Sorben

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Die Lausitz – Heimat der Sorben – in Europa
Flagge der Sorben
Zweisprachiges Ortsschild im Ortsteil Niederkaina von Bautzen (Budyšin).
Überblick über das sorbische Siedlungsgebiet (rot gepunktete Linie: Grenze zwischen Sachsen und Brandenburg)

Die Sorben (obersorb. Serbja, niedersorb. Serby, deutsch auch Wenden) sind ein westslawisches Volk, das in Deutschland als nationale Minderheit anerkannt ist. Ihre Heimat sind die Ober- und die Niederlausitz in den deutschen Bundesländern Sachsen und Brandenburg. Die Sorben haben neben ihrer Sprache und Kultur eine offiziell anerkannte Flagge und Hymne.[1] Sorben sind in aller Regel deutsche Staatsangehörige und besitzen als solche alle Bürgerrechte in Deutschland, einschließlich des Wahlrechts zu Landtags- und Bundestagswahlen.

Sprache und Siedlungsgebiet

Es existieren zwei sorbische Schriftsprachen, Obersorbisch (Hornjoserbšćina) und Niedersorbisch (Dolnoserbšćina), jedoch wird meistens zwischen Niedersorbisch, Obersorbisch und der Gruppe der dazwischenliegenden Grenzdialekte unterschieden. Die niedersorbische Sprache ist dabei akut vom Aussterben bedroht. Während das Obersorbische dem Tschechischen näher steht, ist das Niedersorbische dem Polnischen ähnlicher.

Nach Schätzungen sorbischer Institutionen (Domowina, Sorbisches Institut) gibt es heute 20.000–30.000 aktive Sprecher der sorbischen Sprache, anderen Hochrechnungen zufolge hat das Niedersorbische noch 7.000 aktive Sprecher und das Obersorbische etwa 15.000. Gemäß der Selbstzuschreibung gibt es 60.000 Sorben. Davon leben etwa zwei Drittel in der sächsischen Oberlausitz (besonders im Gebiet zwischen Bautzen, Hoyerswerda und Kamenz), die übrigen in der brandenburgischen Niederlausitz (zwischen Senftenberg im Süden und Lübben im Norden).

Der Kern des obersorbischen Gebiets, in dem das Sorbische Alltagssprache ist und von der großen Mehrheit der Bevölkerung genutzt wird, sind dabei die Gemeinden Crostwitz, Ralbitz-Rosenthal, Panschwitz-Kuckau, Nebelschütz und Räckelwitz sowie Teile der angrenzenden Gemeinden Neschwitz, Puschwitz und Göda. Ein weiteres Zentrum ist die Gemeinde Radibor. In der Niederlausitz kann von einem stabilen Kerngebiet in dieser Form nicht mehr gesprochen werden. Die meisten Niedersorbisch-Muttersprachler findet man jedoch in den Gemeinden zwischen dem Spreewald und Cottbus.

Noch in den 1880er Jahren umfasste das Kernsiedlungsgebiet größere Gebiete südlich und östlich von Bautzen (bis Kirschau, Oelsa und Bad Muskau), sowie nördlich von Cottbus, in denen die Sprache heutzutage nicht mehr gesprochen wird. Auch östlich der Neiße, auf heutigem polnischen Staatsgebiet, gab es bis ins 20. Jahrhundert hinein Sorben. Das Zentrum ihrer Kultur und Sprache zur deutschen Zeit war die Stadt Sorau (sorbisch Žarow, heute polnisch Żary). Bis ins 18. Jahrhundert trugen die Frauen und Mädchen die traditionelle sorbische Sorauer Tracht, jedoch wurden das Sorbische immer mehr durch die damalige preußische Politik benachteiligt oder sogar unterdrückt. Daraus und aus natürlich ablaufenden Assimilationsprozessen resultierte, dass 1843 sich noch 5,4 Prozent der Sorauer Bevölkerung als Sorben bezeichneten, jedoch nur noch 0,1 Prozent im Jahre 1900. Heute ist die Sprache der Bevölkerung fast ausschließlich Polnisch, wenige haben Deutsch als Muttersprache. Die damalige sorbische Bevölkerung wurde germanisiert und Ende des Zweiten Weltkrieges zum größten Teil vertrieben, da sie deutsche Staatsbürger waren. Die wenigen in Polen verbliebenen Sorben wurden in das polnische Volk assimiliert.

siehe auch: Sorbisches Siedlungsgebiet

Sorbische Emigration

Eine Variante des Obersorbischen wurde auch in der kleinen Siedlung Serbin (Lee County, Texas, Vereinigte Staaten) gesprochen. Heute befindet sich in der ehemaligen sorbischen Schule ein Heimatmuseum, das über die Geschichte der Sorben in den USA berichtet. Früher wurden in Serbin auch Zeitungen auf Sorbisch veröffentlicht. Die Sprachvariante von Serbin wurde zuerst vom Deutschen, später vom Englischen stark beeinflusst. Bei der Volkszählung 2000 gaben zudem in Pennsylvania 157 Personen „Lusatian“ (Lausitzisch) als Muttersprache an, wovon 114 älter als 65 Jahre waren und 40 Personen zwischen 18 und 64 Jahren.

Weitere sorbische Siedlungen gab es in verschiedenen Gebieten Australiens. In den Jahren 1848 bis 1860 kamen die meisten Sorben, etwa 2.000 in 400 Familien, ein großer Teil von ihnen mit dem Schiff „Pribislaw“. Auch nach der Auswanderung wurde die sorbische Sprache stark vom Deutschen beeinflusst, da die meisten Sorben (noch) kein Englisch konnten und sie daher meist in deutschsprachige Regionen zogen.

Religion

Der bekannte Friedhof von Ralbitz im heutigen sorbisch-katholischen Kernland

Die meisten Sprecher des Obersorbischen sind heutzutage katholischer Konfession. Ursprünglich war die Mehrzahl der Sorben noch im 19. Jahrhundert evangelisch-lutherisch (86,9 % im Jahre 1900)[2], nur die Sorben des Kreises Kamenz – angesiedelt überwiegend auf dem ausgedehnten ehemaligen Grundbesitz des Klosters St. Marienstern – waren zu 88,4 % Katholiken. In der Niederlausitz lag ihr Anteil dagegen durchweg unter einem Prozent. Aufgrund des schnelleren Sprach- und Identitätsverlustes unter der evangelischen sorbischen Bevölkerung – insbesondere in der DDR-Zeit – ist dieses Verhältnis heute umgekehrt.

Die unterschiedliche Entwicklung des Sprachverhaltens im katholischen bzw. evangelischen Sorbentum ist zum einen auf die unterschiedliche Struktur der Kirchen zurückzuführen. Während es sich bei der evangelischen Kirche um eine Landeskirche handelt (wobei die Landesherren der sorbischen Bevölkerung immer deutschsprachig waren), ist die katholische Kirche in ihrer ultramontanen Ausrichtung auf den Vatikan seit jeher multinational. Die größere Staatsnähe der evangelischen Kirche sollte sich besonders mit der in der Niederlausitz seit dem 17. Jahrhundert betriebenen Germanisierungspolitik negativ auf das sorbische Sprachgebiet auswirken. Zum anderen herrschte in der katholischen Kirche eher die Meinung vor, dass die Muttersprache als göttliches Geschenk zu betrachten sei, welches abzulegen Sünde wäre. So erklärt sich der seit dem Ende des 19. Jahrhunderts verstärkt betonte außergewöhnlich enge Zusammenhang zwischen Katholizismus und Sorbentum, der bis in die heutige Zeit besteht.[3]

Die katholischen Gemeinden stellen heute den Kern des verbliebenen Mehrheitsgebietes dar, während in den evangelischen Gebieten im Osten und Norden die Sprache zumeist verschwunden ist. Während in der westlichen Oberlausitz insbesondere die jahrhundertelange Verbundenheit der Sorben zur katholischen Kirche maßgeblich zum Erhalt der sorbischen Muttersprache beigetragen hat, zeigte in der Niederlausitz die evangelische Kirche vor und nach 1945, trotz allgemeiner Förderung der Sorben in der DDR, kein Interesse, die Sprache der Minderheit im kirchlichen Leben zu pflegen. Erst seit 1987 gibt es auf Initiative einiger Niedersorben wieder regelmäßigen wendischen Gottesdienst.

Institutionen

Das Haus der Sorben (Serbski dom) in Bautzen ist Sitz zahlreicher sorbischer Institutionen.

Unter Berücksichtigung, dass das sorbische Volk jenseits der Grenzen Deutschlands keinen Mutterstaat hat und gestützt auf die in der Protokollnotiz Nr. 14 zu Art. 35 des Einigungsvertrages erklärte Verpflichtung der Bundesrepublik gegenüber dem sorbischen Volk, wurde die staatliche Unterstützung für die Sorben neu strukturiert.

Die Stiftung für das sorbische Volk (Załožba za serbski lud) unterstützt als gemeinsames Instrument des Bundes und der beiden Länder Brandenburg und Sachsen die Bewahrung und Entwicklung, Förderung und Verbreitung der sorbischen Sprache, Kultur und Traditionen als Ausdruck der Identität des sorbischen Volkes.

