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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


hätten und daß uns nunmehr das Leben geschenkt sei. Die Audienz war in einer Minute abgemacht. Mag Garibaldi auch von allen meinen Landsleuten ein Narr gescholten werden, dieser wenigstens war ein offener, freundlicher und ehrlicher Mann und ein gutes Herz hat er auch. Wie viele Heerführer in seiner Lage hätten noch nach drei bis vier Tagen der zwei armseligen Gefangenen gedacht, die er mit dem Tode bedroht hatte und von denen er glaubte, sie seien besorgt um ihr elendes Leben? Diese Sorge wollte er uns nehmen, denn nicht anders konnte ich mir unsere Rückbeförderung erklären. – Mit dem nächsten Zuge wurden wir nach Vannes zurückgeschafft und andern Tages waren wir am Ziele unserer Reise. In Lorient verließen wir die Eisenbahn und traten unseren Marsch nach dem Hafen durch die Stadt an. Steinwürfe, faule Eier und alter mögliche Unrath flogen uns in üblicher Weise um die Köpfe. Die Rufe: „da kommen die Kindermörder!“ „schlagt sie todt, die preußischen Hunde!“ wollten gar kein Ende nehmen, doch in Gesellschaft von vierundfünfzig Mann tragen sich solche Angriffe schon leichter, als wenn sie auf den Schultern von zwei Personen ruhen, und so trat ich mit einem Anflug von Behagen auf das Schiff, das uns in zwanzig Minuten quer über den Hafen nach Fort Louis und aus dem Bereiche der Tollhäusler brachte.

Fort Louis öffnete uns seine ungastlichen Räume; aber o Wonne! die Kette fiel und ich und mein Gefährte waren wieder unabhängige Herren unserer Körper, wenngleich mein linker und sein rechter Arm uns für lange Zeit noch die Dienste versagten. Es wurde uns Quartier angewiesen auf dem Boden eines Speichers, der sein spärliches Licht durch eine schmale Ritze im Dache empfing. Von Tischen, Bänken und sonstigen bei civilisirten Völkern eingeführten Luxusbedürfnissen bot sich unseren umherspähenden Augen keine Spur. Wir glaubten anfänglich uns über den gänzlichen Mangel der nothwendigsten Utensilien zu täuschen; aber als sich auch unsere Augen allmählich an die Dunkelheit gewöhnt hatten und die tastende Hand auch im fernen Winkel nichts finden konnte, sank uns der Muth gar sehr. Essen bekamen wir nicht, es war so schon sechs Uhr Abends; aber Trinkwasser wenigstens konnten uns unsere Peiniger nicht entziehen. Es war eine böse Nacht, die über uns hereinbrach. Müde, zerschlagen, hungrig, vor Frost klappernd, ohne Stroh, ohne Decke, ohne Erhöhung unter dem Kopfe, so lagen wir nebeneinander, das Vieh in den Ställen um seine Bequemlichkeit beneidend. Andern Tages wurde uns um zehn Uhr Vormittags eine Schüssel mit Reis in Wasser gekocht, Nachmittags ebenfalls dies Gericht mit drei Loth Fleisch pro Mann gegeben und zwar allemal für zehn Mann in Einer Schüssel. Dies Gefäß setzte unser Wächter auf die Diele; wir knieten herum und sättigten uns mit Hülfe von Löffeln, die wir von unserer Löhnung bezahlen mußten. Auch empfingen wir drei Pfund Stroh pro Kopf, um uns daraus ein Lager zu bereiten, gerade so viel, um den Mangel an Stroh erst recht fühlbar werden zu lassen. Und dies Stroh wurde nur einmal in viertehalb Monaten erneuert! Ich glaube, daß diese Sparsamkeit eine raffinirte Grausamkeit der Regierung gewesen ist.

War es ein Wunder, daß sich bald ungebetene Gäste einstellten, deren wir bei der Unmöglichkeit, uns gründlich reinigen zu können, nicht Herr werden und vor deren Angriffen wir zuletzt Tag und Nacht nicht Ruhe finden konnten?

In meinem Elende habe ich viel gelitten, nicht am wenigsten dadurch, daß es den französischen Weibern bei strenger Strafe verboten worden war, für uns zu waschen. In Fort Louis fanden wir ungefähr hundert deutsche Schiffer vor, die mit Frau und Kind gefangen waren, und allmählich stieg die Zahl unserer Leidensgefährten auf fünfhundertsechszig. Unter ihnen befand sich auch der Sergeant Frankenfeld vom dreizehnten Husarenregiment, der bei Ablis gefangen worden war. Dem armen Manne hatte man die Kinnlade am Oberkiefer abgerissen und ihn an seinem Backenbarte so lange geschleift, bis das Fleisch von den Knochen abgerissen war. Er litt entsetzliche Schmerzen. In den ersten Tagen unserer Gefangenschaft durften wir keinen Schritt vor die Thür thun. Bajonnete drängten uns zurück; später erlaubte man uns, innerhalb der Citadelle umherzugehen, und endlich erhielten wir Erlaubniß, zwei Stunden täglich am Strande zu promeniren, auch die dicht bei der Citadelle liegende kleine Stadt Fort Louis zu besuchen, natürlich mit angemessenem militärischen Gefolge. Am Strande brachte ich meine schönste Zeit zu. Ich konnte mich nach Möglichkeit waschen und reinigen, suchte Muscheln, die ich Euch als Andenken mitbringen wollte, und einige Male war ich so glücklich, während der Ebbe mich an selbstgebrochenen handgroßen Austern laben zu können. Einförmig löste ein Tag den andern ab, Nachrichten drangen spärlich zu uns, Briefe aus der Heimath selten und alle vorsichtig abgefaßt. Nur einmal wurde unsere Stille durch einen überlauten Jubel unterbrochen, der aus Lorient zu uns herüberdrang. Es war dort die Kunde von Bourbaki’s glänzenden Erfolgen bekannt geworden; ja die Klügsten wollten sogar wissen, er stände bereits mit fünfundzwanzigtausend Mann vor Berlin. Wir lachten im Stillen über die unvergleichliche Leichtgläubigkeit der Franzosen, und nicht Einer war unter uns, der nicht gegen diese Nachricht sein Leben gewettet hätte.

