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ADB:Overbeck, Friedrich

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Artikel „Overbeck, Friedrich“ von Friedrich Pecht in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 25 (1887), S. 7–14, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Overbeck,_Friedrich&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 11:36 Uhr UTC)
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Band 25 (1887), S. 7–14 (Quelle).
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Overbeck: Friedrich O., Historienmaler, geb. zu Lübeck am 3. Juli 1789, † zu Rom am 12. Nov. 1869. Unter den Männern, die es zu Anfang unseres Jahrhunderts unternahmen, der in leeren Formalismus versunkenen, völlig inhaltlos gewordenen deutschen Kunst wieder neues Leben einzuflößen, hat man sich gewöhnt, O. zunächst neben Cornelius zu nennen, weil er wie dieser von der romantischen Anschauung beseelt war und dann in lebenslange nähere Gemeinschaft mit ihm gerieth. Indeß sind die Voraussetzungen, von denen der Stifter der nazarenischen Richtung ausging, wie die Art der schöpferischen Kraft, die er an die Durchführung seiner Principien zu wenden hatte, sehr verschieden von denen seines großen Genossen. Ist doch die Kunst des letzteren eine durchaus dramatische, während die Overbeck’s von allem Anfang an lyrisch war, aus der Tiefe des Gemüths stammte und allem Heftigen oder Leidenschaftlichen zeitlebens aus dem Wege ging. Noch viel verschiedener aber war beider Meister Charakter, wie man aus der näheren Darstellung ihres Lebenslaufes bald sehen wird.

Overbeck’s Vater war erst Senator, dann Bürgermeister der Stadt Lübeck und ein hochgebildeter, besonders die Kunst und schöne Litteratur liebender Mann, der schon Carstens, bei dessen Lübecker Aufenthalt, in jeder Weise gefördert und viel bei sich gesehen hatte. So empfing denn sein eigener, durch frühen Kampf und Noth niemals wie Cornelius gestählter, sondern der besten Erziehung und des liebevollsten Familienlebens genießender Sohn, ein schöner, stiller Knabe, schon früh nur künstlerische und litterarische Eindrücke im Elternhause, welche durch die herrliche alte Stadt und ihren Reichthum an köstlichen Bauwerken noch mächtig verstärkt werden mußten. Ein tief religiöses und schwärmerisches Gemüth ward dadurch nothwendig alsbald auf das deutsche Mittelalter zurückgewiesen, wie er denn auch am liebsten in der katholischen Kapelle der Stadt vor einem altdeutschen Marienbilde verweilte. Früh die Neigung zur Kunst fühlend erhielt er den ersten Zeichnungsunterricht von einem alten Kanonier, Namens Mau. Später, bei der immer entschiedener hervortretenden Neigung des Sohnes zur Malerei, ließ ihm der Vater durch den Mengsianer Peroux Unterricht geben. Eine frühe Bekanntschaft mit August Kestner aus Hannover, nachmaligem Gesandten in Rom, der 1805 nach Lübeck kam und, selber leidenschaftlicher Kunstfreund, viele Zeichnungen nach den alten Italienern besaß, bestärkte den jungen O. in seiner Neigung zur Kunst, wie zur Romantik überhaupt, und so setzte er es denn auch durch, daß er im siebzehnten Jahre die Wiener Akademie, damals zweifellos die beste in Deutschland, besuchen durfte.

