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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


hintersten Hintergrund ein eleganter Damenflor garnirt, und einzelne vermessene Jünglinge hat der Enthusiasmus bis auf die Dachfirsten und Schornsteine emporgetrieben; auf dem Platze selbst aber möchte auch das winzigste Borsdorfer Aepfelchen Mühe gehabt haben, durch den dichten Menschenwall bis zur Erde hinab zu gelangen. Schon kommen die abholenden Hofequipagen angerollt, Zwei- und Viergespanne, offene Phaëtons und geschlossene Staatswagen; dabei wird in der ungeheuren Festbegrüßung Alles zum Motiv eines neuen Jubelausbruches und jede Kutsche mit schallendem Hurrah empfangen, wenn sie vor der Hand auch Niemanden bringt als den Rosselenker auf dem Bocke und die beiden Lakaien auf dem Trittbrette. Die schönen Goldbraunen vor dem Wagen, der jetzt in den Platz einbiegt, und den Mann darin mit dem tief in den Nacken hinunter geschobenen blanken Reiterhelm – die kennt ringsum Groß und Klein. „Bismarck! Bismarck hoch!“ erbraust es von tausend Stimmen, und wer von den Knaben auf den Bäumen und Zäunen sich solchen Luxus gestatten kann, der schwingt jauchzend seine Mütze. Noch cordialer und ausgelassener wird eine originelle Soldatenfigur begrüßt, die kurz darauf zu Pferde herantrottet, ein hochbetagter Herr in Kürassieruniform mit einem kleinen vertrockneten runzligen Gesichte, in dem ein fadenscheiniger, borstiger Schnurrbart sich wundersam in die Höhe stülpt. Es ist der absonderliche Gönner sowohl als Günstling sämmtlicher Berliner Straßenjugend männlichen und weiblichen Geschlechts, mit Einem Worte, der berühmte Sprachverderber und etwas minder berühmte Feldmarschall Wrangel. Der joviale Greis, welcher vor Monden schon seine Diamanthochzeit gefeiert, der unverwüstliche Sechsundachtziger, der als Freiwilliger mit in den Krieg zu ziehen begehrte, hat es sich wenigstens nicht nehmen lassen, „seinem“ Kaiser nach echter Ritterweise zu Roß in die Reichshauptstadt zu geleiten.

Und „als wollte das Meer noch ein Meer gebären“, so nimmt es kein Ende mit den zuströmenden Volksmassen, und der Pferde- und Wagen-, Jäger- und Lakaienknäuel erscheint unentwirrbar.

„Hören Sie?“ weckte mich mein kunstfertiger Begleiter aus den Betrachtungen, die ich über die möglichen Unglücksfälle anstellte, welche der morgige Polizeibericht gelegentlich des Kaisereinzugs zu melden haben würde.

Ich hörte vorerst nichts als ein dumpfes Grollen wie von fernem Donner, aber ich sah, wie in die bunte Gruppe der Officiellen am Empfangszelte plötzlich Leben und Bewegung kam, und das Durcheinander sich in Reih und Glied aufrollte. Der große, lang’ erwartete Moment nahte, das dumpfe Grollen ließ sich bald als lauter Hurrahruf unterscheiden, welcher sich draußen von Wächterhäuschen zu Wächterhäuschen wie an einer Telegraphenkette fortpflanzte, und schon begannen die Hochs betäubend in unserer Nähe zu erdröhnen, während in langsamen Stößen eine mit Fahnen und Guirlanden geschmückte Locomotive kam und hinter ihr die ebenso umkränzten Waggons erschienen.

„Der Kaiser! Der Kaiser!“ lief es längs der Schiene durch die Versammlung, und alle Hände legten sich an die Helme und Käppis und alle Hüte flogen von den Köpfen, und drüben aus den Fenstern der Straßen wehte ein weißer Wald von grüßenden Tüchern. Er war angelangt in seinem heimathlichen Berlin, „Wilhelm der Kaiser-König“, und da stand sie am Fenster des Salonwagens, die schöne Kriegergestalt mit dem weißen Barte, an der sich zu weiden selbst Johannes Scherr, der feste Republikaner, seinen Augen nicht wehren mag, und blickte mit freundlichem, doch ernstem Gesicht auf die huldigende Menge, die nicht müde wurde in ihrem Freudegeschrei. Und warum sollte er nicht ernst dreinschaun in einem solchen Momente? Welche Gefühle mußten die Brust des Greises bewegen, dem es beschieden war, am Spätabend seiner Tage das Werk zu krönen, zu welchem Friedrich Wilhelm von Brandenburg, der große Kurfürst, der einzige echtdeutsche Regent in einer der kläglichsten Perioden unseres Vaterlandes, mit starker Hand den Grund gelegt hatte! „Welche Wendung!“ mußte er sich wiederholen, wenn er jenen Sonntag seines Abschiedes mit der Stunde seiner heutigen Rückkehr verglich und der Ueberfülle von Glorie, aber auch der Ueberfülle von Opfern gedacht, welche dazwischen lagen. Hatte er nicht vollen Grund, mit ernstem Antlitz die Heimath wieder zu begrüßen?

