Ferdinand Cheval
Joseph Ferdinand Cheval (* 19. April 1836 in
Charmes-sur-l’Herbasse, Département Drôme; † 19. August
1924 in Hauterives, Département Drôme) war ein französischer
Postbote und Erbauer des sogenannten „Palais idéal“.
Leben und Werk
Sein Vater war Jean-François Cheval, ein bescheidener Bauer, der in
zweiter Ehe Rose-Françoise Sibert († 21. April 1847) geheiratet hatte.
Ferdinand hatte einen Bruder namens François Victor.
Er heiratete am 20. Mai 1858 Rosalie Revol († 1873), eine Wäscherin, mit
der er zwei Söhne hatte, Victorin (1864–1865) und Cyril (1866–1912). Am
28. September 1878 heiratete er die Witwe Claire-Philomène Richaud
(1838–1914), eine Schneiderin. Sie brachte eine Mitgift, die zwei
Jahren eines Briefträgergehalts entsprach, sowie ein kleines Grundstück
in die Ehe. Ihre gemeinsame Tochter Alice (1879–1894) starb im Alter von
15 Jahren.
Da er nur sechs Jahre zur Schule ging, beherrschte er die französische
Orthographie schlecht und schrieb sie phonetisch. Nach seinem
Grundschulabschluss begann er als Dreizehnjähriger eine Lehre als
Bäcker. Seinem Bruder überließ er den Bauernhof. 1856 wurde er Bäcker in
Valence, dann 1859 in Chasselay, einer
Gemeinde nördlich von Lyon.
Nach dem Tod seines ersten Sohnes 1895 gab Cheval die Bäckerarbeit, die
er fast ein Dutzend Jahre ausgeübt hatte, auf. Es wird angenommen, dass
die Erfahrungen beim Teigkneten sein späteres Know-how als Konstrukteur
beeinflusst hätten. Er wurde Landarbeiter, eine Arbeit, die er bei der
Geburt seines zweiten Sohnes wieder aufgab. Vom Elend in die Enge
getrieben, bewarb er sich als Briefträger und trat offiziell am 12. Juli
1867 in die Postverwaltung ein. Er wurde nacheinander Briefträger in
Anneyron, Peyrins und Bourg-de-Péage. Auf seine Bitte hin
wurde er 1869 nach Hauterives versetzt, nur etwa zwölf Kilometer von
seinem Heimatdorf entfernt. Er wurde für die „Tournée de Tersanne“
eingesetzt, die jeden Tag einen einsamen, dreißig Kilometer langen
Fußmarsch bedingte. Diese Tour machte er bis zu seiner Pensionierung 1896.
Die langen Postwanderungen verkürzte Ferdinand Cheval mit seinen
Träumereien. Er träumte von einem „Palais idéal“. Dieser Wunsch wurde
erst etwa zehn Jahre später Realität. 1879 fiel er bei seiner Tour in
Tersanne über einen Stein. Er steckte ihn ein und fand die nächsten Tage
und Jahre weitere Steine, die er mit einer Schubkarre abends nach
Dienstschluss auf sein Land brachte, wo er ganz allein an seinem
bizarren Schloss baute. Die Dorfbewohner bezeichneten ihn als
Verrückten. Der Tod seiner Tochter Alice traf ihn zutiefst. Er hatte mit
dem Sammeln von Steinen bei ihrer Geburt begonnen, und nun würde sie den
fertigen Bau nie sehen.
Als Landbriefträger ohne handwerkliche Ausbildung verwirklichte
Ferdinand Cheval sich seinen großen Traum und baute in jahrzehntelanger
Arbeit in Hauterives sein höchst eigenwilliges, unter anderem an
orientalische Tempelarchitekturen erinnerndes „Palais idéal“
(1879–1912), das ihm eigentlich als Grabmal dienen sollte. Da er hierfür
keine Genehmigung erhielt, errichtete er später im gleichen Stil ein
kleineres Grabmal, genannt „Tombeau du silence et du repos sans fin“ auf
dem Friedhof von Hauterives (1914–1922). Er wurde dort begraben, nachdem
er zwei Jahre nach Fertigstellung im Alter von 88 Jahren gestorben war.
Er war zweimal verheiratet, wurde zweimal Witwer, und seine drei Kinder
verstarben alle vor ihm.
