Verschiedene: Die Gartenlaube (1871) | |
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tiefen Natursinn geschöpft, der ihr durch ein segensreiches Leben erhalten blieb und sich noch in der Wahl ihrer Grabstätte äußerte. Sie ward unsers Prinzen Gemahlin, die Mutter seiner Kinder, und ihr zu Liebe wohnte er ein Jahr im freundlichen Buchsweiler. Nach dem Beispiele all der kleinen Reichsfürsten an der Grenze Frankreichs nahm auch er französischen Militärdienst und machte als Oberst des Regiments Royal Allemand im österreichischen Erbfolgekrieg den Feldzug in Böhmen mit. Die Modesache katholisch zu werden, welche damals in fürstlichen Familien und besonders auch bei den Verwandten seiner Frau stark in Schwang war, machte er jedoch nicht mit. Ja, seine Charakterfestigkeit duldete ihn nicht länger in einem Verhältniß, das blos die Politik angerathen; so folgte er seiner Neigung, indem er, die französische Uniform ausziehend, unter die preußischen Fahnen trat und als Generalmajor mit seinem Regimente den ersten schlesischen Krieg mitfocht. Als ihn sein gut kaiserlich gesinnter Vater zurückberufen wollte, blieb er trotzdem in der Garnison Prenzlow, wo seine Gemahlin wohl bitter die rheinische Natur vermißte, aber im Verkehr mit dem großen Friedrich und dem geistreichen Prinzen Heinrich von Preußen Trost fand. Beim Ausbruch des siebenjährigen Krieges jedoch mußte der „Pirmasenzer“ dem bestimmten Befehle seines Vaters folgen und den preußischen Dienst verlassen. Denn Frankreich, der gefährliche Nachbar und Oberherr im Elsaß, stand auf Seiten der Kaiserin, und der alte Landgraf ward nachher, wie Goethe erzählt, von Kaiser Franz ja selbst an der Fichte zu Heusenstamm als „bester Freund“ begrüßt. Grollend fügte sich der Sohn, aber, ohne seinen Vater zu sehen, zog er sich mit seiner Familie nach Pirmasenz zurück, in den Schmollwinkel, den er nicht wieder verließ. Niemals, von da an, durch ein ganzes Leben hindurch, verweilte er auch nur eine Nacht in der Darmstädter Residenz, ein Umstand, dem man sehr geheimnißvolle Motive unterschob, wie wir später noch sehen werden.
Von Allem, was er im preußischen Dienste kennen gelernt hatte, machte ihm die Soldatenstadt Potsdam den imponirendsten Eindruck. Die Erinnerung daran ließ ihn nicht mehr ruhen, und während die preußischen Heere den siebenjährigen Krieg durchkämpften, schwebten dem Pirmasenzer immer nur die uniformirten Enakssöhne von Potsdam vor, die „langen Kerle“, welche unterm verstorbenen König aus allen Strichen der Windrose zusammen geworben oder gestohlen worden waren, die der alte Dessauer zu einer Riesengarde von Grenadieren abgedrillt hatte und die exact wie eine Maschine exercirten und marschirten. Der alte Dessauer und noch mehr der verstorbene Soldatenkönig Friedrich Wilhelm der Erste waren seine Ideale, die er möglichst zu erreichen strebte, – Potsdam, das aus einem ärmlichen Flecken im Sumpfe zum steinernen Soldatenlager geworden war, die Stadt nach seinem Sinne. Hatte Pirmasenz auch nicht den Ueberfluß an Wasser, wie seine märkische Schwester, so lag es doch nicht weniger ungünstig auf dem hohen Sandsteingerippe der Vogesen, und es lohnte sich ebenso wie dort, aus dem elenden Neste trotz der scheinbaren Unmöglichkeit etwas zu machen, das man ganz als seine eigene, der Ungunst der Natur abgerungene Schöpfung betrachten konnte.
Und der Pirmasenzer ging an’s Werk. Während seine Gemahlin, die Liebhaberei des Gatten beklagend, sich mit ihren Kindern wieder nach Buchsweiler zurückzog, begann er eifrigst zu werben, lange Kerle einfangen, drillen und zustutzen zu lassen, um sich eine Stadt von Grenadieren zu gründen. Kein Mittel, keine Kosten wurden gescheut, um die Colonie mit großen Leuten zu bevölkern und so im Wasgenwald wieder eine Race von Riesen heranzuziehen. Türken und Zigeuner und alle Volksstämme Europas trugen mit ihren wilden Schößlingen hierzu bei, bis zuletzt auf dem öden Rücken des Wasgaus eine ummauerte Stadt von neuntausend Einwohnern stand, in der Alles Soldat war. Den fünften Theil ihres Flächenraums nahm das weite Viereck des Exercirplatzes ein, von drei Seiten mit Casernen, auf der vierten durch Pappeln geschlossen, mit denen die Grenadiere an Wuchs und Steifigkeit wetteifern sollten. Das Exercirhaus, nach dem Petersburger das größte, ein wahres Ungethüm von einem Bau, ward im Winter durch vierundzwanzig Oefen geheizt und nahm dann ein ganzes Regiment manövrirender Grenadiere in seinem weiten Bauche auf. Auch sonst war Alles in der Stadt der Soldaten wegen da, die der Prinz wie ein Vater liebte, denen er viel Gutes that und auch durch gehörige Prügel natürliche Fürsorge bewies. Seine Grenadiere waren ihm wirklich an’s Herz gewachsen, und zu einer Zeit, wo so viele deutsche Fürsten, besonders seine Vettern zu Kassel, sich durch den Verkauf ihrer Truppen an die Engländer ein schmähliches Denkmal setzten, hielt der Pirmasenzer seine Soldaten mit ängstlicher Vorsicht in der strengbewachten Stadt unter väterlicher Obhut beisammen. Denn zu eigner Lust hatte er sich die enge Soldatenwelt geschaffen, in der er lebte und webte, und aus welcher weder er selbst, noch sonst ein Glied der wunderlichen Gemeinschaft wieder in nähere Verbindung mit der Welt draußen kommen sollte.
