verschiedene: Die Gartenlaube (1871) | |
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derartige Gebiete regelmäßig bewohnten und belebten? Wo sind auch sie hingekommen, die laufenden, schleichenden und lauernden Räuber, die Ure, Wiesents, Elche, Hirsche, welche damals dem zünftigen Waidmann noch vor das Rohr kamen? Wohl wandert vom Süden her ein hübscher Singvogel, der Girlitz, langsam ein in diese Ebene, wohl verbreitet sich mit den Landstraßen die Haubenlerche über Strecken, in welchen sie früher fehlte, wohl hat sich auch eine hochnordische Drossel, der Krammetsvogel, bei uns seßhaft gemacht: sie aber und die wenigen anderen, welche seit einem Menschenalter und darüber bei uns erschienen sind, können jene doch unmöglich ersetzen.
Zu denjenigen Säugethieren, welche durch die mit immer steigender Sorgfalt gehandhabte Ausnutzung des Bodens verdrängt und fast ausgerottet wurden, gehört auch ein dem Namen nach allbekannter, in seinem Treiben und Wesen jedoch noch sehr wenig erforschter Marder, in beschränktem Sinne ein Mittelglied zwischen Iltis und Fischotter, der Nörz oder Nerz, Fisch- oder Krebsotter, Wasserwiesel, Menk oder Wassermenk (Vison lutresola). Bekannt ist dieses Thier deshalb, weil laut Heinrich Lomer noch alljährlich im europäischen Rußland fünfundzwanzigtausend Felle im Gesammtwerthe von sechszigtausend Thalern, von seinem Verwandten im nördlichen Amerika, dem Mink (V. americanus), dagegen zweihunderttausend Felle im Gesammtwerthe von sechshundertvierzigtausend Thalern erbeutet und auf den Markt gebracht werden zur Freude Aller, welche schönhaariges, leichtes und doch wärmendes Pelzwerk lieben. In den mit großer Sorgfalt geführten Verzeichnissen und Listen des vorher genannten Rauchwaarengroßhändlers wird der Nörz nur noch für die beiden angegebenen Gegenden erwähnt, unser nördliches Deutschland dagegen gänzlich unerwähnt gelassen, und in der That, die wenigen Nörzfelle, welche von hier aus auf den Markt kommen, sind kaum der Erwähnung werth. Doch ist die Befürchtung der Jäger und Naturforscher, daß das theilnahmswerthe Thier bereits gänzlich ausgerottet sei, glücklicherweise noch unbegründet: der Nörz gehört noch heutigen Tages zu den deutschen Säugethieren, wird noch heutigen Tages in einzelnen Stücken gefangen und mag uns noch einige Jahrzehnte erhalten bleiben.
Letztere Behauptung und Versicherung hörte ich vor einigen Jahren zu meiner größten Verwunderung von zwei kundigen Leuten aussprechen, und bald darauf sandte mir der eine, Förster Claudius zu Behlendorf im Lauenburgischen, einen Nörz im Balge und Fleische zur Bekräftigung seiner Versicherung ein. Selbstverständlich erwachte in mir der Sammelgeist wie selten vorher; doch handelte es sich für mich nicht um Felle, sondern in erster Reihe um das lebende Thier selbst, in zweiter um Sammlung aller glaubwürdigen Nachrichten, welcher über Aufenthalt, Lebensweise und Gebühren zu erlangen sein möchten. Und so erfuhr ich denn, daß der Nörz in mehreren Brüchen und an mehreren Seen Mecklenburgs, Lauenburgs und Holsteins, überall zwar selten, aber doch noch regelmäßig vorkommt und alljährlich gefangen wird, in dem einen Jahre in größerer, in dem andern in geringerer Anzahl. Zu diesen Gewässern gehört vor Allem der Schweriner See und der etwa zwei Meilen lange Abfluß des Ratzeburgsees in die Trave bei Lübeck, die Wakenitz genannt. Letztere dürfte, laut Claudius, als diejenige Deutlichkeit zu bezeichnen sein, welche, so lange die Verhältnisse sich nicht ändern, noch einige Aussicht auf Erhaltung des Thieres zu bieten scheint. Es ist ein fast durchgängig von flachen Ufern begrenzter Wasserlauf ohne merkbaren Strom, da der Wasserspiegel unweit der Stadt Lübeck, welche aus der Wakenitz zum größten Theil ihren Wasserbedarf bezieht, künstlich aufgestaut wird. In Folge dessen sind die Ufer auf große Strecken gänzlich versumpft, mit Schilf und Erlenstöcken bestanden und, so sehr auch wirtschaftliche und gesundheitliche Rücksichten dafür sprechen würden, Verengerung der Ufer oder Trockenlegung derselben aus dem angegebenen Grunde unmöglich gemacht.