Dieses vollständig von einem einzigen Mann erbaute Denkmal ist 12 Meter
hoch und 26 Meter lang. Die verschiedenen Teile wurden mit Kalk, Mörtel,
Zement und Metallverstärkungen zusammengebaut und gelten auch als
Vorläufer des Stahlbetons.
Die Bauten des „Facteur Cheval“ („Postboten Cheval“) galten zunächst als
reine Skurrilität, speziell in Architektenkreisen, sie wurden aber von
den Vertretern des Surrealismus, namentlich von André Breton,
der Cheval ein Huldigungsgedicht widmete, sehr geschätzt. Später
beriefen sich auch andere Außenseiter der Architektur wie
Friedensreich Hundertwasser in seinem Verschimmelungsmanifest
auf den Landbriefträger. Bis in die Mitte der 1960er Jahre wurden
Initiativen, das Werk des Einzelgängers unter Denkmalschutz zu
stellen, mehrfach abgelehnt. Dass es 1969 dennoch dazu kam, dürfte einer
persönlichen Initiative des damaligen französischen Kulturministers
André Malraux zu verdanken sein. Heute werden die Bauten des
Landbriefträgers von jährlich über hunderttausend Menschen besucht.
-
Ferdinand Cheval vor dem Palais
-
Ostseite des Palais idéal in
-
Details der Ostseite
-
Hindu-Tempel auf der Westseite
-
Details mit Inschriften der
-
Grabmal auf dem Friedhof von Hauterives
Ehrungen
1984 ließ die französische Postverwaltung, die 32 Jahre lang Ferdinand
Chevals Arbeitgeber war, eine Briefmarke zu Ehren seines Postboten
herausgeben. Diese Briefmarke stellt sein Hauptwerk dar und trägt den
Titel: „Palais idéal du facteur Cheval“.
Der deutsche Maler Max Ernst, der während der Besatzung in der
Ardèche weilte, war von Chevals Arbeit
fasziniert und malte 1932 als Hommage an den Postboten das Bild Le
facteur Cheval.
Der spanische Maler Pablo Picasso malte 1937 ebenfalls ein Gemälde
als Hommage an den Postboten mit identischem Titel.
Analogien
Die situationistische Bewegung in
den fünfziger Jahren verglich das Schicksal von Ferdinand Cheval mit
Ludwig II. von Bayern. Beide erlebten eine
existentielle Tragödie. Beide bauten Burgen. Beide realisierten ihre
Vorstellungen, auch wenn diese von den üblichen Normen abwichen.
Literatur
(nach Autoren/Herausgebern alphabetisch geordnet)
- Robert Schediwy: Städtebilder – Reflexionen zum Wandel in
Architektur und Urbanistik. Wien 2005, ISBN 978-3-82587755-2 (speziell
S. 273 ff.).
- Jörg Seifert: Zwischen gläsernen Sägen und röhrenden Hirschen.
Anmerkungen zum ästhetischen Werturteil von Architekten und Laien. In:
Was ist Schönheit? (= archithese. Nr. 5, 2005, S. 40–45,
- Peter Weiss: Der große Traum des Briefträgers Cheval. In:
Peter Weiss: Rapporte. Edition Suhrkamp, Frankfurt/Main 1968, S.
36 ff.
- Ferdinand Werner: Der lange Weg zum
neuen Bauen. Band 2: Zement und Kunststein. Der Siegeszug der
Phantasie. Worms 2016, ISBN 978-3-88462-372-5, S. 484–487.
Rezeption
Im September 2018 kam die Lebensgeschichte von Ferdinand Cheval im
Spielfilm L’incroyable histoire du facteur Cheval in die
französischen Kinos. In der Romandie startete der Film am 16. Januar
2019, in der Deutschschweiz am 18. Juli
2019.[1]
Weblinks
- [http://www.facteurcheval.com/en/index.html Offizieller Webauftritt
(engl./frz.)]
- Danny Kringiel:
Der Palast des Postboten.] In: Spiegel Online. 16. März 2017
Einzelnachweise
- ↑ [https://www.cineman.ch/movie/2017/FacteurCheval/#movie-detail-nav L’incroyable histoire du facteur Cheval.] Beschreibung auf Cineman, abgerufen am 30. Juli 2019
Personendaten | |
---|---|
NAME | Cheval, Ferdinand |
KURZBESCHREIBUNG | französischer Postbote und Erbauer des sogenannten
„Palais idéal“ |
GEBURTSDATUM | 19. April 1836 |
GEBURTSORT | Charmes-sur-l’Herbasse, Département Drôme |
STERBEDATUM | 19. August 1924 |
STERBEORT | Hauterives, Département Drôme |
Joseph Ferdinand Cheval (* 19. April 1836 in Charmes-sur-l’Herbasse, Département Drôme; † 19. August 1924 in Hauterives, Département Drôme) war ein französischer Postbote und Erbauer des sogenannten „Palais idéal“.