Die aktuelle Fördersumme der Zuwendungsgeber Bund, Brandenburg und Sachsen für 2006 beträgt 15,6 Millionen Euro. Sie setzt sich wie folgt zusammen: Bund 7,6 Millionen Euro, Sachsen 5,5 Millionen Euro, Brandenburg 2,6 Millionen Euro. Sonstige Zuweisungen aus dem öffentlichen Bereich betragen 5,6 Millionen Euro. Auf der Homepage der Stiftung sind auch die großen Zuwendungsempfänger transparent dargestellt.

Als kulturelle Zentren der Sorben sind Bautzen (Budyšin) und Cottbus (Chośebuz) zu bezeichnen. Es gibt sorbische Kindergärten und ein gutes Dutzend sorbische Schulen, sowie je ein ober- und ein niedersorbisches Gymnasium. (siehe auch: Sorbisches Schulwesen)

Die 1912 gegründete zentrale Interessenvertretung Domowina (ein sorbischer poetischer Ausdruck für „Heimat“, eigentlich Zwjazk Łužiskich Serbow z. t., Bund Lausitzer Sorben e. V.), ist der Dachverband zwölf sorbischer Vereine und Vereinigungen mit ca. 5.800 Mitgliedern.

Eine Forschungsstelle haben die Sorben in Bautzen in Gestalt des Sorbischen Instituts (Serbski Institut), das aus dem 1951 eingerichteten Institut für sorbische Volksforschung (Institut za serbski ludospyt) hervorgegangen ist, welches eine Abteilung der Akademie der Wissenschaften der DDR gewesen war. Das Sorbische Institut (Serbski institut) ist auf die sorabistisch-kulturwissenschaftliche Forschung sowie auf die praktische Unterstützung für sorbische Sprache und Kultur in der Ober- und Niederlausitz ausgerichtet.

Ebenfalls in Bautzen ist der Domowina-Verlag (sorb. Ludowe nakładnistwo Domowina) ansässig, in dem nahezu alle sorbischen Bücher, Zeitungen und Zeitschriften erscheinen.

Das Sorbische Museum in Bautzen (Serbski muzej Budyšin) befindet sich im Salzhaus der Ortenburg. In seiner Ausstellung gibt es einen Überblick über die Geschichte der Sorben von seinen Anfängen im 6. Jahrhundert bis zur Gegenwart sowie über Kultur und Lebensweise der sorbischen Bevölkerung. In regelmäßig wechselnden Sonderausstellungen werden Werke sorbischer bildender Künstler präsentiert oder spezielle geschichtliche Themen behandelt. Träger des Sorbischen Museums ist der Landkreis Bautzen. Außerdem wird es aus Mitteln der Stiftung für das sorbische Volk und des Kulturraumes Oberlausitz-Niederschlesien gefördert.

Am 10. Dezember 1716 gründeten sechs sorbische Theologiestudenten mit Erlaubnis des Senates der Universität Leipzig das „Wendische Predigercollegium“ (später umbenannt in „Lausitzer Predigergesellschaft“ und „Landsmannschaft Sorabia“), den ersten sorbischen Verein überhaupt.[4] Ihr Grundsatz, zugleich ihre Grußformel: „Soraborum saluti!“ Heute ist das Institut für Sorabistik an der Universität Leipzig das einzige Institut in Deutschland, an dem Sorbischlehrer und Sorabisten ausgebildet werden. Unterrichtssprachen sind Ober- und Niedersorbisch. In letzter Zeit finden die Sorabistik und die dazu angebotenen Studiengänge an der Universität Leipzig zunehmendes Interesse, insbesondere im slawischen Ausland. Direktor des Institutes ist seit dem 1. März 2003 Prof. Dr. Eduard Werner (sorb. Edward Wornar).

Medien

Titelzeile der SN

Es erscheinen eine obersorbische Tageszeitung „Serbske Nowiny(Sorbische Zeitung), eine niedersorbische Wochenzeitung „Nowy Casnik(Neue Zeitung), die sorbische Kulturmonatsschrift „Rozhlad(Umschau), die Kinderzeitschrift „Płomjo(Flamme), die katholische Zeitschrift „Katolski Posoł“ und die evangelische Kirchenzeitung „Pomhaj Bóh“. Das Sorbische Institut bringt alle sechs Monate die Kulturzeitschrift Lětopis heraus.

Ferner gibt es den Sorbischen Rundfunk, dessen Programm vom Mitteldeutschen Rundfunk und Rundfunk Berlin-Brandenburg produziert wird. Täglich werden einige Stunden sorbischsprachige Radiosendungen von Sendern in Calau (RBB) und Hoyerswerda (MDR 1) ausgestrahlt, wobei alle niedersorbischen Sendungen des RBB auch im Internet nachgehört werden können. Für junge Leute sendet der RBB jeden ersten Donnerstag im Monat das halbstündige Monatsmagazin Bubak und der MDR jeden Montag das zweistündige Wochenmagazin Radio Satkula.

Der Rundfunk Berlin-Brandenburg produziert seit April 1992 monatlich das halbstündige niedersorbische Fernsehmagazin „Łužyca“, der MDR nach einigen Anlaufschwierigkeiten seit dem 8. September 2001 monatlich die halbstündige Sendung „Wuhladko“ (deutsch Aussicht). Außerdem sendet der MDR jeden Sonntag das Sandmännchen in Zweikanalton.

William Krause, Wendisches Mädchen (1912)
Osterreiter im Kloster St. Marienstern

Kultur

Die „Klassiker“ der sorbischen Dichtung waren Jakub Bart-Ćišinski, Handrij Zejler und Mina Witkojc. Gegenwartsautoren sind beispielsweise Jurij Brězan, Kito Lorenc, Jurij Koch, Angela Stachowa, Róža Domašcyna, Jan Cyž, Marja Krawcec und Marja Brězanec. Der Jugendroman Krabat von Otfried Preußler greift den gleichnamigen sorbischen Sagenstoff auf und spielt in der Zeit, in der der Titelheld (Krabat) sich als Müllersbursche verdingt. Außerdem trug Michał Hórnik einen großen Teil zur sorbischen Schriftsprache bei.

Eines der wichtigen Werke der sorbischen Musik ist das Oratorium „Nalěćo“ (deutsch Frühling) des Komponisten Korla Awgust Kocor (Karl August Katzer) (1826–1904) auf einen Gedichtzyklus von Handrij Zejler sowie die Ouvertüre zum Singspiel „Smjertnica“ (Die Todesgöttin) von Jurij Pilk (siehe auch die Liste sorbischer Komponisten klassischer Musik).

Das Deutsch-Sorbische Volkstheater (Němsko-Serbske ludowe dźiwadło) führt Werke in deutscher und in sorbischer Sprache auf. Das Theater in Bautzen ist ein kommunaler Eigenbetrieb des Landkreises Bautzen und wird anteilig aus Mitteln der Stiftung für das sorbische Volk und des Kulturraumes Oberlausitz/Niederschlesien finanziert.

Das Sorbische National-Ensemble (Serbski ludowy ansambl) in Bautzen wurde im Jahre 1952 auf Anregung der Domowina gegründet. Gefördert durch die Stiftung für das sorbische Volk pflegen, bewahren und entwickeln die drei professionellen Sparten Ballett, Chor und Orchester die kulturelle Tradition der Sorben.

Folklore

Sorbische Festtagstracht aus dem Spreewald

Viele Bräuche haben sich erhalten, vor allem das Osterreiten, die Vogelhochzeit und das traditionelle Bemalen von Ostereiern. Zahlreiche mythologische Vorstellungen sind noch lebendig – wie die Mittagsfrau (Připołdnica/Přezpołdnica), der Wassermann (Wódny muž), die Gottesklage (Bože sadleško), der geld- und glückbringende Drachen (obersorb. zmij, niedersorb. plon).

Im obersorbischen Kerngebiet, in etwa durch ein Dreieck zwischen den Städten Bautzen, Kamenz und Wittichenau beschrieben, sind Kruzifixe am Wegrand und in Vorgärten sowie gepflegte Kirchen und Kapellen Ausdruck einer bis in die Gegenwart gelebten (meist katholischen) Volksfrömmigkeit, die viel zur Bewahrung der sorbischen Substanz beigetragen hat. Sehr eindrucksvoll ist auch die sorbische Tracht, die von älteren Frauen täglich, von jüngeren zu den großen Feiertagen getragen wird, zu Fronleichnam beispielsweise die Tracht der Brautjungfer (družka).

Geschichte

Sorbische Frühgeschichte (8. bis 9. Jahrhundert)

Aus dem Osten (Schlesien) und dem Süden (Böhmen) kommend besiedelten slawische Stämme im 8. Jahrhundert die Gebiete zwischen Neiße und Saale, dem Erzgebirgsvorland und dem Fläming. Diese Gebiete waren seit der Abwanderung germanischer Völkerschaften im Zuge der Völkerwanderung nahezu unbewohnt.