Ein Sonnenstrahl fiel in unsere freudeleeren Zustände, als uns der englische und amerikanische Consul ihren Besuch machten und uns Wäsche, Stiefeln und Decken, Bedürfnisse, die für uns die dringendsten waren, schenken. Sie wünschten auch unsere Wohnungen in Augenschein nehmen zu dürfen, diese Bitte wurde ihnen aber vom Commandanten mit der Bemerkung abgeschlagen, wenn sie uns sehen und sprechen wollten, würden wir herunter geholt werden. Und so geschah es auch, aber die drei Pfund Stroh blieben nach wie vor und von Bänken und Stühlen, Waschdecken und Zubehör erzählten wir uns nur noch wie von einer Sage. Die Langeweile nahm überhand. Wir wurden vom Commandanten aufgefordert, beim Wegebau Hand anzulegen. Gern hätten wir die Zeit mit Karre und Schippe todtgeschlagen, aber wir wurden auch störrisch und weigerten uns entschieden, da wir als Kriegsgefangene zur Arbeit nicht verpflichtet zu sein glaubten. Darauf wurden fünfundsiebenzig der Unsrigen eingesteckt. Entsetzlicher Scandal, Ruf nach dem Commandanten, der auch endlich erschien, immer enger werdende Umzingelung desselben und endlich Freilassung der Arrestanten. Mit wahrer Freude und mit Stolz gedenke ich hier eines Landsmanns, des Marketenders Lehnik aus Königsberg i. Pr., der mit größter Unerschrockenheit dem Commandanten zu Leibe ging und ihn zwang, sich unserem Willen zu fügen. Ich komme später noch einmal auf diesen Mann zurück.

War es bei unserer jammervollen Verpflegung ein Wunder, daß Krankheiten ausbrachen? Viele meiner guten Cameraden werden ihre Heimath nicht wiedersehen, sie deckt französische Erde. Begraben haben wir unsere Todten selbst, man wies uns für sie einen Platz an und überließ es uns, wann und wie wir sie bestatten wollten. Von Begleitung eines Geistlichen oder Erweisung militärischer Ehren war niemals die Rede. Einmal besuchten wir die katholische Kirche in Fort Louis, kurz nach der Zeit, als sich die Einnahme von Berlin nicht bestätigt hatte. Als wir nach beendetem Gottesdienst in’s Freie traten, hatte sich vor der Kirche ein zahlreicher Pöbel versammelt in der menschenfreundlichen Absicht, uns todtzuschlagen. Nur dem energischen Dazwischentreten der uns begleitenden Gensd’armen, die uns in die Kirche zurückdrängten, hatten wir die Rettung unseres Lebens zu verdanken. Festtage waren es für uns, wenn Briefe aus der Heimath kamen.

Viele meiner Cameraden haben weder Geld noch Briefe erhalten, anderen sind Briefe zugekommen, aus denen das Geld verschwunden war. Auf ihre Beschwerden bei der Regierung in Tours erhielten sie die beruhigende Versicherung, daß in Frankreich nicht gestohlen würde. Für diesen herrlichen Trost konnten sie sich aber nichts kaufen und nach wie vor fuhren wir fort, zu theilen, so lange noch etwas zu theilen da war.

Unsere Peiniger wurden allmählich unruhiger und höflicher. Es mußte etwas in der Luft liegen, und bald erfuhren wir denn auch, daß uns unsere Landsleute näher rückten und bereits bei Le Mans ständen. Große Freude und der Beschluß, auszubrechen und uns durchzuschlagen. Die fünfzig Mann Besatzung würden uns ein Kinderspiel gewesen sein, und einmal erst in Freiheit, hätten wir uns Alle lieber todtschlagen als noch einmal zurückbringen lassen. Aber wie bestimmte Nachricht einziehen? Da half unser Marketender wieder aus. Er hatte als Civilist größere Freiheit als wir und war der richtige Mann, uns als Kundschafter zu dienen.

Nach einigen Tagen schon brachte er uns die Nachricht zurück, wir hätten etwa sechszehn Meilen zu marschiren und würden dann auf deutsche Vorposten stoßen, die er bereits gesehen und gesprochen haben wollte. Unser Plan wurde nun in sorgfältige Erwägung gezogen, ehe er aber zur Reife gedieh, erhielten wir eines Morgens Befehl,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 250. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_250.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)