Leben und Werk
Sein Vater war Jean-François Cheval, ein bescheidener Bauer, der in zweiter Ehe Rose-Françoise Sibert († 21. April 1847) geheiratet hatte. Ferdinand hatte einen Bruder namens François Victor.
Er heiratete am 20. Mai 1858 Rosalie Revol († 1873), eine Wäscherin, mit der er zwei Söhne hatte, Victorin (1864–1865) und Cyril (1866–1912). Am 28. September 1878 heiratete er die Witwe Claire-Philomène Richaud (1838–1914), eine Schneiderin. Sie brachte eine Mitgift, die zwei Jahren eines Briefträgergehalts entsprach, sowie ein kleines Grundstück in die Ehe. Ihre gemeinsame Tochter Alice (1879–1894) starb im Alter von 15 Jahren.
Da er nur sechs Jahre zur Schule ging, beherrschte er die französische Sprache schlecht und schrieb sie phonetisch. Nach seinem Grundschulabschluss begann er als Dreizehnjähriger eine Lehre als Bäcker. Seinem Bruder überließ er den Bauernhof. 1856 wurde er Bäcker in Valence, dann 1859 in Chasselay, einer Gemeinde nördlich von Lyon.
Nach dem Tod seines ersten Sohnes 1895 gab Cheval die Bäckerarbeit, die er fast ein Dutzend Jahre ausgeübt hatte, auf. Es wird angenommen, dass die Erfahrungen beim Teigkneten sein späteres Know-how als Konstrukteur beeinflusst hätten. Er wurde Landarbeiter, eine Arbeit, die er bei der Geburt seines zweiten Sohnes wieder aufgab. Vom Elend in die Enge getrieben, bewarb er sich als Briefträger und trat offiziell am 12. Juli 1867 in die Postverwaltung ein. Er wurde nacheinander Briefträger in Anneyron, Peyrins und Bourg-de-Péage. Auf seine Bitte hin wurde er 1869 nach Hauterives versetzt, nur etwa zwölf Kilometer von seinem Heimatdorf entfernt. Er wurde für die „Tournée de Tersanne“ eingesetzt, die jeden Tag einen einsamen, dreißig Kilometer langen Fußmarsch bedingte. Diese Tour machte er bis zu seiner Pensionierung 1896.
Die langen Postwanderungen verkürzte Ferdinand Cheval mit seinen Träumereien. Er träumte von einem „Palais idéal“. Dieser Wunsch wurde erst etwa zehn Jahre später Realität. 1879 fiel er bei seiner Tour in Tersanne über einen Stein. Er steckte ihn ein und fand die nächsten Tage und Jahre weitere Steine, die er mit einer Schubkarre abends nach Dienstschluss auf sein Land brachte, wo er ganz allein an seinem bizarren Schloss baute. Die Dorfbewohner bezeichneten ihn als Verrückten. Der Tod seiner Tochter Alice traf ihn zutiefst. Er hatte mit dem Sammeln von Steinen bei ihrer Geburt begonnen, und nun würde sie den fertigen Bau nie sehen.
Als Landbriefträger ohne handwerkliche Ausbildung verwirklichte Ferdinand Cheval sich seinen großen Traum und baute in jahrzehntelanger Arbeit in Hauterives sein höchst eigenwilliges, unter anderem an orientalische Tempelarchitekturen erinnerndes „Palais idéal“ (1879–1912), das ihm eigentlich als Grabmal dienen sollte. Da er hierfür keine Genehmigung erhielt, errichtete er später im gleichen Stil ein kleineres Grabmal, genannt „Tombeau du silence et du repos sans fin“ auf dem Friedhof von Hauterives (1914–1922). Er wurde dort begraben, nachdem er zwei Jahre nach Fertigstellung im Alter von 88 Jahren gestorben war. Er war zweimal verheiratet, wurde zweimal Witwer, und seine drei Kinder verstarben vor ihm.
Dieses vollständig von einem einzigen Mann erbaute Denkmal ist 12 Meter hoch und 26 Meter lang. Die verschiedenen Teile wurden mit Kalk, Mörtel, Zement und Metallverstärkungen zusammengebaut und gelten auch als Vorläufer des Stahlbetons.
