Hermann Neubacher

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist die aktuelle Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 17. April 2024 um 18:31 Uhr durch Hejkal (Diskussion | Beiträge) (SA-Mitglied ergänzt).
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Hermann Neubacher (1943)

Hermann Neubacher (* 24. Juni 1893 in Wels, Österreich-Ungarn; † 1. Juli 1960 in Wien) war ein österreichischer Wirtschaftsfachmann und Politiker der NSDAP. Von 13. März 1938 bis 14. Dezember 1940 war er Bürgermeister von Wien.

Hermann Neubacher war der Sohn eines sozialdemokratisch eingestellten Oberlehrers aus Pinsdorf. Er war Teilnehmer am Ersten Weltkrieg und hatte als k.u.k. Offizier eine kroatische Kompanie geführt. Im Jahr 1919 legte er an der damaligen Hochschule für Bodenkultur eine Dissertation zu einem forstwirtschaftlichen Thema vor. Seit seinem Studium war er Mitglied im Wiener Akademischen Turnverein. Neubacher war ab dem Jahre 1920 in der Holzindustrie tätig. Außerdem fungierte er in Wien als Generaldirektor der GESIBA (Gemeinnützige Siedlungs- und Baustoffanstalt), die maßgeblich am sozialen Wohnungsbau in Wien beteiligt war. Als Mitglied des „Österreichisch-Deutschen Volksbundes“ agitierte Neubacher zusammen mit seinem Kameraden aus der Deutschen Gemeinschaft Arthur Seyß-Inquart und anderen großdeutsch eingestellten Politikern für den „Anschluss Österreichs“ an Deutschland.

Als österreichische Nationalsozialisten mit dem Juliputsch vom 25. Juli 1934 den Versuch unternahmen, den austrofaschistischen Ständestaat zu beseitigen und dabei Bundeskanzler Engelbert Dollfuß ermordeten, tauchte die Partei unter; in dieser Phase der Illegalität übernahm zeitweilig Neubacher die Parteiführung in Österreich, wurde aber im Juni 1935 zusammen mit seinem innerparteilichen Widersacher Josef Leopold verhaftet. Beide wurden aufgrund des Juliabkommens von 1936 amnestiert, Neubacher war fortan „für die reichsdeutschen IG-Farben als Balkanexperte (unter Einschluss Österreichs) tätig.“[1]

Einen Tag nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich am 12. März 1938 löste Neubacher Richard Schmitz als Bürgermeister Wiens ab; für zwei Tage war der Vizebürgermeister Fritz Lahr geschäftsführend im Amt gewesen. Neubacher trat am 1. Mai 1938 der NSDAP bei (Mitgliedsnummer 6.123.637),[2] blieb Bürgermeister bis zum 14. Dezember 1940 und wurde 1941 Gesandter in Kroatien. Nach einer Ablösung durch Siegfried Kasche wechselte er anschließend als Abgesandter nach Bukarest und Athen. In der SA wurde er zum 30. Januar 1939 zum Gruppenführer befördert.[3]

Am 15. Oktober 1942 wurde er zum Sonderbeauftragten des Reiches für wirtschaftliche und finanzielle Fragen in Griechenland berufen, dem die monopolistische DEGRIGES direkt unterstand.[4] Zum Finanz- und Superminister über alle „produktiven Ressorts“ bestimmte er Hektor Tsironikos, von dem er sagte, dass dessen „Deutschfreundlichkeit über jeden Zweifel erhaben“ sei.[5]

Vom 24. August 1943 bis Kriegsende war Neubacher Sonderbevollmächtigter des Auswärtigen Amtes für den Südosten und dem Militärbefehlshaber Südost in Serbien gleichgestellt. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde er in Jugoslawien im Jahr 1951 zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt, jedoch bereits nach wenigen Monaten schwer krank entlassen. Von 1954 bis 1956 war er von der Regierung des Kaiserreichs Äthiopien als Berater und Verwaltungskommissar der Hauptstadt Addis Abeba eingesetzt. In dieser Zeit verfasste er ein Buch über Äthiopien, kehrte dann nach Österreich zurück und war vor allem als Bauunternehmer in Salzburg tätig.