Als „Sorben“ (lat. surbi, sorabi) wurden im Früh- und Hochmittelalter zunächst die westslawischen Bewohner der Gegenden zwischen Saale und Mulde bezeichnet, die im 8. und 9. Jahrhundert zunehmend in die Abhängigkeit des (ost)fränkischen Reiches gerieten. Im Jahr 806 wird ein König (rex, bzw. nach einer anderen Quelle dux) namens Milito getötet, worauf sich die anderen Könige der Sorben unterwerfen. Über die weiter östlich im Elbtal und in den Lausitzen lebenden slawischen Völkerschaften geben die fränkischen Geschichtsquellen keine Auskunft, und im Karolingerreich hatte man vermutlich auch kaum genauere Vorstellungen über die dünnbesiedelten Gebiete weit jenseits der eigenen Ostgrenze. Die Ergebnisse der archäologischen Forschung und der Sprachwissenschaft zeigen aber, dass sich die Slawen zwischen Saale und Neiße kulturell sehr nahe gestanden haben; das Gleiche gilt auch für die Beziehungen nach Schlesien und Böhmen. Nach Süden bildeten vor allem die Täler von Elbe und Neiße eine kulturelle Brücke.

In der sogenannten Fredegar-Chronik werden für 631/32 erstmals Wenden erwähnt, die „zu wiederholten Malen in Thüringen und anderen Gauen (pagi) des Frankenreiches einfielen, um sie auszuplündern; ja sogar Dervanus, der Dux des Volkes der Sorben (Dervanus dux gente Surbiorum), die von slawischer Herkunft waren und schon von jeher zum Reiche der Franken gehört hatten, unterstellte sich mit seinem Volk dem mährischen Reich Samos. Nach weiteren Überfällen wurde der Dux Radulf, der Sohn Chamars, durch Dagobert als Dux in Thüringen eingesetzt, um die Wenden zu bekämpfen, doch verbündete sich Radulf bald darauf mit den Slawen.“

Während es in Böhmen und Mähren seit dem späten 7. Jahrhundert zu ersten Reichsbildungen und seit dem 9. Jahrhundert zur Entstehung stabilerer frühfeudaler Staatsgebilde kam, gab es bei den Slawen zwischen Saale und Neiße bis zur Eroberung durch die Deutschen keine überregionalen politischen Strukturen. Die Slawen lebten vornehmlich als Bauern in kleinen Stammesverbänden, die jeweils nur einige Dutzend recht kleiner dörflicher Siedlungen umfassten. Die Gesellschaft der Westslawen war aber schon deutlich in die Masse abhängiger Bauern und eine schmale adlige Herrschaftsschicht gegliedert. Aus der letzteren rekrutierten sich auch die Stammes- oder Gaufürsten, die in den fränkischen Quellen meist dux (= Herzog, Fürst) genannt werden.

Herrschaftszentren waren wohl die zahlreichen Burgen mit in Holz-Erde-Konstruktion errichteten Wehrmauern. Ebenso häufig lassen sich je nach am Ort vorhandenem Baumaterial auch mächtige steinerne Schalmauern beobachten (z. B. auf der Landeskrone bei Görlitz). Der Auflistung des Bayerischen Geographen zufolge verfügten die Sorben über 50 civitates. Der Begriff civitas bezeichnet vermutlich eine zentrale Burg oder einen Burgbezirk mit zugehörigen Siedlungen. Die Lokalisierung des Siedlungsgebietes der Sorben oder surbi nach den Angaben des bayerischen Geographen bleibt in der Forschung umstritten. Das Kerngebiet der heutigen sorbischen Besiedlung der Oberlausitz ist deckungsgleich mit dem Stammesgebiet der ebenfalls durch den bayerischen Geographen erwähnten Milzener. Dieses wird durch über 60 Burganlagen gekennzeichnet, die zwischen Queis und Pulsnitz verbreitet sind. Das Siedlungsgebiet der Niederlausitzer Sorben entspricht jenem des für die Landschaft namengebenden slawischen Stammes der Lusizi (oder Lusitzer) und wird ebenfalls durch zahlreiche Burganlagen gekennzeichnet. Archäologische Ausgrabungen der jüngeren Vergangenheit sowie zahlreiche archäologische Fundstücke weisen darauf hin, dass die Mehrzahl der Burgen in der Ober- und Niederlausitz erst im ausgehenden 9. und frühen 10. Jahrhundert errichtet wurden. Dies bezeugen dendrochronologisch untersuchte Holzfunde aus den Burgen sowie aus Brunnenanlagen. Archäologische Hinweise für eine ältere Besiedlung fehlen vollständig.

Über die vorchristliche Religion der Slawen zwischen Saale und Neiße ist wenig bekannt. Weder weiß man, ob es einen Priesterstand gab, noch haben die Archäologen in diesen Gebieten bisher ein Heiligtum von überregionaler Bedeutung entdecken können. Der mittelalterlichen Tradition nach wurden aber manche frühe christliche Kirchen an Stelle alter slawischer Heiligtümer errichtet, so zum Beispiel die Kirche auf dem Opferberg in Leipzig-Wahren.

Bis zum Beginn des 10. Jahrhunderts befanden sich die sorbisch besiedelten Gebiete an der Saale nur in einem mehr oder weniger engen Abhängigkeitsverhältnis vom Frankenreich. Die Slawen im Gebiet des Limes Sorabicus mussten Tribute an die Franken entrichten. Zu einer intensiveren deutschen Besiedlung und Herrschaftsbildung kam es erst unter König Heinrich I.

Die Sorben im Hochmittelalter

Nachdem Heinrich I. 926 einen zehnjährigen Waffenstillstand mit den Ungarn geschlossen hatte, nahm er die Ausdehnung seiner Macht an der Ostgrenze des Reiches in Angriff. 927 bis 929 führte er einen groß angelegten erfolgreichen Feldzug zur Unterwerfung der slawischen Stämme östlich der Elbe. Seinen Vormarsch sicherte der König durch die Anlage zahlreicher Burgen. Die wichtigste dieser Gründungen war 928/929 Meißen. Zum Reich gehörte nun das gesamte sorbische Siedlungsgebiet inklusive der von den Lusici und Milzenern bewohnten Länder, der späteren Nieder- bzw. Oberlausitz. Seit dieser Zeit leben die Sorben in engem Kontakt und in Gemeinschaft mit ihren deutschen Nachbarn. Davon wurde die sorbische Geschichte entscheidend geprägt.

Zu Beginn der frühen Neuzeit wurde der Volksname Sorben allmählich auf die siedelnden Lusici und Milzener übertragen, die in den früh- und hochmittelalterlichen Quellen noch deutlich von den Sorben geschieden wurden. Wichtiger blieb bis ins 19. Jahrhundert hinein aber die deutsche Bezeichnung Wenden, die von Anfang an ein Oberbegriff für die östlich der alten Reichsgrenze lebenden slawischen Völker gewesen war. In der Sprachwissenschaft werden heute die Sprachen der südlichen Elbslawen bzw. deren überlieferte Reste insgesamt als sorbisch bezeichnet.

Gero, der von Kaiser Otto I. 937 eingesetzte Markgraf der Sächsischen Ostmark (sie umfasste das gesamte Gebiet zwischen Elbe, Havel und Saale) führte die gewaltsame Unterwerfung der Sorben fort. 939 lud er 30 slawische Fürsten zu einem Gastmahl ein und ließ sie ermorden. Die Bluttat hatte einen Aufstand der Slawen zur Folge. In mehreren Kriegszügen, besiegte er bis 965 die Milzener, Lusici und Liutizen und dehnte die deutsche Herrschaft bis an die Oder aus. Während die Slawen im heutigen Brandenburg ihre Selbstständigkeit durch einen großen Aufstand 983 noch einmal für längere Zeit zurückgewinnen konnten, war die Unterwerfung der Sorben endgültig. Die Herrschaft über die Lausitz und den Gau Milska wurde den Deutschen nur noch einmal (1002) durch den Polenherzog Bolesław Chrobry für einige Jahre erfolgreich streitig gemacht. Aber auch Bolesław behandelte die Sorben als unterworfenes Volk.

Im 10. Jahrhundert begann die christliche Kirche bei den Slawen im Elbe-Saale-Gebiet und in der Lausitz mit der Missionierung. Die Befestigung der deutschen Herrschaft und die Schaffung kirchlicher Strukturen gingen dabei Hand in Hand. Kaiser Otto II. gründete 968 das Erzbistum Magdeburg mit den Suffragen Zeitz, Merseburg und Bistum Meißen. Sorben, Milzener und Lusici mussten dem Bischof von Meißen den Zehnt entrichten.

Parallel erfolgte unter den Markgrafen der sorbisch besiedelten Gebiete – die große Mark Geros war nach seinem Tod in mehrere kleinere Territorien untergliedert worden (Nordmark, Mark Lausitz, Mark Meißen, Mark Zeitz und Mark Merseburg) – die Einrichtung von Burgwarden. Die unterworfenen Gebiete wurden an deutsche Adelige zu Lehen gegeben, die neuen Herren errichteten Burgen und erhielten Abgaben von den zugehörigen slawischen Dörfern. Die einzelnen Herrschaftsbezirke wurden Burgward genannt. Zum Teil trat der deutsche Adel dabei nur die Nachfolge der sorbischen Häuptlinge an. Die ehemalige slawische Führungsschicht war durch die vorangegangenen Kriege dezimiert, ihre Reste wurden in untergeordnete Stellungen abgedrängt. Noch lange gab es slawische Župane. Diese Richter entschieden nach dem alten sorbischen Gewohnheitsrecht über die unterworfene Bevölkerung. Wie auch die in der Oberlausitz noch im 16. Jahrhundert vorhandenen Lehnbauern, so waren die Župane möglicherweise Nachfahren des sorbischen Adels. Anders als etwa in Mecklenburg kam es in der Mark Meißen oder in den Lausitzen kaum vor, dass Slawen in den Ritterstand aufstiegen.

