Hermann Glaser präsentiert seine Literaturgeschichte Frankens
Neben zahlreihen Lesungen, Gesprächen, Filmen und Ausstellungen mit Autoren und Künstlern aus ganz Deutschland und vielen anderen Ecken der Welt gab es im Programm des 35. Erlanger Poetenfests auch ein Literaturprojekt, das sich explizit mit den eigenen literarischen Wurzeln beschäftigte, mit Franken als „Literaturlandschaft“.
An dem Podiumsgespräch zum Thema „Franken, deine Schriftsteller – eine flatternde, flirrende, wimmelnde Vielfalt?“ nahmen Publizist und Kulturpolitiker Hermann Glaser, der Verleger des ars vivendi verlags Norbert Treuheit, die Literaturkritiker und Autoren Rolf-Bernhard Essig und Ursula März sowie Bestsellerautorin Christiane Neudecker teil. Dirk Kruse moderierte – und stellte immer wieder die Frage in den Mittelpunkt, was eigentlich einen fränkischen Schriftsteller ausmache: Ist es die Herkunft aus Franken? Oder Franken als Thema der Texte? Wie „fränkisch“ ist ein Schriftsteller, der in Franken geboren ist, in Island lebt und Romane über New York schreibt – oder eine Autorin aus der Türkei, die über das Leben in Nürnberg dichtet?
Ursula März vertrat am entschiedensten die Ansicht, dass sich das Fränkische nicht nur in Lebensdaten, sondern in einer spezifischen Ästhetik zeigen müsse. Die Verbindung von Heimat, Herkunft und schriftstellerischem Selbstverständnis, also die äußeren Lebensumstände, spielten zwar gewiss eine Rolle für Entstehung und Ausrichtung eines Textes, aber letztlich gelte es, das Fränkische in der Sprache selbst zu bestimmen. Man war sich einig, dass etwa der Hang zum kleinteiligen Erzählen eine solche ästhetische Kategorie sein könnte, die mit der gewissen fränkischen Mentalität korrespondiere, „noch das Größte klein zu denken“. Gemeinsam plädierten die Teilnehmer jedoch für offene, fließende Grenzen innerhalb solcher Definitionen und dafür, Identität und Heimat nicht nur mit Geburts- oder Wohnort gleichzusetzen.
Hermann Glaser, Rolf-Bernhard Essig, Christiane Neudecker, Dirk Kruse, Norbert Treuheit, Ursula März; (c) Literaturportal Bayern
Es ist mir unmöglich, über Franken zu schreiben, weil in Franken die Zeit so langsam vergeht. Und weil ich stets ganz schnell über etwas schreiben muss, schreiben muss über etwas, das woanders liegt, also nicht in Franken, sondern mir näher am Herzen. Was aber so auch nicht unbedingt stimmt, weil das heißen würde, es käme in einer Beschreibung, auch wenn sie von Herzen kommt, auf Wahrheiten an. Als gäbe es Wahrheiten nicht schon mehr als genug, und Franken ist eine davon. Eine fränkische Wahrheit. Eine fränkische Wahrheit, die rüberrumort ins Jetzt, ins Hier. (Ludwig Fels)
Ludwig Fels, Hans Sachs, Johann Wolfgang von Goethe, Wilhelm Heinrich Wackenroder, Helmut Haberkamp, Kerstin Specht: Mit Passagen aus Franken-assoziierten Texten großer Autorinnen und Autoren begann dann am Sonntag die Präsentation von Hermann Glasers umfassender fränkischer Literaturgeschichte Franken – Eine deutsche Literaturlandschaft. Patricia Litten las die Ausschnitte zur Einstimmung auf eine „Wanderung“ durch die fränkische Literatur, wie es Moderator Herbert Heinzelmann beschrieb.
Auf rund 600 bilderreichen Seiten gibt Glaser in seinem neuen Buch einen Überblick über 1.000 Jahre Literatur in Franken. Vom Mittelalter bis ins 21. Jahrhundert erstreckt sich der literatur- und kulturgeschichtliche Abriss, und der Leser begegnet nahezu allen fränkischen Literaten und Denkern von Rang und Namen: Von Walther von der Vogelweide und Wolfram von Eschenbach über den Nürnberger Handwerkerpoeten Hans Sachs, die Ur-Romantiker Wilhelm Heinrich Wackenroder und Ludwig Tieck, den großen Jean Paul bis zu den Autoren des 20. und 21. Jahrhunderts wie Jakob Wassermann, Hermann Kesten, Fitzgerald Kusz, Ludwig Fels und Hans Magnus Enzensberger sind sie alle vertreten. Einzig die Gegenwartsliteratur, das gesteht Glaser im Gespräch mit Heinzelmann ein, weise Lücken auf, etwa weil Autorinnen wie Christiane Neudecker von ihm zu spät entdeckt wurden – und weil er sich in Sachen Gegenwartsliteratur nicht kompetent genug fühle. Ein am Ende des Buches integrierter QR-Code soll aber dafür sorgen, dass Frankens Literaturgeschichte fortgeschrieben wird.
