellen Lernens, ein Forum für das Neue und Experimentelle in der Kunst. Das Festival junger Künstler ist eine Ausbildungsstätte für junge Künstlerinnen und Künstler sowie angehende Kulturmanager.


Das Festival junger Künstler Bayreuth

Im Weltzentrum der Musik Bayreuth wurde 1950 unter der Patronage von Jean Sibelius das Festival junger Künstler Bayreuth von Herbert Barth gegründet. Ziel war es, damals, nach einem furchtbaren Zweiten Weltkrieg neue internationale Begegnung zu schaffen, ein Forum für den Dialog junger Menschen aus ganz unterschiedlichen politischen und sozialen Systemen zu ermöglichen und einen Ort für intensive künstlerische Arbeit zu schaffen. Bis heute sind ca. 25.000 junge Menschen aus 80 Nationen dieser Welt nach Bayreuth gekommen, um auf dieser „Probebühne für die Jugend der Welt“, wie der Schriftsteller Martin Gregor-Dellin sie beschrieben hat, zu arbeiten und von- und miteinander zu lernen.

Das Festival produziert Kultur! Und dieses Kulturprodukt besteht aus vielschichtigen Aktionsfeldern: Internationale Jugendarbeit: das Festival ist eine Brücke zwischen Kulturen und Kontinenten. Das Ermöglichen von internationaler Begegnung und interkultureller Kommunikation sind Schwerpunkte der Arbeit der Festivalverantwortlichen.

Workshops für Kammermusik und Symphonieorchester Musiktheater Das Projekt „Orient meets Occident“ Workshops für Sänger Masterclasses Workshop zu Videoproduktion Workshop zu Ton- und Aufnahmetechnik Seminare zum Kulturmanagement und das Seminar Bayreuther Wagner-Lektionen

Weltweit geschätzte Solisten, Dirigenten und Regisseure stehen für die Qualität dieser Probebühne und Werkstatt Bayreuth. Das Festival junger Künstler Bayreuth findet zeitgleich zu den Richard-Wagner-Festspielen statt. Für die Teilnehmer des Festivals ist ein Besuch der Festspiele möglich.

Das Festival junger Künstler Bayreuth ist ein gesuchter Ort für die internationale und interkulturelle Zusammenarbeit und unterstützt die notwendige Netzwerkbildung zur Stärkung jeder Karriere und Lebensplanung.

Wendezeiten - Zeitenwende

Aus Anlass seines 60. Geburtstages gilt es für das Festival junger Künstler Bayreuth sowohl zurück zu blicken, als auch nach vorne zu schauen, Bilanz zu ziehen, noch einmal Bilder und Erinnerungen vorbeiziehen zu lassen, aber auch Perspektiven zu diskutieren und einen Diskurs über seine Zukunft zu führen. Dieser Anspruch spiegelt sich im Thema des diesjährigen Festivals wider: „Zeitenwende - Wendezeiten“. Wir wollen den Versuch unternehmen, das kulturelle Erscheinungsbild von Wendezeiten in der Geschichte Deutschlands und Europas seit der Mitte des 19. Jahrhunderts anhand ausgewählter zeittypischer Texte und musikalischer Beispiele zu beschreiben und zugleich einen Ausblick und Wünsche für eine künftige Entwicklung zu formulieren.

Im Folgenden wird dieses Motto durch einige Beispiele aus dem diesjährigen Festivalprogramm kurz verdeutlicht:

Während des Deutsch-Französischen Krieges 1870/ 71 schreibt Richard Wagner ein „Lustspiel in antiker Manier“ und nennt es „Eine Kapitulation“. Dieser Text, den Wagner nicht komponiert, veralbert den französischen Kulturbetrieb und die französische Politik der Zeit. Wagners Stück reiht sich somit durchaus ein in den Kontext der nationalen Aufbruchstim-mung der Zeit, die vom kommenden deutschen Kaiserreich sich eine neue Periode der Geschichte verspricht. Doch schon sehr bald ist bei vielen deutschen Intellektuellen die Hoffnung auf die neue Zeit verflogen. Nichts von den Träumen der 48er Revolution ist im neuen Kaiserreich wahr geworden, es war eine Zeitenwende, die auf überkommenen Fundamenten beruhte. Und ist es nicht so, dass, wenn man Wagners „Kapitulation“ gespiegelt liest, er darin auch die deutschen politischen Zustände und den hiesigen Kulturbetrieb kritisiert?