Es war im J. 1806, also dem unglücklichsten, das Deutschland je gesehen, wo das alte Reich ganz zusammenbrach und selbst die Hansestädte bald den Fluch der Fremdherrschaft kennen lernen sollten. Das mußte freilich ein passives und zugleich schwärmerisches Gemüth noch mehr auf sich selbst und den eigenen Reichthum zurückweisen. Das Wiener Leben aber mit seiner damals besonders leichtsinnigen Frivolität und unsäglichen Flachheit mußte diese Neigung noch verstärken, da es einen hochgesinnten und in strenger norddeutscher Zucht und Ehrbarkeit aufgewachsenen Jüngling nur anwidern konnte. Die unter des talentvollen Mengsschülers Füger Leitung stehende Akademie aber war eine ebenso seelenlose Abrichtungsanstalt als alle übrigen, wo der Schüler mit der größten Pedanterie von einem Cursus zum andern durchgetrieben wurde und man bei dieser schablonenmäßigen Dressur auf seine Individualität nicht die geringste Rücksicht nahm. Noch viel weniger kümmerte man sich bei der durch Mengs herrschend gewordenen Vergötterung der Antike um die eigene hochachtungswerthe alte nationale Kunst. – Dadurch kam nun O. bald in den tiefsten Gegensatz [8] zu dieser leblos antikisirenden Richtung. Immerhin enthielt die Anstalt aber doch ein sehr respectables Maß technischen Geschickes als kostbare Erbschaft der Mengs’schen Schule, dessen Aneignung für den jungen Künstler ganz zweckmäßig sein mußte, und wo er auch in der That mehr lernte, als er damals glauben mochte, wie er im Alter selber anerkannte. Der Trieb zur Absonderung, die Neigung zu den „Auserwählten“ zu gehören, machte sich indeß bei ihm sehr früh geltend, wie bei so vielen Frommen. So bildete er bei seinem rasch hervortretenden glänzenden Talent bald mit einigen gleichgesinnten einen Bund auf „St. Lucas“ Eingeschworner, dem außer ihm Pforr, Wintergerst, Sutter, dann die schweizer Hottinger und C. Vogel angehörten. Derselbe ward neben den Altdeutschen besonders von dem gerade in Wien befindlichen Eberhard Wächter beeinflußt, der eben voll Begeisterung für Carstens und die alten Italiener aus Rom zurückgekommen war. – Indeß eignete sich O. auf der so tief verachteten Akademie doch alles das an, was er an technischem Können, an Kenntniß der menschlichen Gestalt, ihrer Verkürzungen u. s. w. später vor seinen meisten Genossen voraus hatte. Wächter aber machte sie, die sich als die gebildetsten und talentvollsten der Akademie ohnehin schon sehr fühlten, vollends rebellisch gegen den akademischen Zwang. So kam es, daß sie bei der Reorganisation der Akademie nach dem Jahre 1809 nicht wieder aufgenommen, sondern ausgeschlossen wurden. Dieser Mißgriff ist ein halbes Jahrhundert später der Wiener Akademie genau so auch mit Overbeck’s Antipoden Hans Makart begegnet und wird bei den meisten Anstalten dieser Art immer wieder vorkommen. Indeß hat O. doch bereits einige seiner besten Compositionen, wo er schon ganz selbständig erscheint und sich an die Altdeutschen statt an die Antike anlehnt, in Wien gemacht, so den „Einzug Christi in Jerusalem“. Zu dieser Anlehnung trugen „Wackenroder’s Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders“, und „Sternbald’s Wanderungen“ von L. Tieck, die O. früh mit Begeisterung las, nicht wenig bei, wie er denn später oft erzählt hat, daß sie so großen Einfluß auf seine Kunstanschauung ausgeübt.