Neubacher stand mit dem Wiener Werkbund in enger Beziehung. In einigen Publikationen wird angegeben, er wäre Werkbund-Präsident gewesen,[6][7] andernorts wird er als Werkbund-Berater bezeichnet.

Mit Josef Hoffmann verband Neubacher eine lebenslange Freundschaft.[8]

Sein Großneffe Marcus J. Carney versuchte im Dokumentarfilm Projekt Neubacher die Geschichte Neubachers sowie seiner Familie und deren Aufarbeitung nach dem Weltkrieg darzustellen und legte es auf die österreichische Nachkriegsgeneration um, der er den „morbus austriacus“ – die österreichische Krankheit – attestierte.[9]

  • Die forstliche Rente. Ein kritischer Beitrag zum Reinertragsproblem in der Forstwirtschaft. 1919, (Wien, Hochschule für Bodenkultur, Dissertation, 1919).
  • Kampf um Mitteleuropa. Verlag Deutsche Einheit, Wien 1932.
  • Sonderauftrag Südost. 1940–1945. Bericht eines fliegenden Diplomaten. Musterschmidt, Göttingen u. a. 1956.
  • Die Festung der Löwen. Äthiopien von Salomon bis zur Gegenwart. Walter-Verlag, Olten u. a. 1959.
  • Marcus J. Carney: The End of the Neubacher Project. Dokumentarfilm, Österreich, Niederlande, 2006, 74 Min.
  • Gerhard BotzNeubacher, Hermann Josef. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 19, Duncker & Humblot, Berlin 1999, ISBN 3-428-00200-8, S. 92 f. (Digitalisat).
  • Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (Hrsg.): „Anschluß“ 1938. Eine Dokumentation. Österreichischer Bundesverlag, Wien 1988.
  • Harry R. Ritter: Hermann Neubacher and the Austrian Anschluss Movement, 1918–40. In: Central European History. 8, Nr. 4 1975, S. 348–369.
  • Karl-Heinz Schlarp: Wirtschaft und Besatzung in Serbien. 1941–1944. Ein Beitrag zur nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik in Südosteuropa (= Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa. 25). Steiner-Verlag-Wiesbaden-GmbH, Stuttgart 1986, ISBN 3-515-04401-9 (Zugleich: Hamburg, Universität, Habilitations-Schrift, 1983).

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Wolfgang Rosar: Deutsche Gemeinschaft. Seyss-Inquart und der Anschluß. Europa-Verlag, Wien u. a. 1971, ISBN 3-203-50384-0, S. 105.
  2. Bundesarchiv R 9361-II/751772
  3. Beförderungen zum 30. Januar. In: Der Freiheitskampf vom 30. Januar 1939, S. 2.
  4. Maria Zarifi: Das deutsch-griechische Forschungsinstitut für Biologie in Piräus, 1942–1944. In: Susanne Heim (Hrsg.): Autarkie und Ostexpansion. Pflanzenzucht und Agrarforschung im Nationalsozialismus (= Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus. Bd. 2). Wallstein, Göttingen 2002, ISBN 3-89244-496-X, S. 206–233, hier S. 219, (teilweise abrufbar hier).
  5. Götz Aly: Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus. 5. Auflage. S. Fischer, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-10-000420-5, S. 289.
  6. Anton Holzer: Moderne - Weiße Häuser in Lainz. Abgerufen am 29. März 2022.
  7. Wiener Werkbundsiedlung. Verkauf und Vermietung der Wohnungen. Abgerufen am 29. März 2022.
  8. Paula Pfoser, ORF.at/Agenturen: Vom Löffel bis zur Villa: Josef Hoffmann erstmals komplett. 15. Dezember 2021, abgerufen am 29. März 2022.
  9. [1]
VorgängerAmtNachfolger
Richard SchmitzBürgermeister von Wien
19381940
Philipp Wilhelm Jung