Was nun vor und in dem Empfangssalon vorging, wie eine der Fürstlichkeiten nach der andern dem Waggon entstieg, wie der Kaiser von den heimgebliebenen Seinigen willkommen geheißen wurde, wie ihm zwei kleine Mädchen ein Paar Maiblumensträuße überreichten, wie er seine Enkel herzte, die Kinder des Kronprinzen, wie er mit feuchtem Auge die Wittwe seines Bruders umfing, wie er diesem und jenem hohen Officiere und Würdenträger gerührt die Hand drückte, wie er seinen Kanzler mit stummem Danke auf die Wange küßte – von alledem haben Zeichner und Berichterstatter mit eigenen Augen nichts geschaut. Sie brauchen indeß auch nichts davon zu schildern, die Zeitungen haben ja schon genug und übergenug davon erzählt. Wohl aber haben wir Beide gehört, wie der älteste der preußischen Generäle, Papa Wrangel, ein weitschallendes Hoch auf „dem“ deutschen Kaiser ausbrachte, welches nachher das geistige Haupt des neuen Reiches, der nunmehrige Fürst von Bismarck-Schönhausen, mit seiner bis in die fernsten Enden des Bahnhofes dringenden sonoren Stimme wiederholte und das ein schier endloses Echo weckte bis weit auf die Straßen und Canalufer hinaus.

Während alledem aber schritt eine hohe Gestalt, den Mantel fest um die Schultern gezogen, einsam zwischen den Schienen auf und ab, als ginge sie all der Jubel gar nichts an, und schaute so schlicht und harmlos drein, als sei nichts Erhebliches vorgefallen in den letzten großen Monaten. Und die stille Figur, der man ohne den Helm und die Soldatenhülle den Militär kaum angesehen haben würde, war doch der, welcher alle die beispiellosen Siege unserer deutschen Waffen erdacht und angebahnt hatte, – Graf Moltke, der erste Stratege der Neuzeit. Bezeichnend für Art und Sinn des großen Mannes, schien er den Ovationen und Ceremonien drin im Salon aus dem Wege gehen zu wollen.

Doch jetzt hinaus nach dem Platze. Wir kommen eben rechtzeitig, um dicht an der Rampe, wo der Kaiser den Wagen besteigen wird, noch ein enges Plätzchen zu finden. Der leichte, von zwei Rappen gezogene Phaëton, mit dem grünbebuschten Jäger auf dem Bocke neben dem wohlbeleibten Kutscher, saust heran, und im nächsten Augenblicke erscheint der Kaiser an der Thür des Salons, bleibt ein paar Minuten vor dem Wagen stehen, während hinter ihm der blonde Vollbart des Kronprinzen, der Großherzog von Baden, das glattrasirte Gesicht des Prinzen-Admirals, eine Rarität zwischen all den vielen Schnurrbärten, und eine unabsehbare Suite von Officieren und Adjutanten auftauchen, neigt sich grüßend nach allen Seiten auf die begeisterte Volksmenge hinab und nimmt dann neben der Kaiserin im offenen Wagen Platz. Und jetzt bricht von Neuem ein Hurrah los, das Mark und Bein erschüttert, Alles mit fortreißend, weil Jeder fühlt, daß der Jubel in der Größe des Moments seine vollgültige Berechtigung hat und dem innersten Drange des Herzens entquillt.

Soll ich nun beschreiben, wie Carosse um Carosse vorfährt; wie fast bei jeder sich neuer Vivatsturm erhebt; wie das Jauchzen, das Hüteschwenken, das Tücherwehen permanent zu werden drohen, als die wohlbekannten Goldbraunen und der in den Nacken gerückte Kürassierhelm auf dem Haupte des „populärsten Mannes in Europa“ abermals sichtbar werden? Nein – ich meine, des Festjubels ist genug: er hat ja längst in Deutschland seinen Widerhall gefunden; ganz Deutschland hat begriffen, daß der Einzug des ersten Kaisers aus dem Hause der Hohenzollern in die neue Reichshauptstadt in der Mark eine Epoche bezeichnet in der Weltgeschichte.

Welch eine Wendung seit dem Tage von Olmütz und der Schlacht von Bronzell! Möge sie Frieden bedeuten, Freiheit und nationalen Wohlstand!“

S.