Mit Bewilligung seines Vaters ging O. nun im Frühjahr 1810, begleitet von seinen meisten Genossen, nach Rom, um seine Ausbildung zu vervollständigen. Er kam da am 20. Juni an, fühlte sich aber von der noch herrschenden antikisirenden Richtung der Thorwaldsen, Schick, Koch, des Teufelsmüllers und der beiden Riepenhausen ebenso wenig angezogen, als vorher in Wien, wenn er auch entzückt von den Kunstschätzen der Stadt war. Deshalb, und wol auch aus Sparsamkeit, zog er nach einiger Zeit aus der Villa Malta, wo sie erst gewohnt, aus und miethete sich mit seinen Genossen in dem verlassenen Kloster San Isidoro ein, wo sie jeder eine Zelle bewohnten, sich selber kochten und, sich ganz abschließend, eine Secte bildeten, die nun alsbald den Spitznamen der „Klosterbrüder“ erhielt und ihn später mit dem bezeichnenderen der „Nazarener“ vertauschen mußte, der ihnen bis heute geblieben ist. Sie wohnten da zwei Jahre, theoretisirten unglaublich viel über Kunst, arbeiteten aber umso weniger, genau wie die meisten anderen Ankömmlinge in Rom. Nichtsdestoweniger begründete O., als der einzige von ihnen, der ein gesundes Talent besaß, seinen Ruf doch allmählich erst durch eine Anbetung der hl. drei Könige und eine Madonna, dann besonders durch den schon erwähnten Carton von „Christi Einzug in Jerusalem“, den er erst viel später in Oel gemalt hat. Das Bild hängt jetzt in der Lübecker Marienkirche und gibt uns bei der Zerstreuung der meisten übrigen Arbeiten den sichersten Maßstab für seine damalige Richtung, wie sein Können. – Die Composition zeigt eine eigenthümliche Vermischung von altdeutschen und altitalienischen Einflüssen, und in ihren vielen Porträten von Bekannten und Verwandten sogar weit mehr gesundes Naturstudium, als die [9] späteren Arbeiten. Dagegen ist sie weltweit entfernt von allem, was damals in Wien oder Rom gemacht ward; man kann sich in der That keinen vollständigeren Bruch mit der herrschenden Kunstrichtung denken. Die nach Art der Memling’schen sehr figurenreiche Scene ist vor dem Thore des im Hintergrund befindlichen Jerusalems gedacht, der einreitende Christus so edel, daß er die Begeisterung der haufenweise links am Wege aufgestellten und nicht ohne Reiz erfundenen Frauen wol begreiflich macht, wie die der hinten an einem Rain rechts gelagerten Volksmassen. Auch die dem Herren folgenden Apostel haben gute Köpfe, das Ganze aber erinnert auffallend an ähnliche Scenen Pinturrichio’s, der den Memling wol auf dem Bilde noch mehr als auf dem Carton verdrängt haben wird. Das Ganze ist überaus liebenswürdig, hat aber bei weit größerer künstlerischer Vollendung doch viel weniger specifisch eigenthümliches, dem Maler selbst gehörendes, als des Cornelius gleichzeitige Arbeiten. Hatte doch O. gerade aus der Nachahmung oder Tradition, wie er es nannte, bereits eine förmliche Doctrin gemacht. Das hat er indeß mit Cornelius durchaus gemein, daß seine, wenn auch harmonischere Malerei doch in ihrer Peinlichkeit niemals der Zeichnung an Reiz etwas hinzufügt, dieselbe im Gegentheil umso öfter hölzern und leblos erscheinen läßt. Besonders, weil er die Charakteristik des Stofflichen gänzlich vernachlässigt, Fleisch, Gewänder, Haare gleich behandelt, was immer an die Wirkung bemalter Holzfiguren erinnert.