Der Erste Weltkrieg und seine Folgen erschüttert Europa in seinen Grundfesten. Die alten Ordnungen stürzen, drei Kaiserreiche in Europa werden durch Revolutionen hinweg gefegt. Neue soziale Bewegungen kommen an die Macht, neue Staaten entstehen. Diese Zeit des politischen und gesellschaftlichen Aufbruchs geht einher mit revolutionären Veränderungen in der Kunst. Das Programm des Symphonieorchesters unseres diesjährigen Festivals schildert dies an drei charakteristischen musikalischen Werken von Mahler, Berg und Bartók. Gustav Mahlers unvollendete zehnte Sinfonie von 1910 lässt im Adagio eine bevorstehende Zeitenwende erahnen und beschreibt sie in der vorangetriebenen Auflösung der Tonalität. Alban Bergs „Konzert für Violine und Orchester“ (1935) ist bereits erfasst von der neuen Klangsprache der zweiten Wiener Schule. Die spätromantische Übersetzung von Béla Bartóks „Konzert für Orchester“ (1943) ist noch einmal ein Abgesang auf eine zu Ende gegangene Epoche, die Komposition aber ver-rät den Einfluss der neuen Zeit. Ebenfalls 1943 entsteht Viktor Ullmanns Oper „Der Kaiser von Atlantis“. Doch während Bartók sein Orchesterkonzert in den USA schreiben kann, wohin ihm die Flucht aus Ungarn gelungen war, entsteht Ullmanns Oper im KZ Theresienstadt. Dort erlaubt ihm der Zynismus der Nationalsozialisten das weitere Komponieren, ja fordert es sogar von ihm, um der Welt zu beweisen, wie angenehm doch das Leben in einem KZ ist. In dieser Situation gelingt Ullmann ein beeindruckendes Werk, welches die wirklichen Verhältnisse im KZ in symbolischer Schärfe nachzeichnet. Die Nazidiktatur stürzt knapp zwei Jahre später. Ullmann erlebt diese Zeitenwende nicht mehr. Er wurde 1944 im KZ Auschwitz ermordet.

Wir sind nun im Heute angelangt. Das zentrale Thema unserer Zeit heißt, wie gehen wir nach über 65 Jahren Frieden und Demokratie mit den neuen Herausforderungen der Globalisierung um? Gelingt uns der Dialog der Kulturen? Wie entwickelt sich das Zusammenleben mit den vielen Menschen mit Migrationshintergrund? Um diese neue Wendezeit zu beschreiben, wird Vladimir Ivanoff beim Projekt „Wege zu Parsifal“ einen musikalischen Dialog zwischen Musikern aus Europa und aus arabischen Staaten, zwischen Okzident und Orient, initiieren, die gemeinsam den alten Stoff, der beiden Kulturen verbunden ist, musikalisch neu zu deuten versuchen. So ergeben sich vielleicht gemeinsam veränderte Sichtweisen auf etwas, von dem man glaubt, schon sicheres Wissen zu besitzen. Das Festival Junger Künstler Bayreuth hat das Thema „Zeitenwende - Wendezeiten“ auch deshalb zu seinem 60. Geburtstag gewählt, weil es sich von Anbeginn neuen Entwicklungen in der Kunst, vor allem in der Musik, verpflichtet gefühlt hat. Dies soll auch künftig Auftrag und Anspruch des Festivals bleiben.

Orient meets Occident

Wege zu Parsifal: Auf der Suche nach dem heiligen Gral in der Musik zwischen Orient und Okzident. Leitung: Dr. Vladimir Ivanoff

Hintergrund der Begegnung von jungen Musikern aus Orient & Okzident ist dieses Jahr der Parsifal-Mythos und seine musikalische Rezeption vom Mittelalter bis Wagner.

Der Ursprung der Parsifal-Geschichte fand sich in einem heute verlorenen jüdisch-arabischen Manuskript des 12. Jahrhunderts aus Toledo.

Hauptschauplätze sind die Burg Montsalvat in den Bergen Nordspaniens (christlicher Herrschaftsbereich) und Klingsors Zauberschloss im Süden Spaniens (das arabische Al-Andalus). Diese beiden „Kultursphären“ geben die Möglichkeit, vielfältiges musikalisches Repertoire zu entdecken: Ausgehend von den mittelalterlichen epischen Rezitationen der Parsifal-Erzählungen von Wolfram von Eschenbach und Chrétien de Troyes erforschen wir die christliche Musikwelt des mittelalterlichen Spanien: Choräle, frühe Mehrstimmigkeit, die epischen „Cantigas de Sancta Maria“ und höfische Tanzmusik.

