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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


welche mit den Kindern und einigen Hunden sehr vertraut zu sein schienen. Einige Hühner gackerten irgendwo in der Nähe und mehrere eingepferchte Ziegen begrüßten uns meckernd. Rinder sah ich nicht, vergaß auch zu fragen, ob dieselben überhaupt auf der Insel gehalten würden. Abseits weideten halbwilde Pferde und Esel; die letzteren namentlich waren so flink und schlau, daß jeder Vergleich mit unseren einheimischen Langohren für sie eine Beleidigung sein würde. Auf den Höhen zeigten sich hier und da wilde Ziegen; gleich den Gemsen schienen sie sehr wachsam zu sein, denn einige standen auf kahlen Graten und äugten in das Thal herab. Hoch über ihnen im Aetherblau kreisten mehrere Raubvögel, wilde Tauben schwärmten in Menge umher, ebenso gab es Strandvögel mancherlei Art und Größe.

Das Thal war mit hohem Grase und Kräutern bedeckt und wurde von mehreren winzigen Wasserläufen durchzogen, deren Ufer hier und da mit Gebüsch bestanden waren. Das letztere zog sich auch in dichten Massen an den Berglehnen aufwärts und ließ nur an einzelnen Stellen das nackte graue Gestein durchblicken. An einem Hügel hinter der Ansiedlung entdeckten wir die Reste einer Fortification, deren Geschütze die Bai vollständig beherrscht haben mußten; ebenso fanden sich in der Mitte der Bucht noch Spuren eines kleineren Erdwerkes, einer ehemaligen Wasserbatterie. Mehrere sehr alte und gänzlich verrostete Geschützrohre lagen halb vergraben umher; sie und einige Gräber und die ehemaligen Zellen der Deportierten waren die einzigen historischen Ueberreste im Thale.

Es geht eine Sage unter den Walfängern, daß auf dem Grunde der Bai große Reichthümer verborgen liegen, und wie die meisten derartigen Ueberlieferungen entbehrt sie nicht ganz der Begründung. Das englische Kriegsschiff „Speedwell“ nämlich hatte im Anfange des Jahres 1720 während einer Kreuzfahrt an den damals noch spanischen Küsten Südamerikas große Beute gemacht und ankerte Ende Mai in dieser Bai, um frisches Trinkwasser einzunehmen, wurde aber plötzlich von einem Sturme überfallen und ging mit allen seinen Schätzen zu Grunde. Die Mannschaft rettete sich größtentheils an das Land und baute mit den Trümmern ihres Schiffes und dem Holze, welches auf der Insel wuchs, unter Leitung ihres Capitains Shelviocke, ein neues Fahrzeug, und als dieses durch einen unglücklichen Zufall zerstört wurde, nochmals ein zweites kleineres Schiff. In diesem verließen die kühnen Männer im October die Insel und eroberten mit dem Muthe der Verzweiflung wenige Tage später eine große spanische Bark, mit welcher sie endlich nach vielen wunderbaren Leiden und Abenteuern einen sichern Hafen erreichten.

Schon ehe wir landeten, hatten wir in der Böschung eines kleinen Hügels die dunkeln Oeffnungen mehrerer Erdlöcher bemerkt und sie natürlich für die einstige Residenz Selkirk’s gehalten; doch hatten wir uns arg getäuscht, da es nur die sehr einfachen Keller der Ansiedler waren. Diese erzählten uns dagegen, daß es zwei Höhlen gebe, in welchen Robinson gelebt habe; die eine liege auf der Südseite der Insel gegenüber dem Eiland Santa Clara, die andere westwärts von Cumberland-Bai in einem kleinen Thale und an einer Bucht, „Englische Bai“ genannt. Die Entfernung letzterer sollte zu Wasser nicht groß sein und wir beschlossen, den bezeichneten Punkt mit unserem Boote aufzusuchen.

Nach einer angenehmen Fahrt im Schatten dunkler Klippen entlang und an grünen Schluchten vorüber, erreichten wir ein niedliches Thal, welches eng und traulich zwischen den Bergen lag. Wir landeten und eilten nach der nicht fern liegenden Höhle. Sie erschien trocken und wohnlich, in ihrer Form an einen Backofen erinnernd, ungefähr zwölf Fuß hoch, fünfzehn Fuß tief und zwanzig Fuß weit am Eingang. An den Wänden, welche mit Inschriften von früheren Besuchern versehen waren, hingen Spinneweben; von Robinson’s Aufenthalt aber fanden wir keine Spur.