Als nun Cornelius, dem Joh. Veit und Wintergerst vorausgegangen waren, im Herbst 1811 auch nach Rom kam, so schlossen sich die beiden großen Künstler nach und nach aufs Innigste an einander an, und der männlichere und thatkräftigere Cornelius übte bald einen sehr vortheilhaften Einfluß auf den jüngeren Genossen, der nun endlich umso eher fleißig zu arbeiten anfing, als die Verhältnisse in Lübeck so traurig wurden. daß ihn sein Vater nicht mehr unterstützen konnte. – Ist es in der von Margareth Howitt neulich herausgegebenen, fast ganz aus Originalbriefen des Künstlers und seiner Freunde bestehenden Biographie rührend zu sehen, wie O. sich für seine Freunde von der „Lucasbruderschaft“ aufopfert, so kann man doch nicht umhin zu finden, daß manche derselben offenbar das Talent und noch mehr das mühselige Studium der Natur und der Technik durch den Glauben ersetzen zu können hofften, der hier die Rolle des heiligen Geistes an Pfingsten bei ihnen hätte übernehmen sollen. Besonders als der verrückte Zacharias Werner als halber Narr und halber Heuchler hinkam und die jungen Maler vollends toll machte. Auch O. ward immer fanatischer und gab endlich, 1813 gar zum Katholicismus übergehend, damit das Signal zu jener widerwärtigen Convertirungsmanie, die von der römischen Clerisei auf jede Weise gefördert, bald zu einem wahren Scandal ausartete. An Overbeck’s Aufrichtigkeit und lauterer Ueberzeugungstreue ist dabei freilich nicht im mindesten zu zweifeln, daß er aber damit den nationalen Boden mehr und mehr unter den Füßen verlor, ist selbstverständlich. Zu solcher Einseitigkeit war nun Cornelius’ freie, echt deutsche Natur nicht angelegt, und so trennten sich denn bald ihre Wege, trotz ungetrübter persönlicher Freundschaft. Da O. aber dank seinem großen Talent und der immer reactionärer werdenden Richtung der modischen Romantik eine überaus große Nachfolge fand, so erlebte man das unerwartete Schauspiel, daß ein schöner Ansatz zur Bildung einer nationalen Kunstrichtung durch die Loslösung vom heimischen Boden und den wachsenden römischen Einfluß gar oft ins directeste Gegentheil verkehrt wurde. Wenn das einen Goethe und Niebuhr mit gleich großem Unwillen erfüllte, so war es doch bei der Mehrzahl gut gemeint, während es bei Anderen freilich in die abgefeimteste Heuchelei und Speculation ausartete. – Selbst bei O., dem ehrlichsten [10] und lautersten von allen, kann man kaum sagen, daß ihn der Glaube gefördert habe in seiner Kunst. Weit eher wäre das Gegentheil richtig, da er ihm die unbefangene Freude an der Natur verkümmerte, mit der Liebe zum Vaterland. Dem entging selbst Cornelius nicht, der sich doch von diesem fanatischen Treiben mehr und mehr entfernte. – Die Fresken in der Casa Bartholdy und dann in der Villa Massimi führten indeß O. und Cornelius jetzt noch einmal zusammen. Der Erstere übernahm da den „Verkauf Josef’s durch die Brüder“ und die „sieben mageren Jahre“. Beide sind vortrefflich ausgefallen; die sieben mageren Jahre zeigen umso grandioseren Ernst, als O. noch eben solche Scenen des Elends im römischen Gebirge gesehen, wo Hungersnoth herrschte. Auch der Verkauf ist kaum weniger gelungen; besonders der Josef selber ist eine höchst liebenswürdig erfundene und auch vortrefflich modellirte Figur. Wiederum an Pinturrichio am meisten erinnernd, sind doch auch noch viele Anklänge an die germanische Art da, das Ganze aber muthet unstreitig wie das Erzeugniß einer neuen Renaissance an, hat die ganze keusche und schüchterne Schönheit einer solchen. Das zuviel der Nachahmung zeigt sich nur darin, daß es nach Art der Altdeutschen fromme Salbung sogar bei den Schuften zeigt, die den eigenen Bruder verkaufen. Hatten sich doch diese „Lucasbrüder“ oder „Nazarener“ sogar im Leben dasselbe gehaltene und gelassene, fromm die Augen niederschlagende oder einen nur von unten herauf anblickende Wesen, dieselbe stolze Demuth angewöhnt, wie man sie an Jesuiten und Pietisten ganz gleichmäßig beobachten kann, ja bei allen denen, die heimlich Wein trinken und öffentlich Wasser predigen. – O. unterschied sich von solchen indeß dadurch, daß es ihm heiliger Ernst war mit der Verleugnung der sündigen Weltlust, ja daß er in seiner arglosen Uneigennützigkeit beständig ausgebeutet wurde. Als sein wachsender Ruf im Vaterlande ihm allmählich immer mehr Bestellungen verschaffte, geschah das nur noch häufiger. In dieser Zeit von 1813–16 entstanden auch die schönen Compositionen der „Grablegung“ und „Kreuztragung“ Christi, wo er dicht an Perugino und Rafael hinstreift. Ebenso noch eine ganze Anzahl kleinerer gezeichneter Compositionen. – Als indeß Napoleon, 1815, zurückkehrte, so regte sich doch die Vaterlandsliebe wieder so stark in ihm, daß er zurück nach Lübeck und im hanseatischen Contingent den Kampf mitmachen wollte, auch nur mit Mühe davon ab- und „zu christlicher Ergebung“ zurückgebracht ward, während Ph. Veit, Schadow und viele andere wirklich zu den Waffen griffen oder schon früher gegriffen hatten. – Freilich nahm die „romanisirende“ Tendenz nachher sehr bald wieder überhand.

