Verschiedene: Die Gartenlaube (1871) | |
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auf einer Streifpartie begleiten, die ich nach dem Flusse hinab machen will, bevor ich mich zur Ruhe begebe … Ihr Andern könnt Euch legen; aber vergeßt nicht, nach den Pferden zu sehen; sie werden ihr Futter verzehrt haben und müssen getränkt werden.“
Ich ging, und während die Anderen lässiger aufbrachen, folgte mir Glauroth, der beredte Jüngling. Draußen schien der Mond auf Schloß und Hof und Gärten. Diesen letzteren wandte ich mich zu. Da sie hinter dem Schlosse nach der Flußseite hinaus lagen, wollte ich durch sie hinabwandeln, um das Flußufer zu erreichen und zu sehen, ob eine Fähre oder eine Laufbrücke unsere Franctireurs dort bei ihrer Flucht auf das andere Ufer und in das Bergland da drüben aufgenommen habe; war das nicht der Fall, so konnten sie sich immer noch in unserer Nähe versteckt halten und wir mußten dann trotz der Versicherungen des Hausgeistlichen auf unserer Hut sein.
Die Gartenanlagen, die wir betraten, waren schön und, so viel das Mondlicht erkennen ließ, außerordentlich wohlgepflegt. Eine breite Terrasse, dann ein tiefer liegender Grund mit Bassins, Springbrunnen und wasserspeienden Tritonen und Nereiden oder was diese kalt vom Mondlicht übergossenen nackten Figuren darstellten; umher große Blumenbeete in üppiger Fülle; dann Gänge, von niedrigen Spalieren oder sauber geschorenen Hecken eingefaßt; rechts lag das blaue Himmelslicht schillernd auf dem langen Glasdach eines Warmhauses, links zog sich ein ähnliches Gebäude, in dunklem Schatten daliegend, hin.
Wir waren in halblautem Gespräch zwischen zwei langen, etwa vier Fuß hohen Taxushecken hinabgeschritten, die in ein Gehölz führten, durch das sich eine Allee unter dunklen, ihre Aeste zusammenstreckenden Wipfeln vor uns dahinzog. Glauroth blieb plötzlich stehen – wie lauschend.
„Was haben Sie?“ fragte ich.
„Pst,“ flüsterte er zurück, „ich hörte ein Knicken, wie wenn man ein Gewehr spannt.“
„Ah … in welcher Richtung?“
Er trat rasch seitwärts, war im Augenblick neben der Hecke rechts und beugte sich mit dem Oberkörper hinüber.
„He da! … schauen Sie einmal her, Bernold!“ rief er dabei aus.
Ich war bereits neben ihm; ein Mann, der da niedergeduckt gesessen haben mußte, erhob sich just, von Glauroth am Kragen gefaßt. Es war ein Mann in einer Blouse, ein Knecht, wie es schien; er war unbewaffnet. Eine kurze Tabakspfeife, die er in der Hand hielt, war die einzige Waffe, die er führte.
„Was seid Ihr? Was treibt Ihr hier? Weshalb verkriecht Ihr Euch hier?“ rief ich ihn auf französisch an.
Er stammelte Worte zurück, die ich nicht verstand; aber ich glaubte ihn zu erkennen während dessen. Es war derselbe mürrisch aussehende Mensch, der uns mit so verbissener und widerwilliger Miene heute das Gitterthor geöffnet hatte.
„Wo ist Eure Waffe? Ihr habt den Hahn einer Flinte gespannt!“
„Pardon, Monsieur, ich habe nicht daran gedacht, denn ich habe keine Flinte!“ rief er jetzt, seine Pfeife erhebend. „Ich habe nur das gethan!“ setzte er, mit dem Daumen den Deckel aufmachend und dann wieder niederklappend, hinzu.
„Es ist dasselbe Geräusch!“ sagte mein junger Camerad.
„Es war sehr dumm von mir,“ fuhr der Knecht verdrossen fort; „ich dachte nur, daß das Feuer meiner Pfeife, die ich eben angezündet hatte, durch die Hecke schimmern könne, und darum schloß ich rasch den Deckel.“ …
„Aber weshalb haltet Ihr da Wache, und duckt Euch bei unserem Kommen so ängstlich nieder?“
„Ich laure auf Marder, die uns das Obst stehlen!“ sagte er. „Ich bin nicht ängstlich vor den Herren,“ fügte er mürrisch hinzu, „ich hatte mich gesetzt, weil ich müde war. Wenn ich nicht wollte, daß Sie mich wahrnehmen sollten, so war’s natürlich. Ich hatte kein Verlangen nach dem Verhör, das Sie jetzt eben mit mir anstellen – hier in unserem eigenen Garten!“
Ein bemoostes Haupt.