Die romantische westliche Rezeption des Parsifal wird von Jazzarrangements über Themen aus Wagners Bühnenweihspiel reflektiert.

Klingsors Zauberschloss und Garten geben uns die Gelegenheit, die mittelalterliche arabische Musik kennen zu lernen: klassische arabische Lieder (Muwashahat) in ihren originalen Melodiefassungen, heute noch in Nordafrika (Maghreb) lebendig.

Wie der Parsifal, hat auch das mythische Al-Andalus, glückseliger historischer Ort multireligiöser Hochkultur in Spanien eine fortgesetzte Rezeption in der arabischen Welt als „Goldenes Zeitalter“. Diese Rezeption lernen wir in den arabischen Melodiefassungen altandalusischer Texte aus dem 19. und 20. Jahrhundert kennen.

Ein Sinnbild der Begegnung ist Gahmuret, der Vater von Parsifal. Gahmuret zieht auf der Suche nach Ruhm in den Orient. Zunächst dient er dem Kalifen von Bagdad, dann hilft er der schwarzhäutigen Königin Belacane gegen ihre Belagerer. Gahmuret siegt und heiratet Belacane. Er zeugt einen Sohn namens Feirefiz, verlässt Belacane aber schon bald wieder auf der Suche nach weiteren Abenteuern. Zurück in Europa nimmt Gahmuret an einem Turnier vor Kanvoleis teil, bei dem er die Hand der Königin Herzeloyde und die Herrschaft über deren Länder Waleis und Norgals gewinnt. Aber auch von hier zieht Gahmuret bald wieder auf Ritterfahrt, tritt erneut in die Dienste des Kalifen, wobei er schließlich durch einen Speer getötet wird, der seinen durch heidnischen Zauber mit Bocksblut weich gemachten Diamant-Helm durchdringt. Gahmuret verlässt beide Frauen so schnell, dass er die Geburt seiner beiden Söhne nicht mehr erlebt: weder Belacanes Sohn Feirefiz, am ganzen Körper schwarz-weiß gescheckt wie eine Elster, noch Herzeloydes Sohn Parzival (was so viel bedeutet wie „mitten (hin-)durch“).

Einzigartige Begegnungen: - Auf der einen Seite die Begegnung mit ausgewiesenen Spezialisten mittelalterlicher Musik aus Orient und Okzident; wie Miriam Andersén, eine der bekanntesten europäischen Sängerinnen mittelalterlicher Musik, oder auch Abdessalam Khaloufi aus Marokko, einer der großen Spezialisten der heute fast ausgestorbenen Al-Andalus-Musik aus dem 8.-13. Jahrhundert.

- Auf der anderen Seite die Begegnung einmaliger Vertreter verschiedener arabischer Kulturen untereinander wie Lena Chamamyan aus Syrien, aber auch Yaha Ali Hussein Atran aus dem Jemen, der traditionelle Balladen seines Heimatlandes präsentiert, die weit in die Vergangenheit zurückweisen. Er spielt auf der Turbi, einer Art Laute, die heute nur im Jemen gespielt wird.

Uraufführung "Eine Kapitulation - Lustspiel in antiker Manier" nach Richard Wagner

In einer Bearbeitung von Georgios Kapoglou und Kristin Päckert

Während des deutsch-französischen Krieges 1870/71 schreibt Richard Wagner „Ein Lustspiel in antiker Manier“ und nennt es eine Kapitulation. Wagner veralbert den französischen Kulturbetrieb und die französische Politik der damaligen Zeit, er komponiert diesen Text nie.

Regierung sitzt Probleme aus: Schläft sie?! Es gibt offensichtliche Probleme in der Hauptstadt, die Not ist groß! Die Mittel sind aufgebraucht! Die Lobbyisten versuchen alles, um ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen, aber nichts funktioniert mehr. Menschen gehen auf die Straße, aber wohin sollen sie gehen, an wen sollen sie sich wenden, wenn die Regierung nicht fähig ist gemeinsam zu entscheiden? Steht die Regierung vor der Kapitulation?

Paris 1870 – Berlin 2010? Georgios Kapoglou erlaubt sich eine Interpretation von Wagners Franzosenhäme „Eine Kapitulation – Lustspiel in antiker Manier“ aus dem Heute heraus.