Der wohlverdiente Beifall, den die Fresken der Casa Bartholdy fanden, ermunterte jetzt O., sich auch bei den weltlichen Aufgaben zu betheiligen, die den jungen, 1818 durch Julius Schnorr verstärkten Malern in den Bildern zu Tasso in der Villa Massimi gestellt wurden. Ueberdieß hatte sich der bereits 29jährige Maler zum ersten Male verliebt – in die schöne Wienerin Nina Hartl, die zu Besuch nach Rom gekommen war, und die er dann im Herbst 1818 heimführte. Die Ehe war eine glückliche, obwol durch beständige Krankheit der Frau, wie der früh gestorbenen Mädchen und des einzigen Söhnleins, dann durch vielfache Noth nicht ungetrübte.

Wahrscheinlich verdankt man es dieser Rückkehr von der Ascese zur Natur, daß diese von ihm jetzt in Villa Massimi ausgeführten Bilder einen solch seltenen Reiz erhielten. So der Kampf Gildippens mit Argant, bei welchem ganz weltlichen Vorwurf er aufs überraschendste aus der Rolle des Augenniederschlagens fällt und die sprühendste Lebendigkeit mit einer keuschen Grazie verbindet, die ganz und gar an die italienische Frührenaissance erinnert. Ebenso reizend, mit fast jungfräulicher Zartheit sind „Sofronia und Olinth“ auf dem [11] Scheiterhaufen von Chlorinde gerettet. Zu diesen Wandbildern malte O. dann noch an der Decke die Taufe der Chlorinde durch Tancred, das befreite Jerusalem, Rinaldo und Armida, Erminia’s Ankunft bei den Hirten u. A. m., immer mit demselben jugendlich keuschen Reiz, der so anziehend wirkt. Kein Zweifel, daß O. auf diesem Pfade romantischer Weltlichkeit fortgehend der Kunst vielleicht noch mehr geleistet hätte, als bei seiner späteren Beschränkung auf ausschließlich religiöse Gegenstände. Schon darum, weil er hier frei zu schaffen genöthigt war, statt dort beständig Rafael nachzuahmen.

Dazwischen hinein entstanden dann immer noch eine Menge biblischer Compositionen und Zeichnungen, wo die rein idyllischen immer am besten geriethen. So Boos, der die Ruth erblickt, wo letztere die Züge der Braut zeigt und auch die der Campagna entnommene Landschaft sehr schön ist, wie fast immer bei Overbeck. Ebenso eine Ruhe auf der Flucht nach Egypten, die Auferweckung des Lazarus, Jakob und Rahel u. A. m. Nach dem schon erwähnten Einzug Christi aber entstand 1826 die große Composition des „Lasset die Kleinen zu mir kommen“. Geschickter angeordnet als der Einzug steht sie an Naturgefühl doch hinter diesem zurück, die fromme Salbung muß es bereits zu oft ersetzen. Ebenso bei einem in der Wüste predigenden Johannes.

Schon 1821 hatte Cornelius seinen Freund vergeblich nach Düsseldorf zu bringen gesucht, 1826 versuchte er es mit München, doch abermals umsonst. Denn während O., der bis jetzt vom Papstthume nicht die mindeste Förderung erhalten hatte, geneigt war, zu gehen und schon zugesagt hatte, setzte sich die kränkliche Frau entschieden dagegen und ihren Willen umso eher durch, als sie in allen nicht künstlerischen Dingen längst das Scepter führte. Es ist dieß umso mehr zu bedauern, als O., dem Vaterlande wiedergewonnen, ohne Zweifel eine gesundere Richtung genommen hätte. – Dagegen sammelte sich jetzt in Rom nach und nach eine große Schule um ihn, unter der Steinle besonders sich seine Art vollständig aneignete, von der aber auch Victor Orsel, Hipolyt Flandrin in Frankreich, Führich, Deger, Kuppelwieser in Deutschland, die Italiener Colombo und Casolani, Cordella, dann Ludwig Seitz und Rohden in Rom, ja fast alle christlich romantischen Maler unserer Zeit mehr oder weniger berührt sind, wie denn sein Styl geradezu typisch für diese Neukatholiken geworden ist.