Disciplin und Glaube haben gewiß nicht oft in besserer Harmonie gestanden, als bei jenem ostpreußischen Ulanen, von dem uns sein Rittmeister (Graf v. B.) Folgendes erzählte:

Ein polnischer Ort in Ostpreußen bekam einen neuen Gottesacker. Es war zur Typhuszeit, wo mancher Friedhof sich schnell füllte. Aber trotz der kirchlichen Weihe verweigerten sämmtliche Gemeindeglieder einstimmig die Benützung desselben, weil sie im alten Gottesacker seliger würden. Kein Zureden, weder geistliches noch obrigkeitliches, beugte die glaubensfesten Leute; die Leichen blieben unbeerdigt und häuften sich endlich in gefahrdrohender Weise. Man mußte zu strengeren Maßregeln schreiten, und ich erhielt den Befehl, mit meiner Schwadron den Ort zu besetzen und die Beerdigung im neuen Friedhof zu erzwingen. Unter meinen Ulanen war Einer aus dem Orte gebürtig. Ich nahm ihn vor und sagte ihm:

„Grawinsky, Euer Heimathsort ist rebellisch, Eure Bauern wollen sich nicht in dem neuen Gottesacker begraben lassen. Wir müssen hinreiten und sie dazu zwingen. Ich will nicht haben, daß Du gegen Deine Eltern und Geschwister und Freundschaft mit einhaust, wenn’s am Ende dazu kommen sollte. Du sollst Stallwacht haben.“

Er aber erwiderte: „Halten zu Gnaden, Herr Rittmeister, lassen der Herr Rittmeister mich mitreiten, werd’ auch einhauen auf’s Commando, aber eine Bitt’ hätt’ ich an den Herrn Rittmeister!“

„Und welche ist das?“

„Wenn’s das Unglück will, daß ich falle, so befehlen der Herr Rittmeister, daß ich im alten Gottesacker begraben werde.“


„In Eile“. (Mit Abbildung.) Wenn das auf einer Briefadresse steht, so läßt man sich’s gefallen; anders nimmt es sich aber aus, wenn es vor ein Frühstück gesetzt wird. Ein reitendes Jagdvergnügen kann vorkommen, aber – ein reitendes Frühstück ist nur einem Deutschen von Anno 70 möglich gewesen! Und so war es auch, und unser reitender Feldmaler H. Knackfuß ist es, der auch dazu seinen Beitrag als Theilnehmer geliefert und das Bildchen hergestellt hat, dessen Anblick uns das herzlichste „Prosit Mahlzeit!“ ausrufen läßt. „Quartiermachen,“ schreibt er dazu, „ist ein saures Geschäft, namentlich für Cavallerie, welche Eilmärsche macht. Da ist man häufig gezwungen, um allen Zeitverlust zu vermeiden, im schlanken Trabe die Packtaschen zu öffnen und den grimmigsten Forderungen des Magens Genüge zu thun.“ Der Humor scheint unter dem „Frühstück in Eile“ nicht zu leiden, der Verdauung hilft es gewiß trefflich auf, selbst den reitenden Schluck sehen wir mit deutscher Energie executirt – was ist da Besseres zu wünschen als

Glück auf, Ihr deutschen Reiter!
Es soll gesegnet sein
Euch Brod und Wurst und Wein!
So reitet keck und heiter
In Frankreich aus und ein!
Nie fehl’ es Euch an Brocken,
Nie sei der Mund Euch trocken!


Zeitungspresse. Die von Jacoby gegründete und von Guido Weiß mit großem Talent redigirte Berliner Zeitung „Die Zukunft“ hat mit Ende März aufgehört zu erscheinen. Es entsteht dadurch eine sehr bedauerliche Lücke in der Berliner Zeitungspresse. Für Laien in der Politik war allerdings die „Zukunft“ nicht geschrieben, auch wichen ihre Ansichten und Tendenzen sehr oft von dem bequem gemachten breiten Wege der Tagespolitik und des herkömmlichen Hurrahgeschreis ab und führten zu Consequenzen, die in gewissen Kreisen sehr unangenehm berührten. Was aber Schärfe des Urtheils, Unerschrockenheit und Entschiedenheit der Gesinnung, bündige und schlagende Kürze des Ausdrucks und Eleganz der Form anlangt, so war sie als musterhaft zu bezeichnen. Jedenfalls ist Guido Weiß, auch wenn man nicht in allen Stücken seinen Ansichten folgen konnte, als einer der talentvollsten und respectabelsten Publicisten der Jetztzeit anzuerkennen, eine Feder, deren haarscharfe schneidige Lapidarschrift bei dem nun beginnenden Kampf um das freiheitliche Deutschland trotz des Eingehens seiner Zeitung hoffentlich nicht fehlen wird.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 276. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_276.jpg&oldid=- (Version vom 1.10.2017)