Kann die Rettung der Kultur auch die Rettung des Staates bedeuten? Oper macht reich. Das zumindest bejahte Wagner, als er seine Posse 1870 schrieb. Georgios Kapoglou und sein Team schließen sich dieser Ansicht an und fordern: Kultur gegen Armut! „Wir machen eine moderne Offenbachiade daraus, einen parabolischen Spaß auf die Zustände heute. Alles endet in einem frohen Treiben mit der Kurzlebigkeit eines Fußballsieges, endet in einer Freudenfeier, Katerstimmung garantiert!“

Künstlerische Leitung und Regie: Georgios Kapoglou, Komposition: Paul Leonard Schäffer, Musikalische Leitung: Fausto Nardi, Dramaturgie: Kristin Päckert, Bühnenbild: Michaela Muchina, Kostüme: Kerstin Narr, Lichtdesign: Marco Phillip

Die Auseinandersetzung mit dem Werk Richard Wagners

Begegnung und Auseinandersetzung mit dem Werk Richard Wagners haben Tradition beim Festival junger Künstler Bayreuth: Die jungen internationalen Teilnehmer hören Einführungsvorträge und haben die Möglichkeit zum Besuch der Opern im Festspielhaus. „Werkstatt-Gespräche“ mit Sängern, Dirigenten und Regisseuren vom Grünen Hügel sind alljährlich geplant. Apropos 2010: In diesem Jahr wird „Brünnhilde“ Linda Watson angefragt, eine frühere Teilnehmerin des Festivals.

Eine Begegnung der besonderen Art wird Uraufführung von Richard Wagners „Eine Kapitulation“ in einer Bearbeitung von Georgios Kapoglou und Kristin Päckert sein.

Maestro Sebastian Weigle wird mit den jungen Musikern und Musikerinnen des Symphonieorchesters eine Anspielprobe zu Richard Wagners „Die Meistersingern von Nürnberg“ halten.

Bayreuther Wagner Lektionen 2010

Leitung und Moderation: Andreas Loesch

Es gilt, am Genius Loci die Rezeptionsgeschichte weiter zu schreiben. Das Festival junger Künstler Bayreuth widmet sich auch 2010 der aktuellen Wagner-Diskussion mit folgenden Veranstaltungen:

24. Aug. 2010: Prof. Dr. Rainer Holm-Hadulla, „Hesidos Kronos, Goethes Faust, Wagners Wotan – Mythen schöpferischer Zerstörung“

25. Aug. 2010: Prof. Laurenz Lütteken, „Wagner und Goethe – der tröstende Verkehr mit einem Großen“

26. Aug. 2010, Prof. Dr. Michael Mayer-Blank, „Der erlöste Mensch. Parsifal als Kunstreligion“

27. Aug. 2010, Prof. Dr. Dr. Peter Steinacker, „…der liebe Gott thäte klüger, uns mit Offenbarungen zu verschonen…“ – Über die verzweifelte Sehnsucht nach Erlösung in Wagners Lohengrin

Symphonieorchester

Gustav Mahler, Adagio aus der 10. Sinfonie Fis-Dur (unvollendet) Alban Berg, Violinkonzert "Dem Andenken eines Engels" Béla Bartók, Konzert für Orchester

Solist: Juraj Čismarović, Violine Dirigent: Patrick Lange

Das Konzert ist in diesem Jahr für die Verantwortlichen des Festivals mit besonderen Emotionen verbunden: Der junge Dirigent Patrick Lange, der schon mit 14 Jahren im Künstlerischen Betriebsbüro des Festivals arbeitete und in der Freizeit seine eigenen Kammermusikensemble aufstellte, kehrt nun als Dirigent nach Bayreuth zurück. Ausschlaggebend für sein Engagement war seine große Fähigkeit, auch mit jungen, internationalen Orchestern arbeiten zu können.

[Dr. h. c. Wolfgang Wagner † in Dankbarkeit und Respekt gewidmet]

Termine: Donnerstag, 26. August 2010, 20:00 Uhr Bayreuth, Stadthalle, Großes Haus

Freitag, 27. August 2010, 20:00 Uhr Mehlmeisel, Kath. Pfarrkirche St. Johannes Baptist

Samstag, 28. August 2010, 20:00 Uhr Glashütten, Mehrzweckhalle

Sonntag, 29. August 2010, 15:00 Uhr Nördlingen, Marktplatz