Statt nach München zog er nun in den nächsten Jahren im Sommer nach Perugia, was zu einer seiner besten Arbeiten führte. Er malte nämlich als Votivbild in der Vorhalle von Santa Maria degli Angeli bei Assisi das Rosenwunder des heiligen Franziskus. Dasselbe ist sein größtes Freskobild geworden, und sicherlich eine Composition so voll Reinheit und Liebenswürdigkeit, daß sie an die besten Prärafaeliten hinstreift, ja selbst Fiesole gehören könnte, wenn auch das feine Naturstudium fehlt, welches kein damaliger Italiener, selbst der fromme Mönch von San Marco nicht, vernachlässigte. Ganz charakteristisch für das Verhalten der Italiener zu dem deutschen Maler ist, daß ihm die Mönche des Klosters nach der Vollendung des geschenkten Bildes noch eine lange Rechnung für gehabte Auslagen präsentirten.

Wie sich O. zu seinem Vorbild Rafael verhält, sieht man am besten an der kurz vorher, 1825 gemalten, jetzt in der Münchener Neuen Pinakothek befindlichen heiligen Familie, die allerdings sehr an dessen Mad. Canigiani erinnert, aber freilich nicht entfernt an deren geistreiche Freiheit und ihr Naturgefühl hinreicht. Bald darauf ward die eben daselbst zu sehende „Italia und Germania“ vollendet, die indeß beide des Veit prächtiger Composition nicht gleichkommen. – Dann ward ihm 1830 die große Himmelfahrt Mariä [12] für den Kölner Dom bestellt, wie er denn sein lebenlang von den Bestellungen zehrte, welche ihm das Vaterland gab, da sich Italien gar nicht um ihn kümmerte, so wenig als das Papstthum, das die deutschen Schwärmer lediglich benützte. –

Durch Cornelius bewogen besuchte der Meister 1830 zum erstenmal, in Gesellschaft des dahin Zurückkehrenden, wieder Deutschland. Ueberall von den Künstlern hochgefeiert, gefiel es ihm doch nicht sehr, ja er mochte nicht einmal die eigene Heimath nach dem Tode der Eltern mehr besuchen. Der Kampf der Parteien im Vaterland stieß den an stillen Frieden Gewöhnten ab. Denn wenn derselbe in Italien auch viel ärger tobte, so brauchte er als Fremdling, welcher er zeitlebens blieb, sich nicht daran zu betheiligen. Dagegen erhielt er jetzt in Frankfurt für das Städel’sche Institut jenes große Bild bestellt, welches ihn fortan neun Jahre beschäftigen sollte: den „Triumph der Religion in den Künsten“. In der Anordnung eine auffallende Nachahmung der Disputa Rafael’s, ist es doch seine bedeutendste Leistung in der Oelmalerei und bei aller Einseitigkeit seiner Auffassung ein hochachtbares Kunstwerk geworden. Wie die Disputa in eine obere, den offenen Himmel zeigende, und eine untere, hier die christlichen Künstler und ihre Protectoren enthaltende Hälfte zerfallend, hat die letztere allerdings auch die Kälte solcher allegorisirenden Compositionen, wo kein Mensch etwas wirklich thut, sondern alle nur sich und Andere symbolisch langweilen. Muß man sich daher hier an einzelnen prächtig erfundenen Gestalten erfreuen, so ist doch weit werthvoller die obere Hälfte des Bildes, mit der Himmelskönigin in der Mitte, die sehr beschäftigt, außer dem Halten des Kindes, auch noch den Herren unten den Marianischen Lobgesang aus einem Buche vorzulesen hat. – Nichtsdestoweniger ist doch der Geist, der uns aus dem Ganzen entgegen weht, ein so ernster und edler, daß Niemand dies Werk ohne Hochachtung betrachten wird, wie viele Räthsel es ihm auch aufgebe. Bezeichnend ist, daß O. ein kleines Buch schreiben mußte, um der Welt zu erklären, was seine Figuren alles thun oder beabsichtigen, und komischerweise dabei demselben Rafael, den er doch so sehr verehrte und studirte, bittere Vorwürfe über seinen vermeintlichen späteren Abfall machte. – Offenbar, weil dieser sich im täglichen Umgang mit der hohen römischen Clerisei allmählich eine Freiheit des Geistes aneignete, die allerdings sehr nach Ketzerei schmeckt und von der O. sicher weit entfernt blieb, der dem Papstthum gegenüber das Sacrificio dell’ Intelletto unbedingt brachte.