Sie verlangen, geehrter Herr Keil, von mir einige Mittheilungen über mein Leben, die Sie zu dem Bildniß abdrucken lassen wollen, das die Gartenlaube von mir bringen wird. Sie führen mich damit in große Versuchung. Ob Jemand nach meinem Tode eine Biographie von mir schreiben wird, weiß ich nicht; geschieht es aber, so werde ich doch in keinem Falle das Vergnügen haben, sie zu lesen. Der Auftrag also, selbst über mich zu schreiben, ist eine Versuchung meiner Eitelkeit, denn natürlich werde ich mich im schönsten Lichte darzustellen suchen – laufe ich da nicht Gefahr, zu schönfärberisch aufzutreten? Sollte ich es thun, verehrter Herr, so schiebe ich die Verantwortung dafür Ihnen zu.
Indem ich an meine Aufgabe gehen will, fällt mir auf die Seele, daß ich für eine Lebensbeschreibung ein recht dürftiger Held bin. Ich habe keine großen Abenteuer erlebt, habe niemals Schiffbruch gelitten, habe Niemanden im Zweikampfe erschossen – ich habe eben nur erlebt, was Tausende und abermals Tausende erleben. Ist doch bei einem Schriftsteller das innere Leben wichtiger als das äußere, und das erstere kann ich doch nicht weitläufig entwickeln. So will ich Ihnen denn sagen, nach was ich gestrebt habe – wie weit mein Wollen ein Gelingen gehabt hat, mag die Welt beurtheilen.
Ich bin vor etwa sechszig Jahren in Leipzig geboren worden und habe in traulichem Familienkreise eine glückliche Jugend verlebt. Das Andenken an meine herrliche Mutter ist mir unvergänglich; ich freue mich der Gelegenheit, das öffentlich aussprechen zu können. Sie hat mir durch Ihren Tod den bittersten Schmerz meines Lebens bereitet. Sie starb kurz vorher, als ich den ersten Erfolg errang. Die Freude über diesen wäre ein kleiner Dank meinerseits für ihre Liebe gewesen – ich habe ihr diesen Dank schuldig bleiben müssen.
Ich habe auf guten Schulen und Gymnasien einen guten Unterricht genossen und mancherlei gelernt. Seltsamer Weise trieb ich am eifrigsten Mathematik. Trotzdem habe ich nicht rechnen gelernt. Daß die Sprachen ein schönes, organisch entwickeltes Erzeugniß des Volksgeistes sind, habe ich erst später begriffen; damals aber lernte ich nur die Form. Schon sehr früh versuchte ich zu dichten. In meinem vierzehnten Jahre habe ich meine ersten Stücke geschrieben, das heißt ich habe einige Erzählungen in Gesprächsform gebracht, was ich damals für Dramen hielt. Daneben habe ich mich viel mit Hexametern herumgeschlagen, habe Stücke aus Homer und Ovid in solchen übersetzt, habe auch eine große Idylle in dieser Versform gemacht. Trotzdem hielt ich das Dichten nicht für meinen Beruf, sondern die Schauspielkunst. Als ich daher das Gymnasium durchgemacht hatte, ging ich statt auf die Universität der Wissenschaften auf die des Lebens: ich wandte mich dem Theater zu. Es war eine schöne Zeit, während welcher ich sechs oder sieben Jahre thätig als Schauspieler – und Sänger gewesen bin. Es liegt ein ungemeiner Reiz darin, die Gestalten der Dichter, die man mit Liebe in seinem Innern aufgenommen hat, auf der Bühne zu verkörpern, das lauschende Publicum zu erregen, ihm Thränen zu entlocken und von seinem Beifall belohnt zu werden. Es liegt auch ein großer Reiz in dem Wanderleben, bei dem man die Welt sieht und alle drei Monate ein neues Publicum hat, welchem man seine Kunst vorführen kann. So habe ich die größeren Städte Thüringens, Rheinlands und Westphalens durchzogen und manche schöne Erfolge errungen. Ich kam als unerfahrener junger Mensch zum Theater, erfahren habe ich da vielerlei, allein klug, das heißt lebensklug bin ich nicht sonderlich geworden.
Trotz vielfacher Beschäftigung fand ich noch Zeit zum Schreiben. Es entstanden einige Erzählungen und in Cleve 1835 ein großes Lustspiel, in Mainz aber 1838 mein „bemoostes Haupt“. Dieses Stück kam auf die Bühne und hatte einen ungewöhnlichen Erfolg, obwohl sich die Hoftheater damals ihm verschlossen. Ich war zu der Zeit in Wesel, kam in Verbindung mit einem Buchhändler, redigirte ein Blatt, schrieb deutsche Volkssagen, eine Geschichte der Freiheitskriege, ein Volksbuch etc. – und damit endigte meine schauspielerische Laufbahn. In Wesel schrieb ich unter anderen Stücken „Doctor Wespe“, der noch größeren Erfolg errang, und siedelte dann nach Köln über, wo ich dreizehn Jahre gewohnt habe. Ich hatte sehr früh geheirathet, hatte Kinder, und so war mir ein fester Wohnsitz erwünscht. In Köln führte ich einige Jahre die Regie des Theaters, auch ein Jahr lang die Direction der Bühne
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_004.jpg&oldid=- (Version vom 1.5.2020)