Für die Masse der sorbischen bäuerlichen Bevölkerung änderten sich die Lebensumstände zunächst wenig. Wie schon vor der deutschen Eroberung waren sie Leibeigene, hatten kein Besitzrecht an den bewirtschafteten Äckern und mussten hohe Abgaben an den Lehnsherren leisten – mindestens ein Drittel ihrer Erträge. Dazu kam nun aber noch der Zehnte für die Kirche. Umstritten ist in der Forschung, ob weitere Leistungen (Spanndienste, Wachdienst oder Wachkorn für den Burgherren u. a.) erst unter der deutschen Herrschaft eingeführt wurden oder schon davor existiert hatten. Die deutschen Lehnsherren ließen ihre Untertanen weiter unter dem slawischen Gewohnheitsrecht leben, denn dadurch war deren Rechtsstellung bedeutend schlechter als die der deutschen Bauern, die unter sächsischem Recht standen.

Deutsche Besiedlung slawischen Gebietes ca. 1200–1300, im Zentrum die Lausitz

Vom 12. bis zum 15. Jahrhundert

Nach den zahlreichen Kriegen des 10. und am Beginn des 11. Jahrhunderts verlief die Integration des sorbischen Siedlungsgebiets in das Reich in der folgenden Zeit auf friedliche Weise. Der König, die Markgrafen und nicht zuletzt die kirchlichen Institutionen förderten den so genannten Landesausbau. Westlich der Elbe (zum Beispiel im Pleißner- und im Osterland) begann die Kolonisation durch deutsche Bauern aus verschiedenen Teilen des Reiches um 1100. Die sorbischen Einwohner wurden nicht vertrieben, vielmehr entstanden die neuen deutschen Dörfer fast immer auf gerodeten Flächen. An strategisch günstigen Stellen (z. B. Flussübergängen), die bereits besiedelt waren, erweiterte man die bereits bestehenden slawischen Siedlungen. Dies geschah unter anderem in Meißen, Leipzig oder Grimma. An solchen Orten überflügelten die neuen deutschen Kaufmannssiedlungen und späteren Städte bald das alte slawische Dorf. Solche Orte wurden schnell zum Ausgangspunkt für die Assimilierung der Slawen. Von Bedeutung war dabei auch die rechtliche Situation.

Da, wie bereits geschildert, das sächsische Recht für die Bauern günstiger war als das alte slawische, strebten viele sorbische danach, nach dem Recht der Einwanderer behandelt zu werden. Für das deutsche Bürgerrecht in den Städten gab es keine slawische Entsprechung, so dass, wer Bürger sein wollte, früher oder später auch die deutsche Sprache annehmen musste. Westlich der Elbe war die Verdrängung der sorbischen Sprache im 14. Jahrhundert weitgehend abgeschlossen. So wurde 1327 in Leipzig und 1377 in Altenburg, Zwickau und Chemnitz, 1425 im Fürstentum Anhalt der Gebrauch der sorbischen Sprache vor Gericht verboten. (Diese Maßnahmen beweisen allerdings auch, dass es zu dieser Zeit noch Sorben gab, sonst hätten diese Verbote keinen Sinn gehabt.)

In den Lausitzen waren die Rodungen in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts vor allem von sorbischen Bauern getragen worden. In dieser Zeit entstanden z. B. viele neue Orte im Gebiet um Hoyerswerda. Die Erweiterung des Kulturlands vergrößerte und stabilisierte in dieser Gegend das sorbische Sprachgebiet, das sich zu Zeiten Martin Luthers noch bis vor die Tore Wittenbergs erstreckte. Unter den böhmischen Königen intensivierte sich Mitte des 12. Jahrhunderts der Landesausbau in der Oberlausitz, der von den Königen und den Meißener Bischöfen quasi im Wettbewerb betrieben wurde. Deutsche Bauern wurden vermehrt ins Land geholt; diese rodeten große Waldgebiete im Süden und Osten des Landes und legten zahlreiche neue Dörfer an. Weil durch Rodung die Herrschaftsgebiete der Adligen erst einen Wert bekamen, erhielten die Kolonisten ihre Bauerngüter als Erbe, während die Bauern in alten sorbischen Orten oft Leibeigene blieben. Die eingewanderten Deutschen mussten nur geringe Zinsen an die Grundherren zahlen und wenige Dienste für sie verrichten. Auch hatten sie mehr Boden zur Verfügung als die Bauern im sorbischen Altsiedelgebiet. Die neuen (meist deutschen) Dorfgemeinden konnten ihre Angelegenheiten außerdem relativ autonom regeln. Insofern sorbische Bauern beim Landesausbau beteiligt waren, genossen sie aber dieselben Rechte wie die deutschen Kolonisten.

Abgesehen von den Städten, die sich, wie bereits geschildert, vor allem aus rechtlichen Gründen schon frühzeitig zu deutschsprachigen Inseln entwickelten, blieben die Lausitzen aber bis zum Dreißigjährigen Krieg in weiten Teilen slawischsprachige Länder. In manchen Gegenden, etwa um das Zisterzienserinnenkloster St. Marienstern herum und bei Hoyerswerda, war das sorbische Element so stark, dass einige deutschsprachige Ortsgründungen slawisiert wurden, so z. B. Dörgenhausen (sorb. Němcy). Viele Städte der beiden Lausitzen sahen sich mit einer starken sorbischen Einwanderung konfrontiert. Dies zeigen sowohl die Deutschtumsverordnungen aus Calau, Cottbus (1405), Lübben (1452) und Luckau (1384), wo Sorben vorübergehend – vor allem aus Konkurrenzgründen – der Zugang zu den Zünften verwehrt wurde, aber auch die Eintragung eines sorbischen Bürgereids in die Bautzener Stadtbücher. Im 16. Jahrhundert wurden viele dieser Beschränkungen seitens der Zünfte und auf Entscheid des Markgrafen wieder aufgehoben. Nordöstlich von Guben und Sorau hatte das sorbischsprachige Gebiet um 1600 noch direkte Verbindung zum polnischen Sprachgebiet. Erst die Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges und die damit verbundenen Verluste der sorbischen Bevölkerung sowie eine von der evangelischen Kirche gestützte gezielte Germanisierungspolitik führten in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts dazu, dass das sorbische Gebiet zu einer rings von deutschsprachigen Regionen umgebenen Insel wurde.[5]

Von der Reformation bis zum Dreißigjährigen Krieg

Die von Martin Luther in Wittenberg 1517 angestoßene Reformation strahlte bereits in den frühen 20er Jahren des 16. Jahrhunderts in die beiden Lausitzen und damit ins sorbische Siedlungsgebiet aus. Die Universität Wittenberg war (neben Frankfurt und Leipzig) in jener Zeit einer der bevorzugten Studienorte der Lausitzer. Unter den Wittenberger Studenten waren auch einige Sorben. Eine aktive reformatorische Bewegung gab es zunächst in den überwiegend deutschsprachigen Städten. Das reformatorische Schrifttum fand in den ländlichen Gebieten kaum Eingang, weil die meisten Sorben damals weder Deutsch verstehen noch lesen und schreiben konnten.

Martin Luther selbst hatte nicht viel für die Sorben übrig. In seinen Tischreden nannte er sie abfällig die schlechteste aller Nationen. Und so hatte er kein besonderes Interesse daran, seine Lehre auf Sorbisch zu verbreiten, das bis dahin auch nicht als Schriftsprache existierte. Es gab aber in Wittenberg andere Theologen, unter ihnen Philipp Melanchthon, die die neue Lehre auch den Sorben vermitteln wollten. Entscheidend waren aber nicht die persönlichen Stimmungen der Reformatoren, sondern ihre programmatischen Forderungen und die Auswirkungen ihres Werkes. Bald wandten sich Vertreter der Lausitzer Stände an die Wittenberger Reformatoren, dass Pfarrer für die unter ihrem Patronat stehenden Pfarreien ordinieren möchten, die auch in sorbischer Sprache predigen können.

Die Ober- und die Niederlausitz standen im 16. Jahrhundert mit Ausnahme des zu Brandenburg gehörenden Cottbusser Kreises unter der Herrschaft der böhmischen Könige aus dem Haus Habsburg. Die katholischen Habsburger versuchten die Reformation in den Lausitzen aufzuhalten, konnten sich aber nicht gegen die evangelisch gesinnten Städte und Ritterschaften durchsetzen. Die Stände nahmen die Kirchenhoheit in die eigenen Hände und führten die Reformation bis etwa 1550 schrittweise in den einzelnen Herrschaften ein und auch ihre sorbischen Untertanen nahmen den neuen Glauben an. Alle Sorben in der Niederlausitz und mehr als drei Viertel der Oberlausitzer Sorben waren Mitte des 16. Jahrhunderts evangelisch. Nur die Sorben in den Besitzungen des Klosters St. Marienstern und des Bautzener Domstifts St. Petri blieben überwiegend katholisch.