Noch während er an dem großen Bild beschäftigt war, malte er auch eine Vermählung Mariä für den Grafen Raczynski und einen Besuch der Maria bei Elisabeth. Kaum hatte er diese Gemälde vollendet, so verlor er den einzigen hoffnungsvollen Sohn, und nur die eifrigste Arbeit vermochte ihn zu trösten. So entstunden jetzt sechzehn Cartons von Aposteln und Evangelisten für eine Capelle des Fürsten Torlonia, eine große Anzahl von Compositionen für Glasmalereien, dann eine Passionsgeschichte für den Stich. Ebenso ein großes Oelbild des ungläubigen Thomas. Endlich beschäftigte ihn von 1843–55 jene Reihe von 40 Zeichnungen zu den Evangelien, die im Besitz des Baron Lotzbeck in Weyern, später leider verbrannt sind. Zur Vervielfältigung durch den Kupferstich bestimmt und von Keller und seiner Schule vortrefflich gestochen, haben sie eine unermeßliche Verbreitung erlangt und auch verdient, da sich hier sein Styl vollkommen abgeklärt hat und zwischen Fiesole und Rafael etwa die Mitte haltend zeigt. Ueberdieß stört einem bei dem kleinen Format die Leere nicht, die bei seinen großen Figuren der Mangel an Naturstudium nothwendig nach sich zog. – Dagegen ist so viel Rührendes, tief und wahr Empfundenes in diesen mit bewundrungswürdigem Stylgefühl und rhythmischem Sinn gezeichneten Compositionen, [13] daß sie einem die höchste Achtung einflößen, zu den reinsten Perlen deutscher Kunst gerechnet werden müssen. Selbst wenn man nicht verkennt, daß da auch Gemachtes mit unterläuft, sicherlich nicht aus frommer Heuchelei, die der echten Religiosität Overbeck’s völlig ferne lag, sondern weil er, wie die ganze Schule, dem Rhythmus der schönen Linie die Wahrheit und Unmittelbarkeit des Ausdrucks häufiger opfert, als dies seine classischen Vorbilder jemals thaten. Indeß ist der Cyclus keineswegs arm an direct dem römischen Volksleben abgelauschten Zügen und auch darum jedenfalls eines der schönsten Denkmale dieser Kunstrichtung, wie man denn überhaupt die große Bedeutung des Künstlers durchaus in seinen Zeichnungen, nicht in seinen Gemälden zu suchen hat. Dies zeigte sich auch an dem einzigen Bild, das er für den Papst jemals zu malen bekam, einem sich seinen Verfolgern entziehenden Christus, das eine Decke im Quirinal schmückend, jetzt mit einer Tapete überdeckt sein soll. Dann vollendete er auch endlich die große Himmelfahrt Mariä für den Cölner Dom, ein überaus figurenreiches Bild. Diese grenzenlose Thätigkeit ist umso verdienstlicher, als ihn in dieser Zeit auch noch der Verlust seiner ihm dreißig Jahre so treu zur Seite gestandenen Gattin, dann ein langwieriges Augenübel traf. Machte er doch von da an den Eindruck eines halb der Erde entrückten, nur vom mächtigen Geist und Willen noch aufrecht erhaltenen Mannes.

