Wohlgeboren und Hochwohlgeboren

Textdaten
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Autor: Friedrich Gerstäcker
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Titel: Wohlgeboren und Hochwohlgeboren
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 46, S. 736
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[736] Wohlgeboren und Hochwohlgeboren. Es giebt, wie sich gewiß nicht leugnen läßt, außerordentlich viel Unsinn in unseren lieben deutschen Landen, aber blühenderen kaum als in den beiden Wörtchen „Wohlgeboren“ und „Hochwohlgeboren“. Wenn es überhaupt möglich wäre, einem Indianer oder sonstigen Naturkind den Sinn der beiden Worte begreiflich zu machen (denn bei uns begreift ihn nicht einmal ein Professor), er würde sich todt darüber lachen, und doch schreiben sonst noch ganz vernünftige Menschen oben groß und breit auf die Adressen der Briefe, die sie abgeben und vielleicht selber sogar auf die Post tragen, „Sr. Wohlgeboren“ oder „Sr. Hochwohlgeboren“, je nachdem der Adressat das Unglück hat ein Bürgerlicher oder das Glück ein Adeliger zu sein, ja, das Bürgerthum schützt zuweilen nicht einmal vor dem Hoch. Und weshalb? Es ist einmal so Sitte – der oder jener, oder die oder jene würde es übelnehmen – das dürfte man ja gar nicht etc. etc.

„Es ist einmal so Sitte!“ Ei, zum Henker, es war auch früher einmal in den Städten Sitte, die Juden in besondere Straßen abzusperren und Nachts einzuschließen, und bei den Rittern, auf Landstraßen den Fuhrleuten aufzupassen. Das kam ebenfalls ab, weil es nicht mehr zeitgemäß war, aber das Wohlgeboren und Hochwohlgeboren blieb und amüsirt jetzt nur die europäischen Nachbarstaaten, die sich darüber, wie überhaupt über unsere tolle Titelwuth, lustig machen.

Ob Jemand „Wohlgeboren“ sei, kann nur die eigene Mutter wissen, und selbst die weiß nicht einmal, was ein Commerzienrath oder Commissionsrath, und noch viel weniger, was eine Commerzienräthin oder Commisionsräthin ist. Aber Spaß bei Seite; es wäre wahrlich an der Zeit, daß wir diesen Unsinn aufgäben, denn wenn mir Jemand sagt, der oder die nimmt es mir übel, wenn ich nicht so schreibe, so ist das nur eine Faxe mit der anderen verdeckt. Ich z. B, schreibe schon so lange, wie ich vernünftig denken kann, an keinen Menschen mehr Wohlgeboren oder Hochwohlgeboren (außerdem ich bin auf Jemanden wüthend und will doch die Grenzen der Höflichkeit nicht überschreiten), und wenn das Jemand übelnehmen sollte, so braucht uns auch wahrlich nichts an seiner Meinung zu liegen. Warum sollen wir überhaupt anders schreiben, als wir sprechen? und wie würde man über Jemanden lachen, der einen Anderen mit Euer Wohlgeboren anredete!

Ein eben solcher Mißbrauch wird mit dem Schluß eines Briefes getrieben, wo der „gehorsamste Diener“ eine hervorragende Stellung einnimmt. Wenn das ein wirklicher Diener an seinen Herrn schreibt, so habe ich nichts dagegen, wenn sich aber gleichstehende Leute also tituliren, so ist es weiter nichts, als eine einfache Lüge, zu der sich sonst vielleicht ganz ehrenwerthe Menschen, die nichts so sehr Verabscheuen als eine Lüge, aus alter Gewohnheit hinreißen lassen. – So seid doch ehrlich! Es giebt nichts Schrecklicheres als einen Brief mit obendran „Ew. Wohlgeboren“ und unten dem „gehorsamsten Diener“.

Ich weiß, daß Tausende, die diese Zeilen lesen, sich im Stillen sagen werden: „Ja, das ist wohl wahr.“ – Wenn es aber wahr ist, warum handelt Ihr nicht danach? denn ein solcher Mißbrauch ist nicht durch Gesetz oder Obrigkeit fortzuschaffen, er muß durch die gesunde Vernunft der Einzelnen besiegt und hinausgeworfen werden. Bleibt dann auch noch eine Partie guter, ehrlicher deutscher Staatsbürger zurück, die sich den Zopf unter keiner Bedingung wollen abschneiden lassen, gut, dann mögen Ihro Wohlgeboren dabei verharren, bis sie sich zuletzt vollkommen vereinzelt sehen – und nichts hassen derartige Leute mehr als das, denn sie wollen immer mit dem Strom schwimmen. Sie werden es deshalb endlich von selber lassen, und wir haben eine unserer größten Lächerlichkeiten aus der deutschen Sprache getilgt.

Meine dringende Bitte ergeht deshalb an alle vernünftigen Menschen in Deutschland, sich endlich einmal ein Herz zu fassen und diesen alten Mißbrauch abzuschaffen, mögen auch ein paar alte Damen oder ein paar Geheime Räthe die Stirn darüber runzeln. Sollte es aber wirklich nicht möglich sein, sollte es für unumgänglich nöthig erachtet werden, den verschiedenen Adressaten unverdrossen durch Wohlgeboren und Hochwohlgeboren das richtige Gefühl ihrer Würde beizubringen, so bitte ich wenigstens alle Solche, die mich mit einem Brief erfreuen wollen, um gänzliche Vernachlässigung solcher Form, denn wenn ich auch wirklich hoffe, daß ich wohl geboren bin, brauche ich es doch nicht auf jedem Brief zu lesen, da selbst das Interessanteste durch zu häufige Wiederholung langweilig wird.

Fr. Gerstäcker.