Werner Naumann
Werner Naumann (* 16. Juni 1909 in Guhrau, Schlesien; † 25. Oktober 1982 in Lüdenscheid) war ein deutscher Volkswirt sowie Nationalsozialist, SS-Brigadeführer, Staatssekretär im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda und zuvor persönlicher Referent von Joseph Goebbels. Naumann war 1953 maßgeblich an einer Verschwörung beteiligt, bei der eine Gruppe ehemaliger NS-Funktionäre den nordrhein-westfälischen Landesverband der FDP zu unterwandern versuchte.
Frühe Jahre
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Werner Naumann war der Sohn des Amtsgerichtsrats Max Naumann und dessen Ehefrau Margarete, geborene Schuberth. Nach dem Gymnasialbesuch in Görlitz absolvierte er ab 1929 Rechts- und Staatswissenschaften in Berlin, Genf und Breslau. In Breslau wurde er 1936 mit einer Arbeit über Probleme der Einkommenspolitik zum Dr. rer. nat. promoviert und anschließend Oberassistent an der Universität Breslau. Er arbeitete an einer Schrift über Wirtschaftslenkung durch Menschenführung zwecks Habilitation um sich einer wissenschaftlichen Laufbahn zu widmen, gab dieses Vorhaben aber zugunsten einer NS-Karriere auf. In Breslau heiratete er 1937 Ursula Becker.
Nationalsozialistische Karriere
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Naumann begann sich früh nationalsozialistisch zu betätigen und trat 1928 in die NSDAP und SA ein. In der SA erreichte er bis 1934 den Rang eines SA-Oberführers. Während der Röhm-Affäre stand er unter dem Schutz Heinrich Himmlers. Zunächst wurde er zwar aus der NSDAP ausgeschlossen, 1937 jedoch rehabilitiert.[1] In Breslau übernahm er 1937 die Leitung des örtlichen Reichspropagandaamtes. Mit der Organisation eines „Sängerfestes“ fiel er Goebbels auf, wurde von ihm nach Berlin geholt und Anfang Januar 1938 nach Beförderung zum Ministerialdirektor zu Goebbels’ persönlichem Referenten ernannt.
Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde Naumann Unteroffizier bei der Luftwaffe und später zum Leutnant befördert. Er wechselte im Frühjahr 1940 zur Waffen-SS und nahm am Westfeldzug, dem Balkanfeldzug sowie dem Überfall auf die Sowjetunion teil. Nach einer schweren Verwundung kehrte er 1942 in das Propagandaministerium zurück.
1941/42 setzte Goebbels durch Intervention bei Hitler und gegen den Widerstand der Ministerialbürokratie Naumanns Beförderung zum Ministerialdirigenten (Oktober 1941) bzw. Ministerialdirektor (1942) durch. Goebbels ernannte ihn nach dem Ausscheiden von Leopold Gutterer am 22. April 1944 zum geschäftsführenden Staatssekretär im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda.[2] Zugleich fungierte Naumann als Sonderbeauftragter für Volkssturmfragen. Außerdem gehörte er zum Freundeskreis Reichsführer SS und tat während des Kriegs mehrfach Militärdienst in der Leibstandarte SS Adolf Hitler. Er wurde 1943 zum SS-Brigadeführer befördert, seinem höchsten erreichten SS-Rang.[3]
Naumann galt als eine der wenigen herausragenden Persönlichkeiten im Propagandaministerium. Mitarbeiter berichteten, dass Naumann es war, der Goebbels in dessen Fanatismus bestärkte.[4] Gleichzeitig sammelte Naumann insgeheim Material, dass Goebbels den Glauben an Hitler und den „Endsieg“ verloren hätte. Er knüpfte Kontakte zu Heinrich Himmler und Martin Bormann in dem Bestreben, Goebbels zu stürzen und zu ersetzen.[5] Magda Goebbels widmete Naumann im letzten Kriegsjahr Liebesgedichte; sie hatte sich in ihn verliebt.[6]
In Hitlers politischem Testament wurde Naumann zum Nachfolger Goebbels’ bestimmt. Bis zu Hitlers Suizid hielt er sich im Führerbunker auf und verließ diesen am 2. Mai 1945 zusammen mit Martin Bormann und Artur Axmann. Statt sich jedoch zur geschäftsführenden Reichsregierung unter Großadmiral Karl Dönitz in den Sonderbereich Mürwik zu begeben, tauchte Naumann unter. Zuvor hatte Naumann als Regimentskommandeur das Volkssturmregiment Wilhelmplatz I befehligt, in dem die Mitarbeiter des Propagandaministeriums zum Dienst eingezogen wurden.