„Daß der Nörz hier vorkommt,“ schreibt mir Claudius, „erfuhr ich durch einen meiner Forstarbeiter, welcher hier mehrere Jahre als Fischerknecht gedient und seiner Zeit der Sumpf- oder Fischotterjagd obgelegen hatte. Durch seine Hülfe wurde es mir bald möglich, an Ort und Stelle mich durch eigenen Augenschein von der Richtigkeit seiner Angaben zu überzeugen und mir etwaige Gefangene zu sichern. Wie günstig die Oertlichkeit für das Thier hier ist, wurde mir auf den ersten Blick klar; der Nörz genießt hier während des größten Theiles vom Jahre die ungestörteste Ruhe, und selbst der Winter, welcher ihm am meisten gefährlich wird, tritt oft so milde auf, daß die Fischer, welche längs der Ufer in einzeln liegenden Gehöften wohnen, große Strecken des Bruches gar nicht betreten können. Dazu kommt, daß das immer nur vereinzelt auftretende Thier nur dann die Beachtung der Umwohner erregt, wenn es durch wiederholte Mausereien lästig fällt. Die gefangenem Fische werden hier nicht in geschlossenen Hältern, sondern in offenen Weidenkörben auf kleinen, zum Theil künstlich angelegten Inselchen in der Nähe der Wohnungen aufbewahrt. Eine so leicht zu erlangende Beute verschmäht der Nörz natürlich nicht, und wenn man ihm auch wohl den einen oder andern Fisch gönnen möchte, so kann man ihm doch den Schaden nicht verzeihen, welchen er dadurch verursacht, daß er lieber die oft daumdicken Weidenruthen durchschneidet, als über den Rand des offenen Korbes klettert, wie der Iltis in solchen Fällen unbedenklich thut. Wahrnehmung dieser Eigenheit des Thieres führt in der Regel zu seinem Verderben, obgleich die Fanganstalten, welche die Fischer treffen, mit einer Sorglosigkeit zugerichtet werden, daß sie mich lachen gemacht haben würden, hätte ich mich nicht mehrfach von ihrem guten Erfolge zu überzeugen Gelegenheit gehabt. Man streut nämlich auf diesen sogenannten Werdern, am liebsten beim ersten starken Froste, wenn der Nörz anfängt, Noth zu leiden, einige Fische aus, legt ein Paar gute Ratteneisen, verblendet sie nothdürftig und befestigt sie wie bei dem Otter, so daß der Fang mit dem Eisen das Wasser erreichen kann. Auf die Ausstiege nimmt man keine Rücksicht, nicht einmal auf die Fährten; die Bequemlichkeit des Fängers allein scheint maßgebend zu sein. Daß der Räuber dessenungeachtet in den meisten Fällen bald gefangen wird, spricht wenig für seine Vorsicht, so menschenscheu er sonst auch ist.“
Aehnliches erfuhr ich von anderen Leuten, dabei auch, daß ab und zu ein Jagdhund den Nörz trotz seiner Gewandtheit im Sumpfe oder selbst im Wasser greift.
Es vergingen Jahre, bevor Claudius und durch ihn ich zu dem erwünschten Ziele gelangten, obwohl ein nicht unansehnlicher Preis für den ersten lebenden Nörz, welcher mir gebracht werden würde, ausgesetzt worden war. Erst Anfangs des Jahres 1868 erhielt ich von meinem eifrigen Freunde eine freudige Nachricht. „Endlich ist es mir gelungen,“ schreibt er, „in den Besitz eines lebenden Nörzes aus der Umgegend Lübecks zu gelangen. Das Thier, ein mittelstarkes Weibchen, ist mit dem Hinterlaufe auf einem Eisen gefangen, befindet sich jedoch bei Milch und frischer Fleischkost so wohl, daß ich bei seiner ruhigen Gemüthsart alle Hoffnung habe, den durch das Eisen verursachten Schaden bald ausgeheilt zu sehen. Er ist bei weitem gutartiger als seine Gattungsverwandten, und zürnt nur, wenn er geradezu gereizt wird. Sonst zieht er es vor, mich nicht zu beachten, läßt sich auch wohl mit einem Stöckchen den Balg streichen. Er liegt den ganzen Tag auf der einen Seite des Käfigs zusammengerollt auf seinem Heulager, während er auf der andern Seite regelmäßig in der äußersten Ecke sich löst und näßt. Nachts spaziert er in seiner ziemlich geräumigen Wohnung umher, hat sich auch verschiedene Male gewaltsam daraus entfernt; aber nur das erste Mal traf ich ihn Morgens außerhalb desselben in einem Winkel der Stube verborgen, worauf er sofort in den vorgehaltenen lästig wieder einlief. Später fand ich ihn, wenn er sich des Nachts befreit hatte, am Morgen regelmäßig wieder auf seinem Lager, als wenn er in seinen nächtlichen Wanderungen mehr eine Erheiterung als Befreiung aus seiner Haft suche.“
In einem zweiten Briefe erfuhr ich, daß der Nörz inzwischen sehr zahm geworden war, sich von seinem Pfleger widerstandslos greifen ließ, gegen Liebkosung sich empfänglich zeigte, kurz, sich mit seinem Loose vollständig ausgesöhnt hatte.
Claudius hatte die Güte, das seltene Thier bis zur Vollendung des betreffenden Käfigs im Berliner Aquarium, bekanntlich einem Vivarium im weitern Sinne, aufzubewahren und zu pflegen. Eines schönen Morgens endlich gelangte die von mir sehnlichst erwartete, durchlöcherte Kiste mit dem Vermerk „lebende Thiere, sofort zu bestellen“ in meine Hände. Jeder Thierfreund unter den Angestellten des Aquariums war selbstverständlich sofort zur Stelle und namentlich mein Futtermeister Seidel zeigte fast dieselbe Ungeduld wie ich, so lange die Kiste noch verschlossen war. Sie wurde geöffnet und – in einem duftigen, in der Mitte sanft eingedrückten und geglätteten Heuhaufen lag zusammengeringelt
verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1871, Seite 214. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_214.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)