Am Westrand des sorbischen Siedlungsgebiets gehörten einige gemischtsprachige Gemeinden zum Kurfürstentum Sachsen. Bei den seit 1527 abgehaltenen Kirchenvisitationen dieser Orte stellten die landesherrlichen Beamten fest, dass dort die Anstellung wendischer Prediger zur Durchsetzung der neuen Lehre notwendig ist. Bereits in den 40er Jahren des 16. Jahrhunderts wurde daher in Senftenberg und Umgebung regelmäßig evangelische sorbische Gottesdienste gehalten. In ähnlicher Weise gingen die Niederlausitzer Stände vor. Wie in Senftenberg, so wurden auch in Calau, Vetschau, Forst, Lübben, im brandenburgischen Cottbus und in vielen anderen Orten der Niederlausitz von nun an wendische Predigten in den Kirchen gehalten bzw. separate Kirchen dafür eingerichtet. 1559 nahm Kurfürst August das bischöfliche Gebiet um Stolpen und Bischofswerda in Besitz. Damit wurde auch Göda, die zweitgrößte und mehrheitlich sorbische Pfarrei der Oberlausitz, evangelisch. In Göda gab es eine gute Schule, die von vielen evangelischen Sorben besucht wurde, bevor sie in Wittenberg oder Leipzig ein Universitätsstudium aufnahmen.

Ab der Mitte des 16. Jahrhunderts begannen einige protestantische Geistliche, den reformatorischen Grundsatz von der Predigt in der Muttersprache aufnehmend, eine sorbische religiöse Literatur zu schaffen, indem sie die Kernwerke des Protestantismus, Bibel, Katechismus und Kirchenlieder, aus dem Deutschen übersetzten. Im Zuge dieser Bemühungen entstand die sorbische Schriftsprache. 1548 übersetzte Mikławš Jakubica Luthers Neues Testament ins Sorbische, ohne dass eine Drucklegung erfolgte. 1574 erschien Luthers Katechismus, verbunden mit einem Gesangbuch, in der niedersorbischen Übersetzung des Albin Moller aus Straupitz, 1595 gab Wjacław Warichius aus Göda Luthers Katechismus in obersorbischer Sprache heraus.

Die Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648) unterbrachen die erste Blüte des sorbischen Schrifttums für viele Jahrzehnte. Wie viele andere Regionen Deutschlands, so waren auch die Lausitzen mehrfach von Durchzügen großer Heere und von Seuchen betroffen, die tausende Todesopfer forderten. Besonders im östlichen Teil des sorbischen Siedlungsgebiets waren am Ende des Krieges viele Orte fast menschenleer. Diese Gebiete an der Neiße und östlich davon, wurden später von Deutschen wiederbesiedelt. Damit war das geschlossene wendische Gebiet sehr viel kleiner geworden.

1650–1815

Mit dem Frieden von Prag 1635, kommen weite Teile der Oberlausitz zum damaligen Kurfürstentum Sachsen. Die Niederlausitz gehörte schon 1623 zu Sachsen und blieb bis zum Wiener Kongress im Jahr 1815 sächsisch, die Oberlausitz bis heute.[1]

Ab Mitte des 16. Jahrhunderts war es zu einem Aufblühen der sorbischen Literatur und zur Festigung der sorbischen Sprache gekommen und 1650 wurde die erste sorbische Grammatik vom Lübbenauer Oberpfarrer Johannes Choinan verfasst, die durch viele Abschriften verbreitet wurde. Auch um diese Zeit erschien die erste sorbische ABC-Fibel von Juro Ermel für die Calauer Stadtschule. Es erschienen schon ab 1653–1656 vier religiöse sorbische Bücher im Distrikt Kurmark. Die zahlreichen noch wüsten Bauernwirtschaften wurden nun dem herrschaftlichen Besitz einverleibt, was zu vielen Untertanenprozessen führte und für das Markgrafentum Niederlausitz wurde 1651–1653 die Untertanenordnung erlassen und die Bevölkerung wurde zur „vollen landesüblichen Diensten“ als sog. Frondienst verpflichtet.

Das gab unter anderem 1667 für den brandenburgischen Großen Kurfürst Friedrich Wilhelm I. den Anlass, in seinem Herrschaftsbereich zu befehlen, dass das gesamte sorbische Schrifttum sofort zu vernichten und die Durchführung sorbischer Gottesdienste zu untersagen sind.[1] Am konsequentesten wurde die Germanisierungspolitik zunächst im Kreis Guben, später auch in den anderen Kreisen der Niederlausitz vollzogen.[5]

In der Oberlausitz allerdings gelangen die Versuche, evangelischen Glauben und sorbische Sprache zu verbinden: Bibel, Gesangbuch und Katechismus wurden ins Sorbische zu übertragen, wobei schon ein Katechismus 1595 von Wjaclaw Warichius in obersorbischer Sprache herausgeben wurde und führende Vertreter der pietistischen Bewegung sich in der Oberlausitz für die Verbreitung von religiösem Schrifttum in der Volkssprache einsetzten. Zugleich führte die Konkurrenz der Konfessionen zu einem Wettstreit im Edieren von Büchern, um den Bereich der eigenen Konfession auszubauen bzw. zu erhalten.

Das Wendische Seminar in Prag

1707 wurde erstmals die komplette Bibel durch den römisch-katholischen Geistlichen Jurij Hawštyn Swĕtlik (1650–1729) übersetzt, jedoch nicht ediert; 1709 wurde das niedersorbische neue Testament mit der finanzieller Unterstützung von Friedrich I. von Jan Bogumil Fabricius herausgegeben[1]; 1728 erschien eine erste protestantische Bibelübersetzung. Auf die Bibelübersetzung von Albin Moller und den Katechismus von Warichius folgten die Schriften des Michał Frencel (1628–1706), Pfarrer in Großpostwitz bei Bautzen, der den Dialekt, wie er in seiner Gemeinde gesprochen wurde, zur obersorbischen Schriftsprache machte und dafür auch ein sprachtypisches Alphabet schaffte. Sein Sohn Abraham Frencel (1656–1740) setzte sein Werk fort. 1716 wurde in Leipzig von sechs Oberlausitz-sorbischen Theologen ein „Wendisches Predigercollegium“ gegründete, das unter dem Namen „Sorabia“ bis zum Zweiten Weltkrieg wirkte, so dass über 1000 Pfarrer in der Lausitz und später ganz Sachsen wirken konnten. 1724 folgte die Gründung des katholischen Wendischen Seminars in Prag. Der Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. hatte zwischen 1717 und 1735 mehrere antisorbische Verordnungen erlassen und somit den Widerstand, als alltäglichen Kleinkrieg der Bauern hervorgerufen.[1]

Im Verlauf des 18. Jahrhunderts wurden in den meisten Kirchgemeinden der Niederlausitz die seit der Reformation abgehaltenen sorbischen Gottesdienste abgeschafft, obwohl die meisten betroffenen Gemeinden zu diesem Zeitpunkt fast ausschließlich einsprachig sorbisch waren.

Das 19. Jahrhundert

Im Anschluss an den Wiener Kongress 1815 wurde die Unterdrückung der sorbischen Sprache in der Niederlausitz, die nunmehr zu Preußen gehörte, weiter verschärft. Durch die auf dem Wiener Kongress vorgenommene territoriale Neugliederung Europas, bei der auch Teile des sorbischen Siedlungsgebietes betroffen waren (einige Gebiete wechselten vom toleranteren Königreich Sachsen zu Preußen) wurde die sorbische Bevölkerung in fast allen Kreisen in die Minderheit gedrängt.

Im Juni 1848 nahm eine sorbische Delegation am Slawenkongress in Prag teil. Hier wurde das auf den panslawistischen Farben basierende blau-rot-weiße Banner zur sorbischen Fahne erklärt.

Reichskanzler Otto von Bismarck leitete im preußischen Teil der Oberlausitz, wo es 1875 zu einem generellen Verbot der sorbischen Sprache in den Schulen kam und indirekt im Deutschen Reich ganz allgemein, eine Phase der antisorbischen Repression ein. 1888 verbot das preußische Kultusministerium den sorbischen Sprachunterricht am Gymnasium in Cottbus. Sorbische Intellektuelle reagierten auf diese Angriffe und versuchten den Widerstand gegen die eingeschlagene Sorbenpolitik zu erhöhen. Dennoch beschleunigte sich die Assimilation der Niederlausitzer Sorben unter dem erhöhten Druck der Obrigkeit gegen Ende des 19. Jahrhunderts erheblich.

Das 20. Jahrhundert

Im Jahre 1904 eröffnete das Wendische Haus (Serbski dom) in Bautzen seine Pforten. Am 12. Oktober 1912 wurde in Hoyerswerda der Dachverband der 31 sorbischen Vereine, die Domowina, gegründet. Sie fasste die nach 1848/49 entstandenen Bürger-, Bauern- und Bildungsvereine mit ihren rund 2.000 Mitgliedern zusammen und sollte das sorbische kulturelle Leben weiter festigen.

Die Weimarer Republik und Zeit des Nationalsozialismus

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges wurden Forderungen nach selbstständiger Verwaltung laut. Die Weimarer Verfassung legte im Artikel 113 lediglich fest, dass die „fremdsprachigen Volksteile des Reiches […] durch die Gesetzgebung und Verwaltung nicht in ihrer freien volkstümlichen Entwicklung, besonders nicht im Gebrauch ihrer Muttersprache beim Unterricht sowie bei der inneren Verwaltung und der Rechtspflege beeinträchtigt werden“ dürfen.