Nach dem Krieg
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Von 1945 bis 1949 lebte Naumann unerkannt unter falschem Namen in Süddeutschland. Eine Gesellenprüfung als Maurer schloss er mit Bestnote ab.[7] 1950 meldete er sich unter seinem richtigen Namen in Tübingen an, wobei er angab, zuvor mit dem französischen Auslandsgeheimdienst Deuxième Bureau zusammengearbeitet zu haben.[8] Im gleichen Jahr trat er in die Düsseldorfer Import-Export-Firma Cominbel (deutsch-belgisch) ein, deren Inhaber Herbert Lucht früher Leiter der Außenstelle Wehrmachtpropaganda in Paris gewesen war. Er wohnte in der Villa Luchts, dessen Telefon im Rahmen der Naumann-Affäre abgehört wurde.[9] Lucht gehörte zum „nationalsozialistischen Netzwerk“ in der FDP.[10] Um Naumann formierte sich der so genannte Düsseldorfer Kreis, zu dem unter anderen der ehemalige Organisator der Einsatzgruppen und Vertreter Heydrichs, Werner Best, gezählt wurde.
Am 15. Januar 1953 gab die britische Besatzungsmacht bekannt,[11] eine Verschwörung ehemals führender NS-Funktionäre aufgedeckt und die Rädelsführer verhaftet zu haben. Die Gruppe um Naumann („Gauleiter-Kreis“ oder Naumann-Kreis) hatte den nordrhein-westfälischen Landesverband der FDP unterwandert und war in einflussreiche Positionen gelangt. Dem Historiker Ulrich Herbert zufolge ging es den beteiligten Personen dabei um eine „Rehabilitierung des Nationalsozialismus im allgemeinen“ und „der eigenen Person im besonderen“. Zu den politischen Vorstellungen habe aber auch die Wiedererrichtung eines autoritären Machtstaates gehört. Am 1. August 1953 wurde Naumann aus der Untersuchungshaft entlassen.[12] Zuvor hatte der 2. Ferienstrafsenat des Bundesgerichtshofes das Verfahren gegen die Beschuldigten eingestellt.
Zum Netzwerk um Naumann zählten zahlreiche ehemalige NS-Funktionäre, wie der ehemalige Leiter der Rundfunkabteilung im Reichspropagandaministerium, Hans Fritzsche, der frühere Leiter des Referats Antikomintern, Eberhard Taubert, der SS-Oberstgruppenführer Paul Hausser, der ehemalige HJ-Gebietsführer Horst Huisgen, zeitweilig Landesgeschäftsführer der FDP, der ehemalige Referatsleiter Rundfunk im Propagandaministerium, Wolfgang Diewerge, sowie Ernst Achenbach, der als Attaché der Botschaft in Paris an den Judendeportationen beteiligt war.
Bei diesem Unterfangen scheiterte Naumann ebenso wie bei seiner folgenden Spitzenkandidatur für die rechtsextreme Deutsche Reichspartei in Niedersachsen zur Bundestagswahl 1953. Um seine Wahl zu verhindern, wurde er in einem beschleunigten Entnazifizierungsverfahren als belastet (Gruppe II) eingestuft, wodurch ihm das aktive und passive Wahlrecht entzogen wurde.[13] Später wurde er durch den Industriellen und Stiefsohn von Goebbels, Harald Quandt, als Direktor der Busch-Jaeger Metallwerk GmbH Lüdenscheid eingestellt.[14] Dort ging er 1974 in den Ruhestand und betätigte sich zurückgezogen als Landwirt. Ende Oktober 1982 starb er an Herzversagen.[13]
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Joachim Joesten: Dr. Naumann’s conspiracy, pattern of the world-wide crypto-nazi plot, New York 1953.
- Lew Besymenski: Auf den Spuren von Martin Bormann, Dietz, Berlin 1965.
- Ulrich Herbert: Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft 1903–1989. 2. Aufl., Bonn 1996, ISBN 3-8012-5019-9 (Habilitation, 1992, Fernuniversität Hagen).
- Norbert Frei: Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit. 2. Auflage. Beck, München 1997, ISBN 3-406-42557-7.
- Norbert Frei: Deutsches Programm. Wie Nordrhein-Westfalens FDP Anfang der fünfziger Jahre bewährte Nazis zur Unterwanderung der Partei einlud. In: Die Zeit Nr. 23 v. 29. Mai 2002. S. 82.
- David K. Yelton: Hitler's Volkssturm. The Nazi Militia and the Fall of Germany 1945–1945, Lawrence (Kansas) 2002, ISBN 0-7006-1192-4.