Wie Glaser weiter ausführte, waren die Gründe für dieses große topografische Buchprojekt für ihn dreierlei Natur: „Wenn man sich im Laufe eines Lebens mit Literatur beschäftigt, stößt man immer wieder auf Autoren, bei denen angegeben wird: ‚geboren in Franken‘, ‚zugereist‘, ‚abgereist‘, ‚vertrieben‘ usw., also fränkische Autoren im weitesten Sinn des Wortes. Und wie man sich in seiner Umgebung die Landschaft anschaut, die Gebäude, Historisches, so wollte ich, was es an Literatur in diesen Landstrichen gibt – es sind ja drei – zusammenfassen.“
Hermann Glaser, (c) Literaturportal Bayern
Zudem habe die Arbeit an diesem Projekt auch einen politischen Grund gehabt: Während seiner beruflichen Tätigkeit als Lehrer, Kulturreferent und Dozent hat er immer wieder erlebt, dass Franken vor allem in Süddeutschland als „kulturelle Wüste“ bezeichnet wurde. Dieser Ignoranz gegenüber den literarischen Leistungen in Franken wollte er etwas entgegensetzen. Der dritte Grund aber ist für Glaser vielleicht der persönlichste: Er war von einer Reihe von Autoren aus Franken ganz einfach im Innersten existenziell berührt. Der „fränkische Sound“, „Stimmen, die tief in die Existenz eines Menschen hineinleuchten“, hätten ihn stets am meisten bewegt.
Dass das Buch indes keine „Frankentümelei“ verkörpern soll, stellte Glaser ebenfalls klar. Um eine solche Einschätzung zu vermeiden, hat er dem explizit fränkischen Teil einen Aufriss der deutschen Literaturgeschichte vorangestellt. Dies soll verdeutlichen, dass Franken eine „deutsche Literaturlandschaft ist und keine für sich selbst“. Glaser warnte sogar regelrecht davor, Franken isoliert zu betrachten, und betonte sein Anliegen, den Lesern seiner Literaturgeschichte einen besonderen Sinn für die gesamte deutschsprachige Literatur zu vermitteln.
Abgerundet wurde der diesjährige Frankenschwerpunkt zuletzt noch durch eine dokumentarische Ausstellung, die als Wanderausstellung mit Begleitprogramm ab dem Frühjahr 2016 in ganz Deutschland gezeigt werden soll.
Hermann Glaser präsentiert seine Literaturgeschichte Frankens
Neben zahlreihen Lesungen, Gesprächen, Filmen und Ausstellungen mit Autoren und Künstlern aus ganz Deutschland und vielen anderen Ecken der Welt gab es im Programm des 35. Erlanger Poetenfests auch ein Literaturprojekt, das sich explizit mit den eigenen literarischen Wurzeln beschäftigte, mit Franken als „Literaturlandschaft“.
An dem Podiumsgespräch zum Thema „Franken, deine Schriftsteller – eine flatternde, flirrende, wimmelnde Vielfalt?“ nahmen Publizist und Kulturpolitiker Hermann Glaser, der Verleger des ars vivendi verlags Norbert Treuheit, die Literaturkritiker und Autoren Rolf-Bernhard Essig und Ursula März sowie Bestsellerautorin Christiane Neudecker teil. Dirk Kruse moderierte – und stellte immer wieder die Frage in den Mittelpunkt, was eigentlich einen fränkischen Schriftsteller ausmache: Ist es die Herkunft aus Franken? Oder Franken als Thema der Texte? Wie „fränkisch“ ist ein Schriftsteller, der in Franken geboren ist, in Island lebt und Romane über New York schreibt – oder eine Autorin aus der Türkei, die über das Leben in Nürnberg dichtet?
Ursula März vertrat am entschiedensten die Ansicht, dass sich das Fränkische nicht nur in Lebensdaten, sondern in einer spezifischen Ästhetik zeigen müsse. Die Verbindung von Heimat, Herkunft und schriftstellerischem Selbstverständnis, also die äußeren Lebensumstände, spielten zwar gewiss eine Rolle für Entstehung und Ausrichtung eines Textes, aber letztlich gelte es, das Fränkische in der Sprache selbst zu bestimmen. Man war sich einig, dass etwa der Hang zum kleinteiligen Erzählen eine solche ästhetische Kategorie sein könnte, die mit der gewissen fränkischen Mentalität korrespondiere, „noch das Größte klein zu denken“. Gemeinsam plädierten die Teilnehmer jedoch für offene, fließende Grenzen innerhalb solcher Definitionen und dafür, Identität und Heimat nicht nur mit Geburts- oder Wohnort gleichzusetzen.