Schon beim Eintritt in die Stadt erinnern noch heute vor dem Landauer Thor zwei mit platzenden Bomben gekrönte Obelisken an die martialischen Schrullen des alten Pirmasenzers, wie der Landgraf bei seinen Zeitgenossen hieß. Sie wurden einem benachbarten Fürsten, dessen Besitzungen zum Theil hinter Pirmasenz lagen, zur abweisenden Warnung gesetzt, damit er sich nicht beigehen lasse, seinen Weg durch die Stadt zu nehmen. Noch lebhafter mahnt aber der außerordentlich weite Exercirplatz inmitten der sonst unregelmäßig gebauten Stadt an das kostspielige Soldatenspiel, das hier einmal geherrscht. Die großen Männergestalten, denen man begegnet, beweisen, daß die Grenadierrace noch nicht völlig degenerirt ist. Gilt doch noch heute in meiner Heimath für hochaufgeschossene Mädchen die Bezeichnung „lange Pirmasenzerin“, obgleich in jüngster Zeit die Riesinnen zu Pirmasenz etwas zusammengeschrumpft sein sollen. Uebrigens trägt auch die Kirche, in welcher der curiose Soldatenfürst 1790 begraben wurde, keinerlei religiöse Symbole, sondern über’m Portal kriegerische Trophäen, militärische Embleme: Fahnen, Trommeln, Bomben und Helme.
Um auf den „alten Pirmasenzer“ selbst wieder zurückzukommen, so überließ dieser wenig bekümmert um Das, was vor den Mauern seiner Soldatenstadt vorging, seiner trefflichen Gemahlin auch die Erziehung seiner Kinder. Um diese besser leiten zu können, war sie einige Jahre nach dem Hubertusburger Frieden von dem idyllischen Buchsweiler, das Goethe in Wahrheit und Dichtung so anziehend schildert, nach Darmstadt gezogen, wo bald darauf der alte Landgraf Ludwig der Achte im Opernhause verschied, während sein Sechsgespann von weißen Hirschen draußen wartete, um ihn nach dem Kranichstein zurückzubringen.
Landgraf war jetzt der „Pirmasenzer“. Man erwartete ihn zu Darmstadt, jedoch er konnte sich nicht von seinem lieben Soldatennest im Wasgau trennen. Da ergriff die Landgräfin Henriette mit weiser Umsicht und vorsichtiger Schonung der Eigenthümlichkeiten ihres heftigen Gemahls das Staatsruder und führte es mit demselben segensreichen Erfolge, wie die Erziehung und Versorgung ihrer Töchter. Die älteste war bereits vermählt, um die zweite warb, aus Verehrung für die Mutter, Preußens großer Friedrich für seinen Neffen und Thronfolger, die dritte ward dem nachmaligen Kaiser Paul von Rußland angetraut, und die vierte, zu Buchsweiler geborene Tochter Louise mit dem unvergeßlichen Karl August von Weimar verlobt. Dabei übte die große Landgräfin einen bedeutenden Einfluß auf die Entwicklung unserer classischen Literaturperiode, trat durch den bekannten Kriegsrath Merk mit Herder und Goethe in Verbindung und veranstaltete sogar die erste Ausgabe der gesammelten Oden und Hymnen Klopstock’s. Schon in Buchsweiler hatte sie den blinden Fabeldichter Pfeffel vielmal freundlich empfangen und hatte auf Wieland einen Eindruck gemacht, daß dieser wünschte, sie zur „Königin Europas“ machen zu können. Dabei veranlaßte sie die Aufhebung der Tortur, und vermochte ihren widerstrebenden Gemahl dazu, die Leitung des Staatswesens dem genialen Karl Friedrich v. Moser anzuvertrauen, der Ordnung in die zerrütteten Finanzen brachte.
Unterdeß stak der Landgraf, eingesperrt und abgesperrt mit seiner Soldatenfamilie, in dem selbstgebauten Neste auf der Wasgauhöhe, exercirte und manövrirte lustig drauf los, maß und setzte die Schnurrbärte regelrecht auf und freute sich seiner Flügelmänner, die aus den längsten Bengeln der Welt zu dem steifesten Grenadieren eingedrillt, eingeschnürt, eingeschmiert und eingehauen worden waren. Sein Grenadierregiment war jetzt dreitausend Mann stark geworden, und Tag und Nacht beschäftigte er sich mit der Sorge um dasselbe, so daß er gar nicht begriff, warum dennoch so mancher, dem er alles Gute gethan und nach Noten Prügel verordnet hatte, undankbar zu entwischen suchte. Gar manche Geschichte ist darüber noch im Umlauf, und es war
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 522. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_522.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)