Die Bauten des „Facteur Cheval“ („Postboten Cheval“) galten zunächst als reine Skurrilität, speziell in Architektenkreisen, sie wurden aber von den Vertretern des Surrealismus, namentlich von André Breton, der Cheval ein Huldigungsgedicht widmete, sehr geschätzt. Später beriefen sich auch andere Außenseiter der Architektur wie Friedensreich Hundertwasser in seinem Verschimmelungsmanifest auf den Landbriefträger. Bis in die Mitte der 1960er Jahre wurden Initiativen, das Werk des Einzelgängers unter Denkmalschutz zu stellen, mehrfach abgelehnt. Dass es 1969 dennoch dazu kam, dürfte einer persönlichen Initiative des damaligen französischen Kulturministers André Malraux zu verdanken sein. Heute werden die Bauten des Landbriefträgers von jährlich über hunderttausend Menschen besucht.
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Ferdinand Cheval vor dem Palais idéal (um 1890)
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Ostseite des Palais idéal in Hauterives
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Details der Ostseite
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Hindu-Tempel auf der Westseite
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Details mit Inschriften der Nordseite des Palais idéal
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Grabmal auf dem Friedhof von Hauterives
Ehrungen
1984 ließ die französische Postverwaltung, die 32 Jahre lang Ferdinand Chevals Arbeitgeber war, eine Briefmarke zu Ehren seines Postboten herausgeben. Diese Briefmarke stellt sein Hauptwerk dar und trägt den Titel: „Palais idéal du facteur Cheval“.
Der deutsche Maler Max Ernst, der während der Besatzung in der Ardèche weilte, war von Chevals Arbeit fasziniert, und malte 1932 als Hommage an den Postboten das Bild "Le facteur Cheval".
Der spanische Maler Pablo Picasso malte 1937 ebenfalls ein Gemälde als Hommage an den Postboten mit identischem Titel.
Analogien
Die situationistische Bewegung in den fünfziger Jahren verglich das Schicksal von Ferdinand Cheval mit Ludwig II von Bayern. Beide erlebten eine existentielle Tragödie. Beide bauten Burgen. Beide realisierten ihre Vorstellungen, auch wenn diese von den üblichen Normen abwichen.
Literatur
(nach Autoren/Herausgebern alphabetisch geordnet)
- Robert Schediwy: Städtebilder – Reflexionen zum Wandel in Architektur und Urbanistik. Wien 2005, ISBN 978-3-82587755-2 (speziell S. 273 ff.).
- Jörg Seifert: Zwischen gläsernen Sägen und röhrenden Hirschen. Anmerkungen zum ästhetischen Werturteil von Architekten und Laien. In: Was ist Schönheit? archithese. Nr. 5, 2005, S. 40–45, ISBN 978-3-72120553-4.
- Peter Weiss: Der große Traum des Briefträgers Cheval. In: Peter Weiss: Rapporte. Edition Suhrkamp, Frankfurt/Main 1968, S. 36 ff.
- Ferdinand Werner: Der lange Weg zum neuen Bauen. Band 2: Zement und Kunststein. Der Siegeszug der Phantasie. Worms 2016, ISBN 978-3-88462-372-5, S. 484–487.
Rezeption
Im September 2018 kam die Lebensgeschichte von Ferdinand Cheval im Spielfilm L’incroyable histoire du facteur Cheval in die französischen Kinos. In der Romandie startete der Film am 16. Januar 2019, in der Deutschschweiz am 18. Juli 2019.[1]
Weblinks
- Offizieller Webauftritt (engl./frz.)
- Danny Kringiel: Der Palast des Postboten. In: Spiegel Online. 16. März 2017
Belege
- ↑ [https://www.cineman.ch/movie/2017/FacteurCheval/#movie-detail-nav L’incroyable histoire du facteur Cheval.] Beschreibung auf Cineman, abgerufen am 30. Juli 2019
Personendaten | |
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NAME | Cheval, Ferdinand |
KURZBESCHREIBUNG | französischer Postbote und Erbauer des sogenannten „Palais idéal“ |
GEBURTSDATUM | 19. April 1836 |
GEBURTSORT | Charmes-sur-l’Herbasse, Département Drôme |
STERBEDATUM | 19. August 1924 |
STERBEORT | Hauterives, Département Drôme |