Hermann Glaser, Rolf-Bernhard Essig, Christiane Neudecker, Dirk Kruse, Norbert Treuheit, Ursula März; (c) Literaturportal Bayern
Es ist mir unmöglich, über Franken zu schreiben, weil in Franken die Zeit so langsam vergeht. Und weil ich stets ganz schnell über etwas schreiben muss, schreiben muss über etwas, das woanders liegt, also nicht in Franken, sondern mir näher am Herzen. Was aber so auch nicht unbedingt stimmt, weil das heißen würde, es käme in einer Beschreibung, auch wenn sie von Herzen kommt, auf Wahrheiten an. Als gäbe es Wahrheiten nicht schon mehr als genug, und Franken ist eine davon. Eine fränkische Wahrheit. Eine fränkische Wahrheit, die rüberrumort ins Jetzt, ins Hier. (Ludwig Fels)
Ludwig Fels, Hans Sachs, Johann Wolfgang von Goethe, Wilhelm Heinrich Wackenroder, Helmut Haberkamp, Kerstin Specht: Mit Passagen aus Franken-assoziierten Texten großer Autorinnen und Autoren begann dann am Sonntag die Präsentation von Hermann Glasers umfassender fränkischer Literaturgeschichte Franken – Eine deutsche Literaturlandschaft. Patricia Litten las die Ausschnitte zur Einstimmung auf eine „Wanderung“ durch die fränkische Literatur, wie es Moderator Herbert Heinzelmann beschrieb.
Auf rund 600 bilderreichen Seiten gibt Glaser in seinem neuen Buch einen Überblick über 1.000 Jahre Literatur in Franken. Vom Mittelalter bis ins 21. Jahrhundert erstreckt sich der literatur- und kulturgeschichtliche Abriss, und der Leser begegnet nahezu allen fränkischen Literaten und Denkern von Rang und Namen: Von Walther von der Vogelweide und Wolfram von Eschenbach über den Nürnberger Handwerkerpoeten Hans Sachs, die Ur-Romantiker Wilhelm Heinrich Wackenroder und Ludwig Tieck, den großen Jean Paul bis zu den Autoren des 20. und 21. Jahrhunderts wie Jakob Wassermann, Hermann Kesten, Fitzgerald Kusz, Ludwig Fels und Hans Magnus Enzensberger sind sie alle vertreten. Einzig die Gegenwartsliteratur, das gesteht Glaser im Gespräch mit Heinzelmann ein, weise Lücken auf, etwa weil Autorinnen wie Christiane Neudecker von ihm zu spät entdeckt wurden – und weil er sich in Sachen Gegenwartsliteratur nicht kompetent genug fühle. Ein am Ende des Buches integrierter QR-Code soll aber dafür sorgen, dass Frankens Literaturgeschichte fortgeschrieben wird.
Wie Glaser weiter ausführte, waren die Gründe für dieses große topografische Buchprojekt für ihn dreierlei Natur: „Wenn man sich im Laufe eines Lebens mit Literatur beschäftigt, stößt man immer wieder auf Autoren, bei denen angegeben wird: ‚geboren in Franken‘, ‚zugereist‘, ‚abgereist‘, ‚vertrieben‘ usw., also fränkische Autoren im weitesten Sinn des Wortes. Und wie man sich in seiner Umgebung die Landschaft anschaut, die Gebäude, Historisches, so wollte ich, was es an Literatur in diesen Landstrichen gibt – es sind ja drei – zusammenfassen.“
Hermann Glaser, (c) Literaturportal Bayern
Zudem habe die Arbeit an diesem Projekt auch einen politischen Grund gehabt: Während seiner beruflichen Tätigkeit als Lehrer, Kulturreferent und Dozent hat er immer wieder erlebt, dass Franken vor allem in Süddeutschland als „kulturelle Wüste“ bezeichnet wurde. Dieser Ignoranz gegenüber den literarischen Leistungen in Franken wollte er etwas entgegensetzen. Der dritte Grund aber ist für Glaser vielleicht der persönlichste: Er war von einer Reihe von Autoren aus Franken ganz einfach im Innersten existenziell berührt. Der „fränkische Sound“, „Stimmen, die tief in die Existenz eines Menschen hineinleuchten“, hätten ihn stets am meisten bewegt.
Dass das Buch indes keine „Frankentümelei“ verkörpern soll, stellte Glaser ebenfalls klar. Um eine solche Einschätzung zu vermeiden, hat er dem explizit fränkischen Teil einen Aufriss der deutschen Literaturgeschichte vorangestellt. Dies soll verdeutlichen, dass Franken eine „deutsche Literaturlandschaft ist und keine für sich selbst“. Glaser warnte sogar regelrecht davor, Franken isoliert zu betrachten, und betonte sein Anliegen, den Lesern seiner Literaturgeschichte einen besonderen Sinn für die gesamte deutschsprachige Literatur zu vermitteln.
Abgerundet wurde der diesjährige Frankenschwerpunkt zuletzt noch durch eine dokumentarische Ausstellung, die als Wanderausstellung mit Begleitprogramm ab dem Frühjahr 2016 in ganz Deutschland gezeigt werden soll.