Im Jahre 1920 wurde die Wendische Volkspartei von Jan Skala gegründet, konnte im Parlament allerdings keine Mandate erringen. Sie setzte sich für die Ziele der sorbischen Nationalbewegung ein. Zusammen mit der Domowina und der wissenschaftlichen Vereinigung Maćica Serbska bildeten sie 1925 den Wendischen Volksrat. Auch in dem 1924 gegründeten Verband der nationalen Minderheiten Deutschlands arbeiteten die Sorben mit.

In den folgenden Jahren entstanden zahlreiche Vereinigungen, Genossenschaften und eine sorbische Volksbank. Die demokratischen Verhältnisse der Weimarer Republik boten den Sorben nun bessere Möglichkeiten, volkstümliche Aktivitäten zu entfalten. Hier leisteten, besonders in der Oberlausitz, die zahlreichen sorbischen Vereine breite Kultur- und Bildungsarbeit.

Nachdem die NSDAP zunächst versucht hatte, die Sorben in die neuen Strukturen einzugliedern und für ihre Ziele zu vereinnahmen, sowie die Domowina in den Bund Deutscher Osten einzugliedern, änderte sich die Politik, nachdem klar wurde, dass die sorbischen Organisationen unter dem Domowina-Vorsitzenden Pawoł Nedo sich dem widersetzten. Nach 1936 wurden sorbische Vereinigungen durch die Nationalsozialisten verboten. Die Lehrer und die Geistlichen wurden aus der Lausitz in weit entfernte Teile Deutschlands versetzt. Das Regime versuchte damit, das sorbische Volk zur Assimilation zu zwingen.

Im gleichen Zug wurde vor allem das Lausitzbild propagandistisch verändert, teils agrarromantisch („Lausitzbauern“), dann auch mit industriell-modernen Zügen unter Bezug auf die Braunkohle („Umbruch“).[6]

Unmittelbare Nachkriegszeit

Zwei Sorbinnen in Bautzen, 1950

Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm die Domowina nach ihrer Wiedergründung am 10. Mai 1945 in Crostwitz erneut ihre Arbeit auf, mit dem Ziel, die sorbische Identität in der Lausitz zu erhalten und zu beleben. Zunächst war sie nur in der Oberlausitz tätig, weil die Behörden und die SED-Bezirksleitung Cottbus ihr bis Mitte 1948 im Hinblick auf ihre teilweise separatistischen Bestrebungen jegliche Tätigkeit in der Niederlausitz verboten. Sorbische Aktivitäten wurden dort zunächst systematisch unterdrückt; nationalbewusste Sorben überwacht und in einigen Fällen vorübergehend in Haft genommen (z.B. Mina Witkojc). Der in Prag ansässige Sorbische Nationalausschuss (Łužisko-serbski narodny wuběrk) unter Führung von Pfarrer Jan Cyž und Jurij Cyž sah die Zukunft der Sorben zunächst tatsächlich in ihrer Anbindung an die Tschechoslowakei bzw. in staatlicher Unabhängigkeit und lehnte eine Zusammenarbeit mit deutschen Behörden grundsätzlich ab. Die Domowina setzte hingegen recht bald auf den Verbleib in einem deutschen Staatswesen und ordnete sich ab März 1946 der politischen Linie der KPD unter; im Herbst 1946 stimmte sie der Vereinigung von SPD und KPD zur SED und der Aufstellung einheitlicher Wahllisten zu.

Der Konflikt zwischen den beiden sich als Vertreter des sorbischen Volkes betrachtenden Organisationen führte im Dezember 1946 dazu, dass zum Allslawischen Kongress in Belgrad zwei sorbische Delegationen anreisten. Auch darüber hinaus standen die Sorben in den vier Jahren bis zur Gründung der DDR in regem Kontakt mit anderen slawischen Ländern, nicht nur mit Polen und der Tschechoslowakei. Auf der Schadźowanka 1946, einer regelmäßig stattfindenden Zusammenkunft sorbischer Studenten, lud ein Vertreter der jugoslawischen Militärmission die Brigaden der Sorbischen Jugend (Serbska młodźina) auf den Balkan ein. Jugoslawien war zu dieser Zeit der einzige verbliebene Staat, der die Forderungen der Sorben nach politischer Autonomie offen unterstützte. Die Jugendorganisation unter Führung von Jurij Brězan war zu diesem Zeitpunkt noch unabhängig und nicht in den Weltbund der Demokratischen Jugend eingebunden. Nach dem Bruch der Beziehungen zwischen Moskau und Belgrad fanden keine weiteren Besuche statt. Die Sorbische Jugend wurde im Dezember 1948 in die FDJ eingegliedert.

Die Flüchtlingsströme von vertriebenen Deutschen aus Schlesien, dem Sudetenland und anderen ehemals deutsch besiedelten Gebieten setzten das sorbische Siedlungsgebiet unter starken Druck. War Sachsen zunächst nur Durchgangsgebiet für Flüchtlinge, wurde es von der sowjetischen Administration im März 1946 zum Siedlungsgebiet erklärt. Laut einer Statistik der Domowina waren viele vormals sorbische Dörfer binnen kurzem zu mehr als 20, manche sogar zu mehr als 50 Prozent von deutschsprachigen Flüchtlingen bewohnt.[7] In der Folge wurden vor allem im evangelischen Teil des sorbischen Gebietes in zahlreichen Orten die sorbischen Gottesdienste durch deutsche ersetzt; Sorbisch wurde von der Alltags- zur Privatsprache. In den katholischen Gemeinden wurden die meisten Zugezogenen dagegen durch die Sorben assimiliert.

Im Mai 1947 wurde der Domowina von den sowjetischen Behörden die Einrichtung einer sorbischen Druckerei erlaubt; im Oktober wurde sie schließlich als alleinige Interessenvertreterin der Sorben anerkannt. Somit bewegte sich die sorbische Bewegung immer weiter auf die Linie der SED zu. Bei einem Treffen zwischen der Domowina-Führung unter Pawoł Nedo und den SED-Vorsitzenden Otto Grotewohl und Wilhelm Pieck wurden beinahe alle Vorschläge der Domowina, darunter die Schaffung einer Verwaltungseinheit Lausitz und die Anerkennung der Sorben als Volk, abgelehnt. Die Lausitz blieb weiterhin geteilt und den Sorben wurde lediglich der Status eines „Volksteils“ zuerkannt.

Am 23. März 1948 wurde vom Sächsischen Landtag das „Gesetz zur Wahrung der Rechte der sorbischen Bevölkerung“ verabschiedet, das erstmals den Anspruch der Sorben auf Förderung ihrer Sprache und Kultur festschrieb. 1950 wurde es durch Verordnung auch im Land Brandenburg eingeführt, nachdem die Domowina dort erst ein Jahr zuvor auf massiven Druck der sowjetischen Administration und der Berliner SED-Führung hin ihre Arbeit wieder hatte aufnehmen dürfen.

Die DDR-Zeit

In den frühen 50er Jahren wurde die Eingliederung der Sorben in den sozialistischen Staatsapparat weiter vorangetrieben. Der bisherige Domowina-Vorsitzende Nedo hatte sich der Hinwendung zum Marxismus-Leninismus zwar nicht offen in den Weg gestellt, aber immer wieder auch die nationalen Rechte des sorbischen Volkes angemahnt. Er wurde im Dezember 1950 durch Kurt Krjeńc, einen Altkommunisten, ersetzt, der die Domowina in den folgenden Jahren zu einer Satellitenorganisation der SED umbaute, deren Kernaufgabe nicht mehr der Erhalt und die Förderung sorbischer Kultur, sondern die Eingliederung der Sorben in den Sozialismus war. In der Geschichtsschreibung wurde besonders die Rolle der „sorbischen Werktätigen“ betont, jene anderer Gruppen, z.B. die der für die nationale Bewegung wichtigen Geistlichen und Kleinbürger, dagegen heruntergespielt. Dennoch blieb die sorbische Dachorganisation unter strenger Beobachtung durch das Ministerium für Staatssicherheit; es war die Rede von „nationalistischen und titoistischen Umtrieben“.[8] Persönlichkeiten wie Pawoł Nowotny (Leiter des Instituts für sorbische Volksforschung) und Pawoł Nedo, aber auch bekennende Kommunisten wie Jurij Brězan standen wegen möglicher „antistaatlicher Aktivitäten“ unter Überwachung. Bis in die 70er Jahre hinein wurden verschiedene sorbische Persönlichkeiten wegen ihres Protests gegen die Ausweitung der Tagebaue und den Bau von Großkraftwerken in der Lausitz oder gegen die Einrichtung von LPGs im sorbischen Gebiet, sowie später wegen verdächtiger Kontakte zur tschechoslowakischen Intelligenz überwacht und in Einzelfällen inhaftiert.

Eine Rolle spielten die Sorben auch im Prozess der Anerkennung der Deutschen Demokratischen Republik durch Jugoslawien in den fünfziger Jahren. Die DDR entsprach damals der Forderung Josip Broz Titos, in der einzurichtenden Botschaft in Belgrad einen bestimmten Prozentsatz an sorbischen Mitarbeitern zu beschäftigen. So wurde unter anderem ein Sorbe zum Chefdolmetscher der Botschaft ernannt. Kurze Zeit nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen am 15. Oktober 1957 später wurden diese allerdings aufgrund des Alleinvertretungsanspruches der BRD wieder abgebrochen[9].