Er wäre nun ganz verlassen gewesen, wenn ihn nicht ein deutscher Convertit, der Bildhauer Hofmann und seine Frau in ihre Familie aufgenommen, letztere sich ihm ganz gewidmet und so dem Einsamen eine anregende Häuslichkeit bereitet hätte, in der er nach langen traurigen Jahren förmlich wieder auflebte. Verjüngt dadurch, besuchte er 1855 sogar Deutschland zum zweitenmal, um sein großes Bild für den Dom nach Cöln zu bringen. Ueberall hoch gefeiert, gefiel es ihm nunmehr sogar viel besser als das erste Mal; er blieb monatelang an verschiedenen Orten und sprach sich, zurückgekehrt, sehr befriedigt über seinen Besuch aus, wie er denn weit entfernt war, sich jemals so zu verwälschen, als, charakterlos genug, so viele Deutsche es in Paris und London thun. Er erhielt im Gegentheil den Zusammenhang mit dem Vaterland immer nach Kräften aufrecht und fühlte sich durchaus als Deutscher, wie denn auch fast alle seine Arbeiten nach Deutschland gingen. Es waren deren gerade in dieser letzten Periode sehr viele, allerdings meist Zeichnungen, bisweilen leicht und geistvoll colorirt, die indeß merkwürdigerweise durchaus keine Altersschwäche zeigen. So 14 Blätter zur Passionsgeschichte, in denen die Auffassung Christi an Tiefe und Schönheit alles von ihm früher geleistete übertrifft, allerdings auch wiederum Rafael’s Spasimo entlehnt erscheint. Dann Cartons zu den „sieben Sacramenten“ die nach Art der Rafael’schen zur Anfertigung von Gobelins bestimmt, leider nicht zur Ausführung kamen, wie ihm denn niemals mehr eine größere Arbeit von der römischen Clerisei bestellt ward, während der Papst im Vatican die größten Wandflächen von Italienern mit unglaublich leerem Zeug bedecken ließ. Das ist nun umsomehr zu bedauern, als gerade diese Cartons, wo allemal die Hauptscene von einer Reihe kleinerer eingerahmt wird, die reizendsten Compositionen enthalten, eine wahre Schatzkammer köstlicher Erfindungen sind, welche jetzt die Nationalgalerie und die N. Pinakothek schmücken. Von Oelbildern entstunden in dieser Zeit noch ein Johannes, der sich an Christi Brust geworfen, ferner eine Krönung Mariä für den Kaiser Max von Mexico, u. A. m. Seine letzte große Arbeit waren eine Anzahl Cartons für die Kathedrale von Diakovar, die sein Schüler Ludwig Seitz dann gemalt hat, und an denen arbeitend er seinen Lebensabend zubrachte. Nicht ohne noch einen dritten Besuch [14] in Deutschland zu machen, jedoch auch diesmal Lübeck vermeidend, von dem ihn offenbar die Aussicht abschreckte, dort nur Gräber zu treffen.

Grenzenlos uneigennützig, ist O. arm geblieben und mußte bis zuletzt buchstäblich sein täglich Brot verdienen, trotz seiner großartigen Productivität, da das Papstthum, zu dessen Befestigung er mehr als irgend ein anderer beigetragen, sich damit begnügte, ihm dafür seinen Segen zu geben. – So lebte er, unaufhörlich schaffend, bis er ruhig und kampflos, ein Gebet auf den Lippen, in der Nacht vom 12. zum 13. November 1869 verschied, nachdem er noch eben an einem „jüngsten Gericht“ gearbeitet. Wenn irgend ein Mann, so hätte dieser edle Charakter den Anspruch, ein Heiliger zu heißen, ob der Lauterkeit seines Wesens, der Reinheit seines Willens, der Makellosigkeit seines Lebens! –

Mißt man O. nach der Wirkung, die er auf die gläubigen Zeitgenossen gehabt, so muß man sie allerdings noch weit größer nennen, als die des Cornelius, was einerseits mit der innerlich abgeschlossenen, die reinste, edelste Empfindung athmenden Art seiner Schöpfungen zusammenhängt, andererseits aber auch mit der größeren Formenschönheit, die sie auszeichnet. Unstreitig sind denn auch seine Werke der vollendetste künstlerische Ausdruck der großen katholischen Reaction seit Anfang dieses Jahrhunderts, haben derselben einen so unermeßlichen Vorschub geleistet, wie die keines zweiten Künstlers, da die ganze neukatholische Kunst auf ihnen fußt. Allerdings haben sie so wenig wie diese Reaction selber wirklich neue Seiten zu entwickeln vermocht, sie besitzen, wie hochachtbar auch immer, durchaus den Charakter des Epigonenthums. Aber nach der verbuhlten und seelenlosen, gründlich verlogenen christlichen Kunst des vorigen Jahrhunderts waren sie jedenfalls ein ungeheurer Fortschritt, den diese Kunst ganz allein dem deutschen Geiste verdankt. –