Verschiedene: Die Gartenlaube (1897) | |
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An Anerkennung, Sympathie und Liebe hat es einem so gearteten Dichter auch sonst im Leben nicht fehlen können. Es dürfte wenig hervorragende Zeitgenossen geben, die so viel echte Freunde zählen konnten wie er. In seiner Jugend schloß sich ein engerer Kreis gleichgestimmter Poeten wie Schults, Röber, Stelter, Karl Siebel, um ihn, die in der Woche gleich ihm hinter dem Kontortisch sitzen mußten, um dann beim perlenden Rheinwein im „Sonntagskränzchen“ den Musen zu huldigen. Bald weitete sich der Kreis; oft sah er sich umjubelt als Sprecher der Poeten des Rheinlands bei so manchem festlichen Anlaß, so mancher Denkmalsenthüllung. Der starke Trieb, seine Ideale praktisch zu bethätigen, führte ihn aber auch hinaus in die Welt. Er schloß sich der Bewegung zu gunsten von Berufsgenossenkassen, von Volksbildungsvereinen an und wurde einer der beliebtesten und begehrtesten Redner an den Vortragsabenden des Bundes der deutschen Kaufmännischen Vereine. Ueberall ward sein Erscheinen hochwillkommen geheißen, er war einer der seltenen Dichter, deren äußeres Wesen und ganze Erscheinung sich völlig mit der litterarischen Physiognomie ihres Schaffens deckte, dazu war er ein vorzüglicher Unterhalter voller Witz und Laune, tolerant und verträglich, im Erzählen von Anekdoten und Selbsterlebtem unerschöpflich – ein guter Kamerad! Wer ihn so noch vor wenigen Jahren gekannt hat, ohne ihn seitdem wiederzusehen, mußte durch seinen Tod schmerzlich überrascht werden. War er doch – am 3. April 1834 geboren – noch keine 63 Jahre alt. Und welche Kernnatur an Gesundheit schien er zu sein! Doch hat er an den Folgen einer Influenza schon seit mehreren Jahren gekränkelt; sie hat das Herzleiden vorbereitet, das nach dem Tod seiner Frau sich so verhängnisvoll entwickelte.
Nun trauern Tausende um ihn – unter den treuen Lesern der „Gartenlaube“ wird die Trauer ebenso allgemein wie innig sein. Bisweilen hat den Dichter die Sorge beschlichen, daß seine Dichtung, weil sie der Gegenwart so unmittelbar diente, sich die Zukunft verkümmert habe. Das trifft ja auf manche Augenblicksschöpfung, die auch nur für augenblickliche Wirkung bestimmt war, zu. Aber getrost! Die Liederernte seines reichen Lebens bewahrt einen vollen Strauß unverwelklicher Blüten. Und an ihnen wird sich weiter bewähren, was der Dichter vorm Jahre am Grabe seines Weibes als Vorsatz fürs Leben geäußert –
Wo sich die Kummerwolke drohend ballt,
Wird bringen er der Liebe Lenzgewalt –
Wo Trübsinn häuft die schweren Nebel dicht,
Wird bringen er des Frohsinns Sonnenlicht!
Der Traum vom Osterhasen.
(Zu dem Bilde S. 229.)
Der Himmel dunstig. Im Grase blüh’n
Maßliebchen und Veilchen herfür,
Die Bäume knospen mit jungem Grün,
Und Ostern steht vor der Thür.
Das zur Stadt frühmorgens ging.
Der Korb so schwer – jetzt ist er leer;
Und sie ist ein armes Ding.
Sie kauften die Eier ihr ab zum Fest,
Die Mutter packte den letzten Rest
In den Korb, nun sind sie all’.
Und sie hätte doch gern wie alle Welt
Ihre Eierchen blau und rot –
Und die Mutter braucht es zu Brot.
Und als sie kommt an den Wiesengrund,
Da setzt sie sich nieder und denkt;
Da schläft sie ein bei den Blumen bunt,
Auf einmal hebt sich’s am Lattenzaun,
Die langen Löffel gespitzt,
Und sechs blitzblanke Aeugelchen schau’n
Auf die Schläferin her verschmitzt.
Und näher hüpfen zwei
Und deuten: „Der dort ist der Osterhas!“
Und nicken vertraulich dabei.
„Die schönsten Eier in kurzer Frist
Und wie der mit Legen fertig ist,
Da kommt er und duckt sich zu ihr.
Er schmiegt sich an sie wie längst bekannt –
Nun sieht sie ihn ganz genau!
Voll Eierchen rot und blau.
Die packen sie einzeln Stück für Stück
In ihren Korb daher,
Sie zählt – ihr Herz schlägt hoch vor Glück –
Da ward das Mädchen vom Schlafe wach:
Die Glocken gingen bim baum –
Da schaute sie schnell im Korbe nach:
Das Ganze war nur ein Traum!
Kein andrer sieht ihn wie ich.
Wo giebt’s auf der weiten Erde noch
Ein Glückskind so wie mich!“
Victor Blüthgen.
Das Tagebuch.
Wie für den Jüngling im Alter zwischen dreizehn und fünfzehn Jahren die Cigarre ein mit allen gesetzlichen und ungesetzlichen Mitteln erstrebter Besitz ist, so sehnt sich der richtige Backfisch dieses Alters nach längeren Kleidern, nach der Anrede „Sie“ und – nach einem Tagebuch!
Er – der Backfisch! – pflegt dann plötzlich nicht mehr drei Tage ohne diesen Gegenstand leben zu können, zerschlägt alle alten Sparbüchsen, in denen aber erfahrungsgemäß nur einige „Heckpfennige“ ein beschauliches Dasein fristen, dreht die Taschen sämtlicher entwachsenen Sommer- und Winterkleider um, in der kühnen und vergeblichen Hoffnung, darin ungeahnte Reichtümer „vergessen“ zu haben, und schreitet schließlich zu Zwangsanleihen bei der Mutter, die mit der glaubhaften Versicherung: „Wenn du mir zehn Pfennig schenkst, lasse ich nie mehr etwas in meiner Stube herumliegen und wische täglich zweimal den Staub ab,“ betrügerisch verzinst werden.
Diesem Kapital entsprechend, beginnt der Tagebuch-Raptus gewöhnlich in allerbescheidenster Form. Er nimmt die Gestalt eines Notizbüchelchens in schwarzem Wachstaffet mit kariertem Papier von zweifelhafter oder unzweifelhafter Qualität an. Dieses erste Tagebuch wird, seiner Größe entsprechend, in der Tasche getragen, in der es mit der eiligst „in der Litteratur“ (das heißt: Litteraturstunde) hineingequetschten Buttersemmel und einem halben, rohen Kohlrabikopf verträglich und fettig bis nach Schulschluß haust und sich demzufolge nicht gerade verschönert.
Es wird auch gewöhnlich nicht voll geschrieben, sondern
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_228.jpg&oldid=- (Version vom 29.8.2024)