Die Umgebung war wunderschön. Gras, Kräuter, bunte Blumen und dichtes Gebüsch wuchsen überall, ein kleiner geschwätziger Bach kam von einer bewaldeten Schlucht und durchrieselte das Thal der Länge nach. Vor uns lag das blaue Meer, hinter uns traten die Berge zusammen und die steilen Felsenwände mit ihrem grünen Schmuck gaben dem Ganzen eine reizende Abgeschlossenheit. Das Brausen des Oceans, welches nur dumpf und verworren zu uns drang, vermischte sich mit dem Murmeln des Baches, sonst störte nichts die feierliche Stille. Schweigend standen die altersgrauen Klippen, kein Echo hallte von ihnen wieder und nicht einmal der Schrei eines Vogels war zu hören. Und hier in dieser Einsamkeit hatte sich ein armer Verlassener lange Monate und Jahre hindurch nach dem süßen Laut einer Menschenstimme gesehnt, hier vielleicht war er verzweifelnd zusammengebrochen, wenn ein nahendes Schiff ihm Rettung zu bringen schien und diese Hoffnung ihn wieder und wieder betrog! Der Ort war wohl geeignet, die Phantasie anzuregen und auch Seeleute ernst zu stimmen; wir fühlten uns bald seltsam bang und beklommen und suchten schweigend unser Boot wieder auf. Die ziemlich weite Fahrt um die Insel zu vollenden und die auf der Südseite liegende Höhle zu besuchen gestattete leider die vorgerückte Zeit nicht.

Das Klima der Insel ist angenehm und gesund, Wasser ist überall vorhanden und fast jeden Morgen fallen Regenschauer. Die Myrthe wächst mit beispielloser Ueppigkeit und bildet ganze Wälder und undurchdringliches Gebüsch; viele Obstarten gedeihen vortrefflich und köstliche Erdbeeren giebt es im Ueberfluß. Schlangen und giftiges Gewürm kennt man nicht und nur eine Art Raubthiere, verwilderte Katzen, sollen sich in den Bergen aufhalten; der Beschreibung nach müßten sie fast so groß wie Panther sein. Einen Schädel oder ein Fell derselben konnte man uns leider nicht zeigen.

Cumberland-Bai bietet Schiffen guten Ankergrund, doch ist sie zu wenig geschlossen, darum hohem Seegang und allen nördlichen Winden ausgesetzt; daß diese nicht ohne Gefahr sind, beweist das Schicksal des „Speedwell“ und bewies uns ferner das Wrack eines Schooners, dessen Rippen am Strande faulten. Walfänger laufen die Insel gern an, zumal in der Nähe derselben sich häufig Wale zeigen. Den neuen Ansiedlern wird die Jagd dieser wertvollen Thiere einen vielleicht unerwarteten und bedeutenden Gewinn abwerfen. Der Reichthum des Meeres scheint überhaupt fast unerschöpflich zu sein, Robben sonnen sich am Gestade, Seekrebse hausen in Menge zwischen dem Gestein und Fische aller Art, von allen Größen und Farben drängen sich auf den Untiefen zusammen. Die von uns ausgesandten Boote waren in wenigen Stunden fast zur Hälfte mit den Bewohnern der Tiefe gefüllt. Eins derselben hatte im Nordosten der Insel Kabeljaus gefunden; bei dem bedeutenden Werthe, welchen diese als Stockfische für den Weltmarkt haben, dürfte den Deutschen, für welche Juan Fernandez jetzt eine Heimath geworden ist, sich leicht noch eine neue Quelle des Reichthums eröffnen. Ob die Chilenen um das Vorhandensein der Kabeljaus wußten, konnten wir nicht mehr erfahren, da wir schon wieder zu unserem Schiffe zurückgekehrt waren.

Bei anbrechendem Abend standen wir unter vollen Segeln nordwärts und verloren bald Cumberland-Bai aus dem Gesicht, während die Strahlen der Sonne noch die Gipfel der Berge beleuchteten, von welchen in Zukunft wohl kein Robinson mehr nach einem rettenden Fahrzeuge ausschauen wird.




Der Frauenliebling im Festgewande.


Als im denkwürdiger Jahre 1866 die Vorahnungen und Stürme des damaligen Entscheidungskampfes durch alle deutschen Gemüther brausten, fühlten sich zugleich Unzählige von einem milden Seelenstrahl berührt, der aus zwei hellen blauen Augen in alle finstere Sorge und bange Wirrniß dieser heißen Tage fiel. Ein liebliches Frauenbild, ein goldhaariges deutsches Mädchen hatte ein Wunder gewirkt und die zerstreuten Blicke einer wankenden, von leidenschaftlicher Gährung und blutigem Streit erfüllten Welt auf den schlichten und stillen Glanz ihrer anmuthvollen Erscheinung gelenkt. Wie eine frisch entfaltete Blüthe war das Bild aus dem idealen Lande der Dichtung gekommen, aber es ergriff mit allem bluterwärmenden Zauber einer holdseligen Wirklichkeit; es trug nicht die erhitzten Züge des politischen Tageskampfes, aber aus dem rosigen Antlitz und von der reinen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 803. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_803.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)