Offiziell wurde das sorbische Volk in Artikel 40 der DDR-Verfassung von 1968 als nationale Minderheit anerkannt. Für die Berücksichtigung der sorbischen Interessen wurden in den jeweiligen DDR-Ministerien Abteilungen für die sorbischen Belange eingerichtet (z. B. Kultur und Innenpolitik) und staatliche wissenschaftliche Institutionen (Neu: Institut für sorbische Volksforschung; Wiedereinrichtung: Institut für Sorabistik an der Universität Leipzig) geschaffen. Um eine Gleichstellung der sorbischen Bevölkerung zu sichern, wurden verschiedene juristische Regelungen erlassen. So wurde der sorbische Schulunterricht und die zweisprachige Beschriftung von öffentlichen Einrichtungen und Straßenschildern im deutsch-sorbischen Gebiet eingeführt.

Trotzdem war die offizielle Politik gegenüber den Sorben weiter von ideologischer Bevormundung und Kontrolle geprägt, wenngleich eine gewisse Eigenständigkeit gewahrt bleiben konnte. Im Vergleich mit nationalen Minderheiten anderer Länder konnten sich hier die sorbische Kultur und die Wissenschaft in einer überdurchschnittlichen Breite entwickeln. Dennoch vollzog sich der Rückgang des Sorbischen als Alltagssprache so schnell wie selten zuvor. Dafür gab es neben der allgemeinen Tendenz zur Assimilation auch zahlreiche politische Gründe: Sowohl das zunächst ambitionierte Bildungsprogramm als auch die praktische Unterstützung der Zweisprachigkeit durch offizielle Stellen wurden bereits ab 1958 nach dem Rücktritt von Fred Oelßner schrittweise wieder zurückgenommen. An den neu eingerichteten A-Schulen (Schulen mit sorbischer Unterrichtssprache) wurden naturwissenschaftliche Fächer ab 1962 wieder auf Deutsch gelehrt; die Losung „Die Lausitz wird zweisprachig“ war bereits mit Fred Oelßner aus der Öffentlichkeit verschwunden. Auf Druck vor allem der zugezogenen Energiearbeiter wurde schließlich 1964 auch der sorbische Fremdsprachunterricht in den B-Schulen fakultativ. Lernten 1962 noch 12.800 Schüler Sorbisch, waren es Ende 1964 nur noch 3200, Ende der 60er Jahre sogar weniger als 3000. Die Schülerzahl in A-Schulen blieb dagegen nahezu konstant.[10]

Die Kollektivierung der Landwirtschaft zerstörte mit den traditionellen Familienhöfen den einzigen Wirtschaftszweig, in dem Sorbisch noch Alltagssprache war. Die Einrichtung von rein sorbischen LPG's wurde abgelehnt; in der Praxis wurden mehrheitlich sorbische Genossenschaften meist von Deutschen geleitet. Ebenso abgelehnt wurde die vorgeschlagene Einrichtung von sorbischen Brigaden in den Lausitzer Kohlekraftwerken. Über vorhandene Probleme zwischen Deutschen und Sorben konnte nicht offen diskutiert werden, da eine Kritik an der DDR-Nationalitätenpolitik und eine Thematisierung der Unterschiede zwischen staatlichem Ideal und der in langer Tradition wurzelnden latenten Sorbenfeindlichkeit nicht erwünscht war.[11][12]

Protest gegen den Ausbau des Tagebaus Bärwalde in Klitten, Januar 1990

Zudem erlitt die sorbische Kultur in der Zeit nach 1945 nachhaltige Schäden durch die kriegsbedingte Massenzuwanderung von deutschsprachigen Aussiedlern und später Facharbeitern, die Zerstörung weiter Gebiete durch den Braunkohletagebau, die Verstädterung sowie schließlich die angestrebte Entkirchlichung (die sorbische Identität wurde wesentlich über die religiöse Praxis gewahrt), der sich fast ausschließlich die katholischen Sorben zu widersetzen wussten.

Diese Rahmenbedingungen, denen sich die Domowina als Vertreterin der Sorben nicht entgegenstellen konnte, bei deren Durchsetzung sie allerdings auch eine aktive Rolle spielte, führten zu einem starken Rückgang der sorbischen Bevölkerung zwischen 1945 und 1990. Während die DDR offiziell immer von 100.000 Angehörigen des Volkes sprach, wies der Forscher Ernst Tschernik schon 1955 darauf hin, dass es vermutlich noch 80.000 Sorben gebe, mit stark sinkender Tendenz.[13] Sein Bericht durfte nie veröffentlicht werden. Schon kurz nach der Wiedervereinigung korrigierte man jedoch die Schätzungen auf 40.000-60.000. Es ist also davon auszugehen, dass sich die Zahl der Sorben während der DDR-Zeit halbiert hat.

Erst 1987 nahm die Domowina wieder Kontakt zu den sorbischen Geistlichen beider Konfessionen auf, nachdem ihr Erster Sekretär hatte zugeben müssen, dass etwa die Hälfte der Mitglieder Protestanten und 20 Prozent Katholiken sind. Die jahrzehntelange Periode, während der viele - vor allem gläubige - Sorben die „rote Domowina“ als „Verräterin der sorbischen Interessen“ betrachtet hatten, hinterließ jedoch Spuren in ihrer öffentlichen Wahrnehmung und führte nach der Wiedervereinigung zu einem massiven Mitgliederschwund.[14]

Nach der Wiedervereinigung

Neue politische Rahmenbedingungen ergaben sich mit dem Ende der DDR auch für die Sorben. Die Domowina sprach sich in einer Erklärung im März 1990 für die deutsche Einheit aus. Im gleichen Jahr eröffnete auch das Wendische Haus in Cottbus.

1991 konstituierte sich die Domowina nach demokratischen Prinzipien neu.

Als gemeinsames staatliches Instrument des Bundes und der beiden Bundesländer Brandenburg und Sachsen wurde die Stiftung für das sorbische Volk (Załožba za serbski lud) ebenfalls 1991 eingerichtet.

Nach der Jahrtausendwende kam es wiederholt zu Protestaktionen der sorbischen Bevölkerung, unter anderem gegen die Schließung der Sorbischen Mittelschule in Crostwitz (2001) oder die Kürzungspläne von Bundesregierung und brandenburgischer Landesregierung bei der Förderung der sorbischen Bildung, Kultur und Wissenschaft (2008). Im Jahr 2009 erregte ein Gutachten des Instituts für kulturelle Infrastruktur unter Leitung von Matthias Theodor Vogt die Gemüter, in dem eine teils radikale Umstrukturierung der sorbischen Institutionen, unter anderem auch die Schaffung eines sorbischen Parlaments, angeregt wurde.

Bis heute sind durch den Braunkohleabbau des Konzerns Vattenfall Europe Dörfer im sorbischen Siedlungsgebiet von Zwangsumsiedlung betroffen oder bedroht, so zum Beispiel Ortsteile von Schleife, einem sorbischen Ort mit eigenem Dialekt und Brauchtum.[15] Nach Plänen der brandenburgischen und sächsischen Landesregierung soll die Braunkohle auch weiterhin Vorrang genießen.[16]

Im Mai 2008 wurde mit Stanislaw Tillich zum ersten Mal ein Sorbe Regierungschef Sachsens. Am 30. August 2009 wurde er in den Landtagswahlen bestätigt.

Symbole der Sorben

Zeigen der Flagge beim Kongress der sorbischen Arbeitsbrigaden vom 19. bis 22. August 1948 in Uhyst (Spree)

Eine Flagge der Sorben wurde zuerst 1842 erwähnt. Nach dem Panslawischen Kongress, der 1848 in Prag stattfand, erhielt sie ihre heutige Farbgebung. Die Flagge der Sorben wurde von den Nationalsozialisten 1935 verboten, seit dem 17. Mai 1945 aber wieder offiziell von der Domowina verwendet.

In den Flaggengesetzen der Deutschen Demokratischen Republik wurde die Sorbenflagge nicht erwähnt, in Verordnungen der Räte der Bezirke Cottbus und Dresden wurde jedoch ihre Verwendung für besondere Anlässe und Feiertage reguliert.

Die sorbische Hymne ist das Lied „Rjana Łužica(„Schöne Lausitz“).