- Rüdiger Jungbluth: Die Quandts. Ihr leiser Aufstieg zur mächtigsten Wirtschaftsdynastie Deutschlands. Campus-Verlag, Frankfurt a. M. et al. 2002, ISBN 3-593-36940-0.
- Ernst Klee: Werner Naumann. Eintrag in Derselbe: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Aktualisierte Ausgabe. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-596-16048-0. S. 429.
- Stefan Krings: Das Propagandaministerium. Joseph Goebbels und seine Spezialisten. In: Lutz Hachmeister, Michael Kloft (Hg.): Das Goebbels-Experiment. Propaganda und Politik. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2005, ISBN 3-421-05879-2, S. 29–48.
- Franz Menges: Naumann, Werner. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 18, Duncker & Humblot, Berlin 1997, ISBN 3-428-00199-0, S. 773 f. (Digitalisat).
- Kristian Buchna: Nationale Sammlung an Rhein und Ruhr. Friedrich Middelhauve und die nordrhein-westfälische FDP 1945–1953. Oldenbourg Verlag, München 2010, 248 Seiten. (Holger Löttel, April 2011: Rezension bei H-Soz-u-Kult).
- Günter J. Trittel: „Man kann ein Ideal nicht verraten …“ Werner Naumann – NS-Ideologie und politische Praxis in der frühen Bundesrepublik. Wallstein-Verlag, Göttingen 2013, ISBN 978-3-8353-1300-2.
- Guy Walters: Naumann's War: The Life of Werner Naumann from 1909 to 1945. Lockhart Armstrong Ltd 2016 (englisch).
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Literatur von und über Werner Naumann im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Zeitungsartikel über Werner Naumann in den Historischen Pressearchiven der ZBW
- Werner Naumann will Geld, Die Zeit, 1957
- Gestorben: Werner Naumann, Der Spiegel, 1982
- Der Naumann-Kreis, zukunft-braucht-erinnerung.de, 2017
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Niels Beintker: Feind der europäischen Integration. Günter J. Trittel: „Man kann ein Ideal nicht verraten …“, 8. Juli 2013. (online auf deutschlandfunk.de).
- ↑ Beate Baldow: Episode oder Gefahr? Die Naumann-Affäre. Ungedruckte Dissertation, FU Berlin 2012, S. 21, Fußnote 115 (online).
- ↑ Ulrich Herbert: Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft 1903–1989. C. H. Beck, München 2016, ISBN 978-3-406-68860-7, S. 653
- ↑ Beate Baldow: Episode oder Gefahr? Die Naumann-Affäre. Ungedruckte Dissertation, FU Berlin 2012, S. 22, Fußnoten 115–122 (online).
- ↑ Willi A. Boelcke: Kriegspropaganda 1939–1941. Geheime Ministerkonferenzen im Reichspropagandaministerium. DVA, Stuttgart 1966, S. 55 f.
- ↑ Beate Baldow: Episode oder Gefahr? Die Naumann-Affäre. Ungedruckte Dissertation, FU Berlin 2012, S. 23, Fußnote 123 (online).
- ↑ Der Stenograf muß es wissen. In: Der Spiegel. 23. Januar 1951, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 3. Mai 2024]).
- ↑ Beate Baldow: Episode oder Gefahr? Die Naumann-Affäre. Dissertation an der Freien Universität Berlin, 2012, S. 24.
- ↑ Naumann-Entlassung - Das Angebot der CDU. In.: Der Spiegel vom 5. August 1953.
- ↑ Marie-Luise Recker: Die Aussenpolitik des Dritten Reiches. 2., um einen Nachtrag erweiterte Auflage, 2010 R. Oldenbourg Verlag … Kapitel: Back Matter. Annäherung an Frankreich im Dienste Hitlers? online ( vom 8. September 2012 im Webarchiv archive.today).
- ↑ New York Times 15. Januar 1953 ( des vom 7. Februar 2017 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- ↑ Der Spiegel 32/1953: Das Angebot der CDU
- ↑ a b Gestorben: Werner Naumann, Der Spiegel, 45/1982 vom 8. November 1982, S. 272
- ↑ Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich, Frankfurt am Main 2007, S. 429
Personendaten | |
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NAME | Naumann, Werner |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Volkswirt und Nationalsozialist, SS-Brigadeführer und persönlicher Referent von Joseph Goebbels |
GEBURTSDATUM | 16. Juni 1909 |
GEBURTSORT | Guhrau, Schlesien |
STERBEDATUM | 25. Oktober 1982 |
STERBEORT | Lüdenscheid |