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verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


No. 44.   1871.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Das Haideprinzeßchen.

Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)


Schon während meiner Mittheilungen hatten zwei Lakaien geräuschlos einen vollständig arrangirten Theetisch in das Zimmer getragen, und eben, als mein letzter Ton verhallt war, trat ein Herr in schwarzem Frack ein. Er verbeugte sich tief, dann schnellte er empor und schlug mit unleugbarer Grazie applaudirend in die lederbekleideten Hände.

„Wundervoll, Hoheit! Bei Gott, magnifique!“ rief er mit Ekstase, indem er stürmisch, wenn auch mit völlig lautlosen Schritten auf die Prinzessin zukam. „Aber welche Grausamkeit gegen uns Alle, Hoheit!“ fügte er in vorwurfsvollem Tone hinzu und ließ die graciös geschwungenen Arme sinken – die ganze ältliche Erscheinung nahm die kindischen Mienen und Manieren eines schmollenden jungen Mädchens an. – „Seit Jahren bitten wir auf den Knieen um einen einzigen Ton aus dieser Nachtigallenkehle – vergebens! … Wie ein Dieb, ein unglückseliger Verbannter muß man draußen auf der Schwelle stehen, wenn man einmal wieder den langentbehrten Genuß haben will. … Wie, eine kranke, eine ruinirte Stimme soll das sein? Dieser Schmelz, diese Glockenfülle – Hoheit!“

Er schlug die Augen gen Himmel und berührte Daumen und Zeigefinger küssend mit den Lippen. … Ich war ganz bestürzt. Diese Menschenspecies war mir so völlig neu wie ein Bewohner von Otaheiti. Nur die ziemlich tiefe Stimme und zwei am Kinn sorgfältig gescheitelte Bartstreifen erregten mein Bedenken, sonst hätte ich d’rauf geschworen, es sei eine Hofdame im Frack.

„Mein bester Herr von Wismar,“ sagte die Prinzessin mit unterdrücktem Lachen, „in früheren Zeiten habe ich mich allerdings zuweilen der Sünde schuldig gemacht, mit einer sehr schwachen und sehr mittelmäßigen Singstimme meine Umgebung zu langweilen – daran sollten Sie mich doch ja nicht erinnern, ich habe es ja zu sühnen gesucht, indem ich bei Zeiten aufgehört. … Uebrigens sehe ich mit großer Befriedigung, daß meine musikalischen Missethaten glücklich vergessen sind, denn unser edler Kammerherr läßt meinen tiefen Alt frischweg zum glockenhellen Sopran, den armen Hänfling zur Nachtigall avanciren – Sidonie hat schön gesungen – ich niemals!“

Der „edle Kammerherr“ stand sehr verdutzt da. Das lange Gesicht war mir zu ergötzlich – ich kicherte in mich hinein, wie ich ja auch immer gethan hatte, wenn Heinz verblüfft vor einer ungeahnten Wendung stand.

Fräulein von Wildenspring hatte sich bei den letzten Worten der Prinzessin rasch erhoben. Sie warf einen bitterbösen Blick auf mein vergnügtes Gesicht und huschte hinter den Theetisch.

„Aber Hoheit, der Vergleich hinkt denn doch gar zu sehr!“ schmollte sie herüber, während sie sich mit der silbernen Theekanne zu schaffen machte. „Mag auch Herr von Wismar hinsichtlich der Stimmlage irren, wundervoll gesungen haben Hoheit doch – die Gräfin Fernau wird noch Feuer und Flamme, wenn sie darauf zu reden kommt!“

„O weh, ist das Ihr einziger Gewährsmann, Constanze?“ lachte die Prinzessin. „Die gute Fernau ist seit fünfundzwanzig Jahren stocktaub!“

„Aber Papa und Mama schwärmen ja auch noch,“ versetzte das Hoffräulein beharrlich, schlug aber doch die Augen nieder vor dem sarkastischen Gesichtsausdruck, mit welchem sie von ihrer Gebieterin gemustert wurde.

„Bitte, wenden Sie Ihre Augen und Complimente rechts, Herr von Wismar,“ sagte die Prinzessin und winkte mit der Hand nach mir hin – „da sitzt die Nachtigall.“

Der Herr fuhr herum. Er hatte mich bis dahin nicht gesehen, weil eine Gruppe riesiger Blattpflanzen meine kleine Person fast ganz verdeckte. Die Prinzessin nannte meinen Namen – ich erhob mich bei dem tiefen Bückling des Hofherrn, lachte ihm in’s Gesicht und machte einen Knix, so tief und gelungen, daß Charlotten das Herz im Leibe gelacht haben würde. Der Kobold des Muthwillens, der seit dem Tode meiner Großmutter in meiner Seele fest geschlafen hatte, regte sich wieder und gab mir die Leichtigkeit der Bewegungen zurück.

Herr von Wismar sagte mir flugs verschiedene Complimente, in denen das simple Gänseblümchen meines Vaters zur Rosenknospe, zum Elfenwesen erhoben wurde, und schalt auf „den lieben Doctor“, daß er bisher dem Hofe meine beglückende Gegenwart entzogen und mich allzu lange im Pensionat gelassen habe.

„In welchem Institut sind Sie denn erzogen, meine Gnädigste?“ fragte er schließlich.

„In einem Haidedorfe, Herr von Wismar!“ rief Fräulein von Wildenspring mit einem kinderunschuldigen Lächeln herüber.

Der Kammerherr stutzte; allein ein Blick auf das nach mir hinlächelnde Gesicht der Prinzessin gab ihm sein inneres Gleichgewicht zurück. „Ach, daher die köstliche Maifrische in dieser Stimme. … Die Landluft, ja, die Landluft! … Hoheit, das wäre eine Acquisition für unsere Hofconcerte! … So keusch, so völlig unberührt –“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1871, Seite 729. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_729.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)