In der Verfassung des Freistaates Sachsen sowie im Sorben (Wenden)-Gesetz (SWG) des Landes Brandenburg ist heute geregelt, dass die sorbische Hymne und die sorbische Flagge gleichberechtigt neben staatlichen Symbolen geführt werden können.

siehe auch: Flaggen der nationalen Minderheiten in Deutschland

Rechtliche Grundlagen

Zweisprachige Straßenbezeichnung auf Deutsch und Niedersorbisch
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Zweisprachige Ladenbeschriftung auf Deutsch und Obersorbisch. Die obersorbische Beschriftung bedeutet: Backwaren – Fleisch und Wurst – Obst und Gemüse

Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag)

  1. Einigungsvertrag – Protokollnotiz (Nr. 14) zum Artikel 35: „Die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik erklären im Zusammenhang mit Artikel 35 des Vertrags:
    1. Das Bekenntnis zum sorbischen Volkstum und zur sorbischen Kultur ist frei.
    2. Die Bewahrung und Fortentwicklung der sorbischen Kultur und der sorbischen Traditionen werden gewährleistet.
    3. Angehörige des sorbischen Volkes und ihre Organisationen haben die Freiheit zur Pflege und zur Bewahrung der sorbischen Sprache im öffentlichen Leben.
    4. Die grundgesetzliche Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern bleibt unberührt.“
  2. Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 14. April 1993 zur Geltungsdauer der Protokollnotiz Nr. 14 zum Artikel 35 des Einigungsvertrages „Durch die Protokollerklärung zu Art. 35 des Einigungsvertrages (EV) werden – wie die dazugehörige Denkschrift formuliert – ‚die Rechte der Sorben im vereinten Deutschland unter Wahrung der Kompetenzen von Bund und Ländern gesichert‘. Diese Bestimmungen blieben nach Wirksamwerden des Beitritts geltendes Bundesrecht (Art. 45 Abs. 2 EV). In dem Vertragswerk ist ein späteres Außerkrafttreten oder eine Befristung der Geltungsdauer der Protokollerklärung nicht vorgesehen.“
  3. Einigungsvertrag – (Anlage I, Kapitel III, Sachgebiet A, Abschnitt III, Nr. 1 ) Anwendung der sorbischen Sprache vor Gericht (Gerichtsverfassungsgesetz) In der Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 zum Einigungsvertrag ist unter Buchstabe r) folgende Anpassungsvorschrift enthalten: „Das Recht der Sorben, in den Heimatkreisen der sorbischen Bevölkerung vor Gericht sorbisch zu sprechen, wird durch § 184 nicht berührt.“
  4. Mittlerweile lautet der § 184 des Gerichtsverfassungsgesetzes: „Die Gerichtssprache ist deutsch. Das Recht der Sorben, in den Heimatkreisen der sorbischen Bevölkerung vor Gericht sorbisch zu sprechen, ist gewährleistet.“ Die unter c) genannte Regelung in der Anlage zum Einigungsvertrag wurde daher für nicht mehr anwendbar erklärt.

Literatur

Sorbische Geschichte

  • Felix Biermann: Slawische Besiedlung zwischen Elbe, Neiße und Lubsza, Archäologische Studien zum Siedlungswesen und zur Sachkultur des frühen und hohen Mittelalters. Bonn 2000.
  • Sebastian Brather: Archäologie der westlichen Slawen. Siedlung, Wirtschaft und Gesellschaft im früh- und hochmittelalterlichen Ostmitteleuropa. Berlin u. a. 2001 (Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Band 30), ISBN 3-11-017061-2
  • Elisabeth Friebe: Die Sorbenpolitik in der DDR zwischen 1945–1957. Magisterarbeit, Universität Bremen, Bremen 2006. PDF-Datei (595 kB)
  • Karl-Markus Gauß: Die sterbenden Europäer. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2002, ISBN 978-3-423-30854-0
  • Joachim Henning: Archäologische Forschungen an Ringwällen in Niederungslage: die Niederlausitz als Burgenlandschaft des östlichen Mitteleuropa im frühen Mittelalter. In: J. Henning und A. T. Ruttkay (Hg.): Frühmittelalterlicher Burgenbau in Mittel- und Osteuropa. Bonn 1998, S. 9–29.
  • Joachim Henning: Der slawische Siedlungsraum und die ottonische Expansion östlich der Elbe: Ereignisgeschichte – Archäologie – Dendrochronologie. In: Ders. (Hg.): Europa im 10. Jahrhundert. Mainz 2002, S. 131–146.
  • Ulf Jacob: Sorben, Wenden, Spreewaldbauern. Ein problematischer Topos des Lausitzbildes im Dritten Reich, in: Lětopis, Jg. 52, 2005, H. 2, S. 3–26
  • Peter Kunze: Die Sorben/Wenden in der Niederlausitz. Domowina-Verlag, 2000. ISBN 3-7420-1668-7
  • Christian Lübke: Das östliche Europa. Die Deutschen und das europäische Mittelalter. Berlin 2004, ISBN 3-88680-760-6
  • Jasper von Richthofen: Die Landeskrone bei Görlitz – eine bedeutende slawische Befestigung in der östlichen Oberlausitz. In: Arbeits- und Forschungsberichte zur sächsischen Bodendenkmalpflege. Band 45, 2003, S. 263–300.
  • Jasper von Richthofen (Hg.): Besunzane – Milzener – Sorben. Die slawische Oberlausitz zwischen Polen, Deutschen und Tschechen. Schriftenreihe der Städt. Sammlungen für Geschichte und Kultur Görlitz N. F. Band 37, Görlitz, Zittau 2004.
  • Gertraud Eva Schrage: Die Oberlausitz bis zum Jahr 1346. In: Joachim Bahlke (Hg.): Geschichte der Oberlausitz. Leipzig 2001, S. 55–97.
  • Gertraud Eva Schrage: Bautzen und das Land Milsza in der Zeit um 1000. In: Jasper von Richthofen (Hg.): Besunzane – Milzner – Sorben. Die slawische Oberlausitz zwischen Polen, Deutschen und Tschechen. Görlitz, Zittau 2004, S. 32–41.
  • Alfried Wieczorek, Hans-Martin Hinz (Hg.): Europas Mitte um 1000. Stuttgart 2000, ISBN 3-8062-1545-6, ISBN 3-8062-1544-8.

Sorbische Dichtung (Beispiele)

Sorben im Film

Am 26. Oktober 2009 wurde im ZDF der Kriminalfilm Der Tote im Spreewald ausgestrahlt. Eine der Hauptfiguren ist der Sohn einer traditionsbewussten sorbischen Familie, der sich seinen kulturellen Wurzeln nicht verbunden fühlt. Mit dem Film wurde einem breiten Publikum die sorbische Kultur nähergebracht, wobei aber auch die Heimat und Minderheiten-Problematik reflektiert wird. [17] [18]

Sorben in der Literatur

  • Wilhelm Bölsche Die Mittagsgöttin 3 Bde., Roman, 1891
  • Neuausgabe in: Werke und Briefe. Wissenschaftliche Ausgabe / Die Mittagsgöttin: Ein Roman aus dem Geisteskampfe der Gegenwart - Textband: BD 2 427 Seiten Verlag: Weidler, Joachim 2005 ISBN 3896932365

Siehe auch

Portal: Lausitz – Übersicht zu Wikipedia-Inhalten zum Thema Lausitz
einschließlich der sorbischen Themen
Commons: Sorben – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Allgemein

Forschung

Medien

Einzelnachweise

  1. a b c d e Die Sorben/Wenden in der Niederlausitz, Domowina-Verlag 2000. ISBN 3-7420-1668-7
  2. Laut Volkszählung 1900, siehe Ernst Tschernik: Die Entwicklung der Sorbischen Bevölkerung. Akademie-Verlag Berlin, 1954, S. 34
  3. Martin Walde: Katholisches versus evangelisches Milieu bei den Sorben. In: Lětopis. Band 53, 2006, Heft 2, S. 15 ff., Ludowe nakładnistwo Domowina, Budyšin/Bautzen 2006
  4. Geschichte der Sorben/17.-18. Jahrhundert auf der Homepage des Wendischen Museums Cottbus
  5. a b Peter Kunze: Sorbische Reminiszenzen aus Forst und Umgebung. In: Lětopis. Band 53, 2006, Heft 1, S. 35 ff., Ludowe nakładnistwo Domowina, Budyšin/Bautzen 2006
  6. Als Analyse vgl. Ulf Jacob, Sorben, Wenden, Spreewaldbauern, 2005, S. 7 ff.
  7. „Sorbenstatistik 1946“, zusammengestellt durch die Domowina, in: Sorbisches Kulturarchiv im Sorbischen Institut Bautzen, MS/XVIII3
  8. „Nationalistische und titoistische Umtriebe unter den Sorben“, Memorandum von Erich Mielke, Direktive Nr. 4/51, 13. Dezember 1951, BStU, MfS GVS 42/51
  9. Bericht in „Wuhladko“, Sendung Nr. 100 vom 10. April 2010
  10. Peter Barker: „Sorbische Interessen, die DDR und der kalte Krieg (1945-1971)“, in: Lětopis 56 (2009) 2, S. 29-43, Ludowe nakładnistwo Domowina, Budyšin 2010
  11. Martin Walde: Katholisches versus evangelisches Milieu bei den Sorben. In: Lětopis. Band 53, 2006, Heft 2, S. 15 ff., Ludowe nakładnistwo Domowina, Budyšin/Bautzen 2006
  12. Peter Barker: Kirchenpolitik und ethnische Identität. In: Lětopis. Band 53, 2006, Heft 1, S. 52 ff., Ludowe nakładnistwo Domowina, Budyšin/Bautzen 2006
  13. Ernst Tschernik: „Die gegenwärtigen demographischen, volkskundlichen und sprachlichen Verhältnisse in der zweisprachigen sorbischen Lausitz“, Sorbisches Kulturarchiv XXXII, 22D
  14. Ludwig Elle: „Ideologie und Domowina in der DDR“, in: Lětopis 57 (2010) 1, S. 32-49, Ludowe nakładnistwo Domowina, Budyšin 2010
  15. www.umsiedler-schleife.de
  16. www.lausitzer-braunkohle.de
  17. Extrem Düster: "Der Tote im Spreewald"
  18. Vorlage:IMDb Titel

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